Honduranisches Fernsehen

Zusammen mit meinem honduranischen Kollegen Claudio Salgado hatte ich am Donnerstag das Privileg, im örtlichen Frühstücksfernsehen aufzutreten und dort die Ursachen und Folgen einer möglichen Staatspleite des kleinen mittelamerikanischen Landes zu diskutieren.

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Ich hatte noch nie einen so entspannten TV-Auftritt wie dort. Groß geworden mit einer pünktlich  – und  zwar immer pünktlich – um acht Uhr erklingenden Tagesschau-Fanfare, war ich wirklich früh aufgestanden, um zeitig im Sender zu sein. Zu Beginn unseres Termins um sieben Uhr morgens lief allerdings noch Werbefernsehen, dann sprach jemand ausführlich über die Sorgen des örtlichen Einzelhandels.

Gegen halb acht waren Claudio und ich dran. Vor einer halb angepinselten Pappwand, mit Kameraleuten, die schnell aus der Cafeteria angelaufen kamen, wenn eine Einstellung geändert werden musste – und einem top-vorbereiteten Moderator. Das ist der entschlossen dreinblickende Herr in der Mitte. Gute Fragen, Nachhaken auf den Punkt und selbst die kleinen eingestreuten Zwischenbemerkungen (z.B. über den exzellenten honduranischen Kaffee, den ich freundlich eingeladen wurde zu würdigen) saßen, wie man das in Deutschland nicht so oft findet.

Wie tragisch, dass die Situation des Landes demgegenüber so wenig hoffnungsvoll ist: Seit dem Putsch 2009 eine äußerst bedenkliche Entwicklung zur Diktatur, ausländische Finanzierungen in Schattenbereichen (wie den berüchtigten “Modellstädten” an der Atlantikküste), denen wir mit unseren biederen Berechnungen auf der Grundlage von Weltbankdaten kaum noch gerecht werden können, und eine allseitige Privatisierung des Wenigen, was nach der mühsam erstrittenen HIPC-Entschuldung 2005 einen funktionierenden Staat wenigstens im Ansatz mal ausgemacht hat.

Mit einigen Parlamentarier/innen aus verschiedenen Oppositionsfraktionen haben wir diskutiert, wie man Schuldenerleichterungen sinnvoller mit der Bedingung einer besseren Regierungsführung verknüpfen kann als Weltbank und Währungsfonds das nach 2005 betrieben und der Öffentlichkeit als “Reformen” verkauft haben. Ein Patentrezept gibt es dafür nicht.

IWF/Weltbank-Jahrestagung 2014: Der Kongress beim Essen Fassen

Der jährliche Auftrieb von Ministerialen, Zentralbankern, Geldadel und uns paar versprengten NROs findet in diesem Jahr wieder im Hauptquartier der beiden Institutionen in Washington statt. Unter den einigen tausend Teilnehmern gibt es alle Arten von Freund und

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Feind – beide meist gleichermaßen schwarzgewandet. Es gibt jede Menge Propaganda-Veranstaltungen der beiden Institutionen, und wir als NROs sind ein durchaus beliebtes Zielobjekt freundlicher Umarmungen: Gelobt und verpflegt wird man hier aufs vortrefflichste. Und zwischen den vielen, die für’s Loben und Füttern da sind, gibt es auch einige, die tatsächlich was zu sagen haben, und sich manchmal in Veranstaltungsräumen mit uns NROs wiederfinden.

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Heute stellte der IWF eine neue Studie zur Verschuldung von Niedrigeinkommensländern vor, die unseren Punkt einer sich in Subsahara-Afrika neu aufbauenden Schuldenkrise mit guten Zahlen unterstreicht. Verlinken kann ich sie hier noch nicht, weil sie erst morgen ins Netz gestellt wird. Dann lohnt sich aber ein Blick darauf. Interessant bei der heutigen Vorstellung der wichtigsten Inhalte war, dass die Einteilung der rund 60 Staaten mit niedrigem Einkommen vom IWF so interpretiert wurden, dass nur ein Drittel von ihnen ein hohes Überschuldungsrisiko aufweisen, während es bei zwei dritteln nur “niedrig” oder “moderat” ist. Unser Kollege Brett House vom kanadischen CIGI, kommentierte kommentierte namens der NROs die gleichen Zahlen so, dass nur ein Drittel im Moment ungefährdet ist, während zwei Drittel ein “moderates” oder “hohes” Risiko aufweisen. “Moderat” heißt übrigens, dass ein Land kein Schuldenproblem hat, wenn die Wirtschaft sich in den nächsten Jahren so entwickelt, wie der IWF das vorhergesagt hat. Gibt es auch nur eine negative Abweichung davon, wird die Lage umgehend kritisch.

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Breiten Raum nimmt hier auch die Diskussion über den Umgang mit den Geierfonds ein. Erfreulich dabei ist der starke Konsens mit den meisten Finanzministerien auch der G8-Länder sowie mit dem IWF-Stab, dass etwas geschehen muss, was so etwas wie das skandalöse New Yorker Urteil gegen Argentinien sich nicht wiederholen darf. (Wir haben an anderer Stelle in diesem Bog ja eine ganz lebendige Debatte darüber). Der IWF setzt ganz und gar auf “Collective Action Clauses” die eine solche Geier- oder Holdout-Minderheit im Konfliktfall an die Entscheidungen einer Gläubigermehrheit binden; er hat aber auch noch weiter gehende Maßnahmen wie Aggregation über mehrere Anlageklassen hinweg im Köcher. Wir unterstreichen zusammen mit den meisten Süd-Regierungen z.B. im Communiqué der G24 und der Finanzminister der LIC-Gruppe der Francophonie die Notwendigkeit eines geordneten und umfassenden Verfahrens.

Für alle, die über den Tag hinaus denken: Ein paar Meter von meinem Lieblings-Arbeitsplatz in der Großen Halle des (Finanz-)Volkes entfernt bringen stöckelbeschuhte hübsche Peruanerinnen kleine Quinoa-Snacks sowie allerlei Kunsthandwerk aus ihrer Heimat an den Mann, um schon mal Reklame für die Jahrestagung 2015 zu machen. In jedem dritten Jahr tanzt der Kongress außerhalb Washington’s, und dann wir es Lima.

Eurokrise: Die Deutsche Industrie will klauen gehen

Vor Ausbruch der Eurokrise hat die deutsche Industrie mit Griechenland glänzende Geschäfte gemacht. Nützliches und viel Unnützes wurde von den Hellenen bereitwillig und auf Pump aus Deutschland importiert. Der hiesige Boom der letzten Jahre hat eine Menge mit der Importneigung in Südeuropa zu tun und dem Glauben, dass Staaten immer zahlungsfähig sein werden.

Mit der faktischen Staatspleite Griechenlands mussten die deutschen Exporteure plötzlich um die Begleichung ihrer Rechnungen fürchten. Der IWF und seine Gefährten in der Troika taten alles, um per Austerität und frischem öffentlichem Geld so viele Altschulden wie möglich bezahlen zu lassen. Gereicht hat das der deutschen Industrie nicht – zumal die Privatisierungserlöse, die der IWF in seine Vorhersagen eingestellt hatte, viel zu optimistisch waren.

Da denken deutsche Konzernlenker schon mal gerne über Alternativen nach. In diesem Fall der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) Markus Kerber. Er hat ein Auge auf das in Griechenland trotz Austerität und Privatisierung nach wie vor existierende öffentliche Vermögen “in dreistelliger Milliardenhöhe” geworfen. Nun fordert er, dass dieses pauschal und in toto der Verfügung des Griechischen Staates entzogen und dem ESM unterstellt werden soll. Dieser könne dann die Veräußerung dieses Vermögens an private Investoren so vorantreiben, wie es der griechische Staat ganz offensichtlich nicht hinbekomme.

Mit seinem Vorschlag will Kerber ein Dilemma umgehen, welches die Gläubiger von Staaten auf der ganzen Welt umtreibt: Selbst mit gültigen Verträgen und ebenso gültigen Gerichtsurteilen für eine eventuelle Zwangsvollstreckung in der Hand können sie nicht auf das Vermögen des Schuldnerstaates zugreifen. Griechische Gerichte werden nicht in das inländische Vermögen des eigenen Staates hinein vollstrecken, und ausländisches Vermögen besteht in der Regel nur aus diplomatischen Liegenschaften und unterliegt damit der vom Völkerrecht geschützten “souveränen Sphäre” eines Staates. Wie praktisch wäre es da, wenn Land, Infrastruktureinrichtungen, öffentliche Unternehmen oder gar Kulturgüter plötzlich gar nicht mehr dem griechischen Staat gehören, sondern einem – wie Kerber formuliert – europäischen Schatzamt, zu dem der ESM sich weiter entwickeln solle.

Neu sind solche Gedanken wahrlich nicht. Anfang des letzten Jahrhunderts blockierten europäische Kriegsschiffe Venezuelas Häfen, um über die Zolleinnahmen des Landes Schulden des Landes bei europäischen Banken und Unternehmen einzutreiben. Und als 40 Jahre später die deutsche Industrie ein Auge auf industrielle Anlagen in Griechenland und anderen Ländern geworfen hatte, machte sie sich nicht die Mühe irgendwelcher juristischer Konstruktionen. Sie schickte die Panzer der Wehrmacht und die Arisierungskommandos der SS. Dagegen wirkt Herrn Kerber’s Bemühungen um eine Umgehung des Völkerrechts fast schon zivilisiert.

Muss man nicht unbedingt gelesen haben: "Schulden die ersten 5000 Jahre" von David Graeber

Nein, Graebers Buch stellt die Welt des Kapitalismus nicht auf den Kopf. Es bietet der oder dem Interessierten (und nur dem Interessierten, weil jeder andere beim Rumsurfen in der Geschichte schon bald Schwierigkeiten hätte, festzustellen, welcher Baum gerade jetzt wieder den Blick auf den Wald verdeckt) Leser eine ebenso anstrengende wie interessante Wanderung durch die Wirtschaftsgeschichte. Dabei haben es dem Autor die Frühzeit und das frühe Altertum in besonderer Weise angetan, was aus unserer Sicht prima ist, denn das biblische Erlassjahr spielt häufig implizit und an prominenter Stelle auch mal explizit bei Graeber eine große Rolle.

Ein paar Dinge kann auch ein erlassjahr-Aktivist noch aus diesen historischen Wanderungen mitnehmen: Dass das erlassjahr-Konzept nicht nur im Alten Testament vorkommt, sondern auch in der Sumerischen und der Babylonischen Geschichte auftaucht. Oder eine große Zahl von Quellen, die zeigen, dass das biblische Erlaßjahr durchaus nicht nur Theorie geblieben ist, sondern im alten Israel auch umgesetzt wurde (Kap. 4, fn 19). Entsprechend und sympathisch ist der einzige handlungsorientierte Vorschlag den der Autor ganz am Ende des Werkes zum besseren Umgang mit dem Problem von Überschuldung macht, der, dass es so etwas wie ein biblisches Erlaßjahr geben sollte. Das ist nett formuliert, in Zeiten, wo der Bundesfinanzminister schon mal auf dem Katholikentag erklärt, ein Erlaßjahr könne ja wohl keine Lösung für Europas Schuldenkrise sein. Wie das Erlaßjahr für die sehr unterschiedlichen Arten von Schuldner-Gläubiger-Beziehungen tatsächlich aussehen sollte, verrät Graeber uns allerdings nicht.

Was bei all diesen interessanten Details das Werk fragwürdig macht, ist dass der Autor Kapital wie Geld auf einem großen Haufen zu betrachten scheint. Wird etwas davon verliehen, scheint es keinen Unterschied zu machen, wofür: Konsumentenkredite, Investive Kredite, Nothilfe-Kredite, Staatsanleihen und andere Budget-Finanzierungen. Dass gerade für eine moralisch-ethische Beurteilung der Berechtigung von Gläubiger-Ansprüchen es tatsächlich einen Unterschied macht, ob ein Kredit zur freundschaftlichen Finanzierung einer Luxus-Anschaffung, zur Hilfe in großer Not oder zur Erzielung eines Profits gegeben wurde, übersieht er 400 Seiten lang. In diesem Sinne ist das Buch auf eine ärgerliche Weise unpolitisch.

Griechenland nach den Wahlen: Die Populisten haben gewonnen

Nach dem knappen, aber durch das Wahlrecht etwas “ausgebauten” Sieg der Konservativen bei der Parlamentswahl in Griechenland, ging ein Aufatmen durch die deutschen und die internationalen Medien. Eine Pro-Euro-Koalition habe gegen die “Populisten” von Syriza gewonnen, Griechenland bleibe auf (Spar-)Kurs, heisst es. Und da wird es schon sehr unappetitlich.

Denn deutsche Medien – bis hin zur ansonsten seriösen Financial Times Deutschland – hatten Syriza als eine Partei dargestellt, die das hochverschuldete Land aus dem Euro herausführen würde. Das war in jeder Beziehung Unsinn. Ökonomisch gäbe es für Griechenland durch einen Austritt viel zu verlieren (nicht zuletzt gewaltige Kosten einer Währungsumstellung selbst), aber wenig zu gewinnen. Politisch könnte niemand auf der Grundlage der existierenden Verträge dem Land den Euro “wegnehmen” wie einem unbotsamen Kind das Spielzeug. Genau dies wurde von den Medien aber anhaltend nahegelegt. Und schließlich hatte Syriza, zuletzt mit einem Kommentar ihres Chefs Alexis Tsipras in der FTD selbst, deutlich gemacht, dass man keinesfalls die Absicht habe, den Euro aufzugeben. Was, um alles in der Welt hätte der Mann denn noch tun müssen, damit ihm geglaubt wird??

Die Griechen waren haarscharf davor, einen keineswegs einfachen, aber verheißungsvollen Neustart zu schaffen. Syriza hatte die Forderung nach einer Schuldenkonferenz erhoben, bei der die Tragfähigkeit der Auslandsschulden überprüft werden und gegebenenfalls eine ausreichende Restrukturierung auf den Weg gebracht werden sollte. Nach gut zwei Jahren Insolvenzverschleppung und einem Schuldenschnitt von dem jeder weiss, dass er nicht ausreichen wird, wäre das endlich eine Alternative zum Weiterwursteln zwischen den Alten Eliten von ND, PASOK und Co. und ihren freundlichen Gläubigern in Berlin und Brüssel.

Selbst der IWF geht davon aus, dass im besten aller Fälle Griechenlands Schulden mit den bisherigen Massnahmen auf 120% – wahrscheinlicher: 129% – des BIP bis 2020 reduziert werden können. Wichtige Privatgläubiger halten heute einen zweiten Schuldenschnitt für unvermeidlich, bei dem nicht nur die ursprünglichen privaten Forderungen, sondern auch die aus den öffentlichen Rettungspaketen zur Disposition stehen müssen. In der Tradition ihrer Politik seit dem Krisenausbruch 2009 haben die Altparteien in Griechenland, die Bundesregierung, die EU und die Mainline-Medien so getan, als gäbe es diese Bedrohung gar nicht, und der wählenden Bevölkerung vorgegaukelt, wenn sie die Finger nur von den erschröcklichen Linksradikalen ließen, würde schon alles gut werden.

Das nennt man Populismus. Es ist unverantwortlich. Und damit sind sie (vorerst) durchgekommen.

Dauerhafte Lösungen, statt nur Löcher zu stopfen

Gestern (25.10.2011) hat sich Kanzlerin Merkel vom Bundestags das Mandat eingeholt, die Europäische Stabilisierungsfazilität (vulgo Rettungsschirm) wie einen Credit Default Swap (Kreditausfall- Gegenfinanzierung) zu benutzen, der als Versicherung eintritt, wenn die Staatsschulden, die z. B. Portugal macht, nicht bezahlt werden können (zur Erinnerung: Diese Sorte strukturierter Finanzprodukte hat die 2008er Finanzkrise mit ausgelöst). Die weltweiten Erfahrungen mit Schulden- und Entschuldungspolitik von erlassjahr.de zeigen, dass die Politik dazu neigt, Löcher zu stopfen, statt dauerhafte Lösungen zu entwickeln. Genau so eine Flickschusterei ist diese Versicherungslösung. Sollte sie eines Tages den Steuerzahlern vor die Füße fallen, werden tatsächlich Billionen Euro erforderlich werden, um eine Rezession abzuwenden.

Panikmache, sagen da die Abgeordneten und die Kanzlerin: Die Versicherung deckt nur die ersten 20 verlorenen Prozent ab, den Rest müssen die Investoren, die die Staatschulden gekauft haben, dann schon selber schultern. Dem steht die Erfahrung aus der Finanzkrise gegenüber, wonach die Schulden der Banken und des Privatsektors letztendlich vom Steuerzahler übernommen werden und zwar umso zwingender, je höher sie angewachsen sind. Das Problem der für das Finanzsystem als Ganzes kritischen Finanzinstitutionen hat mit der Finanzkrise eher zu- als abgenommen.

Die Europäische Stabilisierungsfazilität als Credit Default Swap einzusetzen, damit Deutschland im schlimmsten Falle nicht für mehr als maximal  210 Mrd. Euro einstehen muss ist eine unverantwortliche populistische Politik die versucht, die geldpolitische Logik des gemeinsamen Währungsraums vor der Bevölkerung zu verbergen. Stattdessen versucht diese Politik, den Steuerzahlern den finanzpolitischen Hochseilakt der Versicherungslösung als Spaziergang durch den deutschen Wald anzudienen.

Die USA, Großbritannien und Japan haben allesamt wesentlich mehr Schulden als Italien, Spanien oder Portugal. Dennoch werden sie längst nicht so von den Finanzmärkten abgestraft wie die europäischen Staaten. Der Grund dafür liegt nicht in der höheren Produktivität ihrer Wirtschaften oder gar einer angelsächsischen Verschwörung, sondern darin, dass diese Länder eine zentrale Finanzpolitik und vor allem Zentralbanken haben, die ihre Währungen verteidigen. In Deutschland besitzen viele Menschen bewegliches Vermögen oder eine private Zusatz- Altersversorgung. Inflationsvorbeugung ist daher ein hohes finanzpolitisches Gut. Die Hüter des Geldwertes in Deutschland, insbesondere die Bundsbank und die Privatbanken wollen aus Furcht vor Geldentwertung die Verteidigung des Euro durch die Europäische Zentralbank verhindern. Als Alternative haben sie sich mit der Kanzlerin und vielen Abgeordnete des Bundestages zusammengetan, um den Teufel der Staatschuldenkrise mit dem Belzebub der Versicherungslösung austreiben.

Das Gelingen dieser Strategie hängt einzig und allein vom signifikantem und anhaltendem Wirtschaftswachstum gerade auch in den ärmeren Ländern Europas ab, damit Schuldendienste geleistet werden können, ohne dass die Konjunktur fördernden und sozial ausgleichenden Funktionen der Staatshaushalte außer Kraft gesetzt werden. Abgesehen vom grundsätzlich überoptimistischen Internationalen Währungsfonds versichert uns gegenwärtig aber kein seriöses Wirtschaftsforschungsinstitut, dass Europa in den kommenden Jahren das erforderliche Wachstum auch erzielen wird- insbesondere dann nicht, wenn die global agierende Spekulation nicht restlos davon zu überzeugen ist, dass der Euro entschlossen und nicht mit halbseidenen Konstruktionen wie der Versicherungslösung verteidigt wird. Und wenn die Spekulation nicht zu überzeugen ist, wird sie weiter gegen Euroländer spekulieren, der Eintritt des Versicherungsfalles wird wahrscheinlicher und die Krise findet kein Ende.

Ein Kernstück des Fairen und Transparenten Schiedsverfahrens bei Staateninsolvenz – für die sich erlassjahr.de seit Jahren einsetzt – ist die Vereinbarung von Schuldnern und Gläubigern über die Höhe der Schulden, die zurückgezahlt werden können und den Schuldenschnitt, den die Gläubiger hinzunehmen haben. Weil aber die Finanzmärkte mit ihrer schwachen Eigenkapitalausstattung und ihren abgeleiteten und vielfach gehebelten Finanzprodukten auf die Realisierung von hohen Verlusten nur mit Bankrott reagieren können, ist die Flankierung der Gläubiger-/Schuldnervereinbarung durch EZB- gesicherter Eurobonds sowohl für Gläubigerschulden, als auch für den wirtschaftlichen Neuanfang von Schuldnerländern erforderlich. Europa und die Welt brauchen endlich die Einführung eines Fairen und Transparenten Schiedsverfahrens bei Staateninsolvenz, eine starke Bankenregulierung mit einem strengen TÜV für Finanzprodukte und einer Finanztransaktionssteuer, einen Maulkorb für Rating-Agenturen in kritischen Situationen sowie eine handlungsfähige gemeinsame Wirtschaftsregierung. Dann kann auch der Euro überleben.

Ein Gastkommentar von Peter Lanzet.

Zum Mittagessen nach Quito

Als Mitglied der “Auditoria-Kommission”, die 2007 und 2008 die Schulden Ecuadors auf ihre Legitimität überprüfte, erhielt erlassjahr.de zu Jahresbeginn eine Einladung zum Mittagessen im “Garandolet”, dem Präsidentenpalast in Quito. Da unmittelbar vor der Einladung am vergangenen Freitag eine zweitägige Konferenz unserer langjährigen Partnerorganisation Jubileo2000 Red Guayaquil stattfand, liess sich das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden. Im schwülen Guayaquil rangen wir mit Kolleg/innen aus verschiedenen Netzwerken innerhalb und außerhalb Ecuadors um die nächsten Schritte auf dem Weg zum Schulden-Schiedsverfahren. In der Kühle des andinen Quito wurden bei exzellentem Wein und Speisen über die weitere Arbeit an der Frage der Legitimität von Ecuadors Schulden beraten.
Das war nicht immer die reine Idylle, denn innerhalb Ecuadors ist es seit unserer Arbeit vor drei Jahren zu zahlreichen Konflikten zwischen dem Präsidenten und wichtigen Mitstreitern gekommen – u.a. wurde z.B. der Umweltorganisation Acción Ecologica zwischenzeitlich die Rechtsfähigkeit entzogen. Auf diesem Hintergrund mochten nicht alle Auditor/innen der freundlichen Einladung Rafael Correas Folge leisten.
Mit Correa und dem Außenminister Ricardo Patiño wurden wir uns einig, dass auch die Kritik der Kommission an den Multilateralen Schulden nun in konkrete Handlungen münden müsse. Am Montag Morgen traf sich dazu eine kleine ad-hoc-AG aus ehemaligen Auditor/innen und Mitarbeitern des Außenministeriums. Wenig Neigung zeigte der Präsident indes, auch die gerade von erlassjahr.de kritisierten Forderungen einiger bilateraler Gläubiger – namentlich Brasilien, Italien und Spanien – in Frage zu stellen. Da ist der politische Rückhalt gerade bei Brasilien und Spanien für das kleine Ecuador wohl doch zu wichtig.

Neue Zahlen zu den Schulden der ärmeren Länder bei Deutschland

Mehr als zwei Jahre lang hat das Bundesfinanzministerium darauf verzichtet, die Forderungen der Bundesrepublik an die Entwicklungs- und Schwellenländer zu aktualiserten. Wer wissen wollte, wie viel Geld Deutschland noch von ärmeren Ländern zu bekommen hatte, musste sich mit Informationen zum Stichtag 31.12.2007 zufrieden geben. Dank einer Kleinen Anfrage der Grünen Bundestagsfraktion sah sich der BMF nun genötigt, die Zahlen zum 31.12.2009 zu aktualisieren. Das BMF kündigt die Veröffentlichung der Zahlen auf seiner Website  “voraussichtlich im Sommer” an.  Offenbar ist es in der Berliner Wilhelmstrasse aber noch nicht sommerlich genug. Bei uns in Düsseldorf ist es hingegen so heiß, dass wir die Zahlen schon mal zum Download anbieten.

Insgesamt sind die Schulden von Entwicklungs- und Schwellenländern bei der Bundesregierung um 2,1 Mrd. € auf 21,58 Mrd. zurückgegangen. Davon entfallen 14,6 Mrd. € auf Schulden aus der Entwicklungszusammenarbeit und knapp 7 Mrd. € auf vom Staat entschädigte Schulden bei deutschen Exporteuren (“Handelsforderungen”). In den meisten Fällen liegt der Rückgang daran, dass die verschuldeten Länder regulär gezahlt haben. Dazu kommen die Effekte der nach und nach umgesetzten HIPC-Entschuldungsinitiative. Spürbar gestiegene Schulden hat Argentinien (durch Verzugszinsen auf die seit 2001 nicht mehr bedienten Handelsschulden von 1,8 Mrd.). Ähnlich liegt der Fall bei Myanmar und Simbabwe. Neue Kredite im Rahmen der Entwicklungshilfe bekamen Vietnam, Pakistan und Südafrika.

Wem nützt 'aggressive Schuldenpolitik'?

In Zeiten drohender Zahlungsunfähigkeiten von armen und ärmsten Ländern interessiert sich auch der IWF wieder verstärkt dafür, wie Zahlungseinstellungen aussehen, und wie eine erfolgreiche Umschuldung zu gestalten wäre. Dazu hat der IWF eine Studie bei dem Berliner Volkswirt Christoph Trebesch in Auftrag gegeben. (Trebesch,C.: The Cost of Aggressive Sovereign Debt Policies: How much is the Private Sector Affected? IMF Working Paper 09/29, Feb. 2009).

Die Studie geht dem auch uns in der Vergangenheit von Gläubiger-Vertretern entgegengehaltenen Argument nach, wer sich seinen Gläubigern widersetze, schneide sich ins eigene Fleisch, weil er nie wieder einen Kredit bekäme. Und sie untersucht, inwieweit kooperatives gegenüber aggressivem Verhalten des Schuldners eher zu einer erfolgreichen Restruturierung führt. Die Ergebnisse sind auf der einen Seite banal (Grundsätzlich mögen Gläubiger es lieber, wenn man zahlt so lange man irgend kann), auf der anderen Seite aber hoch interessant. Im Kern sagt die Untersuchung von Zahlungseinstellungen in 13 Ländern zwischen 1980 und 2004:

Keinesfalls schliesst sich jemand, der aggressiv gegenüber den Gläubigern die Zahlungen verweigert, dauerhaft vom Kreditmarkt aus. Vielmehr muss man von einer Quarantäneperiode von bis zu zwei Jahren ausgehen. Danach funktioniert das Gedächtnis der Gläubiger ohnehin nicht mehr, wenn sie irgendwo Geschäfte wittern.

Es stimmt, dass in dieser Zeit der Zugang zu neuen Krediten erschwert ist, aber es ist nicht eindeutig zu beweisen, ob dies in einer unkooperativen Haltung beim Umschulden oder einfach an der Tatsache einer einseitigen Zahlungseinstellung begründet liegt.

Wer auf eine einvernehmlich Lösung mit den Gläubigern hinarbeitet kann überdies davon ausgehen, dass diese zu einer Zunahme des Kreditangebots in den folgenden Jahren führt.

Gerade der letzte Punkt ist ein starkes Argument für die Schaffung eines fairen und transparenten Entschuldungsverfahrens. Schließlich haben nicht nur die Schuldner, sondern auch die alten, aber mehr noch die neuen Gläubiger ein Interesse daran, dass künftig wieder normale Schuldner-Gläubiger-Beziehungen möglich sind.

Wie bei Publikationen aus dem Fonds üblich, werden “Aggressivität” und “unkooperatives Verhalten” ausschließlich auf der Seite des Schuldners vermutet und analysiert. Dass Gläubiger – durch ihr Beharren auf sinnlosen Tragfähigkeits-Berechnungen, hochgradig unfairen und ineffizienten Verhandlungsforen oder schlicht durch die Zurückweisung vernünftiger Angebote der Schuldner eine einvernehmliche Regelung blockieren, ist zwar alltägliche Realität vieler Schuldnerländer; der IWF – selbst wichtiger Gläubiger und zentraler Akteur im internationalen Schuldenmanagement, kann sich das offenbar überhaupt nicht vorstellen.

Doha Tagebuch 29.11.08: Neuer Text

In aller Herrgottsfrüh lud die Rote Heidi zum NRO-Briefing und fast alle kamen. Der gestern angekündigte neue Textentwurf kam ebenfalls. Aber es war keine neue Erklärung in ganz anderem Format, wie gestern abend noch vermutet, sondern das alte Format, in dem einfach keine fettgedruckten (= umstrittenen) Stellen mehr waren, sondern alles im Nomaltext; in der Erwartung, dass dieses gemeinsame Produkt von Facilitatorn und Präsident der Generalversammlung am Stück zustimmungspflichtig sei.
Im Schuldenthema ist der neue Text eine Mischung aus der sehr brauchbaren vorletzten und der unterirdischen letzten Fassung. Statt “Orderly Debt Workout” heisst es jetzt “Sovereign Debt Restructuring Mechanism” – ein Begriff, der uns nicht ganz zufällig ziemlich bekannt vorkommt (SDRM war der Vorschlag des IWF für ein Internationales Insolvenzverfahren rund um die Monterrrey Konferenz). Von “Mediation and Arbitration” als eine Konkretisierung dessen, was denn nun neu und anders werden solle, ist indes keine Rede mehr.
Es wird berichtet, dass die vorliegende Fassung für die USA zustimmungsfähig sei. Das würde bedeuten, dass in unserem Thema zumindest eine in Washington normalerweise nicht goutierte Feststellungen Eingang in das Abschlussdokument finden würden: Die existierenden Verfahren werden von den Gläubigern gesteuert (§42). Ansonsten findest sich allerlei Mainstream im Dokument, den wir auch richtig finden, der aber noch nicht Praxis im internationalen Schuldenmanagement ist:
– Alle Gläubiger müssen in Entschuldungsverfahren einbezogen werden;
– Schuldentragfähigkeit muss alle Arten von externen Schocks berücksichtigen;
– Die aktuelle Krise erfordert mutiges und rasches Handeln.
Alles in allem: Wenn der Entwurf heute und in der kommenden Nacht so beschlossen wird, werden alle, uns eingeschlossen, nicht ganz so unglücklich ein, wie sie es zwischenzeitlich waren. Von einem Aufbruch zu entschlossenen Veränderungen in unserem oder einem anderen Themenfeld kann aber so was von keine Rede sein….!
Ich merke, wie man auch als radikale NRO-Stimme hier Teil der Show wird, und anfängt sich eben über solche Dinge wie die Anerkennung von Tatbeständen zu freuen, die eigentlich für niemanden ein Geheimnis sind. Was wir oder gar die Opfer von Überschuldung damit gewonnen haben? Nächste Frage!
Am schönsten brachte das heute ein Merril Lynch Investmentbanker, mit dem wir im Zusammenhang mit Debt2Health zu tun haben, auf den Punkt. Als Privatsektor-Mensch ist die Konferenz für ihn so etwas wie ein erstmaliges Eintauchen in die Welt der internationalen Organisationen und Regierungen. Ob eigentlich irgendjemand hier morgen etwas machen würde, was er ohne die Konferenz nicht gemacht hätte, fragte er mich. Ich habe, ehrlich gesagt, keine Ahnung.
Aber starke Zweifel.