Unhappy Birthday: Der Pariser Club wird 60

Avatar photo Jürgen Kaiser, erlassjahr.de
2. Juni 2016

Es kommt nicht so oft vor, dass jemand Geburtstag hat, der selbst nicht so genau weiss, ob es ihn eigentlich gibt. Am 14. Mai dieses Jahres war das der Fall. Der so genannte „Pariser Club“ feierte 60 Jahre seines (Nicht-)Bestehens.

„Le Club de Paris n’existe pas“ – „Den Club gibt es nicht“, hörten wir in den späten achtziger Jahren auch am Telefon, wenn wir wissen wollten, wie mit dem einen oder anderen verschuldeten Land umgegangen worden war, wenn es sich zwecks Umschuldung mit seinen offiziellen Gläubigern im französischen Finanzministerium getroffen hatte. Gemeint war damit, dass der „Club“ damals noch ohne formelle Regeln, Rechtsstatus und Verbindlichkeit überhaupt nur existierte, so lange er gerade zusammensaß und beriet. Außerhalb dieser kurzen, einmal im Monat stattfindenden Treffen habe man der Welt nichts mitzuteilen.

Inzwischen gibt es eine Club-Website, auf der man erfährt, dass seit 1956 433 Vereinbarungen  mit 90 Ländern über Forderungen in Höhe von 583 Milliarden US-Dollar getroffen wurden. Man erfährt, wenn man sich durch die Seite klickt auch einiges über die einzelnen Vereinbarungen, die für die betroffenen Länder häufig von größter Bedeutung hinsichtlich ihrer Entwicklungschancen sind. Aber man erfährt auch ganz vieles nicht: wie die einzelnen Mitglieder des Kartells sich bei den Beratungen positioniert haben, welche Erwartungen der Schuldner eigentlich formuliert hatte, warum der Club zu manchen besonders absurden Vereinbarungen gekommen ist. So erhielt ein Land wie Nicaragua, das in den neunziger Jahren verhandelte und damals mit Schulden im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung des vierfachen der heutigen Werte Griechenlands belastet war, zunächst mal eine Erleichterung beim laufenden Schuldendienst von 50% in der Erwartung, dass das Land dadurch wieder „schuldentragfähig“ werde.

Heimlichtuerei ist – Website hin oder her – weiterhin das Markenzeichen des Pariser Clubs. Im Mai bat die kleine Karibikinsel Dominica um Schuldenerleichterungen, um den Wiederaufbau nach dem Hurrikan Erica im August 2015 bewältigen zu können. Weil es aber zu keiner formalen Vereinbarung kam, gibt es keine Informationen auf der Homepage, keine Kommentare der Beteiligten, und selbst dem Schuldner wurde die Verweigerung jeglicher Konzessionen angedroht, sollte etwas über die Beratungen an die Öffentlichkeit dringen. Dabei geht es um vergleichsweise bescheidene Beträge in den Büchern zweier Gläubiger.

Den Pariser Club gibt es in dieser Form nicht deshalb, weil ein kollektiv mit einem Schuldner verhandelndes Gläubigerkartell die effizienteste Möglichkeit ist, zu einem für alle tragbaren Kompromiss zwischen den Ansprüchen des Gläubigers und dem Möglichkeiten des Schuldners zu kommen. Vielmehr gestattet er es den Gläubigern, über den Hebel der Gewährung oder Verweigerung von Schuldenerlassen im Zusammenwirken mit den jeweils obligatorischen Vereinbarungen des Schuldners mit dem IWF Einfluss auf die Wirtschaftspolitik von fast einhundert Staaten auf der ganzen Welt zu nehmen.

Die französische Regierung, für die der Club zudem auch noch eine wichtige prestigeträchtige Einrichtung in einer vom Angelsächsischen beherrschten Finanzwelt ist, hat keinerlei Interesse daran, an dem gegenwärtigen Arrangement etwas zu ändern. Und auch die anderen 18 Mitglieder, darunter prominent die Bundesregierung, versuchen derzeit, die Reformdebatten, die in den G20 vorsichtig begonnen haben, auf das Gleis einer Ausweitung des existierenden Pariser Club Formats zu manövrieren. Glücklicherweise zeigen andere G20-Mitglieder wie China wenig Neigung, nach der Pfeife der westlichen Club-Mitglieder zu tanzen.

Für die im Club „behandelten“ Schuldnerländer wäre die Abschaffung des Clubs dagegen der erste Schritt zu einem Verhandlungsformat, bei dem Unparteilichkeit und Rechtsstaatlichkeit im Mittelpunkt stehen.

Wie der Club im Einzelnen funktioniert, kann man in dem älteren Arbeitspapier Schuldenmanagement à la Louis XVI von erlassjahr.de nachlesen – oder sich als kleinen Doku-Spielfilm ansehen

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