Kleine Klage mit großer Wirkung? Der Fall Hamilton vs. Sri Lanka

Sri Lanka stellte im April 2022 nach jahrelangem Durchwurschteln unter dem Druck der Folgen von Pandemie und der russischen Invasion die Schuldendienstzahlungen an seine ausländischen Gläubiger ein. Schon im März begannen Massenproteste angesichts der grassierenden Wirtschaftskrise und Inflation. Seither hat die Krise u. a. zur Flucht und zum Rücktritt des von großen Teilen der Bevölkerung verachteten Präsidenten Gotabaya Rajapaksa geführt. 

Es war eine Pleite mit Ansage, denn schon seit 2021 spekulierten Investoren, wie lange Sri Lanka angesichts stetig sinkender Devisenreserven und hoher Schuldendienstbelastung den Default noch vermeiden kann. Entsprechend begannen sich Gläubiger auch schon frühzeitig auf mögliche Umschuldungsverhandlungen vorzubereiten. So schloss sich kürzlich bereits ein Gläubigerkommittee aus ca. 30 privaten Gläubigern, die Anteile an Anleihen aus allen bestehenden Serien halten, zusammen. Bekannt ist jedoch nicht, wieviel Prozent der Gesamtforderungen aus dieser Gruppe von diesem Verbund gehalten werden. 

Klar ist, dass nicht alle Gläubiger mögliche Umschuldungen akzeptieren wollen. Am 21. Juni erhob die Hamilton Reserve Bank Ltd. mit Sitz in St. Kitts und Nevis Klage vor dem Bundesbezirksgericht im südlichen Bezirk von New York auf vorzeitige Zahlung seiner Ansprüche. Klagegegenstand sind Tilgungs- und Zinszahlungen von rund 258 Millionen US-Dollar.

Die Klage ist insofern ungewöhnlich, als dass sich Sri Lanka zu dem Zeitpunkt noch nicht in Umschuldungsverhandlungen befand. Außerdem war die Anleihe, auf die sich die Klage bezieht, zum Zeitpunkt der Klage noch gar nicht fällig. Die Klage wurde zum einen mit der Ankündigung der Zahlungseinstellung im April durch die sri-lankische Regierung, zum anderen mit dem Verzug auf Zinszahlungen bei anderen Anleiheserien begründet. Daneben wirft der Kläger Sri Lanka die Verletzung der sogenannten pari passu-Klausel (also der gleichrangigen Behandlung von Gläubigern) vor – auch wenn diese gegenüber Hamilton noch gar nicht verletzt wurde. Begründet wird die Anschuldigung mit der Ankündigung der sri-lankischen Regierung, die im Inland gehaltenen Sri Lanka Development Bonds von dem Zahlungsstillstand und zukünftigen Schuldenumstrukturierungen auszuschließen. Am kommenden Freitag, dem 26. August, ist eine erste gerichtliche Sitzung zu der Klage anberaumt. 

Ob die Klage tatsächlich Erfolg hat ist unklar. Beobachter*innen sind skeptisch. Insgesamt handelt es sich zudem nur um einen Bruchteil der Gesamtverschuldung des Landes, die in den kommenden Umschuldungsverhandlungen zur Debatte steht. Sollte die Klage am kommenden Freitag erfolgreich angenommen werden, wird der Fall jedoch trotzdem größere Bedeutung bekommen. 

Sri Lanka mag zwar seine Zahlungen bereits eingestellt haben. Viele andere Länder kurz vor der Staatspleite zögern den unvermeidlichen Schritt einer Umschuldung jedoch weiter hinaus, indem sie durch mühsam zusammengekratzte Neufinanzierungen oder durch die Kürzung bei anderen Ausgaben den Schuldendienst weiter aufrechterhalten. Die Angst vor rechtlichen Risiken, die durch einen Erfolg der Klage gegen Sri Lanka weiter geschürt würde, könnte Regierungen kritisch verschuldete Länder weiter davon abhalten, den unvermeidbaren Schritt einer Zahlungseinstellung zu gehen. Insbesondere auch deshalb, weil, wie empirische Untersuchungen zeigen, Rechtsstreitigkeiten um Forderungen den Zugang zum Kapitalmarkt beeinträchtigen können. Angesichts angespannter Haushalte ist das etwas, was Regierungen (auch wenn sie den Zugang zum Kapitalmarkt zu erschwinglichen Bedingungen eh schon verloren haben) unter allen Umständen zu vermeiden versuchen. Denn anders als für Unternehmen und Privatpersonen gibt es für Staaten keinen Vollstreckungsschutz im Falle einer Insolvenz. 

Zudem erhöht ein rechtliches Vorgehen die Verhandlungsposition von Gläubigern gegenüber anderen Gläubigern: So hat beispielsweise Venezuela aus Angst vor rechtlichen Schritten die Forderungen seiner Anleihegläubiger stets pünktlich und vollständig bedient, obwohl das Land andere Gläubiger – wie Russland und China – nicht weiter bediente und obwohl die finanziellen Mittel für den Import von Basisgütern fehlten. 

Da Sri Lanka seine Zahlungen bereits eingestellt hat, könnte der Klageprozess vor allem die kommenden Umschuldungsverhandlungen empfindlich stören. So könnten auch andere Anleihehalter ermutigt werden, den Klageweg zu beschreiten. Oder es könnte, sollte Sri Lanka sich mit Hamilton einigen bzw. Hamilton ausbezahlen, zu einer Ungleichbehandlung gutwilliger Gläubiger führen, deren Bereitschaft zu konstruktiven Umschuldungsverhandlungen dadurch geschwächt würde. 

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Unterstützung für die Ukraine: Welche Rolle spielen Schuldenerlasse?

Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine sind genau fünf Wochen vergangen. Ein Kriegsende ist noch nicht absehbar. Die internationale Gemeinschaft mobilisiert im Eilverfahren Milliardensummen, um der Ukraine in ihrer Gegenwehr finanziell unter die Arme zu greifen. Der ukrainische Staat steht gleichzeitig mit mehr als 56 Milliarden US-Dollar bei ausländischen Gläubigern in der Kreide. 25 Milliarden US-Dollar bestehen gegenüber internationalen Anleihegläubigern, danach folgen der IWF mit mehr als 13 Milliarden US-Dollar und die Weltbank mit 6 Milliarden US-Dollar. Einzelne Petitionen rufen nun fast reflexartig zu einem sofortigen Schuldenerlass für die Ukraine auf. Doch die ukrainische Regierung lehnt Schuldenrestrukturierungen bislang ab und beteuert die pünktliche Bedienung seiner Schuldendienstverpflichtungen. Sind Schuldenerlasse zum jetzigen Zeitpunkt hilfreich oder schädlich?

Kriegsanleihen statt Schuldenerlasse?

Die Ablehnung der ukrainischen Regierung resultiert zunächst aus der pragmatischen Notwendigkeit, Mittel für die Militärkasse mobilisieren zu wollen. Das versucht die Ukraine auch mit der Platzierung von Kriegsanleihen, die sich mit dem Image eines guten und pünktlich zahlenden Schuldners, der das Recht seines Gläubigers auf Rückzahlung trotz Kriegssituation schützt, besser verkaufen lassen.

Eine Zahlungseinstellung bedeutet im Normalfall einen mehr oder weniger kurzfristigen Ausschluss von internationalen Kapitalmärkten, dessen Zugang durch eine ausreichend umfassende Regelung, die die Schuldentragfähigkeit eines Landes glaubhaft wieder herstellt, konsequenterweise wiedererlangt werden kann. Sollte die Ukraine in der aktuellen Lage Aussicht darauf haben, durch ihre Kriegsanleihen rasch deutlich mehr Mittel mobilisieren zu können als gleichzeitig an Schuldendienst zu leisten ist, stünde das Ersuchen von Schuldenerleichterungen der Erreichung unmittelbarer besserer finanzieller Handlungsfähigkeit im Wege. Doch faktisch ist das Land derzeit bereits vom internationalen Kapitalmarkt ausgeschlossen, Anleihen am internationalen Finanzmarkt kann das Land nicht platzieren. Bislang hat die Ukraine im März Schätzungen zufolge umgerechnet 500 Millionen US-Dollar auf lokalen Märkten durch seine Kriegsanleihen mobilisiert, Interesse von internationalen Investoren gibt es kaum. Gleichzeitig muss das Land 2022 allein an private ausländische Gläubiger mehr als 3,5 Milliarden US-Dollar zurückzahlen.

Internationale Solidarität in Form von Neukrediten

Anders als private Investoren stellten vor allem multilaterale Finanzinstitutionen unbürokratisch und rasch finanzielle Hilfen bereit – der Internationale Währungsfonds (IWF) überwies am 9. März etwa 1,4 Milliarden US-Dollar an Kiew, die Weltbank schnürte rasch ein Paket über 723 Millionen US-Dollar mit der Ankündigung, mindestens 3 Milliarden US-Dollar in den nächsten Monaten an Unterstützung leisten zu wollen, die European Investment Bank (EIB) widmete 668 Millionen US-Dollar für die sofortige Nothilfe um. Doch diese Mittel kommen hauptsächlich in Form von Krediten – nur ein sehr geringer Teil der Weltbankmittel besteht in Form von Zuschüssen. Während die Ukraine von Weltbank und EIB netto mehr Mittel erhält als es an diese 2022 zurückzahlen muss, sieht es beim IWF anders aus – mehr als 2,3 Milliarden US-Dollar werden 2022 fällig.

Die Ukraine muss bis 2023 auch mehr als 400 Millionen US-Dollar an sogenannten „Surcharges“ an den IWF zahlen, Strafzinsen, die der IWF erhebt, wenn Länder, die in besonderen Notlagen sind, stärker als gedacht auf IWF-Kredite zurückgreifen müssen.

Eine Praxis, die von Zivilgesellschaft und anderen Entwicklungsexpert*innen kritisiert wird und deren Abschaffung auch unter IWF-Mitgliedern Sympathisanten findet, bislang jedoch u. a. von der Bundesbank, die den deutschen IWF-Exekutivdirektor stellt, verhindert wurde.

Insgesamt muss die Ukraine im Jahr 2022 mehr als 7 Milliarden US-Dollar an Schuldendienstzahlungen an seine ausländischen Gläubiger leisten.

Sofortige Schuldenerlasse als Gebot der Solidarität?

Angesichts der existenzbedrohenden Lage, in der sich die Ukraine befindet, ist der Ruf nach sofortigen Schuldenstreichungen, begründet mit einer moralischen Verpflichtung, nachvollziehbar. Ein Schuldenerlass im Sinne von konkreten Schuldenstreichungen in einer noch andauernden Kriegssituation, in der ein Regimewechsel nicht ausgeschlossen werden kann, bedeutet jedoch möglicherweise einer russischen Marionettenregierung einen komfortablen Neustart zu ermöglichen. Hinzu kommt, dass die aktuelle Unterstützung, die in Form von Krediten gewährt wird, nicht Teil eines solchen Schuldenerlasses wäre. Es ist jedoch fraglich, inwieweit ein traumatisiertes und zerstörtes Land mit einer aus dem Krieg bestehenden Schuldenlast den Wiederaufbau leisten soll. Ist das moralische und politische Kapital für Schuldenerleichterungen bereits zu Beginn des Krieges verbraucht, wird es unweit schwerer, nach Ende des Krieges erneut Schuldenstreichungen für die Ukraine einzufordern – die ja schließlich so großzügig und solidarisch von ihren Kreditgebern unterstützt wurde. Sinnvoller ist es, dass sich die internationale Gemeinschaft, allen voran der IWF und die G7-Staaten, politisch auf folgenden Ablauf einigen:

  1. Sofortige Durchsetzung eines umfassenden Schuldenmoratoriums für die Ukraine, solange der Krieg andauert.

Während Milliardenhilfen mobilisiert werden, wurde der Ukraine von ihren öffentlichen Gläubigern bislang keine Aussetzung des anfallenden Schuldendienstes in Aussicht gestellt. Dabei könnte ein solches Moratorium sicherstellen, dass keine dringend benötigten Gelder das Land verlassen und die im Haushalt für den Schuldendienst budgetierten Mittel unmittelbar für Ausgaben in der Ukraine selbst verwendet werden können. Durch ein solches Moratorium würde die Gültigkeit der Forderungen erst einmal nicht angetastet. Schon lange fordern zivilgesellschaftliche Organisationen die Schaffung eines automatischen Mechanismus für ein Schuldenmoratorium nach einem katastrophalen externen Schock, was sowohl militärische Aggressionen wie auch Klimakatastrophen einschließen kann. Mit einem politisch vereinbarten, automatisch eintretenden Moratorium würde man das Stigma aus der Gleichung streichen, welches mit Zahlungseinstellungen behaftet ist und welches Schuldnerländer wie sonst nichts fürchten, weshalb sie ihren Schuldendienst unter Inkaufnahme hoher wirtschaftlicher Kosten und gesellschaftlicher Polarisierung lieber weiter bedienen.

Medienberichten zufolge ermutigten Investoren die ukrainische Regierung, die Zahlungen auf fällige Zinszahlungen einfach einzustellen, der Markt würde es den Ukrainern schon verzeihen. Wenn die Ukraine unilateral die Entscheidung trifft, Schuldendienstzahlungen einzustellen, muss sie letztlich jedoch auch damit rechnen, dass ihre Gläubiger ihr dafür saftige Strafzinsen berechnen. Angesichts der nur geringen neuen Mittel, die die Ukraine durch ihr Auftreten als „guter Schuldner“ bereits mobilisieren konnte, könnte die unilaterale Zahlungseinstellung für die Ukraine trotzdem noch die beste Wahl unter schlechten Alternativen sein. Besser wäre es jedoch, wenn die relevanten Gläubiger der Ukraine ein solches Moratorium offiziell anbieten würden.

Als öffentlicher Gläubiger der Ukraine und durch die diesjährige deutsche G7-Präsidentschaft könnte die Bundesregierung einen wichtigen Anstoß zu einem solchen Schritt geben. Abgesehen davon, dass die G7-Staaten ihre eigenen öffentlichen Schuldendienstforderungen aussetzen sollten, wäre dabei zweierlei zentral: Erstens sollten die G7-Staaten auch die privaten Gläubiger verbindlich dazu verpflichten, der Ukraine ein entsprechendes Moratorium zu gewähren. Unmittelbar könnte die Uneintreibbarkeit privater Forderungen zum Beispiel durch exekutive Dekrete an den wichtigen Finanzplätzen New York und London durchgesetzt werden, wie sie etwa US-Präsident George W. Bush in Bezug auf den Irak 2004 erlassen hatte. Zweitens sollten sich die G7-Staaten als wichtigste Anteilseigner von IWF und Weltbank dafür einsetzen, dass auch diese multilateralen Gläubiger in dieser besonderen Situation von ihrer üblichen Haltung eines vorrangig zu bedienenden Gläubigers abweichen und sich ebenfalls an einem Moratorium beteiligen.

  1. Nach Kriegsende Schuldenkonferenz zur umfassenden Regelung der Altschuldenlast

Nach Kriegsende ist angesichts der umfassenden Zerstörung kein Szenario denkbar, in dem die Ukraine sich in einer wirtschaftlich und fiskalisch tragbaren Situation befinden wird. Dann ist der Moment, in dem das Land eine umfassende Regelung der Auslandsschulden, die substantielle Schuldenerlasse beinhalten muss, benötigt. Neben umfassender Wiederaufbauhilfe, wie sie die Europäische Union schon jetzt mit der Idee eines Ukraine Solidarity Trust Funds diskutiert, muss es eine Schuldenkonferenz geben, die alle Gläubiger und alle Forderungen einschließt und die darauf abzielt, eine Lösung zu finden, die die Schuldentragfähigkeit unter Berücksichtigung der nötigen Investitionen für den Wiederaufbau einschließt.

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IWF: Common Framework der G20 bisher ungenügend

Am 2. Dezember veröffentlichte der IWF einen Blogbeitrag, in dem er bemerkenswert deutlich darlegt, wie wenig geeignet das Common Framework der G20 für die Lösung der aktuellen Schuldenkrise ist. Tatsächlich warnt der IWF vor einem regelrechten Kollaps von vielen einkommensschwachen Ländern, die nach Ende des G20-Schuldenmoratoriums DSSI ihre Schuldendienstzahlungen wieder aufnehmen müssen. Eindringlich fordert er die G20 auf, das Rahmenwerk rasch auszubessern und argumentiert damit gegen den auch von der Bundesregierung vertretenen G20-Diskurs, Geduld zu haben und dem Rahmenwerk die Zeit zu geben, die es eben brauche.

Der IWF gibt konkrete Empfehlungen, wie das Rahmenwerk auszubessern wäre:

  • Es brauche ein umfassendes Schuldenmoratorium für die Dauer der Common-Framework-Verhandlungen, um den Schuldner während der Verhandlungen zu entlasten und einen Anreiz für eine rasche Umschuldung zu bieten.

Dies ist ausdrücklich zu begrüßen und auch ein zentraler Bestandteil von Vorschlägen für ein Staateninsolvenzverfahren. Allerdings reicht es nicht aus, wenn der Schuldner nur bei den G20-Staaten seinen Schuldendienst während der Verhandlungen aussetzen kann. Damit der Verzicht der G20 nicht dazu führt, dass Nicht-G20-Gläubiger umso sicherer ihren Schuldendienst erhalten – und dadurch überhaupt keinen Anreiz haben, sich an Umschuldungen zu beteiligen – müssen Schuldnerländer auch ihren Schuldendienst bei privaten und multilateralen Gläubigern einstellen können, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Doch während der knapp zweijährigen Laufzeit der DSSI hat die G20 es nicht geschafft, private und multilaterale Gläubiger in das Schuldenmoratorium einzubeziehen. Wie dies nun im Rahmen des Common Framework gelingen soll, dazu schweigt der IWF.

  • Es müsse mehr Klarheit darüber geschaffen werden, wie im Common Framework Gleichbehandlung effektiv erzwungen wird, inklusive, falls nötig, durch die Umsetzung von Möglichkeiten des IWF in seiner Kreditvergabepolitik bei Zahlungseinstellungen.

Zuallererst ist dies das erste öffentliche Eingeständnis, dass die G20-Staaten (unterstützt vom IWF) sich und dem Schuldnerland mit der sogenannten „Gleichbehandlungsklausel“ etwas vorgemacht haben. Die G20 argumentierte bei Schaffung des Common Framework im November 2020, dass bei richtigen Umschuldungsverhandlungen der Privatsektor durch die Vorgabe der Gleichbehandlung garantiert einbezogen werden kann. Wie erwartet, gestaltete es sich für Schuldner jedoch schwierig, ohne eine Rechtsgrundlage oder sonstige Hilfsmittel ihre privaten Gläubiger davon zu überzeugen, zu den G20 gleichwertige Schuldenerleichterungen hinzunehmen. Zum ersten Mal wird nun von einer Institution, die das Common Framework umsetzt, öffentlich eingestanden, dass man Gleichbehandlung gegebenenfalls erzwingen muss – vor wenigen Monaten noch undenkbar.

Mit der etwas technischen und gleichzeitig vagen Formulierung zur “Kreditvergabepolitik bei Zahlungseinstellungen” (“IMF arrears policies”) deutet der IWF auf eine aus erlassjahr.de-Sicht zentrale Handlungsmöglichkeit sowohl der G20 als auch des IWF hin, um Gleichbehandlung nötigenfalls zu erzwingen. Nämlich dass ein Schuldnerland, sollten sich private oder bilaterale Gläubiger verweigern, seine Zahlungen an diese einstellen kann. Im Rahmen seiner sogenannten Lending into Arrears Policy kann der IWF Kredite auch dann zur Verfügung zu stellen, wenn sich das Schuldnerland im Zahlungsverzug gegenüber privaten oder öffentlichen Gläubigern befindet – und somit das Schuldnerland in seiner Konfrontation von blockierenden Gläubigern unterstützen. Gleiches gilt für die G20-Staaten: Sie könnten das Land politisch und finanziell bei der Zahlungseinstellung unterstützen und ihren eigenen Schuldenerlass gewähren, solange das Land im Zahlungsverzug gegenüber den blockierenden Gläubigern bleibt. So kann auch ein Anreiz geschaffen werden, dass restrukturierungsunwillige Gläubiger an den Tisch kommen. Darüber hinaus können G20-Staaten – vor allem die G7-Jurisdiktionen – auf nationaler Ebene gesetzliche Regeln schaffen, die das Schuldnerland bei Klagen seiner Gläubiger schützen.

Doch so klar und deutlich, wie die Möglichkeiten konkret für Schuldner und G20 aussehen, um Gleichbehandlung zu erzwingen und vor allem entsprechend auch Klarheit für Nicht-G20-Gläubier zu schaffen, wird der IWF leider nicht.

  • Zu guter Letzt sollte das Common Framework auf andere hoch verschuldete Länder ausgeweitet werden. Zeitige und geordnete Umschuldungen seien gleichermaßen im Interesse von Schuldner und Gläubiger.

Auch wenn sich die Bundesregierung zu Beginn der DSSI noch für die Ausweitung der Initiative(n) auf alle hoch verschuldeten Länder ausgesprochen hat, wurde nach dem ersten verlorenen Kampf innerhalb der G20 rasch resigniert und die globale Schuldenkrise – und ihre Lösung – auf ein Problem der einkommensschwächsten Länder reduziert. Auch durch den IWF. Dass auch Mitteleinkommensländer rasche und umfassende Schuldenerleichterungen benötigen werden, ist ein richtiges und wichtiges Eingeständnis, das allerdings zwei Jahre zu spät kommt.

Bemerkenswert ist auch, wie offen der IWF das Dilemma beschreibt, vor dem kritisch verschuldete Länder stehen, nämlich entweder zentrale öffentliche Ausgaben zu kürzen oder ihre Schuldendienstzahlungen einzustellen. Auch wenn bitter aufstößt, dass der IWF in seinen individuellen Länderprogrammen Schuldnerländern standardmäßig weiterhin empfiehlt, öffentliche Kürzungen im eigenen Land vorzunehmen und Rückzahlungsverbindlichkeiten pünktlich nachzukommen, um die Gunst privater Gläubiger nicht zu verlieren, anstatt offensiver Umschuldungen zu empfehlen.

Unklar bleibt, ob IWF und G20 den Stier endlich bei den Hörnern packen. Schon zuvor gab sich die IWF-Spitze regelmäßig krisenbewusst, doch Reformen blieben aus. Wie der IWF selbst sagt: Es ist keine Zeit mehr zu verlieren.

Was wäre gewesen, wenn? Ein Blick auf das Jubiläum der historischen UN-Resolution für ein Staateninsolvenzverfahren

Die Entschuldungsbewegung hat schon viele Höhen und Tiefen erlebt. Vor genau 7 Jahren, am 9. September 2014, gab es ein Allzeithoch, als die Entwicklungsländergruppe der Vereinten Nationen, die „G77 und China“, unter dem Eindruck einer kollektiven Bedrohung durch ihre Verschuldung und klagewütige Gläubiger eine Resolution in die Generalversammlung der Vereinten Nationen zur Schaffung eines globalen Staateninsolvenzverfahrens einbrachte. Die Resolution wurde damals mit 124:11 Stimmen bei 41 Enthaltungen angenommen. Damit sollte bis September 2015 ein rechtlich verbindlicher Rahmen für eine geordnete Staateninsolvenz geschaffen werden. Doch es kam anders: Länder des Globalen Nordens, darunter auch Deutschland, weigerten sich, an dem Diskussionsprozess der folgenden 12 Monate überhaupt teilzunehmen. Rasch bröckelte dann auch das Durchhaltevermögen der G77. Am Ende wurden lediglich Prinzipien für geordnete Umschuldungen verabschiedet, die seither weitestgehend in der Schublade verschwunden sind.

Ähnlich dem Schicksal des Sovereign Debt Restructuring Mechanism des Internationalen Währungsfonds (IWF) von Anfang der 2000er Jahre waren geordnete Entschuldungsverfahren erstmal wieder kein Thema mehr. Dann aber kam die Bedrohung durch die beispiellosen wirtschaftlichen Verwerfungen der Corona-Pandemie. Der politische Druck, diese zentrale Lücke in der globalen Finanzarchitektur zu schließen, kam plötzlich mit Wucht zurück. Die Schaffung der DSSI und des Umschuldungsrahmenwerks Common Framework der G20, sind beides Zeugnis und Anerkennung der Gläubiger zugleich, dass die Finanzarchitektur nicht ausreichend für die nächste große Krise gerüstet war. Beide Initiativen sind Versuche, diese Lücke zu schließen. Sie kommen jedoch bei weitem nicht an die Idee eines fairen, umfassenden Staateninsolvenzverfahrens heran und bleiben damit Provisorien mit erheblichen Mängeln.

Bei der IWF-Frühjahrstagung im April 2021 drückte IWF-Chefin Kristalina Georgieva ihr Bedauern darüber aus, dass angesichts der globalen Krise umfassendere Reformen nicht „in einfacheren Zeiten“ durchgesetzt worden waren. Was wäre wohl gewesen, wenn die reicheren Mitglieder der internationalen Staatengemeinschaft vor 7 Jahren die G77 ernster genommen hätten? Wenn innerhalb der vorgesehenen 12 Monate ein durch UN-Beschluss legitimiertes umfassendes Staateninsolvenzverfahren geschaffen worden wäre? Welche Perspektiven hätten die mehr als zwei Dutzend Länder, die bereits im Zahlungsausfall sind oder an seinem Rande entlangtaumeln, heute haben können? Spielen wir das doch einmal durch:

  • Die neu geschaffenen Regeln und Verfahren hätten frühzeitig und außerhalb einer globalen Krise, wie wir sie derzeit erleben, getestet und weiterentwickelt werden können. Bis heute gibt es nicht eine einzige abgeschlossene Umschuldung unter dem Common Framework. Die G20 rechtfertigen ihre Schockstarre damit, dass sich das Rahmenwerk erst beweisen müsse – wofür es Zeit brauche. Zeit, die inmitten einer Krise allerdings nicht verfügbar ist. Hätte man unter einem geordneten Verfahren schon damals das kleine hochverschuldete Barbados oder den nicht ganz so kleinen Libanon entschuldet, hätte man bei Beginn der Pandemie 2020 schon gewusst, was geht und was noch verbessert werden muss.
  • Der in der aktuellen Krise wohl wichtigste Effekt: Zahlungseinstellungen und der frühzeitige Beginn von Umschuldungsverhandlungen wären nicht mit einem Stigma behaftet, welches Länder aktuell dazu veranlasst, das Unvermeidliche auf Kosten der wirtschaftlichen und sozialen Erholung hinauszuzögern. Nicht mehr die kurzfristigen Einnahmeerwartungen einzelner, insbesondere privater Gläubiger hätten Vorrang, sondern die langfristige Erholung des Schuldners zum Wohle aller. Dem vor allem von Privatgläubigern gepflegten und vom IWF in seinen Kreditprogrammen unterstützten Argument, dass es der einzig nachhaltige Weg sei, wenn der Schuldner nur immer weiterzahle, wäre entsprechend der Boden entzogen worden.
  • UN-Regeln gelten für alle Staaten gleichermaßen. Deswegen wäre der Zugang zu geordneten Verhandlungen nach Entlastungsbedarf, und nicht nach dem unsinnigen Kriterium des Pro-Kopf-Einkommens geregelt gewesen. Damit wäre die absurde Situation vermieden worden, dass die G20 heute Ländern Entschuldung anbieten, die sie gar nicht brauchen, während „zu reiche“ hochverschuldete Länder von allen Schuldenerleichterungen ausgeschlossen sind – obwohl die Krise sie genauso hart oder noch härter trifft.
  • IWF, Weltbank und Co. wäre die gefährliche Situation erspart geblieben, dass ihre Finanzierungen den laufenden Schuldendienst an private Gläubiger sicherstellen, dadurch aber ihr eigenes Portfolio immer riskanter wird – genau wie seinerzeit vor dem Einsetzen der HIPC-Initiative.

Nun ist die Geschichte der Entschuldung davon geprägt, dass weder in „einfacheren Zeiten“ noch inmitten von Krisenzeiten Reformen durchgebracht werden. Denn in einfacheren Zeiten tun politische Entscheidungsträger*innen gerne so, als seien Krisen ein für alle Mal aus der Welt geschafft. Die dann trotzdem ganz sicher eintretenden Krisen treffen die Gläubigergemeinschaft dann völlig unvorbereitet, sodass hektischer Aktionismus dominiert, und nicht die nüchterne Rückbesinnung auf Konzepte, die schon seit Jahrzehnten immer von neuem diskutiert werden. Diese Gefahr der Verdrängung besteht auch heute wieder: Angesichts der mittels Moratorium und massenhaft zusätzlicher Liquidität erreichten trügerischen Entschärfung der erwarteten Staatspleitenwelle besteht inmitten der größten Krise des Jahrhunderts die Gefahr, dass politische Entscheidungsträger*innen die Schuldenkrise wieder zu schnell ad acta legen – und wir wieder mal die Chance auf echte Reformen, die sich aus ihr hätten ergeben können, vergeuden.

HIPC-Entschuldung: Von Birmingham nach Khartoum

2019 wurde eines der brutalsten diktatorischen Regime durch einen gewaltfreien zivilen Widerstand von Millionen junger Menschen gestürzt. Nach 30 Jahren brutaler Führung musste der Kriegsverbrecher Omar al-Bashir im Sudan abdanken. Fast genauso lang ist das ostafrikanische Land schon für die 1996 geschaffene multilaterale Entschuldungsinitiative für hoch verschuldete arme Länder, die HIPC-Initiative, qualifiziert. 37 Länder haben die Initiative bislang durchlaufen, für die meisten HIPC-Länder ist die Initiative schon seit langer Zeit Geschichte. Einige wenige aussichtslose Pariastaaten verblieben auf der HIPC-Liste. Doch nach dem Umsturz 2019 ging plötzlich alles ganz schnell: Streichung von der Terrorliste der USA, Begleichen der hohen Zahlungsrückstände bei IWF und Co. und am 29. Juni Eintreten in die HIPC-Initiative als der größte Entschuldungsfall der Initiative. Der hohe Schuldenberg, das meiste davon seit Mitte der 1980er Jahre nicht mehr bedient, ist eines der größten Hindernisse auf dem Weg der Erholung.

Beteiligungsmöglichkeiten für Zivilgesellschaft

In einigen vergangenen HIPC-Fällen spielte die zivilgesellschaftliche Beteiligung am Prozess eine große Rolle. Das Sudan-Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung hat daher am gestrigen und heutigen Tag sudanesische Zivilgesellschaft – unter strengen Corona-Regeln – zu einer Konferenz in Khartoum geladen, um über den HIPC-Prozess und Beteiligungsmöglichkeiten für Zivilgesellschaft zu informieren. Für erlassjahr.de war es das erste Mal seit Beginn der Pandemie, in ein Flugzeug zu steigen und Vorort-Gespräche zu führen.

Gestern wurden die mehr als 50 Teilnehmer*innen u. a. aus Gewerkschaft, Jugendorganisationen, Frauengruppen und ziviler Regierung zuerst im Detail über den Ablauf des HIPC-Prozesses und die Schuldensituation des Sudan informiert. Die Teilnehmer*innen ließen sich nicht von „HIPC thresholds“, dem „Common Reduction Factor“ oder „Cologne Terms“ entmutigen. Auch nicht der Übersetzer, der jegliche Beiträge konsekutiv ins Arabische übersetzen musste, schweißgebadet waren wir beide trotzdem. Nach den technischen Details des Prozesses erinnerte ein Teilnehmer an die Menschenkette in Birmingham 1998, die Vorläuferproteste zum Kölner Gipfel 1999, an denen er teilgenommen hatte. An die globale Solidarität, an das, was möglich ist, wenn Menschen mit einem gemeinsamen Ziel zusammen kommen. Dass es nicht nur die Politiker*innen in Wahshington sind, die entscheiden. Mehr als 20 Jahre später wirkt der Geist der weltweiten Jubilee-Bewegung auch nun in Khartoum.

Die Chance ergreifen

Erfahrungen aus Bolivien, einem der größten zivilgesellschaftlichen Beteiligungsprozesse in der HIPC-Initiative überhaupt, wurden in einem aufwändig produzierten Video eingespielt. Adriano Nuvunga aus der ehemaligen HIPC-Erfolgsgeschickte Mosambik predigte unentwegt „don’t wait to be invited, seize the moment“. „Seize the moment“ bleibt als Motto für den heutigen zweiten Tag, an dem auch IWF und sudanesisches Finanzministerium teilnehmen.

G20-Finanzminister in Venedig: Auf zur nächsten Pandemie

Heute fand der Gipfel der G20-Finanzminister*innen unter der Präsidentschaft Italiens in Venedig statt. Eine Woche zuvor hatte die IWF-Chefin Kristalina Georgieva die geringen Fortschritte bei den bisherigen G20 Schuldenerlassmaßnahmen beklagt, der deutsche Entwicklungsminister Müller beim Gipfel der G20 Außen- und Entwicklungsminister*innen die Notwendigkeit von Schuldenerlassen betont. In der heutigen Pressekonferenz zum Finanzministergipfel hält der italienische Gastgeber entgegen, dass – jetzt, da die DSSI nun langsam zum Ende komme – das Common Framework for Debt Treatments beyond the DSSI der G20 erfreulicherweise wie geplant in Gang komme und die G20 somit umfassende Unterstützung für „gefährdete Länder“ böten.

Entsprechend widmet die G20 den Fortschritten in den bestehenden Common Framework-Fällen einen langen Abschnitt im Communiqué. Zuvor hieß es, wenn sich das Common Framework nur in den ersten Fällen beweisen könne, dann würde man auch Fortschritte etwa bei der Ausweitung in der Ländergruppe erzielen können. Mehr als ein Deckmantel für das Fehlen substantieller Fortschritte sind die Ausführungen im Communiqué jedoch nicht: Tatsächlich hat sich im Vergleich zu den anderen beiden Finanzministertreffen im Februar und April praktisch nichts getan. Kein einziges zusätzliches Land hat seitdem eine Umschuldung beantragt, kein einziges der bislang involvierten Länder (Tschad, Äthiopien, Sambia) hat eine Umschuldung abgeschlossen. Gleichzeitig werden die Stimmen immer lauter, Ländern nach ihrer „Gefährdung“ Zugang zu Unterstützung zu gewähren – weiterhin gibt es auch hier keinen Fortschritt bei der G20. Sri Lanka, das sich nicht für DSSI und Common Framework qualifiziert, könnte schon Ende des Monats das Scheitern des „umfassenden Unterstützungsrahmens für gefährdete Länder“ aufzeigen.

Fast ein halbes Jahr nach Beantragung einer Umschuldung tut sich zwar endlich ein bisschen was in Äthiopien und dem Tschad. Doch der Tschad wird für die so dringend benötigten Erfolge im Hinblick auf die Einbeziehung privater Forderungen zur Zerreißprobe. Eigentlich wettete die G20 darauf, dass der Tschad aufgrund der vergleichsweise geringen Komplexität im Gläubigerprofil ein vielversprechender Testfall für die erfolgreiche Umsetzung des Common Framework sein würde. Doch der Schweizer Rohstoffkonzern Glencore, der wichtigste Privatgläubiger des Tschad, hatte seine Forderungen erst vor wenigen Jahren umgeschuldet – und scheint aktuell nicht bereit, dem Wunsch der G20 nach Gleichbehandlung zu folgen. Natürlich wünschen sich die Finanzminister*innen im Communiqué erneut, dass die Privaten auch mitmachen sollen. Das haben sie auch schon beim letzten, vorletzten, vorvorletzten und vorvorvorletzten Mal getan. Eine entschlossene und deutliche Ansage an nicht kooperationsbereite Gläubiger, selbst alles rechtlich und politisch Mögliche zu tun, um Schuldnerländer bei der Konfrontation mit diesen zu unterstützen gibt es jedoch nicht – wie beim letzten, vorletzten, vorvorletzten und vorvorvorletzten Mal.

Am Freitag bereits tagte das G20 High Level Independent Panel on Financing the Global Commons for Pandemic Preparedness and Response. Das Gremium, besetzt mit politischen und wissenschaftlichen Größen, wurde im Januar eingerichtet, um schon einmal die Antwort auf die nächste Pandemie vorzubereiten. Angesichts der fehlenden Handlungsfähigkeit der G20 schlugen die Expert*innen den G20-Finanzminister*innen vor, dass sie bei der nächsten Pandemie vielleicht lieber den IWF darum bitten, geordnete Entschuldungsverfahren zu schaffen. Ein Mechanismus könne laut des Papiers sicher schon in den nächsten 12 Monaten entwickelt werden. Der im Papier vorgestellte Vorschlag eines umfassenden und geordneten „debt service relief framework“ fließt ein in die Empfehlungen für ein Sondertreffen der G20-Finanz- und Gesundheitsminister*innen Ende Oktober. Dieses soll vor dem Gipfel der G20-Staats- und Regierungschef*innen stattfinden und konkrete Vorschläge für einen neuen “Global Deal” im Pandemiezeitalter beraten und verabschieden. Ein echter Fortschritt wäre es, die aktuellen Diskussionen um einen Gefährdungsindex aufzugreifen und einen Mechanismus zu schaffen, der im Falle von Krisen ein automatisches Schuldendienstmoratorium, gefolgt von Umschuldungen vorsieht, deren Zugang nach Gefährdungskriterien und nicht mehr nach dem völlig unsinnigen Einkommenskriterium geregelt werden würde. Dafür können die Gesundheits- und Finanzminister*innen im Oktober die Weichen stellen – allerdings besser nicht erst für die nächste Pandemie.

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Viel Pomp in Paris – Der „Africa Financing Summit“

Gestern fand der „Summit on Financing African Economies“ in Paris statt, zu dem der französische Präsident mehr als 30 Staats- und Regierungschefs und Vertreter*innen internationaler Organisationen einlud. Ziel war die Mobilisierung neuer finanzieller Mittel für den durch die pandemiebedingte Rezession gebeutelten Kontinent sowie die Diskussion über den Umgang mit der Schuldenlast. Druck für substanzielle Fortschritte bei letzterem, etwa im Umgang mit kritisch verschuldeten Ländern, die bislang aus den G20-Schuldenerlassinitiativen ausgeschlossen bleiben, wie dem Gipfelteilnehmer Tunesien, gab es jedoch offenbar nicht. Zu Beginn der Pandemie, im April 2020, veröffentlichten 18 europäische und afrikanische Staats- und Regierungschefs ein Statement, in dem unter anderem Emmanuel Macron und Angela Merkel ein Schuldenmoratorium auf alle Schuldendienstzahlungen, inklusive Forderungen multilateraler Geber bis zum Ende der Pandemie fordern. Später im Jahr forderten afrikanische Finanzminister*innen über die G20 DSSI deutlich hinausgehende Erleichterungen, afrikanische Parlamentarier*innen initiierten die „Debt Cancellation Campaign Initiative“ (DCCI) als Gegenstück zur DSSI, um auf die Notwendigkeit von echten Streichungen aufmerksam zu machen. Doch von der Aufnahme der Forderungen aus Afrika war in der Berichterstattung zum Gipfel nicht viel zu sehen. Noch im April blockierte insbesondere die Europäische Union Reformvorschläge im UN Financing for Development Forum, die über die bestehenden Initiativen hinausgehen.

Vielmehr stand die Mobilisierung frischen Geldes im Zentrum des Gipfels, zum Beispiel durch den Vorschlag der Ausweitung von Nullzinskrediten durch den Verkauf von IWF-Goldreserven. Zentrales Thema war auch die Mobilisierung von Liquidität durch die Reallokation von IWF-Sonderziehungsrechten (SZR) reicherer Länder an ärmere Länder auf dem afrikanischen Kontinent. Auch wenn noch nicht formalisiert, zeichnet sich schon seit einigen Monaten ein breiter Konsens für die Ausgabe zusätzlicher SZR in Höhe von 650 Milliarden im Laufe des Jahres 2021 ab. Macron warb u. a. durch Selbstverpflichtung dafür, dass reichere Länder ihre neuen SZR an ärmere Länder spenden. Gleichzeitig diskutierte er jedoch nicht, wie u. a. private Gläubiger verbindlich in Schuldenerleichterungen einbezogen werden können. Trotz vielfacher Apelle u.a. vom Weltbank-Präsidenten Malpass, ist es nicht dazu gekommen, dass sich die privaten Gläubiger an dem Moratorium der G20 beteiligen. Letztlich sind sie dadurch bisher die Hauptprofiteure der DSSI, durch die eigentlich der finanzielle Handlungsspielraum von Schuldnerregierungen für die erfolgreiche Bekämpfung der Pandemie und ihrer Folgen ausgeweitet werden sollte. Die Ausschüttung neuer SZR könnte für die privaten Gläubiger einen weiteren Anreiz bieten, sich an den Schuldenerlassmaßnahmen nicht zu beteiligen.

Vorgeschaltet waren dem Gipfel Verhandlungen zur Mobilisierung von Unterstützung für die Entschuldung des Sudans unter der multilateralen Initiative für hoch verschuldete arme Länder (HIPC-Initiative). Der Sudan ist neben Somalia und Eritrea eines der letzten Länder, das eine Entschuldung im Rahmen der bereits 1996 verabschiedeten und später erweiterten HIPC-Initiative beantragen kann. Eine Streichung der Altschulden des Landes kann die Demokratisierung des Landes entscheidend unterstützen.

Schon vor dem Gipfel waren entscheidende Schritte für den Einstieg in die Initiative (dem sog. Decision Point) unter Dach und Fach. Eine Voraussetzung für den Decision Point ist die Begleichung der Zahlungsrückstände bei multilateralen Gebern. Schon vor dem Gipfel sagten u. a. die USA und Großbritannien Finanzierungen für den Abbau der Rückstände bei der Weltbank und der Afrikanischen Entwicklungsbank zu. Medienwirksam bestätigte Frankreich am Montag die bereits im April angekündigte Bereitschaft für einen Brückenkredit von ca. 1,2 Milliarden US-Dollar für den Abbau der Rückstände beim IWF. Vor allem diente das Treffen am Montag daher dazu, für die Unterstützung privater sowie öffentlich bilateraler Gläubiger zu werben, die nicht im Pariser Club organisiert sind. Kommerzielle Gläubiger müssen 13 Prozent, Nicht-Pariser-Club-Gläubiger 38 Prozent der Entschuldung tragen. Bei Letzteren liegt der Löwenanteil bei Kuwait, gefolgt von Saudi-Arabien und China. Nicht überraschend kommt die Ankündigung Saudi-Arabiens, Mitglied der „Friends of Sudan“-Gruppe, die Altlasten zu streichen. Kuwait kündigte Montag die Bereitschaft zur Unterstützung an, jedoch ohne weitere Details, genau wie der „Sudan London Club“, in dem ein Teil der Privatgläubiger des Sudans organisiert ist. Von einer Positionierung Chinas beim Gipfel ist nichts bekannt.

Medienwirksam kündigten auch Frankreich und Deutschland Schuldenschnitte für den Sudan an; für einige Medienbeobachter*innen wirkte es wie ein bahnbrechendes Ergebnis der Pariser Verhandlungen. Dabei ist die Streichung der deutschen und französischen Forderungen viel mehr die schon vor 25 Jahren vereinbarte Beteiligung an einer Initiative, an dem alle Pariser Club-Gläubiger teilnehmen. Deutschland kann dadurch sogar seine Entwicklungshilfequote aufblähen, obwohl es auf die uralten Handelsforderungen niemals auch nur einen Cent erhalten hätte. Allerdings kündigte Außenminister Maas an, zusätzlich Verbindlichkeiten des Landes gegenüber dem IWF in Höhe von 90 Millionen Euro zu übernehmen und damit dazu beizutragen, dass der Decision Point auch wirklich im Juni erreicht wird. Das Medienspektakel um die Ankündigungen für den Sudan lenkte jedoch davon ab, dass im Hinblick auf weitergehende Schuldenerleichterungen für den restlichen Kontinent offensichtlich nicht viel erreicht wurde.

Weltweite Zivilgesellschaft fordert: Faire Entwicklungsfinanzierung kann nicht ein Jahr warten!

Vor einer Woche, vom 12.-15. April 2021, fand das diesjährige UN Financing for Development Forum (FfD-Forum) statt. Bei diesem jährlich stattfindenden Format steht die Überprüfung des Fortschritts der Addis Abeba Action Agenda im Zentrum, der Vereinbarung der Weltgemeinschaft zur Finanzierung der nachhaltigen Entwicklungsziele. Seit Ausbruch der Corona-Pandemie und der daraus folgenden weltweiten Rezession ist die Erreichung der 2030-Agenda vor allem in Entwicklungsländern kaum noch möglich. Darin ist sich die Weltgemeinschaft weitestgehend einig. Das FfD-Forum 2021 hätte deshalb einer der zentralen multilateralen Momente inmitten der schwersten Krise seit Jahrzehnten sein können, um längst überfällige multilaterale Reformen auf den Weg zu bringen. Unter anderem stand die Forderung nach ambitionierteren Schritten bei Schuldenerleichterungen, gar eines radikalen Umdenkens im Umgang mit Überschuldung im Fokus. Noch bei der Eröffnung des Forums äußerte der Vertreter Fidschis die Hoffnung, beim FfD-Forum Maßnahmen zum Ausstieg aus der Krise aktiv mitgestalten zu können, anders als bei der G20 oder dem internationalen Währungsfonds (IWF), wo sie kaum eine Stimme hätten. Kurzzeitig hatte es auch den Anschein, als würde die außerordentliche Krise die politische Dynamik erzeugen, die für ambitionierte Reformen nötig ist. Sogar eine Weltkonferenz für neue Vereinbarungen zu Entwicklungsfinanzierung stand im Raum. Doch das Forum zeigte zwei Gesichter:

Auf der einen Seite die lange Abfolge sorgfältig ausgearbeiteter und elaboriert präsentierter Statements zur Notwendigkeit solidarischen und gemeinsamen Handelns. Auf der anderen Seite das gänzlich unsolidarische, unambitionierte Abschlussdokument des FfD-Forums, in welchem keiner der vielen substanziellen Vorschläge auftaucht, die im Laufe des Forums oder schon davor diskutiert worden waren. Von einer von Gläubigern und Schuldnern unabhängigen Sovereign Debt Authority, wie sie die UN Konferenz für Handel und Entwicklung UNCTAD vorschlägt, zu einem Sovereign Debt Forum, wie es noch im ersten Entwurf des Dokuments enthalten war, bis hin zum großen Wurf eines Staateninsolvenzverfahrens, wie von der Karibischen Gemeinschaft während des Forums gefordert – nichts davon ist am Ende übrig geblieben. Auch weitere handfeste Vorschläge, darunter die Ausweitung aller schuldenerleichternden Maßnahmen auf Mitteleinkommensländer, wurden am Ende auf Druck von Gläubigernationen aus der Abschlusserklärung gestrichen. Zwar wird im Dokument beklagt, dass Mittel aus Schuldenerleichterungen indirekt ausgerechnet den Privatgläubigern zugute kommen – also denjenigen, die sich bisher standhaft weigern, sich selbst an Schuldenerleichterungen zu beteiligen. Doch die enthaltene Forderung nach Anreizen zum Einbezug dieser Gläubigergruppe wird nicht mit entsprechenden Beschlüssen untermauert. Von den vielen Politikoptionen, die im Rahmen eines UN-Sonderprozesses für die Entwicklungsfinanzierung in Corona-Zeiten entwickelt worden waren, fand ein Großteil keinen Eingang in die Verhandlungen. Und somit auch nicht in das Dokument, welches die Grundlage für Entwicklungsfinanzierung bis zum nächsten FfD-Forum im Jahr 2022 sein soll. Nicht nur Fidschi dürfte bitter enttäuscht gewesen sein.

Zivilgesellschaft weltweit, die sich in der Civil Society Financing for Development Group koordiniert, macht in ihrer Stellungnahme zum Abschlussdokument deutlich, dass der Status Quo bis zum nächsten FfD-Termin den Todesstoß für die 2030-Agenda bedeutet. Sie fordert daher, nicht einfach bis zum nächsten Jahr abzuwarten – denn auch die Krise orientiere sich nicht an vereinbarten Kalenderdaten. Spätestens bei der UN-Generalversammlung im Herbst seien konkrete Beschlüsse notwendig: Dazu zähle die Ausrichtung einer nächsten Weltkonferenz für Entwicklungsfinanzierung sowie die Umsetzung von “inklusiven Dialoge und Verfahren zu Staatsschulden“, wie sie im FfD-Abschlussdokument erwähnt werden. Bei der UN-Generalversammlung müsse eine zwischenstaatliche Arbeitsgruppe geschaffen werden, mit dem Ziel, sich über die Einzelheiten eines Staateninsolvenzverfahrens einig zu werden.

Ein erster Schritt dahin könnte die unmittelbare Auseinandersetzung mit konkreten Initiativen wie zum Beispiel denen der Allianz der Kleinen Inselstaaten oder Mexikos und Argentiniens sein. Diese hatten zuletzt gefordert, Staaten Schuldenerleichterungen nicht nach Pro-Kopf-Einkommen, sondern nach Verwundbarkeit zugänglich zu machen.

Alle zivilgesellschaftlichen Positionen zum FfD Forum finden sich auf der Website der CS FfD Group.

 

UN-Treffen für Schuldenarchitektur: Konsens für weitere Schuldenerlasse, trotzdem nur Status quo

Mehr als 20 Staats- und Regierungschef*innen, Vertreter*innen von Ministerien und von internationalen Institutionen trafen sich gestern auf Einladung des UN-Generalsekretärs António Guterres und der Regierungschefs von Kanada und Jamaika, Justin Trudeau und Andrew Holness, zum „High-Level-Event on International Debt Architecture and Liquidity“. Genau ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie und zehn Monate nach dem ersten Gipfel der Staats- und Regierungschef*innen standen erneut die globale Katastrophe und die Notwendigkeit systematischer Schuldenerleichterungen im Fokus.

Doch anders als noch vor einem Jahr war die Schuldenkrise für Deutschland diesmal nicht Chef*innensache: Bundeskanzlerin Merkel nahm trotz ihres damals gelobten Commitments diesmal nicht teil. Vertreten wurde sie durch BMF-Staatssekretär Wolfgang Schmidt. Gehört hätte Frau Merkel aus der ganzen Welt den Ruf, das aktuelle Schuldenmoratorium endlich durch reale Schuldenerlasse zu ergänzen. Und das nicht nur für die anstehenden Fälle im G20 Common Framework wie Tschad, Äthiopien und Sambia, bei denen Deutschland als Gläubiger keine Rolle spielt.

Gehört hätte sie den hilflosen Ruf des costa-ricanischen Präsidenten Carlos Alvarado Quesada, endlich zu handeln, nach so vielen warmen Worten. Sie hätte erfahren, dass die Mehrheit der von COVID-19 betroffenen armen Menschen nicht in den ärmsten Ländern lebt, die von der G20 immerhin ein Moratorium angeboten bekommen haben, sondern in so genannten Mitteleinkommensländern – die weiterhin von jeglichen Schuldenerleichterungsmaßnahmen ausgeschlossen bleiben. Und dass viele von diesen Staaten kleine Inselentwicklungsländer (SIDS) sind, die zusätzlich zum Ausfall des Tourismus mehr als andere vom Klimawandel bedroht sind. Gaston Browne, Premierminister von Antigua und Barbuda, machte deutlich, wie viel sinnvoller es sei, Schuldenerleichterungen den verwundbarsten Staaten zu gewähren anstatt den kleinsten, ärmsten und “billigsten”. Die neue WTO-Chefin Ngozi Okonjo-Iweala hätte ihr von ihren Erfahrungen vor 20 Jahren erzählt, als ein multilateraler Schuldenerlass die einzige Möglichkeit bot, zu Erholung und Entwicklung zurück zu kehren.

Schließlich hätte sie auch von Lazarus Chakwera, Präsident von Malawi, gehört, dass die ärmsten hochverschuldeten Länder der Welt jahrzehntelang ausgeplündert wurden, und der Schuldendienst deshalb eigentlich in die andere Richtung fließen sollte. Einige wenige tapfere Staatschefs hätten versucht, sie, so wie alle anderen, von der Schaffung eines permanenten Staateninsolvenzverfahrens zu überzeugen. Doch die Kanzlerin war nicht dort.

Genauso abwesend wie die Kanzlerin waren echte Reformanstöße. Einig war man sich bei einigen Liquiditätsmaßnahmen, der weiteren Verlängerung der G20 DSSI und der Schöpfung neuer IWF-Sonderziehungsrechte. Bei der Frage nach echten Schuldenerlassen gingen die Commitments nicht über die Umsetzung des bestehenden G20 Common Framework hinaus. Ankündigungen konkreter weiterer Schritte gab es nicht: Mitteleinkommensländer sind noch immer ausgeschlossen. Die Privaten beteiligen sich nicht an der DSSI. Multilaterale Gläubiger beteiligen sich nicht an Umschuldungen.

Ngozi Okonjo-Iweala erinnerte daran, dass ein verlorenes Entwicklungsjahrzehnt kein Schicksal sei, sondern eine aktive Politikentscheidung. Diese konkreten Entscheidungen werden u. a. im UN Financing for Development Forum getroffen. Doch die Verhandlungen und die Haltung Europas lassen wenig hoffen. Konsens gibt es nur für den Status quo, nicht für echte Reformen. Mit der voraussichtlichen Verlängerung der DSSI wird weiter Zeit gekauft. Die Frage ist: Wofür?

Weitere Informationen:

Aufnahme des High Level Meetings vom 29.03.2021 in voller Länge [UN Web TV]

Policy Brief “Liquidity and Debt Solutions to Invest in the SDGs: The Time to Act is Now” des UN-Generalsekretärs António Guterres vom 29.03.2021 

erlassjahr.de-News vom 30.03.2021: “UN-Gipfel zur Internationalen Schuldenarchitektur: Viel Konsens für Schuldenerlasse” 

EURODAD-Pressemitteilung vom 30.03.2021: “World leaders continue to kick the can down the road on debt reform”

IWF/WB-Jahrestagung in Bali: Act now, so you don’t cry later? Viel Alarm, kaum Handeln

Vor einer Woche ist die Jahrestagung des Internationalen Währungsfons (IWF) und der Weltbank zu Ende gegangen, eine der wenigen Gelegenheiten, bei der sich Freund und Feind im Schuldenthema knapp eine ganze Woche lang auf der Pelle sitzen. Während einige der in der internationalen Öffentlichkeit kaum sichtbaren Gegenmobilisierungen friedlich ihre Alternativgipfel abhalten konnten, wurde die vor allem im Ausland wahrgenomme People’s Global Conference against the IMF-World Bank bis zum Schluss von den indonesischen Behörden teils gewaltsam verhindert. Dabei war die Konferenz deutlich harmloser als sie klingt, größter Teil der „Mobilisierung“ wären Fachpodien und Themenworkshops gewesen. Innerhalb der Zäune und Mauern der beiden Bali Convention Centre beteiligten sich IWF-Mitarbeiter/innen ernsthaft und regelmäßig an den zivilgesellschaftlichen Diskussionen, anders als die Weltbank, deren Abwesenheit angesichts der bemerkenswert hohen Beteiligung des IWF nicht unbemerkt blieb.

Inhaltlich stand die Jahrestagung im Zeichen der weltwirtschaftlichen Herausforderungen, die sich zum einen aus geopolitischen Spannungen und dem Handelskrieg zwischen den USA und China ergeben, zum anderen aufgrund steigender globaler Zinsen und dem Allzeithoch der globalen Verschuldung insbesondere im Globalen Süden. IWF-Chefin Lagarde appellierte inständig an die Delegierten, das Ruder noch herumzureißen.

Bemerkenswert einig waren sich alle bei den zu bewältigenden Herausforderungen. Nicht nur bei unserem Event “Too many cooks: addressing evolving creditor coordination challenges in sovereign debt resolution”, auch an anderen Stellen wurde besorgt diskutiert, dass die Koordination der Gläubiger bei notwendigen Schuldenrestrukturierungen im Globalen Süden schwierig wird und dass das Krisenmanagement wie man es bislang kannte, mit dem Pariser Club und dem IWF an zentraler Stelle, den neuen Krisen nicht gewachsen ist. Angespielt wird hier insbesondere auf China, die sich bislang weigern, Teil des Pariser Clubs zu werden. Gemeint sind auch neue Gläubiger, insbesondere im Bereich des Rohstoffhandels sowie “plurilaterale” Gläubiger – Finanzinstitutionen und Fonds, die sich irgendwo zwischen bilateral und multilateral bewegen und die dem IWF nicht besonders geheuer sind.

Die Aufruhr um diese “neuen Gläubiger” war willkommen groß genug, um von den Schwächen des eigenen früheren Krisenmanagements abzulenken. Dass auch schon zuvor genau diese beklagte mangelnde Koordination zwischen (als traditionell angesehenen) Gläubigern daran schuld war, dass man Schuldenkrisen über Jahre oder sogar Jahrzehnte verschleppte, und dass man dafür bis heute immer noch keine Lösung gefunden hat, ließ man einfach unerwähnt. Im Gegenteil wurde das vergangene Krisenmanagement, insbesondere der Pariser Club, als effizient und effektiv präsentiert. Der Fakt, dass es beispielsweise in Afrika keine einzige Pariser Club-Umschuldung gegeben hat, die dazu beigetragen hat, eine Krise wirklich effizient – heißt beim ersten Mal – zu lösen, wurde mit entschuldigendem Schulterzucken kommentiert.

Während sich also alle einig sind, dass man nicht weiß, wie man mit den kommenden Krisen umgehen soll, da die gängigen Verfahren und Foren hier nicht mehr weiterhelfen, einigte man sich darauf, die Gläubigerkoordination für die kommenden Krisen zu stärken, in dem man auf die gängigen Verfahren und Foren setzt. Darüber hinaus sei der Schlüssel mehr Transparenz: Wüsste man besser, wer, wann für was zu welchen Konditionen Kredite vergeben hat, dann gäbe es nicht nur keine Krisen mehr, sondern dann hätte man auch die jetzige Krise im Griff, so die Haltung von Weltbank, IWF und insbesondere westlicher Regierungen. Dass Prävention aber kein Instrument zur Krisenlösung ist, haben wir schon an anderen Stellen kommentiert.

Das heißt also: So wie in den 1980er Jahren steuern wir unvorbereitet auf die Krise zu. Das bedeutet auch, dass man schon jetzt hinnimmt, dass die öffentlichen Kassen in überschuldeten Entwicklungs- und Schwellenländern durch einen untragbaren Schuldendienst auszubluten drohen. In den 1980er Jahren hat dies eine verlorene Generation hervorgebracht. So wurde im Hintergrund diskutiert, wie der Maximising Finance for Development-Ansatz der Weltbank weiter in die Tat umgesetzt werden kann. Dem Ansatz zugrunde liegt die Vorgabe, dass in der zukünftigen Entwicklungsfinanzierung privates, kommerzielles Kapital zuerst kommt und öffentliche Mittel erst dann in Erwägung gezogen werden sollen, wenn man kein privates Kapital findet. Um dies zu operationalisieren, führten die G20 in Bali ihre Diskussion fort, wie Megaprojekte im Infrastrukturbereich in Entwicklungsländern für globale Großanleger attraktiv gemacht werden können, um die Billionen an privatem Kapital zu mobilisieren. Dazu zählen vor allem Pläne, Infrastruktur als Anlageklasse einzuführen. Warum das höchst problematisch ist, hat unter anderem EURODAD hier erläutert. Dies wurde nicht nur bei verschiedenen zivilgesellschaftlichen Events in Bali heftig diskutiert, sondern auch durch einen Brief von Wissenschaftler*innen weltweit kritisiert.

In einer Diskussion zum Thema Debt Challenges Ahead gab die der Weltbank den Regierungen von Schuldnerländern den Rat: „Focus now, act now, so you don’t cry later“. Nur schade, dass sie ihren Ratschlag nicht selbst befolgen wollen.