Ach Schäuble….

Auf einem Podium Katholikentag in Mannheim erklärte der Bundesfinanzminister, “ein Erlassjahr sei kein Mittel gegen die Schuldenkrise”. Der grüne Finanzpolitiker Gerhard Schick hatte den Gedanken eines Erlassjahres in die Diskussion gebracht.

Nun ist es nicht überraschend, dass ein Finanzminister sich mit dem Gedanken eines Schuldenerlasses schwer tut. Überraschend ist die von Schäuble nachgeschobene Begründung: “Ein Erlassjahr bedeute Geldentwertung und Währungsreform”. Ob das Volk Israel ein Erlassjahr, wie das Alte Testament es beschreibt, je praktiziert hat, ist unter Theologen und Historikern umstritten. Falls es das gab, war es auf keinen Fall mit Geldentwertung und Währungsreform verbunden.

Das gleiche gilt für das, was erlassjahr.de als dem Spätkapitalismus gemäße Form eines Erlassjahr’s vorschlägt: nämlich ein geregeltes Staateninsolvenzverfahren. Das steht – nebenbei bemerkt – als politische Forderung auch im Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Bundesregierung, dem Herr Schäuble sich eigentlich verpflichtet fühlen müsste.

Rational ist die Reaktion des Ministers auf Gerhard Schick’s Anregung mithin nicht zu verstehen. Was vielmehr daraus zu sprechen scheint, ist die offenbar unausrottbare Annahme, Staaten könnten, sollten, dürften nicht pleite gehen. Auf ungefähr halber Strecke zwischen einem verspäteten und für Griechenland unzureichenden Schuldenerlass und der ungeregelten Staatspleite des Landes nach den Wahlen im nächsten Juni, weist der deutsche Finanzminister das zurück, was eine zeitige und wirksame Bekämpfung der Krise in der Eurozone ermöglicht hätte: Im Frühjahr 2010, als Griechenland sich im Prinzip für zahlungsunfähig erklärte, hätte ein geregeltes Verfahren für einen schnellen, geordneten und ausreichend tiefen Schuldenschnitt zumindest die Chance geboten, die Krise in einem frühen Stadium zu beenden. Nach einer Berechnung von erlassjahr.de wäre Griechenland durch den gleichen Schuldenerlass der Privatgläubiger in Höhe von 109 Mrd. €, wie er im Februar 2012 beschlossen wurde, größenordnungsmäßig bei einem Schuldenstand von 82% angekommen. Immer noch keine unproblematische Größenordnung, aber mit der um zwei Jahre verschleppten Regelung erreicht Griechenland nach Berechnung des IWF im besten Falle 129% – und zwar im Jahr 2020.

Es ist tragisch, dass einer der wichtigsten Akteure in der Eurokrise die Chance verspielt, in die nächste Krise nicht ebenso unvorbereitet zu stolpern wie in die noch andauernde.

Griechenland-Pleite: Ackermanns schwarzer Peter liegt längst in Berlin

erlassjahr.de und viele andere haben seit Ausbruch der Griechenland-Krise auf einen schnellen Schuldenschnitt gedrängt, weil eine Insolvenzverschleppung die letztlich unvermeidliche Lösung nur teurer macht. Ein zweiter Effekt der verfehlten Krisenstrategie in den letzten 15 Monaten ist, dass die direkten Verluste bei einer Insolvenz Griechenlands inzwischen weitgehend  vom privaten auf den öffentlichen Sektor übergegangen sind. Am Montag legte die FTD aktuelle Zahlen zu den Auslandsschulden Griechenlands vor. Demnach hat die Finanzwirtschaft, die noch im Frühjahr griechische Titel von mehr als 21 Mrd. € gehalten hatte, dieses Exposure inzwischen auf 12 Mrd. € reduziert. Dagegen steht der Bund inzwischen mit Garantien und direkten Finanzierungen von 29 Mrd. € in der Pflicht. Zu Beginn hatte sich der deutsche Forderungsbestand gegenüber dem griechischen Staat nach Angaben des Bundesfinanzministeriums noch auf lustige 5 Mio € aus alten Handelsgeschäften belaufen.

Wenn man von einem bevorstehenden Haircut von 50% ausgeht – eher die untere Grenzen dessen, was Experten zur Wiederherstellung von Griechenlands Schuldentragfähigkeit für notwendig halten – dann verliert der Steuerzahler mindestens 14 Mrd. €, während es bei allen deutschen Banken und Versicherungen, die immerhin an ihren hochverzinsten Griechenland-Papieren bis in die jüngste Vergangenheit prächtig verdient haben – nur noch etwa 6 Mrd. wären.

Dabei ist es noch kein Jahr her, dass Herr Ackermann in der Bundespressekonferenz dem skeptisch dreinblickenden Finanzminister das ungeschmälerte Griechenland-Engagement der deutschen Finanzinstitute als Beitrag zur Eindämmung der Krise versprochen hatte.

Heute diskutieren die EU-Finanzminister über ein Staateninsolvenzverfahren

Ab 14 Uhr heute nachmittag sitzt Minister Schäuble im Kreis der 27 EU-Finanzminister in Brüssel in der AG zur Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion. Deutschland wird dort ein zweistufiges Verfahren zur Behandlung von Staatsinsolvenzen einbringen: Bei Zahlungsschwierigkeiten soll zunächst ein noch zu gründender “Berliner Club” eine Umschuldung von fälligen Staatsanleihen auf den Weg bringen. Wie schon beim “Brady-Plan” in den neunziger Jahren soll ein Teil der Anleihe-Schulden gestrichen werden können (“Haircut”), während ein anderer Teil durch Mittel aus einem gemeinsamen EU-Fonds versichert wird. Wenn durch diese Maßnahme der betreffende Staat nicht wieder zahlungsfähig wird, soll es ein umfassendes Staateninsolvenzverfahren geben. Wie dieses genau aussehen soll, weiss man allerdings im BMF auch noch nicht so genau. Vielmehr würde, wenn die EU-Partner – und insbesondere die an diesem Punkt besonders sensiblen Franzosen – der deutschen Initiative zustimmen, die EU-Kommission mit der Erarbeitung eines eigenen Vorschlags betraut.
erlassjahr.de begrüsst, dass Deutschland mit einem Staateninsolvenzverfahren endlich darauf hinwirken will, dass nicht nur die Steuerzahler der EU, sondern auch die Investoren an den Kosten einer Staatspleite beteiligt werden. Verabschieden sollte der Finanzminister sich aber baldmöglichst von der Idee eines weiteren Gläubiger-Clubs. Neben die Clubs von Paris (Gläubigerregierungen) und London (Banken) jetzt noch einen Berliner Club für die Verhandlung über Staatsanleihen zu stellen, wird nicht zur Kohärenz von Schuldenverhandlungen beitragen. Vielmehr erhöht sich damit die Gefahr, dass jede Gläubigergruppe auf Zugeständnisse der anderen wartet. In jedem nationalen Insolvenzverfahren wird selbstverständlich über alle Forderungen an den Schuldner in einem einziger Verfahren verhandelt. Nur so lässt sich tatsächlich eine tragfähige Lösung erreichen.
Genauere Informationen zu den heutigen Verhandlungen in Brüssel finden sich in einem erlassjahr-de-Hintergrundpapier.

Finanzminister Schäuble fordert Staateninsolvenzverfahren

Nach den deutlichen Worten des Bundespräsidenten, und dem Hinweis des Entwicklungsministeriums, die Kanzlerin sei eine starke Fürsprecherin einer Internationalen Insolvenzordnung, hat sich nun auch der Bundesfinanzminister eindeutig und positiv positioniert. Im Spiegel-Interview von dieser Woche sagt er:

„SPIEGEL: Währungskommissar Olli Rehn hat vorgeschlagen, für weitere drohende Staatspleiten einen Fonds einzurichten. Was Halten Sie davon?

Schäuble: Wenn wir ein Verfahren für ähnliche Fälle wie Griechenland brauchen, müssen wir auch über die Frage reden, wie wir die Gläubiger an den Kosten beteiligen können. Bei jeder Insolvenz eines Unternehmens müssen die Gläubiger auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten, so sollte es auch bei einem Insolvenzverfahren für Staaten sein. Das zu lösen ist das A und O, dann lohnen sich Spekulationen nicht mehr. Dazu aber brauchen Sie keinen Fonds – sondern klare Regeln.“

Der Mann hat recht!