27. Oktober 2023

Der Fall Sri Lanka: Advocacytour mit Dr. Ahilan Kadirgamar

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In der Woche nach der Jahrestagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank in Marrakesch im Oktober 2023 luden wir einen der führenden Politökonomen in Sri Lanka, Dr. Ahilan Kadirgamar von der Universität in Jaffna, zu einer Vortrags- und Advocacy-Reise nach Deutschland ein.

Sri Lanka ist nicht nur für erlassjahr.de einer der zentralsten Fälle im Kontext der Schaffung neuer Regeln für den Umgang mit Überschuldung. Sri Lanka ist auch einer der zentralen Testfälle für die internationale Gemeinschaft – insbesondere auch, weil Sri Lanka das erste Land ist, welches Post-COVID eine umfassende Schuldenrestrukturierung außerhalb des Umschuldungsrahmenswerks Common Framework der G20 ersuchen muss. Mit dem Common Framework sollen kritisch verschuldete Schuldnerländer zeitige und koordinierte Umschuldungen erhalten.

Komplexes Gläubigerprofil

Schon vor Ausbruch der Corona-Pandemie war Sri Lanka einer der am kritischsten verschuldeten Staaten weltweit. Im April 2022 stellte das Land angesichts seiner finanziellen Lage die Zahlungen an seine ausländischen Gläubiger ein. Das Gläubigerprofil von Sri Lanka ist sehr komplex und stellt damit bestehende Verfahren für eine umfassend koordinierte Umschuldung hart auf die Probe. Genauso wie in anderen Ländern verzögern Blockaden auf Seiten der einzelnen Gläubiger eine Umschuldung. Das Fehlen von Verfahren und Rechtssicherheit für die Beteiligung aller Gläubiger macht sich im Falle Sri Lankas besonders schmerzhaft bemerkbar, unter anderem darin, dass der vom IWF errechnete und der von den Gläubigern bislang angebotene Schuldenerlass nicht ausreichen wird, um das Land nachhaltig aus der Schuldenkrise zu führen. Auch wurde das Land von einem waschechten „Geierfonds“ verklagt. Viele Probleme also, die sich in einem einzigen Länderfall konzentrieren.

Anders als in anderen Länderfällen spielt auch Deutschland hier eine Rolle. So ist Deutschland der viertgrößte öffentliche bilaterale Gläubiger Sri Lankas, mit deutlichem Abstand nach China, Indien und Japan. Da eigene Forderungen betroffen sind, bietet der Fall Sri Lanka der Bundesregierung eine gute Möglichkeit, Schritte hin zur Umsetzung des Versprechens im Koalitionsvertrag für die Unterstützung innovativer Verfahren in der Lösung von Schuldenkrisen zu gehen.

Gespräche mit Schulklasse, Zivilgesellschaft und Politik

Ziel der Tour war es, sri-lankische zivilgesellschaftliche Positionen in den Diskurs mit deutschen Entscheidungsträger*innen einzubringen sowie verschiedene Zielgruppen in Deutschland auf das Potential Sri Lankas für den deutschen Koalitionsvertrag aufmerksam zu machen. Die Tour umfasste entsprechend Vorträge für eine interessierte Öffentlichkeit, etwa in der Evangelischen Akademie in Bad Boll und im Theodor-Heuss-Gymnasium in Aalen, Interviews für (Fach-)Medien sowie Gespräche und Veranstaltungen mit Bundestag, Ministerien und Co. Bei der Friedrich-Ebert-Stiftung kamen wir mit Gewerkschaftsvertreter*innen aus Deutschland, dem afrikanischen Kontinent, Sri Lanka und weltweit ins Gespräch. Mit deutschen Fachorganisationen sowie Netzwerken aus Pakistan und den Philippinen diskutierten wir die Frage, ob Entschuldung einen regimestabilisierenden Effekt in Ländern mit autoritären Regime haben kann – und daher abzulehnen sei.

IWF-Programme als zentrale Problematik

In Ahilan Kadirgamars Vorträgen wurde deutlich, dass für die Menschen in Sri Lanka die Frage von Entschuldung eng verknüpft ist mit dem verpflichtenden IWF-Kreditprogramm, das das Land eingehen muss. Die (Umschuldungs-)Bedingungen, die mit dem IWF-Programm verknüpft sind, bedeuten für die Menschen in Sri Lanka soziale Härten zugunsten der Verringerung von Verlusten für die Gläubiger Sri Lankas und die Fortführung des Umbaus der Wirtschaft zugunsten privaten Kapitals. Auch weitere antidemokratische Tendenzen würden durch das IWF-Programm begünstigt. Während nach Meinung vieler Gesprächspartner*innen der Ursprung der Krise wahlweise in den Folgen der COVID-Pandemie oder der Zahlungseinstellung liege, liegen für Kadirgamar die Wurzeln der Krise viel länger zurück – bis hin zum Start des Umbaus der sri-lankischen Wirtschaft in den 1970er Jahren mit der ersten IWF-gestützten Liberalisierungswelle. Das Land hat bis heute bereits 17 IWF-Programme durchlaufen und ist damit immer abhängiger von ausländischem Kapital geworden, darunter auch teure Kapitalmarktfinanzierungen.

Während deutsche zivilgesellschaftliche Organisationen sich die Frage stellten, ob sie nicht lieber Entschuldung mit Konditionierung für bessere Regierungsführung fordern sollten, forderte Kadirgamar, die Absetzung eines autoritären Regimes von der Frage der Lösung einer akuten Schuldenkrise zu trennen. Gruppen im Globalen Norden sollten sich weniger mit Fragen eines Wechsels eines gerade aktuellen Regimes als vielmehr damit beschäftigen, welche Auswirkungen Umschuldungsverfahren sowie eine ungerechte globale Finanzarchitektur auf die langfristige wirtschaftliche Entwicklung und auf die Ausübung demokratischer Rechte im Land haben. Er empfahl, Demokratisierungsprozesse etwa durch Aufklärungsarbeit zu unterstützen, also soziale Bewegungen im Land dabei zu unterstützen, die Implikationen und Hintergründe der Schuldenrestrukturierung zu verstehen, um ihre Arbeit im Land zu stärken.

Sri Lanka ist kein Einzelfall

Ein wichtiger Teil der Tour waren Gespräche mit dem Bundestag, zum Beispiel in Form eines parlamentarischen Frühstücks, sowie bilaterale Gespräche mit relevanten Ministerien. Neben der Diskussion über technische Details der Umschuldung und gemeinsamer Kritik von erlassjahr.de und sri-lankischen Gruppen an der zu unambitionierten Umschuldung machte Kadirgamar unter anderem auf die mittelfristigen politischen Konsequenzen der aktuell verfolgten Lösungen aufmerksam. Dazu zählt auch die Gefahr, dass der Westen mit antiwestlichen Haltungen innerhalb der Bevölkerung Sri Lankas rechnen müsse, je mehr die IWF-gestützte Austeritätsagenda vorangetrieben und eine nachhaltige Lösung der Schuldenkrise auf sich warten lassen würde, oder dass Sri Lanka wegen zu geringer Schuldenerlasse gar nach wenigen Jahren vor einem neuerlichen Zahlungsausfall – und IWF-Programm stehen könnte.

Deutlich gemacht werden konnte, dass Sri Lanka kein Einzelfall ist, sondern vielmehr exemplarisch für aktuelle und zukünftige Umschuldungen steht und damit als Exempel auch für die Politik zentral sein sollte.

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