Danke, ihr Geier!

Avatar-Foto Jürgen Kaiser, erlassjahr.de
13. September 2014

Es war ein historischer Moment am Mittwoch Abend in der UNO, als eine Resolution der Entwicklungsländergruppe („G77 und China“) mit 124:11 Stimmen bei 41 Enthaltungen angenommen wurde. Die Weltorganisation verpflichtet sich darin, noch in der laufenden Sitzungsperiode, also vor dem September 2015 einen rechtlichen verbindlichen Rahmen für eine geordnete Staateninsolvenz  zu schaffen.

Die bislang nicht durch effiziente und zügige Meinungsbildungsprozesse aufgefallene UNO hat sich damit eine Riesen-Aufgabe gestellt, und alle (uns selbst eingeschlossen), die mit ihr wissenschaftlich-konzeptionell oder politisch zusammenarbeiten sind nun herausgefordert, ihren Beitrag zu leisten, damit in knapp einem Jahr tatsächlich eine Zeitenwende erreicht wird.

Ob das gelingen kann und wird, darüber gehen unter Freund und Feind die Meinungen auseinander. Die Bundesregierung, die beschämenderweise und gegen das bessere Wissen mindestens dreier Ministerien auf Druck des BMF mit „nein“ gestimmt hatte, äußert sich bislang überhaupt noch nicht dazu, wie sie sich in den nun anlaufenden Meinungsbildungsprozess einzubringen gedenkt. Ist vielleicht auch besser so, denn vor der Abstimmung hatte sie sich in den von den G77 initiierten Konsultationen geweigert, überhaupt eine Meinung zu äußern in der Hoffnung, der Spuk ginge dann von alleine wieder weg.

Ging er aber nicht. Und das verdanken wir nicht zuletzt den Geiern. Den großen, wie NML Capital, die drohen, Argentinien in die erneute Staatspleite zu schicken oder denen, die in den letzten Jahren aus den ärmsten Staaten der Welt auf dem Klageweg Millionen rausholten. Aber auch den kleinen, die hierzulande und auf der ganzen Welt ein latentes Gefühl der Bedrohung in den verschuldeten Ländern aufgebaut haben. Dieses unsympathische Federvieh hat hinbekommen, was Wirtschafts-Nobelpreisträgern, progressiven Gläubiger-Regeirungen wie den Norwegern, der UNO oder uns selbst nie wirklich gelungen ist: den Regierungen der verschuldeten Ländern deutlich zu machen, dass sie sich mit den informellen, ad-hoc ausgehandelten von den Gläubigern gnädig zugestandenen Umschuldungen im Pariser Club, unter der HIPC-Initiative oder eben durch Anleihetausch besser nicht zu sicher fühlen sollten. „Wenn wir wollen, greifen wir uns eure paar Kröten noch in den letzten Winkeln der Erde“. Die Message war schon sehr überzeugend als ein argentinisches Schiff in Ghana soeben noch der Pfändung entwischen konnte. Mit dem Zugriff auf die Zahlungen Argentiniens an seine legitimen Gläubiger in New York war der Beweis überzeugend angetreten.

In lobenswerter Transparenz stellt die UN die Beratungen der Vollversammlung ins Netz, und es lohnt sich, sich die Debatte vom 9.9. oder die anschließende Pressekonferenz mit dem argentinischen Außenminister um dem bolivianischen Vorsitzenden der G77 anzusehen – besonders wenn man in der Lage ist, den Beiträgen im Original-Spanisch zu folgen. Die negativen Stellungnahmen der Amerikaner („keiner darf über so etwas wie Staateninsolvenz reden außer dem IWF“), der italienischen EU-Präsidentschaft (die den Spagat hinbekommen musste, eine Nicht-Zustimmung der EU-Mitglieder zu begründen, ohne die eigenen Chancen auf einen Sitz im Sicherheitsrat zu gefährden und entsprechend eirig ausfiel) kontrastieren dramatisch mit dem Ernst und der Sachlichkeit der Beiträge des argentinischen Außenministers Hector Timerman und des Bolivianers Sacha Llorenty Soliz. Die der Abstimmung folgenden Redebeiträge der meisten Vertreter/innen des globalen Südens standen dem nicht nach. Selbst der kubanische Beitrag, der Zitate Fidels und des Che bemühte, wirkte gar nicht so sehr aus der Zeit gefallen, wie sonst schon mal. Und das liegt daran, dass am Mittwoch tatsächlich etwas passiert ist, von dem sich der Bogen in eine Zeit vor dreissig Jahren schlagen lässt: Die kollektive Bedrohung aller Länder des Südens durch ihre Verschuldung und durch die Macht, die sich dadurch in den Händen von Regierungen und Anlegern im Norden zusammenballt, ließ eine Gemeinsamkeit entstehen, die die Operetten-Rethorik aus der Zeiten des Kalten Krieges nicht erreichte, weil der Westen es sehr geschickt verstand, mit Zuckerbrot und Peitsche wichtige Länder aus einer potenziellen gemeinsamen Front herauszubrechen.

Am Mittwoch war sie dann da, diese Front: Alle (anwesenden) G77-Mitglieder einschließlich der mächtigen G20-Staaten, stimmten für die gemeinsame Resolution. Das „es reicht uns“ war und ist unüberhörbar. Für diejenigen von uns, die seit vielen Jahren auf eine mutige und selbstbewusste Haltung der verschuldeten Staaten hoffen, war das ein historischer und bewegender Moment.

Er wäre nicht zu erreichen gewesen ohne die Gier der Anleger aus den Steuerparadiesen, ohne die Komplizenschaft derjenigen in den reichen Ländern, die sie gewähren lassen, ohne die Selbstgefälligkeit der Bundesregierung und ihrer G7-Kolleg/innen.

Niemand kann vorhersagen, ob es den reichen Ländern in den kommenden zwölf Monaten nicht wiederum gelingen wird, die entstandene Solidarität unter den ärmeren Ländern zu zerstören. Aber dafür, dass wir nach langen Jahren überhaupt erst mal wieder so weit gekommen sind: Dafür sei Euch herzlich gedankt, ihr Geier!

 

12 Kommentare zu “Danke, ihr Geier!

  1. Der Autor führt in seinem Beitrag rhetorische Freudentänze auf, als ob nun alle Probleme gelöst seien. Sind sie aber nicht. Die Freude sei ihm aber dennoch gegönnt.
    Die UNO hat schon viele Resolutionen beschlossen, die dann nicht befolgt wurden. Ich erinnere nur an die vielen UNO-Resolutionen gegen Israel.
    Ich habe außerdem Zweifel ob diese Resolution, sollte sie denn tatsächlich in nationales Recht umgesetzt werden, Argentinien noch hilft.
    In meinem, sehr allgemein gehaltenen Rechtskundeunterricht habe ich nämlich mal gelernt, dass Gesetze nicht rückwirkend angewendet werden können.

    Zitat: „Den großen, wie NML Capital, die drohen, Argentinien in die erneute Staatspleite zu schicken oder denen, die in den letzten Jahren aus den ärmsten Staaten der Welt auf dem Klageweg Millionen rausholten.“
    Argentinien ist pleite, da es bereits umgeschuldete Verbindlichkeiten nicht bedienen konnte. Das Geld ist bei den Gläubigern nicht angekommen, das reicht. Vor Wochen hatte der Autor das noch selbst so geschrieben.

    Zitat:“Mit dem Zugriff auf die Zahlungen Argentiniens an seine legitimen Gläubiger in New York war der Beweis überzeugend angetreten.“
    Diese Behauptung ist irreführend. Die Hedgefonds haben verbriefte Ansprüche gegen Argentinien, genauso, wie die anderen Gläubiger auch. Es gibt nur Gläubiger, aber keine legitimen und keine illegitimen Gläubiger. Hierauf wurde der Autor auch schon mehrfach hingewiesen.

    Zitat: „progressiven Gläubiger-Regierungen wie den Norwegern, der UNO oder uns selbst nie wirklich gelungen ist“
    Diese Wortwahl erinnert mich an alte Zeiten. Die Kommunisten hielten sich auch für besonders „progressiv“, bis die Geschichte über sie hinwegging. Ich beabsichtige aber nicht, den Autor in diese Ecke zu stellen.

    Zitat:“..ohne die Selbstgefälligkeit der Bundesregierung und ihrer G7-Kolleg/innen.“
    Es ist aber schon sehr anmaßend, der Bundesregierung Selbsgefälligkeit vorzuwerfen. Der Bundesregierung passt der Inhalt dieser Resolution eben nicht, und das ist legitim, im Gegensatz zu legitimen Gläubigern.

  2. Und ich hatte schon befürchtet, ich hätte mir mit allzu verständnisvollen Worten über den Geier als solchen ihre Feindschaft leichtfertig und dauerhaft verscherzt. Gerade noch mal gut gegangen!
    In der Sache lohnt es sich, wie oben empfohlen, wirklich mal in die verlinkten Statements reinzuhören: Timermann wird bei der PK auch gefragt, wie diese Resolution denn Argentinien nun helfen solle. Und er sagt so unmissverständlich wie nur irgend möglich: Gar nicht! Es geht hier nicht um Argentinien. Es geht um all die armen und vielleicht auch nicht ganz so armen Länder, die sich in Zukunft in einer Situation wie heute Argentinien wiederfinden könnten. Ob das dann irgendwann auch mal wieder Argentinien sein wird (oder Deutschland) kann von uns niemand wissen.
    Ich finde, diese Position darf man auch dann mal zur Kenntnis nehmen, wenn man selber am La Plata Geld versenkt hat.

  3. Der Herr Autor sollte zur Kenntnis nehmen, dass ich nicht in diesen Freund-Feind Kategorien denke. Ich bin ein Jahr vor der Londoner Schuldenkonferenz geboren worden, der Herr Autor ein Jahr danach. Wir haben beide Lebenserfahrung und jeder hat seine Ansichten, und die kann man austauschen. Sollte die Politik das vom Autor favrisierte „geordnete Konkursverfahren für Staaten unter transparenten, fairen Bedingungen“ beschließen, dann habe das auch ich zu akzeptieren, denn die Politik legt schließlich die Rahmenbedingungen fest.
    Ich mache mir nur bis jetzt nicht allzuviel aus diesem UNO-Beschluß. Die UNO hat schließlich schon viele Resolutionen beschlossen.
    Mir fällt allerdings auch auf, dass der Autor ständig ausweicht, anstatt mal auf Argumente einzugehen.
    Daher nochmal:
    1.)
    Es gibt keine legitime oder illegitime Gläubiger. Es gibt Gläubiger.
    Man ist schließlich auch nicht legitim oder illegitim schwanger. Man ist schwanger oder nicht schwanger.
    2.)
    Die Bundesregierung, wie wohl die USA auch, war gegen diese Resolution. Das ist legitim. Das hat mit Selbsgefälligkeit aber nichts zu tun.

  4. Es gibt definitiv legitime und illegitime Gläubiger. Schulden können unter Bruch essenzieller rechtlicher Normen zustande gekommen sein. Und dann sind sie (mindestens) illegitim. Und folglich kann man die Gläubiger, die solche Ansprüche erheben, ebenso bezeichnen.
    Näheres zu den dabei anzuwendenden Rechtsnormen, Erfahrungen in den bisherigen Schuldenkrisen etc. findet sich im Handbuch „Illegitime Schulden“ (https://erlassjahr.de/material-und-publikationen/arbeitshilfen/handbuch-illegitime-schulden-ii.html), auf das ich schon bei anderer Gelegenheit (offenbar vergeblich) hingewiesen habe.

  5. Wie schön, daß es das Erlassjahrhandbuch gibt. Dass ich darauf nicht eher gekommen bin. Jetzt bin ich „erleuchtet“. Ich nehme alles zurück und behaupte dasselbe nocheinmal.
    Mein Vorschlag: wir gründen die freie Republik Erlassjahr. Dort gilt nicht das BGB, sondern das Erlassjahrhandbuch.
    So machen wir es.

  6. Dass es ein Handbuch zur Thematik „Illegitime Schulden“gibt, zeigt doch, dass sich ej. ausgiebig mit dem Thema auseinandersetzt und nicht,dass es eine alleinige Wissenshoheit gibt. Hinzu kommt, dass ich der Meinung bin es ist sehr wohl ok. wenn man als zivilgesellschaftliche Organisation die Bundesregierung kritisiert. Ein „Nein“ zu der UNO-Resolution kann sehr wohl als falsch gesehen werden aus verschiedensten Gründen. Deswegen kann sie trotzdem in (den meisten Aspekten) rechtskräftig sein. Nichtsdestotrotz kam es auch schon in der deutschen Geschichte vor, dass Gesetze (rechtskräftig) erlassen wurden, die man im nachhinein als nicht so legitim empfunden hat. Beispiele brauchen wir hierfür sicherlich nicht… Man möge sich die Aufgabe einer NRO zurück ins Gedächtnis rufen und Kritik sehe ich hierbei eher als konstruktiv und nicht als „Gängelung“ der bloßen „Gängelung“ wegen.
    Beste Grüße

  7. … also mit Kritik ist natürlich gemeint, dass zivilgesellschaftliche Organisationen ihre Aufgabe eben natürlicherweise auch darin sehen Kritik zu üben und dies auch weiterhin tun sollten. Damit tritt sie ja als Interessenvertreter/in einer kritischen Gesellschaft auf. Zuwiderlaufende Meinungen und Argumentationen müssen natürlich akzeptiert werden und werden auch von Herrn Kaiser meiner Ansicht nach nicht verteufelt oder mit Absicht „hinterm Berg“ gehalten bzw. Fragen mit Absicht nicht beantwortet. Welchen Anlass sollte er zu so etwas haben?

  8. Zunächst begrüße ich, dass hier mal ein weiterer Teilnehmer sich an der Diskussion beteiligen. Ich möchte schließlich auch mit dem Herrn Kaiser nicht immer ganz alleine sein.
    Den Eindruck hatte ich bisher. Jeder darf die Meinung vertreten, die er für richtig hält. Das bedarf keiner Diskussion. Man darf auch Entscheidungen der Bundesregierung kritisieren. Legal sind sie aber trotzdem.
    Der Fall liegt hier aber etwas anders.
    Ich hatte versucht, dem Herrn Kaiser klarzumachen, dass es keine legitimen und keine illegitimen Gläubiger gibt. Es gibt Gläubiger, Punkt. Darauf empfahl er mir dann sein „Erlassjahrhandbuch“ als Quelle. Nur, das „Erlassjahrhandbuch“ erkenne ich nun wieder nicht als Grundlage für mich an.
    Grundlage meines Handelns ist das gültige Recht. Schließlich bin ich ja auch ein kleiner, sehr kleiner „Geier“, wie Herr Kaiser sie nennt.
    Wenn Herr Kaiser schon Tiernamen auswählt, und als Überschrift wählt: „Danke, Ihr Geier“ , dann wäre ich geneigt zu entgegnen: „Keine Ursache, Du Mistkäfer“.
    Das ist schon wieder nicht höflich. Deshalb, a u s w i s c h e n.

  9. Hier hätte Lesen wirklich gebildet. Ich habe auf das ej-Handbuch „Illegitime Schulden“ verwiesen, weil darin die Unterscheidung zwischen legitimen und illegitimen Ansprüchen genauer erklärt wird, als ich das in einem kurzen Blogbeitrag tun kann. Ein Handbuch ist, wie der Name schon nahelegt, eine Informations- und keine Rechtsquelle. Wer sich traut, hineinzusehen, findet darin aber zahlreiche Verweise auf Rechtsquellen, die die in meinem Post genannten Rechtsnormen untermauern. Einige Beispiele ihrer Anwendung in der Vergangenheit werden beschrieben, und Überlegungen zu ihrer künftigen dargelegt.

  10. Ich muß das Geständnis ablegen, daß ich mir das Erlassjahrhandbuch bisher nur oberflächlich angeschaut habe. Ich verspreche aber ehrlich, dass ich das noch nachholen werde.
    Normalerweise schaue ich nämlich schon genau hin. Ich bin mal gespannt, was mich da erwartet.

  11. So, nun habe ich in das Erlassjahrhandbuch hineingeschaut und habe die ersten 6 oder 7 Seiten auch wirklich gelesen.
    Es erging mir damit aber genauso, wie mit Hitlers Buch „Mein Kampf“.
    Ich habe meinen Eltern damals Vorwürfe gemacht, dass sie es nicht gelesen haben, obwohl sie es zur Hochzeit geschenkt bekommen hatten, das war im „Dritten Reich“ obligatorisch. Mein Vater sagte damals, es sei ihm zu langweilig gewesen. Ich wollte da schlauer sein und begann auch zu lesen. Nach ca.80 Seiten habe ich dieses „literarische Wunderwerk“ dann in die Ecke geschmissen, das konnte ich mir dann doch nicht mehr antun.
    Ich habe nun „legitim“ beschlossen, auch das Erlassjahrhandbuch nicht weiterzulesen. Das ist nicht „meine Welt“. Es mag durchaus „legitime“ Ansätze enthalten, für den Rechtsvisionär interessant. Ich bin aber der Praktiker. Mir ist es auch egal ob der Geier schwarz oder weiss ist, hauptsache er fängt Mistkäfer.
    Sollten „legitime“ Ansätze aus dem Handbuch Eingang in die Gesetzbücher finden, dann sind sie natürlich auch für mich bindend.

  12. Für den Hai des Jahres hat es bei Ihnen trotz echter Bemühungen ja nie gelangt. Als kleinen Ersatz erhalten Sie allerdings hiermit die Helmut-Kohl-Gedächtnis-Plakette für den dämlichsten Nazi-Vergleich seit Goebbels-Gorbatschow.
    Das war es dann jetzt aber auch.

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