Neue Zahlen zu den Schulden der ärmeren Länder bei Deutschland

Mehr als zwei Jahre lang hat das Bundesfinanzministerium darauf verzichtet, die Forderungen der Bundesrepublik an die Entwicklungs- und Schwellenländer zu aktualiserten. Wer wissen wollte, wie viel Geld Deutschland noch von ärmeren Ländern zu bekommen hatte, musste sich mit Informationen zum Stichtag 31.12.2007 zufrieden geben. Dank einer Kleinen Anfrage der Grünen Bundestagsfraktion sah sich der BMF nun genötigt, die Zahlen zum 31.12.2009 zu aktualisieren. Das BMF kündigt die Veröffentlichung der Zahlen auf seiner Website  “voraussichtlich im Sommer” an.  Offenbar ist es in der Berliner Wilhelmstrasse aber noch nicht sommerlich genug. Bei uns in Düsseldorf ist es hingegen so heiß, dass wir die Zahlen schon mal zum Download anbieten.

Insgesamt sind die Schulden von Entwicklungs- und Schwellenländern bei der Bundesregierung um 2,1 Mrd. € auf 21,58 Mrd. zurückgegangen. Davon entfallen 14,6 Mrd. € auf Schulden aus der Entwicklungszusammenarbeit und knapp 7 Mrd. € auf vom Staat entschädigte Schulden bei deutschen Exporteuren (“Handelsforderungen”). In den meisten Fällen liegt der Rückgang daran, dass die verschuldeten Länder regulär gezahlt haben. Dazu kommen die Effekte der nach und nach umgesetzten HIPC-Entschuldungsinitiative. Spürbar gestiegene Schulden hat Argentinien (durch Verzugszinsen auf die seit 2001 nicht mehr bedienten Handelsschulden von 1,8 Mrd.). Ähnlich liegt der Fall bei Myanmar und Simbabwe. Neue Kredite im Rahmen der Entwicklungshilfe bekamen Vietnam, Pakistan und Südafrika.

Vor der Wahl: Alle Parteien noch immer für Entwicklungshilfe an Saddam, Mobutu und Co

Im Gespräch mit den Entwicklungspolitiker/innen der Fraktionen gab es in den letzten vier Jahren einige wirkliche Fortschritte, und zwar bei nicht nur den linken, sondern bei allen Parteien. Der wichtigste davon ist die übereinstimmende Unterstützung aller für ein Internationales Insolvenzverfahren.
An einem Punkt indes gab es trotz intensiver Diskussionen, vor allem zu Beginn der Legislaturperiode, überhaupt keinen Fortschritt: Alle, außer der Linkspartei, die sich nach unserer Kenntnis zu dem Punkt nicht geäußert hat, beharren darauf, Schuldenerlasse auf die Entwicklungshilfe- (“ODA-“)Quote anzurechnen. Die Begründung ist stets: Schuldenerlasse setzen reale Mittel für die Entwicklungsfinanzierung frei; deswegen ist es ODA.
Die Wirklichkeit ist leider nicht ganz so einfach. Es stimmt, dass durch Schuldenerlasse neue Finanzierungsspielräume entstehen, und weil diese den Budgets der verschuldeten Länder zugute kommen, sind sie eine sehr effiziente Form der Unterstützung. Praktisch nirgendwo sind diese Spielräume aber identisch mit den erlassenen Summen. Schließlich brauchen Länder Schuldenerlasse, weil sie ihren Schuldendienst nicht mehr aufbringen können. Gerade in den ärmsten Ländern lagen vor dem Schuldenerlass die Zahlungsrückstände bei bis zu 90% der geschuldeten Summen. Das heißt: für 10 Cent, die nicht mehr in den Schuldendienst fließen, rechnet die “großzügige” Bundesregierung sich einen Euro auf ihre Entwicklungshilfe an. Der Irak zum Beispiel, der von Deutschland einen der größten Schuldenerlasse überhaupt bekam, zahlte seit Saddams Krieg gegen Kuwait überhaupt nicht mehr.
Und das ist der zweite Punkt, der die Anrechnungspraxis so unappetitlich macht: Wenn jetzt keine neuen Spielräume für Entwicklungsfinanzierung entstehen, dann bedeutet das nicht anderes, als dass durch den Schuldenerlass die ursprünglichen Kredite in Schenkungen umgewandelt werden. Im Fall des Irak ist das die rege Bautätigkeit der deutschen Industrie im Interesse von Saddams Kriegsinfrastruktur oder die Bereitstellung von Rüstungselektronik durch deutsche Firmen. Im Fall der Forderungen aus den USA, Frankreich und Russland auch ganz direkt die Waffenlieferungen an den Diktator. Die Dankbarkeit der geschundenen irakischen Bevölkerung für diese “Entwicklungshilfe” dürfte sich in Grenzen halten. Und selbst, dass die Deutschen darauf verzichten, auf Jahrzehnte hin der schwachen irakischen Regierung die Öleinnahmen zu pfänden, um sich ihre Geschäfte bezahlen zu lassen, wird man am Euphrat und Tigris nur begrenzt als Großzügigkeit empfinden.
Wir finden, auch Ehrlichkeit ist ein hohes Gut in der Politik, und eine verfehlte Erfüllung der ODA-Zusagen wäre nicht schön gewesen, aber besser als eine erschummelte.

Schnellere Hilfe Ärmsten

In einem 100 Sekunden langen Videoclip unserer Mitträger-Organisation One wird eindrucksvoll dargestellt was in den letzten 8 Jahren zur Erreichung der Millennium Entwicklungsziele bereits erreicht worden ist. Gleichzeitig zeigt der Film aber auch die deutlichen Defizite auf und fordert eine schnellere Unterstützung der Ärmsten. Schauspielerin Katja Riemann spricht im Videoclip die klaren Botschaften aus.

ONE ist eine von über 800 Mitträgerorganisationen von erlassjahr.de – werden Sie auch Mitträger! Oder unterstützen Sie das Bündnis als Einzelperson.

Wirklichkeit der Entwicklungshilfe

Die Welthungerhilfe und terre des hommes Deutschland haben gestern den 16. Bericht zur Wirklichkeit der Entwicklungshilfe in Berlin vorgestellt. Sie kritisieren darin den Rückgang der öffentlichen Entwicklungshilfe der Industriestaaten von 104,4 Milliarden US-Dollar im Jahr 2006 auf 103,7 Milliarden US-Dollar (2007). Damit verletze die Gebergemeinschaft ihre im Rahmen der EU und auf G8-Gipfeltreffen getroffenen Selbstverpflichtungen, erklärten die beiden Nichtregierungsorganisationen. Sie befürchten weitere Einschränkungen durch die aktuelle Finanzkrise. Eine Einschätzung, die erlassjahr.de in seinem neuesten Fachinfo zur Auswirkung der Finanzkrise auf die Entwicklungsländer teilt.

Konkret kritisiert der Bericht, daß real nur ein Fünftel der deutschen Entwicklungshilfe in die Länder, die die Hilfe benötigen, fließt: Ein großer Teil wird unter dem Posten Verwaltungskosten verbucht. Zudem werden die Kosten, die für die Aufnahme ausländischer Studenten in Deutschland anfallen, als Entwicklungshilfe verbucht. Und ein weiteres alt bekanntes Hauptproblem: auch Schuldenerlasse für arme Länder werden weiterhin als Entwicklungshilfe berechnet. Dieser Posten lag im Jahr 2007 bei immer noch 23%!

erlassjahr.de fordert vor diesem Hintergrund noch einmal die Bundesregierung dazu auf, Schuldenerlasse nicht in die offizielle Entwicklungshilfe einzuberechnen. Die Anrechnung der Schuldenerlasse ist schließlich keine echte Entwicklungshilfe, denn es fließen keine zusätzlichen Gelder, z.B. zur Armutsbekämpfung, in die verschuldeten Länder. Zugleich sollten die Industrienationen vor dem Hintergrund der Finanzkrise ihre Anstrengungen im Bereich der Entwicklungshilfe für die kommenden Jahre erhöhen, ansonsten sind die Millennium Entwicklungsziele nicht zu erreichen. Dabei zählt vor allem der politische Wille. Schließlich ist es dem deutschen Bundestag ja auch gelungen innerhalb einer Woche ein 500-Milliarden-Rettungspaket für die angeschlagenen Banken durch die Ausschüsse zu bringen. Für die ärmsten Menschen der Welt sollte dies auch möglich sein – wenn man denn wirklich will.

Bitte um Stellungnahme: Entwicklungshilfemitttel für Schuldenerlass?

In ihrer Bewertung der G8-Ergebnisse hat sich DATA dafür eingesetzt, dass die G8 und andere Industrieländer die Entschädigung von Weltbank, Afrikanische Entwicklungsbank und IWF für ihre Schuldenerlasse gemäß des Regeln der Entschuldungsinitiative MDRI sicherstellen sollen. Bono’s Mannen fürchten wohl nicht zu Unrecht, dass Weltbank & Co einfach den Erlass für Länder verweigern werden, wenn sie keine Entschädigung erhalten. Der IWF hat Ähnliches schon gemacht. Die Leidtragenden sind dann die zu entschuldenden Länder.

erlassjahr.de wehrt sich dagegen, dass die Finanzinstitutionen auf diese Weise die ärmsten Länder als Geisel nehmen. Dass die IFIs für ihre verfehlte Ausleihpolitik in der Vergangenheit sich nun an den Entwicklungshilfehaushalten ihrer Mitglieder schadlos halten, ist u.E. ein echter Anreiz zu ebenso verantwortungslosem Gläubigerverhalten in der Zukunft, und widerspricht dem Prinzip, dass Schuldenerlasse zusätzlich zur Entwicklungshilfe gewährt werden sollen. Also: lieber jetzt auf den Erlass verzichten (manche zahlen ohnehin nicht), und, wenn die Weltbank große Einnahmeausfälle hat, dann soll sie eben pleite gehen.

Soll ej an diesem Punkt “hart bleiben” oder zusammen mit DATA die Entwicklungsministerin zur Entschädigung von Weltbank und Co auffordern?