Unhappy Birthday: Der Pariser Club wird 60

Es kommt nicht so oft vor, dass jemand Geburtstag hat, der selbst nicht so genau weiss, ob es ihn eigentlich gibt. Am 14. Mai dieses Jahres war das der Fall. Der so genannte „Pariser Club“ feierte 60 Jahre seines (Nicht-)Bestehens.

„Le Club de Paris n’existe pas“ – „Den Club gibt es nicht“, hörten wir in den späten achtziger Jahren auch am Telefon, wenn wir wissen wollten, wie mit dem einen oder anderen verschuldeten Land umgegangen worden war, wenn es sich zwecks Umschuldung mit seinen offiziellen Gläubigern im französischen Finanzministerium getroffen hatte. Gemeint war damit, dass der „Club“ damals noch ohne formelle Regeln, Rechtsstatus und Verbindlichkeit überhaupt nur existierte, so lange er gerade zusammensaß und beriet. Außerhalb dieser kurzen, einmal im Monat stattfindenden Treffen habe man der Welt nichts mitzuteilen.

Inzwischen gibt es eine Club-Website, auf der man erfährt, dass seit 1956 433 Vereinbarungen  mit 90 Ländern über Forderungen in Höhe von 583 Milliarden US-Dollar getroffen wurden. Man erfährt, wenn man sich durch die Seite klickt auch einiges über die einzelnen Vereinbarungen, die für die betroffenen Länder häufig von größter Bedeutung hinsichtlich ihrer Entwicklungschancen sind. Aber man erfährt auch ganz vieles nicht: wie die einzelnen Mitglieder des Kartells sich bei den Beratungen positioniert haben, welche Erwartungen der Schuldner eigentlich formuliert hatte, warum der Club zu manchen besonders absurden Vereinbarungen gekommen ist. So erhielt ein Land wie Nicaragua, das in den neunziger Jahren verhandelte und damals mit Schulden im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung des vierfachen der heutigen Werte Griechenlands belastet war, zunächst mal eine Erleichterung beim laufenden Schuldendienst von 50% in der Erwartung, dass das Land dadurch wieder „schuldentragfähig“ werde.

Heimlichtuerei ist – Website hin oder her – weiterhin das Markenzeichen des Pariser Clubs. Im Mai bat die kleine Karibikinsel Dominica um Schuldenerleichterungen, um den Wiederaufbau nach dem Hurrikan Erica im August 2015 bewältigen zu können. Weil es aber zu keiner formalen Vereinbarung kam, gibt es keine Informationen auf der Homepage, keine Kommentare der Beteiligten, und selbst dem Schuldner wurde die Verweigerung jeglicher Konzessionen angedroht, sollte etwas über die Beratungen an die Öffentlichkeit dringen. Dabei geht es um vergleichsweise bescheidene Beträge in den Büchern zweier Gläubiger.

Den Pariser Club gibt es in dieser Form nicht deshalb, weil ein kollektiv mit einem Schuldner verhandelndes Gläubigerkartell die effizienteste Möglichkeit ist, zu einem für alle tragbaren Kompromiss zwischen den Ansprüchen des Gläubigers und dem Möglichkeiten des Schuldners zu kommen. Vielmehr gestattet er es den Gläubigern, über den Hebel der Gewährung oder Verweigerung von Schuldenerlassen im Zusammenwirken mit den jeweils obligatorischen Vereinbarungen des Schuldners mit dem IWF Einfluss auf die Wirtschaftspolitik von fast einhundert Staaten auf der ganzen Welt zu nehmen.

Die französische Regierung, für die der Club zudem auch noch eine wichtige prestigeträchtige Einrichtung in einer vom Angelsächsischen beherrschten Finanzwelt ist, hat keinerlei Interesse daran, an dem gegenwärtigen Arrangement etwas zu ändern. Und auch die anderen 18 Mitglieder, darunter prominent die Bundesregierung, versuchen derzeit, die Reformdebatten, die in den G20 vorsichtig begonnen haben, auf das Gleis einer Ausweitung des existierenden Pariser Club Formats zu manövrieren. Glücklicherweise zeigen andere G20-Mitglieder wie China wenig Neigung, nach der Pfeife der westlichen Club-Mitglieder zu tanzen.

Für die im Club „behandelten“ Schuldnerländer wäre die Abschaffung des Clubs dagegen der erste Schritt zu einem Verhandlungsformat, bei dem Unparteilichkeit und Rechtsstaatlichkeit im Mittelpunkt stehen.

Wie der Club im Einzelnen funktioniert, kann man in dem älteren Arbeitspapier Schuldenmanagement à la Louis XVI von erlassjahr.de nachlesen – oder sich als kleinen Doku-Spielfilm ansehen

Überschuldungsrisiken in armen Ländern steigen dramatisch: IWF

Etwa vier mal im Jahr aktualisiert der IWF in einer handlichen Übersichtstabelle seine Einschätzung der Überschuldungsgefahren in allen Ländern, die sich für sein konzessionäres Kreditfenster, den Poverty Reduction and Growth Trust (PRGT) qualifizieren. Dabei kondensiert er seine eigenen komplexen Schuldentragfähigkeitsanalysen auf vier Kategorien. Länder haben

  • ein niedriges Überschuldungsrisiko, wenn weder das Basisszenario, welches der IWF für das wahrscheinlichste in den nächsten 10-15 Jahren hält, noch irgendeines der verschiedenen standardmäßig durchgerechneten „Schockszenarien“ dazu führt, dass mindestens einer der Indikatoren für ein kritisches Schuldenniveau überschritten wird;
  • ein mittleres Risiko, wenn es unter dem Basisszenario keine Überschreitungen gibt, unter mindestens einem Stress-Szenario aber schon;
  • ein hohes Risiko, wenn schon unter dem Basisszenario mindestens ein kritischer Grenzwert überschritten ist;
  • einige Länder sind darüber bereits im Schuldenstress, wenn sie aktuell substanziell mit Zahlungen im Rückstand sind.

Die jüngste Aktualisierung bezieht sich auf den Stichtag 4. Februar 2016. Demnach haben von 70 aufgeführten Ländern

  • 15 ein hohes Risiko
  • 36 ein mittleres
  • 13 ein niedriges;
  • 3 Länder sind im Schuldenstress, und
  • über 3 liegen keine ausreichenden Informationen vor.

Im Laufe des letzten Jahres (seit der Beurteilung am 9.4.2015) ist der Anteil von Ländern mit niedrigem Risiko von 30% auf 22% zurückgegangen. Gestiegen sind die dagegen die Anteile mit mittlerem Risiko (42% auf 51%) und mit hohem Risiko (von 19% auf 22%).

Betrachtet man nur die Länder, die unter der HIPC/MDRI Initiative seit 1996 weit reichend entschuldet worden sind, ergibt sich ein ähnliches Profil: Von 35 HIPCs, haben 8 ein hohes Risiko, 22 ein mittleres, und 5 ein niedriges; ein Land ist aus der Betrachtung heraus gefallen, weil es sich nicht mehr für die PRGT qualifiziert.

Neben dem HIPC Bolivien (im letzten Oktober niedriges Risiko)  gilt dies auch für die Nicht-HIPCs Mongolei (hoch), Nigeria (niedrig) und Vietnam (niedrig).

Insgesamt hat es seit Oktober 2015 keine einzige Verbesserung beim Rating durch den IWF gegeben, aber fünf Verschlechterungen:

in Kamerun und Dominica wurde aus dem mittleren Risiko ein hohes

in Äthiopien, Liberia und Madagaskar wurde aus dem niedrigen Risiko ein mittleres.

Nur auf der kleinen Karibikinsel Dominica ist diese Umgruppierung durch ein einziges spektakuläres Ereignis erklärbar, nämlich den Hurricane Erika, der Ende August 93% der Jahreswirtschaftsleistung in einer Nacht zerstört hat, und zu dessen Bewältigung die Gläubiger bis heute keine von der Regierung erbetene Schuldenerleichterung gewährt haben.

In den vier anderen Ländern muss man die Verschlechterung als Ausdruck des globalen Trends betrachten, der fast alle Länder erfasst hat: Den Umschwung von extrem billigen Krediten der letzten drei Jahre, in denen viele Länder sich hoch verschuldet haben, zu etwas höheren Zinssätzen, gepaart mit dem Verfall wichtiger Rohstoffpreise.

Bemerkenswert ist überdies die „Massierung“ in der Gruppe der mittleren Verschuldung. Sie besagt, dass der IWF mit seinen nicht immer nachvollziehbaren Basisszenarien Entwicklungen annimmt, bei denen es gerade noch mal gut geht, aber wenn er dann auf die Risiken schaut, einräumen muss, dass Zahlungsunfähigkeit eine akute Bedrohung ist.

Harvard-Studie: Schuldenkrisen erfordern tiefe Schuldenschnitte

Wenn man schon Schulden reduzieren muss, dann muss man es richtig machen. Zaghafte Umschuldungen in dem Bemühen, den Gläubigern möglichst wenig wehzutun, führten in der Vergangenheit stets zu höheren Kosten für alle Beteiligten. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung der Ökonom/innen Carmen Reinhart von der Harvard Universität und Christoph Trebesch von der Uni München. („Sovereign debt Relief and its Aftermath“. Harvard Kennedy School June 2015)

Für erlassjahr.de ist das keine besonders überraschende Neuigkeit, aber öffentliche und private Gläubiger streuen bis heute gerne das Gerücht, zu tiefe Schnitte schlössen das betroffene Land nachhaltig vom Kapitalmarkt aus und führten zu Wachstumseinbrüchen. Reinhart/Trebesch zeigen in ihrer Untersuchung der Schuldenkrisen in den entwickelten Ländern nach dem 1. Weltkrieg und in den Schwellenändern zwischen 1978 und 2010 dass das Gegenteil richtig ist: Umschuldungen und Fristverlängerungen führten in der Regel nicht zur Wiederherstellung von Schuldentragfähigkeit. Erst die weit reichende Streichungen von Schulden z.B. unter dem Hoover-Moratorium 1931 bzw. durch den Brady-Plan nach mehrfachen nutzlosen Umschuldungsrunden unter dessen Vorgänger, dem Baker-Plan, brachten Staaten wieder auf den Wachstumspfad und versetzten sie so in die Lage, verbliebene Forderungen an ihre Gläubiger wieder verlässlich zu bedienen.

erlassjahr.de könnte hinzufügen, dass die Geschichte der Bewältigung der Schuldenkrisen in den ärmsten Ländern durch die HIPC/MDRI-Initiativen ein ähnliches Bild ergibt: Zeigen Reinhart/Trebesch, dass jedem ausreichend tiefen Schuldenschnitt unter dem Brady-Plan in den Schwellenländern im Mittel zwei unzureichende Umschuldungen vorausgegangen waren, waren dies in den ärmsten Ländern bis zu 13 vergebliche Umschuldungsrunden im Pariser Club.

In ihrer Zusammenfassung schreiben Reinhart/Trebesch, dass die Erfahrungen der 20er/30er bzw. der 80er /90er Jahre eine starke Botschaft an die laufenden Prozesse zur Bewältigung der Schuldenkrisen in Griechenland und er Ukraine beinhalten. Das tun sie ohne Zweifel. Bis jetzt haben die Gläubiger der beiden Länder diese leider noch nicht zur Kenntnis genommen.

Karibik: Entschuldung ist unvermeidlich. Aber wie kann sie organisiert werden?

Entschuldungstagung mit Nuntius / © Jubilee Caribbean

Die kleinen Inselstaaten der Ostkaribik sind seit Ende des letzten Jahrzehnts einer der Hotspots der sich abzeichnenden globalen neuen Schuldenkrisen. Das hat jüngst sogar die Weltbank eingesehen und bei ihrer Jahrestagung in Lima einen Vorschlag für eine (begrenzte) Entschuldungsinitiative für die Region vorgelegt. Dabei will sie Schulden bei privaten Gläubigern mit einem Abschlag zurückkaufen und dafür den betroffenen Ländern neue Kredite einräumen.

Den Bischöfen und kirchlichen Aktivist/innen, die sich am 20./21.10. in Grenada trafen, um ihrerseits eine Strategie gegenüber dem Schuldenproblem ihrer Staaten zu entwickeln, ist der Vorschlag nicht recht geheuer. Sie erwogen vielmehr den von erlassjahr.de präsentierten Vorschlag für eine umfassende Schuldenstreichung, ähnlich der damaligen HIPC-Initiative für die ärmsten Länder in Afrika und Lateinamerika, sowie einen weiteren Vorschlag der UN Wirtschaftskommission für Lateinamerika.

Praktisches Ergebnis der Tagung in Grenada war die Gründung von Jubilee Caribbean, eines Netzwerks nationaler Jubilee-Komitees, für deren Organisation sich die katholischen und anglikanischen Bischöfe von Dominica, Barbados, Jamaika, Grenada und St. Vincent & den Grenadinen besonders in der Verantwortung wussten.

Besondere Beiträge zur Tagung kamen vom Päpstlichen Nuntius, Erzbischof Giraldi, der daran erinnerte, dass der Papst selbst bei seiner Reise zur UNO ein geordnetes Staateninsolvenzverfahren gefordert hatte; sowie von Grenadas Premierminister Dr. Keith Mitchell. Er beschrieb den immer noch nicht abgeschlossenen Entschuldungsprozess seiner es eigenen Landes: Weil es kein geordnetes und rechtsstaatliches Verfahren gibt, befindet sich Grenada seit mehr als zwei Jahren offiziell im Zahlungsausfall, mit allen entsprechenden Schwierigkeiten bei der externen Finanzierung. Ein solches Schicksal sollte keiner der durch ihre geringe Größe und wenig diversifizierte Wirtschaft sowie die immer wieder auftretenden Naturkatastrophen verletzlichen Volkswirtschaften mehr drohen.

IWF/Weltbank Jahrestagung in Lima: Die Finanz-Szene feiert ihre Erfolgsgeschichte und fühlt sich unbehaglich

Peru gilt mit anhaltend hohen Wachstumsraten in den vergangenen Jahren als die Erfolgsgeschichte eines Landes, dessen Entschuldung noch vor zwei Jahrzehnten auf der Tagesordnung von Bewegungen wie erlassjahr/Jubileo stand. Hohe Preise für die von dort exportierten Rohstoffe und ein verleichsweise geschicktes Schuldenmanagement haben das Land inzwischen sogar aus der Liste der von erlassjahr.de im jährlichen Schuldenreport beobachteten Länder geführt.

Auch, wenn die peruanische Zivilgesellschaft auf die enormen sozialen und ökologischen Kosten verweist, die für diese Erfolgsgeschichte bezahlt werden musste: die in Lima versammelten 12.000 Minister, Beamten, Zentralbanker, Privat-Investoren interessierte das nicht besonders. Und der peruanische Staat ließ sich die zuvorkommende Umsorgung der hohen Gäste im schicken Nationalmuseum und Kongresszentrum eine erhebliche Stange Geld kosten.

Ungetrübt war die Freude gleichwohl nicht: Der Wachstumseinbruch bei wichtigen Schwellenländern wie Brasilien und Indonesien sowie die von IWF-Chefin Lagarde beständig wiederholte Warnung vor den versteckten Risiken in den Schuldenbilanzen vieler Staaten, dämpften den optimistischen Ton. Viel stärker als noch vor wenigen Jahren bedroht die private Verschuldung von Schwellenländern aber auch kleinerer Entwicklungsländer inzwischen die Schuldentragfähigkeit. Ohne dass es klare Konzepte dafür gibt, wie Staaten davor geschützt werden können, im Zweifel für das Überleben „ihrer“ Banken und Versicherungen selbst in großem Stil Schulden aufnehmen zu müssen.

Die in Lima gut vertretene NRO-Szene reagierte auf diese neuen Tendenzen mit Veranstaltungen zum neuen Schuldenaufbau durch die Privatisierung von immer mehr Bereichen der Daseinsvorsorge und zur Notwendigkeit umfassender Entschuldung – z.B. in kleinen Inselentwicklungsstaaten.

Und während Weltbank-Präsident Kim mit seiner eigenen Vergangenheit als Anti-WB-Protestierer kokettierte und die heute Unzufriedenen aufforderte, seinem Beispiel zu folgen und ebenfalls Weltbank-Präsident zu werden, organisierte sich auch in Lima draußen der lautstarke Protest derjenigen, die eine gerechtere Welt eher nicht durch die Verfolgung einer eigenen Apparatschik-Karriere heraufziehen sehen.

Papst Franziskus fordert Staateninsolvenzverfahren

„Wenn ein Unternehmen in die Insolvenz gehen kann, warum hat ein Staat diese Möglichkeit nicht?“, fragte Papst Franziskus zum Abschluss seiner Lateinamerikareise in diesem Sommer.

Papst Franziskus
giulio napolitano / Shutterstock.com

Dabei bezog er sich ausdrücklich auf die schwierige Situation Griechenlands und die Bemühungen in den Vereinten Nationen um ein Staateninsolvenzverfahren. Letztere könnten seiner Meinung nach zu einer Lösung von Staatsschuldenkrisen führen. Dazu ist jedoch wichtig, dass die am 10. September 2015 in der UN Generalsversammlung verabschiedeten Prinzipien zur Lösung von Staatsschuldenkrisen auch angewendet werden.

Als Argentinier weiß Papst Franziskus, dass die Überschuldung von Staaten zur Armut und Ungleichheit führen kann.

„…de activiteiten van de aasgierfondsen aan te packen“

So ist ein Anti-Geierfonds-Gesetz überschrieben, welches Anfang Juli im Belgischen Parlament mit 136:2 Stimmen Mehrheit verabschiedet worden ist.

Beeindruckend daran ist nicht nur, wie bildkräftig die Sprache unserer Nachbarn die Entschlossenheit ausdrückt, Spekulanten, die ihr Geschäft mit den wirtschaftlichen Schwierigkeiten von ärmeren Staaten machen, dranzukriegen. Auch in der Sache ist es gelungen und nützlich!

Das Gesetz weicht ein wenig von dem schon 2010 verabschiedete britische Anti-Geier-Gesetz ab: dieses verhindert, dass einem klagenden Gläubiger auf vor einem Schuldenschnitt ausgegebene Staatstitel größere Zahlungen von britischen Gerichten zugesprochen werden als er erhalten hätte, wenn er sich an dem multilateral vereinbarten Schuldenschnitt beteiligt hätte. In Belgien besteht die Beschränkung des Gläubigeranspruchs in der Höhe des auf dem Sekundärmarkt entrichteten Kaufpreises für die betreffenden Schulden.

Im Ergebnis dürfte die Abschreckungswirkung in beiden Fällen etwa die gleich sein.

Ein solches Gesetz ist in Belgien besonders wichtig, als in Brüssel Euroclear beheimatet ist, eine Verrechnungsstelle, über die zahlreiche Staaten im globalen Süden ihre Zahlungen an ihre Gläubiger abwickeln. Auf die dort hinterlegten Mittel können Gläubiger nun seit dem 1.7.2015 nicht mehr so zugreifen wie das NML Capital und Konsorten in den USA tun konnten, als sie Argentinien daran hinderten über ihre Korrepsondenzbank BNYM an sein legitimen Gläubiger zu leisten.

Geschichten hinter der Geschichte: Wie der IWF in den Schlamassel der Griechenland-Krise geriet

Für eine Bewegung der Eine-Welt-Solidarität ist es ein seltsames Gefühl, wenn der IWF sich in einer Krise plötzlich als Stimme der Vernunft erweist. In der Grichenland-Krise ist er das mit seiner Forderung nach einem Schuldenschnitt zulasten der europäischen öffentlichen Haushalte im Moment ohne Zweifel. Deutlicher als die Washingtoner kann man kaum die Sinn- und Aussichtslosigkeit der von den Europäischen Regierungen betriebenen Politik, nach der Ursünde der Bankenrettung unter dem Deckmantel einer angeblichen Griechenland-Rettung im Jahr 2010 dem schlechten Geld nun im Zweijahresrhytmus immer mehr gutes hinterherzuwerfen, kaum beschreiben.

Allerdings sagt der Fonds das auch nicht erst jetzt. Eigentlich unternahmen einige seiner Ökonomen (und einzelne Juristen wie Sean Hagan) schon 2010 den Versuch, Griechenlands Schulden zulasten der gerade laut um Hilfe schreienden europäischen Anleger und Banken reduzieren zu lassen.

Gleichzeitig erholte der Fonds selbst sich aber nur sehr langsam von seiner bis dahin schwersten existenziellen Krise: Vor dem Lehmann-Zusammenbruch brauchte schlicht kein Mensch mehr den IWF: Bis auf die Türkei hatten alle großen Kreditnehmer zu jener Zeit ihre Schulden beim IWF beglichen. An der Washingtoner H-Street wurde Personal abgebaut und man bastelte an alternativen Einkommensquellen zur Weiter-Finanzierung des bestehenden Apparats. Auf diesem Hintergrund empfand die Leitung des IWF um Dominique Strauss-Kahn die Europäische Krise geradezu als Geschenk des Himmels. Nur von daher ist zu verstehen, wie bereitwillig eine Institution, die es gewohnt war, den wirtschaftspolitischen Ton vorzugeben, wo immer sie auftrat, sich nun mit der Rolle eines Juniorpartners in dem, was dann die Troika genannt wurde, zufrieden gab.

Die seitherige Geschichte der IWF-Beteiligung am Krisenmanagement ist aus diesen widerstreitenden Interessen heraus voller Pirouetten: Nur durch eine Statutenänderung während der Beratungen über das erste Hilfsprogramm 2010 war es überhaupt möglich, IWF-Geld nach Hellas zu pumpen, obwohl kein Ökonom, der die Grundrechenarten beherrscht, damals satzungsgemäß hätte erklären können, dass Griechenlands Schulden nach der Auszahlung mit hoher Wahrscheinlichkeit tragfähig sein würden. Waren sie ja auch nicht.

Inzwischen versucht die Leitung des IWF unter Christine Lagarde, diese Systemic Exemption, die sie zu Recht als Einladung zur Selbstbedienung bei den IWF-Mitteln für mächtige Mitglieder betrachtet, wieder abzuschaffen. Noch ist das nicht gelungen.

Diese spannende Geschichte erzählt ebenso anschaulich wie kenntnisreich der amerikanische Journalist Paul Blustein, der sich bereits mit einer der besten und lesenswertesten Chroniken der Argentinienkrise einen Namen gemacht hat, in Laid low. The IMF, the Eurozone and the first rescue of Greece; CIGI-Papers Nr. 61; April 2015

Am Ende des Papiers bedenkt Blustein, dass der IWF eigentlich eine Rolle als unabhängige Stimme, womöglich gar als Schiedsrichter oder wenigstens als ehrlicher Makler hätte spielen müssen, wo die Europäer selbst so ernüchternd erbärmlich als Sachwalter ihrer jeweils nationalen Interessen agieren. Das kann der – so wie er sich gegen die eigenen Regeln und den Sachverstand der eigenen Ökonomen in Griechenland zur Partei hat machen lassen – natürlich nicht mehr. Und das ist für eine Krisenbewältigung im gesamteuropäischen Interesse, gar im Interesse der globalen Finanzstabilität eine sehr schlechte Nachricht.

Fauler Griechenland-Kompromiss: Privatisierungsfonds anstatt Schuldenschnitt

Am Montag wurde der Öffentlichkeit ein “Kompromiss” für ein neues sogenanntes Rettungspaket für Griechenland vorgestellt. Neben verschiedenen Reformen und Sparmaßnahmen wurde die Idee der Einrichtung einer Art Treuhandfonds vorgestellt. In diesen Fonds sollen griechische Staatsbesitztümer überführt und privatisiert werden. Nach bisherigen Angaben soll der Fonds über ein Gesamtvolumen von 50 Milliarden verfügen. 25 Milliarden Euro sollen dazu dienen, die Mittel zur Rekapitalisierung der Banken zurückzuzahlen. 12,5 Milliarden Euro sollen für Investitionen in die griechische Wirtschaft verwendet werden und die restlichen 12,5 Milliarden Euro für die Verringerung der Schuldenquote. Das ist also die glorreiche Alternative zu einem tiefgreifenden Schuldenschnitt, den selbst der Internationale Währungsfonds (IWF) erst kürzlich als einzigen Weg zurück zur SchuldentPrivatisierungragfähigkeit benannt hat (und zur Bedingung seiner weiteren Beteiligung gemacht hat).

Interessant ist, dass der IWF in der aktuellsten Schuldentragfähigkeitsanalyse für Griechenland vom 26. Juni 2015 ziemlich deutlich zeigt, dass es realitätsfern ist, zu glauben, man bekäme auch nur die 12,5 Milliarden für die Tilgung der ESM-Schulden im geplanten Zeitraum zusammen (geschweige denn 50 Milliarden Euro). Privatisierungen waren auch in den vorigen “Rettungsprogrammen” Teil des jeweiligen Maßnahmenpakets. Drei Mal mussten die Prognosen zu den Privatisierungserlösen nach unten korrigiert werden, im Juni nun ein viertes Mal. Die IWF-Mitarbeiter/innen halten mittlerweile einen Erlös von nicht mehr als jährlich 500 Millionen Euro für realistisch. Die völlig utopischen Annahmen der letzten Jahre hat der IWF in einer sehr eindrücklichen Grafik (siehe oben) dargestellt.

In jeder Zeitung können potentielle Käufer im Moment nachlesen, dass Griechenland dringend Geld braucht. Zu glauben, man bekäme in einer solchen Situation angemessene Erlöse für griechisches Staatseigentum, mit denen man sowohl die griechische Wirtschaft auf Vordermann bringen als auch die Schuldenquote verringern kann, ist schlichtweg dumm.

 

 

 

 

 

 

 

Wie Politiker zu Zombies werden

“Das schwache Auftreten der griechischen Regierung ändert nichts an dem Skandal, der darin besteht, dass sich die Politiker in Brüssel und Berlin weigern, ihren Kollegen aus Athen als Politiker zu begegnen. Sie sehen zwar wie Politiker aus, lassen sich aber nur in ihrer ökonomischen Rolle als Gläubiger sprechen. Diese Verwandlung in Zombies hat den Sinn, der verschleppten Insolvenz eines Staates den Anschein eines unpolitischen, vor Gerichten einklagbaren privatrechtlichen Vorgangs zu geben.”

Dieser Satz bringt einen langen Artikel von Jürgen Habermas in der Süddeutschen Zeitung vom Mittwoch auf den Punkt: Der Philosoph beklagt aus kluger Einsicht, dass Politik von Merkel und Co nicht mehr gemacht wird, weil diese bedeuten müsste, die Zukunft der Europäischen Union zu verteidigen. Alles was die Bundesregierung und in ihrem Windschatten die anderen Europäer verteidigen, sind aber ihre jeweils individuellen Gläubigerinteressen. Politiker bräuchte man dafür eigentlich nicht. Ein ausreichend rücksichtsloses Inkasso-Unternehmen täte es auch.

Nur aus der Inkasso-Perspektive ist das Augen Verschließen vor der Unausweichlichkeit eines nächsten Schuldenschnitts erklärlich. Würde jemand Politik im europäischen – oder auch nur im aufgeklärten nationalen – Interesse machen würde er jede Gelegenheit nutzen, das Unausweichliche so schnell, schmerzlos und erfolgreich wie möglich zu organisieren. Der ganze, sehr lesenswerte Kommentar findet sich hier.