Seit 1993 kann Deutschland auf die Rückzahlungen von Entwicklungshilfekrediten aus einigen Ländern des Globalen Südens verzichten, wenn das Partnerland im Gegenzug den gesamten oder einen Teilbetrag für mit dem BMZ vereinbarte Entwicklungsprojekte in nationaler Währung zur Verfügung stellt. Dieses Modell nennt man “Schuldenumwandlung”.
Die Regeln dafür, welche Länder und welche Vorhaben so gefördert werden können, sind im jährlichen Haushaltsgesetz festgelegt sowie in einem “Modalitätenpapier”, welches die auf deutscher Seite beteiligten Ressorts untereinander vereinbart haben. Die noch gültigen Modalitäten gehen auf das Jahr 2008 zurück. Mit Beginn der aktuellen Legislaturperiode wurde die Reform der Fazilität angekündigt, nicht zuletzt weil Schuldenumwandlungen im Kontext der globalen Klimafinanzierungsdebatte an Attraktivität gewannen. Nach zwei Jahren Diskussion zwischen den Ministerien liegt nun eine neue (unveröffentlichte), vor allem zwischen BMZ und BMF vereinbarte Fassung vor. Sie soll voraussichtlich mit dem Haushaltsgesetz 2025 in Kraft treten.
Schon in der Vergangenheit ist die Fazilität sowohl reformiert – als auch immer wieder blockiert – worden. Aus Sicht von erlassjahr.de wird das Potenzial der Fazilität auch nicht durch die aktuelle Reform ausgeschöpft.
Im Einzelnen:
- Der Plafonds von maximal 150 Millionen € bleibt unverändert.
- Der Kreis der begünstigten Länder wird über die bisher prinzipiell zugangsberechtigten Niedrigeinkommensländer und Länder mit niedrigem mittleren Einkommen auf Länder mit höheren mittlerem Einkommen (LICs und LMIC, sowie nun UMICs nach den Definitionen der Weltbank) ausgeweitet. Die Fazilität auf UMICs auszuweiten, war auch aus Sicht von erlassjahr.de einer der wichtigsten Reformvorschläge, gibt es doch keinen sinnvollen Zusammenhang zwischen dem Einkommensniveau eines Landes und der Sinnhaftigkeit einer Schuldenumwandlung. Sie kann in Argentinien oder Barbados ein ebenso sinnvolles Instrument sein wie in Burundi oder Bangladesch. Das ist jeweils von dem finanzierten Vorhaben und den politischen Umständen vor Ort abhängig, nicht aber vom durchschnittlichen Einkommen der Bevölkerung. Dass plötzlich die ganze Welt ihre Schulden bei Deutschland umwandelt verhindert schon das begrenzte jährliche Volumen von 150 Millionen Euro.
- Der Ausweitung wurde allerdings nur unter der Bedingung zugestimmt, dass UMICs bestimmte Zusatzkriterien erfüllen müssen, wozu neben der grundsätzlichen Qualifizierung für den Resilience and Sustainability Trust des IWF vor allem „Reformbereitschaft“ zählt – zu lesen als: ein IWF-Programm haben – denn sonst gelten sie nicht als würdiger Partner der Bundesregierung, der Unterstützung „verdient“. Immerhin wurde erreicht, dieses unsinnige Zusatzkriterium stark aufzuweichen, so dass sich am Ende doch viele UMICs werden qualifizieren können. So müssen Länder nicht zwingend ein IWF-Programm haben, es reicht auch die Absicht dazu, ohne dass näher spezifiziert ist, woran diese zu erkennen ist. Alternativ können sich auch UMICs qualifizieren, die eine Weltbank-Politikfinanzierung vereinbart haben. Fast alle Länder, welche Schulden aus der Entwicklungshilfe bei Deutschland haben, sind damit nun prinzipiell antragsberechtigt.
- Neben dieser Ausweitung ist die Umdrehung des bisherigen Überschuldungskriteriums die wichtigste Veränderung: Bislang mussten begünstigte Länder einen klaren Schuldenerlassbedarf nachweisen. Dies etwa dadurch, dass sie ein aktives Umschuldungsabkommen mit dem Pariser Club einschließlich einer so genannten Swap-Klausel hatten, oder sie mussten Schuldenindikatoren jenseits der damaligen HIPC-Schuldenobergrenzen (Schulden im Verhältnis zu den jährlichen Exporteinnahmen von mehr als 150% bzw. laufender Schuldendienst zu den Exporteinnahmen von 15%) aufweisen. Dieses Kriterium ging noch auf die Frühzeit der Fazilität 1992 zurück, als Schuldenumwandlungen noch als Instrument zur Wiederherstellung von Schuldentragfähigkeit im Krisenfall (miss)verstanden wurden. Die Geschichte der Fazilität wie auch die Erfahrungen anderer Länder mit ähnlichen Programmen haben indes gezeigt, dass Schuldenumwandlungen für eine Krisenbewältigung viel zu klein und zu kompliziert sind. Vielmehr können Umwandlungen besonders dann sehr effizient zur Entwicklungsfinanzierung beitragen, wenn die betroffenen Länder zwar Schulden haben, aber noch fiskalisch handlungsfähig sind. Schließlich müssen sie ja die Inlandswährung für die vereinbarten Vorhaben aufbringen. Sinnvoll wäre deshalb schlicht und einfach die Abschaffung dieses Kriteriums gewesen. Der Schuldenstand kann ein Hebel sein, um Umwandlungen im Einzelfall scheinbar objektiv blockieren zu können. Vermutlich deshalb wurde das Kriterium nicht abgeschafft, sondern einfach umgedreht: Künftig dürfen bestimmte, kompliziert definierte Schuldenhöhen nicht überschritten werden.
- Anders als zuvor sind nun nicht mehr feste Grenzwerte maßgebend, sondern die Schuldentragfähigkeitsanalysen von IWF (und Weltbank) und die darin enthaltenen Kategorisierungen des Überschuldungsrisikos. Für LICs und LMICs, deren Schuldentragfähigkeit nach dem Rahmenwerk für Niedrigeinkommensländer begutachtet wird, ist das noch einigermaßen einfach. Denn sie müssen nach den neuen Regeln vom IWF entweder mit einem niedrigen oder mittleren Überschuldungsrisiko eingestuft sein. Nicht so einfach ist das in Bezug auf LMICs und UMICs, die dem anderen Schuldentragfähigkeitsrahmenwerk des IWF zugeordnet sind, das die Schuldentragfähigkeit im Prinzip aller anderen Länder misst (das sogenannte SRDSF). Hier gibt es keine festgelegten Grenzwerte oder Kategorisierungen. Im Modalitätenpapier behilft man sich damit, indem man einfach bestimmte Obergrenzen aus dem Rahmenwerk für Niedrigeinkommensländer nimmt. An sich nicht verkehrt so vorzugehen, aber – Problem Nr. 2 – im SRDSF gibt es keine dezidierte Analyse der Auslandsverschuldung. Zentrales Konzept ist dort die gesamte öffentliche Verschuldung im In-und Ausland. Unter Umständen erhält man also aus den IWF-Analysen für diese Länder gar nicht die nötigen Daten, die man für die Qualifizierung braucht. Für diese Länder müsste man dann auf Auslandsschulden-Daten aus den International Debt Statistics der Weltbank zurückgreifen (die es aber nicht für alle UMICs gibt).
- Hinzu kommt, dass Schuldentragfähigkeitsanalysen des IWF nur nach ausdrücklicher Zustimmung des Schuldnerlandes öffentlich zugänglich gemacht werden. Damit kann es sein, dass Daten einzelner Länder auch deshalb nicht zur Verfügung stehen. Vorher konnten die Daten einfach aus der International Debt Statistics der Weltbank ermittelt werden, brauchte man die Schuldentragfähigkeitsanalyse des IWF ja nicht. Hier behilft man sich im Modalitätenpapier (falls keine Schuldentragfähigkeitsanalyse vorliegt), dass eine “entsprechende Dokumentation” ausreichend sei, was immer das heißen mag.
- Die schon auf den ersten Blick sehr willkürliche Umdrehung der bisherigen Zugangsbeschränkung wird noch weniger überzeugend dadurch, dass Ausnahmen im Fall von außerordentlichen Umständen, darunter Natur- oder Umweltkatastrophen, ermöglicht werden. Warum die Frage einer ausreichenden fiskalischen Handlungsfähigkeit des begünstigten Landes gerade dann keine Rolle mehr spielen soll, wenn das Land durch eine Naturkatastrophe schwer angeschlagen ist, ist rätselhaft: Entweder die Vorbedingung einer ausreichenden fiskalischen Handlungsfähigkeit macht Sinn oder sie ist ohnehin sinnlos (und kann daher nicht nur im Katstrophenfall ignoriert werden). Warum zudem ausdrücklich in solchen Fällen der Pariser Club vor Umsetzung einer Umwandlung konsultiert werden sollte, bleibt das Geheimnis der Autoren. Gerade, wenn nach Katastrophen die Zahlungsfähigkeit eines Schuldners gefährdet ist, hat selbstverständlich kein Gläubiger etwas dagegen, wenn konkurrierende Gläubiger auf Hartwährungsforderungen verzichten und damit die Wahrscheinlichkeit, dass man selbst bedient, wird, erhöht wird.
- Bei der letzten Reform 2008 erstritt das damalige BMZ eine gewisse Liberalisierung und Öffnung des Instruments dadurch, dass der Bundestag eine Notbremse einbauen konnte: Vor der Aufnahme von Verhandlungen im Einzelfall musste der Haushaltsausschuss des Bundestages zustimmen. Das führte dazu, dass der wichtigste Ausschuss des Parlaments in seiner allerletzten Sitzung des Jahres, in der er im Rennen gegen die Uhr die letzten Milliarden im Haushalt des kommenden Jahres zwischen den Ressorts hin- und herschiebt, darüber befinden musste ob 15 Millionen Euro für den Wiederaufbau eines nationalen Gesundheitslabors in El Salvador sinnvoll investiert sind oder eher nicht – ohne dass die meisten Mitglieder wussten, was es mit diesem komischen Salvator überhaupt auf sich hat. In den neuen Modalitäten ist nur noch von einer „Information des Haushaltsausschusses“ die Rede, während im Haushaltsgesetz selbst weiterhin die Zustimmung des Ausschusses eingefordert wird.
- Besonders skandalös aus Sicht von erlassjahr.de: dem Bundesfinanzministerium wird explizit ein Vetorecht eingeräumt – während in den alten Modalitäten stets von einer Abstimmung unter “den Ressorts” (gemeint: BMZ, BMZ, AA und BMWi sowie in der Regel auch deren Vorfeldorganisationen KfW und GIZ einbezogen wurden) die Rede war.
Es ist sehr bedauerlich, dass das Potenzial der Fazilität bei diesem Reformprozess nicht ausgeschöpft wurde und die konkrete Überarbeitung in der Praxis sogar die Anwendung der Fazilität im Einzelfall erschweren könnte. Denn noch immer ist Deutschland nur eines von drei Ländern, die über eine klar definierte Schuldenumwandlungspolitik verfügen und in Nord und Süd dafür zu Recht Anerkennung genießen.