Ressourcenausbeutung in Mosambik führt zu extremem Schuldenanstieg: Wir müssen reden

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Foto: Jürgen Kaiser, erlassjahr.de

Morgen beginnt ein seit langem geplantes Seminar unseres mosambikanischen Partnernetzwerks Grupo da Divida. Meine britische Kollegin Sarah Jayne Clifton, die AFRODAD Mitarbeiter Fanwell Bokosi und Tiri Mutazu und ich haben uns heute mit den mosambikanischen Kolleg/innen getroffen, um das Seminar vorzubesprechen (Bild).

Obwohl seit Monaten vorbereitet, findet es nun in der heißesten Phase der heraufziehenden nächsten Schuldenkrise Mosambiks statt: Zur Förderung der erheblichen Erdgasvorräte vor der Küste des Landes fließen aktuell Jahr für Jahr 20-30% der jährlichen Wirtschaftsleitung als Form ausländischer Direktinvestitionen in das Land. Als Folge davon wird der Gassektor nicht nur bis zum Ende der Dekade mehr als die Hälfte des gesamten Sozialprodukts ausmachen, er wird auch zu einem großen Teil in ausländischer Hand sein. 2019 bricht nach den Vorhersagen des IWF dann der Investitions-Zufluss abrupt ab, nicht aber der Investitionsbedarf. Nach den Vorstellungen des IWF sollen 2020 dann in einem einzigen Jahr mehr als 50% der Wirtschaftsleistung durch neue private Verschuldung ins Land fließen. Im Ergebnis wird der Schulden/BIP-Indikator dann so hoch sein wie der Griechenlands heute.

Um fast schon vorwegzunehmen, wohin plötzlicher Ressourcenreichtum führen kann, wurde Anfang des Jahres aufgedeckt, dass öffentliche Unternehmen seit 2013 verschiedene Großkredite an den vorgesehenen parlamentarischen Verfahren vorbei aufgenommen hatten, und der Schuldenstand des Landes deshalb rund 2 Mrd. US-Dollar oder gut ein Fünftel höher ist, als vom IWF bisher berechnet. Der IWF spricht in fast einzigartiger Offenheit davon, die Regierung Mosambiks habe „ganz offensichtlich Korruption verschleiert.“ Die spannende Frage ist nun, ob die seit fast dreißig Jahren herrschende ehemalige Befreiungsbewegung FRELIMO in der Lage sein wird, das Schicksal der vom Ressourcenfluch gebeutelten Kleptokratien wie Nigeria in den 80ern oder der Kongo bis heute zu vermeiden.

So ist es nicht überraschend, dass an dem Seminar, in dem es um praktische Alternativen beim Umgang mit den Schulden gehen soll, nicht nur die Zivilgesellschaft interessiert ist. Auch die Ministerien für Finanzen und Wirtschaft und alle Parlamentsfaktionen möchten morgen und übermorgen zuhören und mitdiskutieren.

Überschuldungsrisiken in armen Ländern steigen dramatisch: IWF

Etwa vier mal im Jahr aktualisiert der IWF in einer handlichen Übersichtstabelle seine Einschätzung der Überschuldungsgefahren in allen Ländern, die sich für sein konzessionäres Kreditfenster, den Poverty Reduction and Growth Trust (PRGT) qualifizieren. Dabei kondensiert er seine eigenen komplexen Schuldentragfähigkeitsanalysen auf vier Kategorien. Länder haben

  • ein niedriges Überschuldungsrisiko, wenn weder das Basisszenario, welches der IWF für das wahrscheinlichste in den nächsten 10-15 Jahren hält, noch irgendeines der verschiedenen standardmäßig durchgerechneten „Schockszenarien“ dazu führt, dass mindestens einer der Indikatoren für ein kritisches Schuldenniveau überschritten wird;
  • ein mittleres Risiko, wenn es unter dem Basisszenario keine Überschreitungen gibt, unter mindestens einem Stress-Szenario aber schon;
  • ein hohes Risiko, wenn schon unter dem Basisszenario mindestens ein kritischer Grenzwert überschritten ist;
  • einige Länder sind darüber bereits im Schuldenstress, wenn sie aktuell substanziell mit Zahlungen im Rückstand sind.

Die jüngste Aktualisierung bezieht sich auf den Stichtag 4. Februar 2016. Demnach haben von 70 aufgeführten Ländern

  • 15 ein hohes Risiko
  • 36 ein mittleres
  • 13 ein niedriges;
  • 3 Länder sind im Schuldenstress, und
  • über 3 liegen keine ausreichenden Informationen vor.

Im Laufe des letzten Jahres (seit der Beurteilung am 9.4.2015) ist der Anteil von Ländern mit niedrigem Risiko von 30% auf 22% zurückgegangen. Gestiegen sind die dagegen die Anteile mit mittlerem Risiko (42% auf 51%) und mit hohem Risiko (von 19% auf 22%).

Betrachtet man nur die Länder, die unter der HIPC/MDRI Initiative seit 1996 weit reichend entschuldet worden sind, ergibt sich ein ähnliches Profil: Von 35 HIPCs, haben 8 ein hohes Risiko, 22 ein mittleres, und 5 ein niedriges; ein Land ist aus der Betrachtung heraus gefallen, weil es sich nicht mehr für die PRGT qualifiziert.

Neben dem HIPC Bolivien (im letzten Oktober niedriges Risiko)  gilt dies auch für die Nicht-HIPCs Mongolei (hoch), Nigeria (niedrig) und Vietnam (niedrig).

Insgesamt hat es seit Oktober 2015 keine einzige Verbesserung beim Rating durch den IWF gegeben, aber fünf Verschlechterungen:

in Kamerun und Dominica wurde aus dem mittleren Risiko ein hohes

in Äthiopien, Liberia und Madagaskar wurde aus dem niedrigen Risiko ein mittleres.

Nur auf der kleinen Karibikinsel Dominica ist diese Umgruppierung durch ein einziges spektakuläres Ereignis erklärbar, nämlich den Hurricane Erika, der Ende August 93% der Jahreswirtschaftsleistung in einer Nacht zerstört hat, und zu dessen Bewältigung die Gläubiger bis heute keine von der Regierung erbetene Schuldenerleichterung gewährt haben.

In den vier anderen Ländern muss man die Verschlechterung als Ausdruck des globalen Trends betrachten, der fast alle Länder erfasst hat: Den Umschwung von extrem billigen Krediten der letzten drei Jahre, in denen viele Länder sich hoch verschuldet haben, zu etwas höheren Zinssätzen, gepaart mit dem Verfall wichtiger Rohstoffpreise.

Bemerkenswert ist überdies die „Massierung“ in der Gruppe der mittleren Verschuldung. Sie besagt, dass der IWF mit seinen nicht immer nachvollziehbaren Basisszenarien Entwicklungen annimmt, bei denen es gerade noch mal gut geht, aber wenn er dann auf die Risiken schaut, einräumen muss, dass Zahlungsunfähigkeit eine akute Bedrohung ist.

Geschichten hinter der Geschichte: Wie der IWF in den Schlamassel der Griechenland-Krise geriet

Für eine Bewegung der Eine-Welt-Solidarität ist es ein seltsames Gefühl, wenn der IWF sich in einer Krise plötzlich als Stimme der Vernunft erweist. In der Grichenland-Krise ist er das mit seiner Forderung nach einem Schuldenschnitt zulasten der europäischen öffentlichen Haushalte im Moment ohne Zweifel. Deutlicher als die Washingtoner kann man kaum die Sinn- und Aussichtslosigkeit der von den Europäischen Regierungen betriebenen Politik, nach der Ursünde der Bankenrettung unter dem Deckmantel einer angeblichen Griechenland-Rettung im Jahr 2010 dem schlechten Geld nun im Zweijahresrhytmus immer mehr gutes hinterherzuwerfen, kaum beschreiben.

Allerdings sagt der Fonds das auch nicht erst jetzt. Eigentlich unternahmen einige seiner Ökonomen (und einzelne Juristen wie Sean Hagan) schon 2010 den Versuch, Griechenlands Schulden zulasten der gerade laut um Hilfe schreienden europäischen Anleger und Banken reduzieren zu lassen.

Gleichzeitig erholte der Fonds selbst sich aber nur sehr langsam von seiner bis dahin schwersten existenziellen Krise: Vor dem Lehmann-Zusammenbruch brauchte schlicht kein Mensch mehr den IWF: Bis auf die Türkei hatten alle großen Kreditnehmer zu jener Zeit ihre Schulden beim IWF beglichen. An der Washingtoner H-Street wurde Personal abgebaut und man bastelte an alternativen Einkommensquellen zur Weiter-Finanzierung des bestehenden Apparats. Auf diesem Hintergrund empfand die Leitung des IWF um Dominique Strauss-Kahn die Europäische Krise geradezu als Geschenk des Himmels. Nur von daher ist zu verstehen, wie bereitwillig eine Institution, die es gewohnt war, den wirtschaftspolitischen Ton vorzugeben, wo immer sie auftrat, sich nun mit der Rolle eines Juniorpartners in dem, was dann die Troika genannt wurde, zufrieden gab.

Die seitherige Geschichte der IWF-Beteiligung am Krisenmanagement ist aus diesen widerstreitenden Interessen heraus voller Pirouetten: Nur durch eine Statutenänderung während der Beratungen über das erste Hilfsprogramm 2010 war es überhaupt möglich, IWF-Geld nach Hellas zu pumpen, obwohl kein Ökonom, der die Grundrechenarten beherrscht, damals satzungsgemäß hätte erklären können, dass Griechenlands Schulden nach der Auszahlung mit hoher Wahrscheinlichkeit tragfähig sein würden. Waren sie ja auch nicht.

Inzwischen versucht die Leitung des IWF unter Christine Lagarde, diese Systemic Exemption, die sie zu Recht als Einladung zur Selbstbedienung bei den IWF-Mitteln für mächtige Mitglieder betrachtet, wieder abzuschaffen. Noch ist das nicht gelungen.

Diese spannende Geschichte erzählt ebenso anschaulich wie kenntnisreich der amerikanische Journalist Paul Blustein, der sich bereits mit einer der besten und lesenswertesten Chroniken der Argentinienkrise einen Namen gemacht hat, in Laid low. The IMF, the Eurozone and the first rescue of Greece; CIGI-Papers Nr. 61; April 2015

Am Ende des Papiers bedenkt Blustein, dass der IWF eigentlich eine Rolle als unabhängige Stimme, womöglich gar als Schiedsrichter oder wenigstens als ehrlicher Makler hätte spielen müssen, wo die Europäer selbst so ernüchternd erbärmlich als Sachwalter ihrer jeweils nationalen Interessen agieren. Das kann der – so wie er sich gegen die eigenen Regeln und den Sachverstand der eigenen Ökonomen in Griechenland zur Partei hat machen lassen – natürlich nicht mehr. Und das ist für eine Krisenbewältigung im gesamteuropäischen Interesse, gar im Interesse der globalen Finanzstabilität eine sehr schlechte Nachricht.

Wenn der IWF kommt… zum Beispiel nach Barbados

Die kleine Karibikinsel Barbados ist der jüngste Krisenkandidat unter den zahlreichen hochverschuldeten kleinen Inselstaaten in der Ostkaribik. Ende April besuchte eine Delegation des Internationalen Währungsfonds Barbados. Am 8.Mai legte diese ihre “Empfehlungen” darüber vor, mit welchen Mitteln, die aktuell über 100% der Wirtschaftsleitung liegende Verschuldung der Insel bis 2020 auf 91% zurückgeführt werden soll.

Dieses Ziel ist bemerkenswert unambitioniert, beträgt es doch mehr als das eineinhalbfache der Tragfähigkeits-Obergrenze des Maastricht-Vertrages, der auch identisch ist mit den Empfehlungen der Karibischen Entwicklungsbank. Erklären lässt sich das möglicherweise mit dem begrenzten Instrumentarium, welches nach Ansicht des Fonds zur Erreichung dieses Ziels überhaupt nur zur Verfügung steht – wie wir im Folgenden sehen werden.

Schlüsselelement für das, was nach Ansicht des IWF machbar und sinnvoll ist, ist ein Primärüberschuss von 4%, d.h. ein solcher Überschuss im öffentlichen Haushalt ohne Berücksichtigung der Zinszahlungen:

Staff analysis finds that an average primary surplus near 4 percent of GDP would be needed to bring the debt-to-GDP ratio to 91 percent by 2020.

Das damit zusammenhängende Dilemma aus einem deutlich höheren Investitionsbedarf und dem Ziel der Schuldentragfähigkeit wird unmittelbar danach deutlich:

Staff note that a significant increase in public investment would help raise growth, but foreign financing of public investment would add to government debt and hinder the goal of lowering debt and macro vulnerabilities, unless fiscal space is made elsewhere.

Die Lösung dieses Dilemmas sieht der IWF darin, dass zwar in den öffentlichen Ausgaben dramatisch gespart werden muss, aber nicht bei den Investitionen, sondern bei den Lohnkosten im öffentlichen Dienst:

“The burden of adjustment should fall more on current spending, which expanded by about 10 percentage points of GDP since the mid 2000s. The team encourages the government to continue lowering the overall wage bill (…)

Die beiden Standard-Ingredienzien fehlen dabei natürlich nicht: Der öffentliche Dienst ist im regionalen Vergleich schon außergewöhnlich hoch (Zahlen nennt der IWF vorsichtshalber nicht, und öffentlich ist der ausführliche Bericht auch nicht), und letztlich profitieren nur die Reichen. Tun sie das? Nachprüfen lässt sich auch das nicht.

The team encourages the government to continue lowering the overall wage bill, which is one of the highest in the region, and reform the civil service to manage this transition. Review of social spending would be important, in particular by reducing the provision of free services and goods to high-income groups.

Und am Ende gibt es dann auch noch den Klassiker: Der Öffentliche Dienst ist nicht kosteneffizient und deshalb ein Fass ohne Boden:

“The team welcomes measures to strengthen the monitoring and control of public enterprises, but progress is slow and deeper restructuring should be launched as soon as possible. Public enterprises pose a major fiscal risk in Barbados, and many are providing services without any link to overall costs or objectives.

Im Zusammenhang mit der Griechenland-Krise hat der IWF aufgrund der desaströsen Ergebnisse der Austeritätspolitik Alternativen zumindest andiskutiert. Diesen gemeinsam ist, dass sie Stabilisierung nicht allein von einer Reduzierung des Zählers im Verhältnis Schuldenlast zu Wirtschaftsleistung erwarten, sondern zumindest zu berücksichtigen versuchen, was Einsparungen eigentlich mit dem Nenner machen. Also: Wenn wir die Wirtschaftsleistung reduzieren, können wir es dann überhaupt schaffen, die Schuldenbelastung noch schneller zu reduzieren. Andernfalls ist – wie im Falle Griechenlands selbst bei nicht mehr wachsendem Schuldenstand – das Problem hinterher größer als vorher.

Das aber würde – in der Karibik nicht anders als in der Ägäis – die Option einer teilweisen Schuldenreduzierung voraussetzen. Und das traut man sich nicht Washington nicht.

Aus der Sicht des globalen Südens ist es bestürzend zu sehen, wie trotz aller Modernisierungen der Fonds-Strategien in den großen spektakulären Fällen, abseits der Weltöffentlichkeit die gescheiterten Rezepte der 80er quicklebendig sind.

Griechenland im Januar 2015: Hoffnung wieder erlaubt

Der historische Wahlsieg der Anti-Austeritäts-Parteien unter Führung des Linksbündnisses Syriza sorgt zu Recht für Euphorie. Ohne einen grundlegenden Politikwechsel wäre Griechenland weiter in der Rezessionsfalle geblieben, die darin besteht, dass die Wirtschaft schrumpft, während die Schulden gleich bleiben oder leicht ansteigen. Das war die Griechische Realität seit den Wahlen 2012.

Der Politikwechsel ist eine notwendige, aber keineswegs hinreichende Bedingung für eine wirtschaftliche Erholung. Ein nächstes unerlässliches Element dafür ist ein weiter gehender Schuldenschnitt. Bei einem Schuldenstand von 173% des BIP und gesamten Auslandsschulden (öffentlichen und privaten) von mehr als 200% des BIP sollte man über das “ob” eigentlich nicht mehr diskutieren müssen. Fachleute aller Lager tun das auch nicht.

Politiker schon. Das heisst: Es gibt diejenigen, die einen Schnitt kategorisch ausschließen, wie diverse CSU-Frontleute. Mit irgendwelchen Indikatoren oder sonstigen Fakten halten die sich dabei nicht auf, sondern verweisen darauf, dass man 2012 den Griechen ja schon mal entgegengekommen sei. Als ob das ein Argument wäre. Andere, darunter der Bundesfinanzminister und Kommissionspräsident Juncker deuten angesichts der Faktenlage schon mal die Möglichkeit weiterer begrenzter Zinsvergünstigungen an. Das ist bereits der Einstieg in die Verhandlungen, von denen die Genannten natürlich wissen, dass Alexis Tsipras sie betreiben muss und wird.

Erinnern können – und werden sich vielleicht – beide Seiten dabei an die Lagebeurteilung des IWF im Januar 2013, d.h. nach dem mit den Privatgläubigern vereinbarten Schuldenschnitt von 109 Mrd. €. Der IWF legte in dem Dokument dar, wie fragil die Situation nach wie vor war und wie hoch die Wahrscheinlichkeit, dass ein tragfähiges Schuldenniveau nicht erreicht würde. Wenig später gab es dann auch weitere kleine Erleichterungen der Europäischen Geldgeber. Aber auch das trieb damals dem IWF sein mulmiges Gefühl nicht aus. Schließlich hatte er sich im Rahmen der Troika mit dem größten Rettungsprogramm seiner Geschichte selbst in Griechenland exponiert. Immer und immer wieder taucht deshalb in dem IWF-Bericht – neben offenherzigen Bemerkungen über die bescheidene Rolle der EU-Vertreter in der Troika – auch die Erinnerung an die offenbar hinter verschlossenen Türen gegebene Zusicherung der Europäer auf, weitere Erleichterungen zu gewähren, wenn Griechenland das vorgesehene Niveau von 120% des BIP im Jahr 2020 verfehlt.

Dass es ohne weitere Erleichterungen verfehlt werden wird, steht außer Frage. Und es ist zu hoffen, dass der Globale Akteur, der mit Ressourcen aller Staaten der Welt hantiert, sich nicht noch einmal zähneknirschend und entgegen besserem Wissen zur Finanzierung aussichtsloser Rettungsoperationen im Interesse der Europäer heranziehen lässt. Dass der Rest der Welt sich das nicht noch einmal bieten lassen möchte, hat er  – in Person der G77 – unter anderem dadurch deutlich gemacht, dass er die Diskussion um künftige Entschuldungsverfahren vom IWF auf die UNO verlagert hat (siehe Beiträge in diesem Blog).

Wir haben seinerzeit den sehr informativen IWF-Bericht damals in einem Fachinfo auf deutsch zusammengefasst und kommentiert.

Wie kann es nun für Griechenland weiter gehen?

Nicht aufhalten sollte man sich mit den albernen “Grexit”-Diskussionen über einen möglichen Austritt aus dem Euro. Syriza will es nicht. Die Europäer wollen es nicht. Eine Lösung wäre es nicht. Also genau das richtige Thema für die AfD – aber sonst auch niemand.

Syriza hat im Wahlkampf des öfteren an die Entlastung Deutschlands im Londoner Schuldenabkommen von 1953 erinnert. Das kam einerseits im Wahlkampf gut an – setzte es doch die ungeliebten deutschen Sparkommissare moralisch ins Unrecht. Zum anderen enthält das Abkommen aber eine Reihe von Bestimmungen über die unmittelbare Schuldenerleichterungen hinaus, die für Griechenland heute wegweisend sein könnten, um einen Weg aus der Krise zu finden. Prominent darunter die Begrenzung des Schuldendienstes auf den Handelsbilanzüberschuss und die Schaffung von Schiedsverfahren für künftige Streitfälle. Ich habe das in einem eigenen Beitrag für W&E und im einen ej-Fachinfo etwas ausführlicher beschrieben. Eine in diesem Sinne “deutsche” Lösung für Griechenland? Das wäre ein großer Fortschritt für alle!

IWF/Weltbank-Jahrestagung 2014: Der Kongress beim Essen Fassen

Der jährliche Auftrieb von Ministerialen, Zentralbankern, Geldadel und uns paar versprengten NROs findet in diesem Jahr wieder im Hauptquartier der beiden Institutionen in Washington statt. Unter den einigen tausend Teilnehmern gibt es alle Arten von Freund und

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Feind – beide meist gleichermaßen schwarzgewandet. Es gibt jede Menge Propaganda-Veranstaltungen der beiden Institutionen, und wir als NROs sind ein durchaus beliebtes Zielobjekt freundlicher Umarmungen: Gelobt und verpflegt wird man hier aufs vortrefflichste. Und zwischen den vielen, die für’s Loben und Füttern da sind, gibt es auch einige, die tatsächlich was zu sagen haben, und sich manchmal in Veranstaltungsräumen mit uns NROs wiederfinden.

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Heute stellte der IWF eine neue Studie zur Verschuldung von Niedrigeinkommensländern vor, die unseren Punkt einer sich in Subsahara-Afrika neu aufbauenden Schuldenkrise mit guten Zahlen unterstreicht. Verlinken kann ich sie hier noch nicht, weil sie erst morgen ins Netz gestellt wird. Dann lohnt sich aber ein Blick darauf. Interessant bei der heutigen Vorstellung der wichtigsten Inhalte war, dass die Einteilung der rund 60 Staaten mit niedrigem Einkommen vom IWF so interpretiert wurden, dass nur ein Drittel von ihnen ein hohes Überschuldungsrisiko aufweisen, während es bei zwei dritteln nur “niedrig” oder “moderat” ist. Unser Kollege Brett House vom kanadischen CIGI, kommentierte kommentierte namens der NROs die gleichen Zahlen so, dass nur ein Drittel im Moment ungefährdet ist, während zwei Drittel ein “moderates” oder “hohes” Risiko aufweisen. “Moderat” heißt übrigens, dass ein Land kein Schuldenproblem hat, wenn die Wirtschaft sich in den nächsten Jahren so entwickelt, wie der IWF das vorhergesagt hat. Gibt es auch nur eine negative Abweichung davon, wird die Lage umgehend kritisch.

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Breiten Raum nimmt hier auch die Diskussion über den Umgang mit den Geierfonds ein. Erfreulich dabei ist der starke Konsens mit den meisten Finanzministerien auch der G8-Länder sowie mit dem IWF-Stab, dass etwas geschehen muss, was so etwas wie das skandalöse New Yorker Urteil gegen Argentinien sich nicht wiederholen darf. (Wir haben an anderer Stelle in diesem Bog ja eine ganz lebendige Debatte darüber). Der IWF setzt ganz und gar auf “Collective Action Clauses” die eine solche Geier- oder Holdout-Minderheit im Konfliktfall an die Entscheidungen einer Gläubigermehrheit binden; er hat aber auch noch weiter gehende Maßnahmen wie Aggregation über mehrere Anlageklassen hinweg im Köcher. Wir unterstreichen zusammen mit den meisten Süd-Regierungen z.B. im Communiqué der G24 und der Finanzminister der LIC-Gruppe der Francophonie die Notwendigkeit eines geordneten und umfassenden Verfahrens.

Für alle, die über den Tag hinaus denken: Ein paar Meter von meinem Lieblings-Arbeitsplatz in der Großen Halle des (Finanz-)Volkes entfernt bringen stöckelbeschuhte hübsche Peruanerinnen kleine Quinoa-Snacks sowie allerlei Kunsthandwerk aus ihrer Heimat an den Mann, um schon mal Reklame für die Jahrestagung 2015 zu machen. In jedem dritten Jahr tanzt der Kongress außerhalb Washington’s, und dann wir es Lima.

Staateninsolvenzdiskussion im IWF: "Können hätten wir schon gewollt…."

Die Financial Times brachte am 26. Januar einen kurzen aber sehr lesenswerten Hintergrundartikel zu den Schwierigkeiten, denen sich der IWF bei seiner Arbeit an einem Konzept für eine geordnete Staateninsolvenz gegenübersieht. Der unterschwellige Eindruck ist, dass die im April 2013 begonnenen Pläne schon wieder vor dem Prellbock einer mehrheitlichen Zurückweisung durch die Mehrheit der wichtigen Mitglieder des Fonds stehen.

Das ist zunächst mal nicht sonderlich überraschend. Wie schon 2001 beim SDRM gibt es selbstverständlich auch heute einflussreiche Akteure, die aus ehrenwerten oder (meist) weniger ehrenwerten Gründen dagegen sind, dass überhaupt am Verhältnis zwischen Schuldnern und Gläubigern irgendwas reformiert wird. Das Bestürzende ist vielmehr, wie die Argumente von heute denen von vor zehn Jahren gleichen. Als habe es die Erfahrung nach der Entscheidung von 2003 – “keine Reform notwendig, weil alle Schuldenkrisen sind jetzt ohnehin gelöst”, bis zur Systemkrise 2008 bis heute – nie gegeben.

Wunderbar auf den Punkt bringt das “Können hätten wir schon gewollt aber dürfen haben wir uns getraut”-Syndrom der EU-Währungskommissar Olli Rehn mit seinen Zitaten am Ende des Artikels auf den Punkt:

Langfristig sind klar geregelte Verfahren für die Restrukturierung von Banken und für Staatsschulden eine gute Sache.

Gute Sachen gibt es natürlich viele, aber Realpolitik sieht für europäische Entscheidungsträger so aus:

Solange die Eurokrise anhält, ist es wichtig jede Erschütterung der Finanzstabilität durch übermäßig innovative Ideen zu vermeiden; die Eurozone hat immer erklärt, dass Griechenland ein Einzelfall war. Und daran halten wir uns.

Soll man über den letzten Teil seiner Aussage lachen oder weinen? oder soll man sich einfach an Ronald Pofalla erinnert fühlen, der bekanntlich die NSA-Affäre offiziell für beendet erklärte, wenige Tage bevor herauskam, dass die großen Ohren in Washington bis in das Handy seiner Chefin reichten? Einzelfall, und basta! Bis zum nächsten Einzelfall!

Das ganze Elend einer Politik, die vom großen Kapital nicht mal mehr eingeschüchtert zu werden braucht, weil ihr Ausgangspunkt schon die Annahme ist, “die Märkte” (wer immer das ist) dürfte nicht beunruhigt werden.

Eine in dem FT-Artikel nicht näher benannte “mit dem Denken des IWF vertraute” Person, bezeichnete den Reformprozess nicht zu Unrecht als ein “Minenfeld” und bringt die eigentliche Herausforderung für die Politik auf den Punkt:

Banker mögen ihn nicht. Und Regierungen fürchten, er versaut ihnen die Kreditwürdigkeit. Unglücklicherweise scheinen dabei alle gleich kurzsichtig zu sein und unfähig, wahrzunehmen, welche Probleme das bestehende System ihnen beschert.

Sich in einem Minenfeld zu bewegen, ist zweifellos riskant. Aber einfach stehen zu bleiben, ist so sinnvoll wie Selbstmord aus Angst vor dem Tod.

Mindestens 60% Schuldenerlass für Grenada!

Diese Forderung ist eines der Ergebnis des heute zuende gegangenen Workshops des Grenadinischen Kirchenrats in der Insel-Hauptstadt St.George’s. Nur wenn die Schulden des Staates, die aktuell 109% des BIP ausmachen auf weniger als 50% gedrückt werden, hat das Land eine Chance, aus der Überschuldungssituation herauszuwachsen. Und das setzt einen Schuldenschnitt in der Größenordnung von zwei Dritteln voraus.

Zwei Tage lang hatten Mitglieder des Kirchenrats zusammen mit Fachleuten von UNDP, JubileeUSA, dem Karibischen Schuldennetzwerk und erlassjahr.de an einer Beurteilung der Schuldentragfähigkeit der Insel gearbeitet. Bei der Übergabe der Abschlusserklärung erklärte Wirtschaftsminister Oliver Joseph, dass auch die Regierung entschlossen ist, einen weitreichenden Schuldenerlass durchzusetzen, da nach Jahren der anhaltenden Überschudungskrise eine erneute Finanzierung des laufenden Schuldendienstes durch Neukreditaufnahme “keine Option mehr ist”. Und zu unserer Überraschung ließ sogar der anwesende Vertreter des IWF durchblicken, dass auch die Empfehlung des Fonds sich in dieser Größenordnung bewegen.

Der Kirchenrat wird nun sehr detailliert verfolgen, mit welchem Ergebnis die Delegation des Landes von den Gesprächen mit Stab und Leitung des IWF aus Washington in der kommenden Woche zurückkommen wird.

Die Regierung bat den Kirchenrat und seine internationalen Partner um Unterstützung bei der Überzeugung der bilateralen Gläubiger. Deutschland gehört allerdings nicht zu ihnen.

Der IWF: Ein vertrauenswürdiger Berater?

Dass der Internationale Währungsfonds heute anders wahrgenommen wird als noch vor zwanzig Jahren auf dem Höhepunkt der “Schuldenkrise der Dritten Welt”, verdankt sich vor allem einem deutlich erhöhten Maß ans Transparenz. Dafür wiederum spielte auch die Tätigkeit des “Internal Evaluation Office” (IEO), eines kleinen, aber hochqualifizierten Büros von Fachleuten in unmittelbarer Nähe, aber doch großer Unabhängigkeit von der Leitung des IWF, eine große Rolle.

Zur Politik des Fonds in den vergangenen Schuldenkrisen hat das IEO eine Reihe viel beachteter und bemerkenswert kritischer Analysen vorgelegt. Das jüngste Papier befasst sich nun mit der Rolle des Fonds als “Vertrauenwürdiger Berater” seiner Mitglieder. Insgesamt kommt die Befragung vieler Mitglieder darüber, wie sie die Fonds-Mitarbeiter/innen auf ihren zahlreichen Missionen in den Mitgliedsländern wahrnehmen, und ob sie sich gut beraten fühlen, zu einer wohlwollenden Beurteilung. Allerdings hauptsächlich dann, wenn es eher um Routinebesuche und Finetuning von Wirtschaftspolitik geht. Wo es wirklich konfliktiv wird, da erkennt die Untersuchung grundlegende Interessenskonflikte, zwischen einem “Berater”, einem Geldgeber und einer Beurteilungsinstanz, an der weitere Geldgeber sich in ihrem Urteil über ein Land orientieren.

Die Stellungnahme des IWF-Stabes zur IEO-Untersuchung enthält die üblichen Versprechen, künftig noch offenere Ohren für die Anliegen der Mitglieder zu haben. Wie man die grundsätzlichen Interessenskonflikte überwinden will, die in einem viel zu breiten Mandat einer Organisation angelegt sind, die eigentlich “nur” ein Fonds sein soll, verraten sie auch diesmal nicht.

Tokio Tagebuch III: Die Bank, der Fonds und wir

Zivilgesellschaft drinnen / © erlassjahr.de

Sonntagmorgen in Tokio: Das “Civil Society Centre” ist abgebaut. Wahrscheinlich sind bergeweise ausgelegte und nie mitgenommene Strategie-Papiere in den Orkus gewandert. Ich glaube, wenn irgendjemand wirklich zufrieden sein kann mit seiner Arbeit bei dieser Jahrestagung, dann sind es die NGO-Liaison-Leute:

Wir, die hier so genannte Zivilgesellschaft, wurden durchweg freundlich und kooperativ von ihnen behandelt. Wir hatten gänzlich kostenlos ziemlich gute Arbeitsmöglichkeiten im Keller des Tokyo International Forums, und konnten uns von daher keineswegs beklagen.

Auch die Delegationen, die Leitung und die Angestellten von Bank und Fonds durften  zufrieden sein: Wir haben sie kaum gestört. Da, wo sie sich trafen, durften wir nicht hin. Gelegentlich wurde mal der eine oder andere von uns in die höheren Etagen raufgeholt, und zu Side Events wie dem unseren kam auch schon mal ein Minister runter in unseren Keller. Nicht ganz ohne Mühe, denn wir hörten hinterher von Delegationen, dass man sich auf die Ortsangabe “Room 251” keinen Reim machen könne. Und tatsächlich entzogen sich die Raum-Angaben im Civil Society Centre gänzlich der normalen Raum-Systematik. Ob deswegen von uns heftig eingeladene Vertreter von verschuldeten Ländern vergeblich auf der Suche nach uns waren, und schließlich doch lieber ein Päuschen in der Sonne einlegten  als uns weiterzusuchen, werden wir nie erfahren.

Nun ja. Wir waren zu Gast, und als Gast soll man nicht meckern.

Ekelig wurde es allerdings meist, wenn von oben der praktische Dialog mit uns gepflegt wurde. So gaben sich Bank-Präsident Jim Young Kim und Fonds-Direktorin Christina Lagarde am Donnerstag für eine gute Stunde die Ehre vor einem mit NRO-Vertretern sehr gut gefüllten Auditorium. Neben ihnen saßen ein NRO-Direktor aus einem asiatischen Land und eine Frau, von der gesagt wurde, sie vertrete ein Netzwerk indischer Slumbewohner. Nach Slum hörte die sich allerdings nicht an, und sie sah auch nicht so aus. Vielmehr bestand ihre Diskurs darin, der Bank zu ihren ambitionierten Ziel der Ausmerzung der Armut zu gratulieren, und sie zu weiteren Anstrengungen aufzufordern.

Der Gedanke, dass die beiden Institutionen eher Teil des Problems als Teil der Lösung sein könnten, scheint sich vor lauter konstruktivem Engagement derjenigen, die vor gefühlten hundert Jahren auch mal gegen die Institutionen auf die Straße gegangen sind, verflüchtigt zu haben. Es gab nicht eine (zugelassene) Intervention, bei welcher NRO-Frage und Bank/Fonds-Antwort nicht im Prinzip in die gleiche Richtung gingen.

Zivilgesellschaft draußen / © erlassjahr.de

Auf die Straße gingen unsere japanischen Kolleg/innen und ein paar von uns dann aber doch. Am Samstag gab es einen sehr hübschen Caserolazo, d.h. eine Kochtopf-Demo mit reichlich Radau aus Protest gegen die Institutionen, denk deren Politik die Töpfe leer bleiben. Klein (von mir handgezählte 243 Teilnehmer/innen), fein und laut.