Tag 2: Wir sind die globale Schuldenbewegung!

Gestern fand der zweite und letzte Tag des globalen Schuldenstrategietreffens statt. Da es mir schon viel besser ging als am Vortag, konnte ich den ganzen Tag teilnehmen. Das war auch gut so, denn dieses Mal ging es um globale Kampagnen sowie die weitere Zusammenarbeit. Unsere Debt20-Kampagne zum G20-Gipfel nächstes Jahr wurde sehr positiv aufgenommen und auch diejenigen, die eher Anti-G20-Kampagnen organisieren, konnten sich mit unserer Kampagnenforderung gut anfreunden.

Besonders intensiv wurde jedoch über die weitere Zusammenarbeit diskutiert. Es stand keine einzige Sekunde in Frage, dass wir eine globale Schuldenbewegung brauchen oder dass wir in Zukunft besser zusammenarbeiten müssen. Im Vergleich zu früheren globalen Treffen (wovon ich die meisten allerdings nur aus Erzählungen kenne, daher kann ich auch einen falschen Eindruck haben) hat jedoch niemand ernsthaft versucht, eine eventuell früher mal da gewesene kohärente globale Schuldenbewegung wiederzubeleben. Aus Erzählungen weiß ich, dass frühere Ambitionen in diese Richtung im Sande verlaufen sind. Denn es gibt eine Vielfalt an Themen und Ansätzen, die lose zusammengehalten werden durch das gemeinsame Ziel dafür zu sorgen, dass Schulden nicht zum Schicksal werden.

Wie gesagt, die Frage nach der Notwendigkeit einer kohärenten und einheitlichen Schuldenbewegung stellte sich sowieso gar nicht erst. Wir haben uns einfach als globale Schuldenbewegung verstanden und Punkt – wieso sonst sind wir schließlich alle nach Nairobi geflogen? Also haben wir vor allem darüber gesprochen, wie wir in Zukunft die Kommunikation untereinander verbessern können – denn obwohl viele Organisationen und Netzwerke auf der ganzen Welt zum Thema arbeiten, bekommt man oft einfach nicht so viel voneinander mit. Es wurden also verschiedene Methoden, Strukturen und Kanäle diskutiert.

Unter anderem wurden alle Themen, zu denen in der “Bewegung” gearbeitet wird (etwa Staateninsolvenzverfahren, Schuldenaudits, Responsible Finance, usw.) gesammelt und dann zu insgesamt acht Arbeitsgruppen gebündelt. Für die Arbeitsgruppen wurden jeweils Koordinatoren ausgewählt. Sehr gut fand ich, dass nicht versucht wurde, einzelne Ziele und Vorhaben für die Arbeitsgruppen zu definieren. Daran hätte sich, wenn man ehrlich ist, sowieso niemand halten können. Jede Organisation hat bereits festgelegte Arbeitsvorhaben und arbeitet durchaus auf unterschiedliche Weise zu einem gemeinsamen Thema, je nach Kontext. Ich glaube, so ein lockeres Austauschformat ist ein guter Weg, wenn man frühere “Fehler” vermeiden möchte. Insgesamt war der zweite Tag wirklich motivierend. Jetzt geht es daran, die guten Vorsätze auch in die Tat umzusetzen.

Abgeschlossen habe ich den Tag mit einem Arbeitsessen zur Vorbereitung des Experten-Roundtables, der heute stattgefunden hat. Aber das ist etwas für einen anderen Beitrag!

 

Die globale Zivilgesellschaft in Nairobi: Tag 1

20160713_131641Gestern ging die „Citizens’ Assembly: A Global Civil Society Response to Debt Crises“, das globale Schuldenstrategietreffen, los. Insgesamt ca. 40 Mitstreiter/innen aus aller Welt sind hier in Nairobi zusammengekommen, aus dem südlichen wie nördlichen Afrika, Asien, Lateinamerika, Nordamerika und Europa. Am ersten Tag ging es vor allem darum, die Herausforderungen rund um Ver- und Überschuldung sowie die Arbeit für Entschuldung und finanzieller Gerechtigkeit in einzelnen Regionen und Ländern vorzustellen sowie Erfahrungen und Gedanken für die weitere Arbeit auszutauschen. Der erste Tag hat einen Grundstein für die Diskussionen am heutigen zweiten Tag gelegt, bei dem es darum geht, wie wir gemeinsam auf der internationalen Ebene für mehr Gerechtigkeit im Schuldenmanagement zusammenarbeiten können, als auch wie wir uns gegenseitig auf der nationalen Ebene in unserer Arbeit unterstützen können.

Leider habe ich seit Dienstag mit einer Lebensmittelvergiftung zu kämpfen, konnte also vom ersten Tag des Tag des Treffens nicht alles mitnehmen. Trotzdem konnte ich noch einigermaßen einen Eindruck davon erhalten, wozu die verschiedenen Netzwerke arbeiten und welche Herausforderungen in welchen Kontexten bestehen. In zwei Arbeitsgruppen wurden verschiedene Aspekte davon erarbeitet. In der ersten Arbeitsgruppe ging es um die Mobilisierung und Kampagnen- und Bildungsarbeit in verschiedenen Kontexten. Gemeinsam war den Beiträgen dort, dass die Botschaften und Inhalte auf die Lebenswelt der Bevölkerung heruntergebrochen werden müssen, gleichzeitig aber auch nicht zu simplifiziert sein dürfen. Ein schönes Beispiel kam aus Marokko: hier wurde der gängige Schuldenindikator Verschuldung zum BIP ersetzt durch Schuldendienstzahlungen im Verhältnis zum Gesundheitshaushalt, um das Thema Verschuldung den Menschen in Marokko begreiflicher zu machen.

20160714_094211Ich war in der zweiten Arbeitsgruppe, die sich mit technischen Aspekten von Schuldenaudits, Schuldenmonitoring und Staateninsolvenzverfahren beschäftigt hat. In meiner Arbeitsgruppe waren alle Regionen vertreten. Die anwesenden Netzwerke und Organisationen aus Schuldnerländern haben ihre Arbeit vor allem zu zivilgesellschaftlichen Schuldenaudits vorgestellt. Der Fokus dort liegt auf Audist, um mit den wenigen Möglichkeiten, die in vielen Entwicklungsländern für die Zivilgesellschaft existieren, Rechenschaft und Transparenz von ihrer Regierung über die Verwendung öffentlicher Mittel einzufordern. Speziell in Subsahara-Afrika ist zudem die Arbeit mit den Debt Management Offices als die zentralen focal points für das Schuldenmanagement ein wichtiger Teil der Arbeit der zivilgesellschaftlichen Gruppen.

Andere Aspekte waren die Frage nach der Definition von Schuldentragfähigkeit vor dem Hintergrund der verabschiedeten nachhaltigen Entwicklungsziele, die Unterstützung besonders anfälliger Ländergruppen wie die am wenigsten entwickelten Länder (least developed countries) bei ihrer Forderung nach vollständiger Schuldenstreichung als auch wie wir ein Staateninsolvenzverfahren angesichts der politischen Blockaden durch die Industrieländer zusammen voranbringen können. Aus der Vorstellung unserer Prioritäten wurde aufgegriffen, dass es (auch für das regime-building hin zu einem Staateninsolvenzverfahren) wichtig ist, Entscheidungsträger/innen in Entwicklungsländern zu motivieren, proaktiv selbst alternative Lösungen für Schuldenkrisen zu suchen, anstatt sich dem gläubigerdominierten Schuldenmanagement unter allen Umständen zu beugen. Einige Teilnehmer/innen machten deutlich, dass wir bei der Information und Motivation von relevanten Entscheidungsträger/innen zusammenarbeiten müssen, weil den nationalen zivilgesellschaftlichen Gruppen in den Schuldnerländern oft das Wissen über alternative Möglichkeiten und Prozesse fehlt.

Genau das haben wir am morgigen Tag mit unserem runden Tisch für Expert/innen aus Subsahara-Afrika zu neuen und alten Schuldenkrisen vor.

 

 

erlassjahr.de angekommen in Nairobi

160710 Blog Nairobierlassjahr.de ist zusammen mit vielen anderen zivilgesellschaftlichen Vertreter/innen sowie Regierungsdelegierten aus der ganzen Welt zu Gast in Nairobi. Nächste Woche geht hier die UNCTAD14-Konferenz los, die das Mandat der UN-Unterorganisation für die nächsten vier Jahre festlegt. Wahrscheinlich bin ich die erste der mehreren tausend Delegierten, die hier demnächst die vielen Hotels und das Internationale Konferenzzentrum in Nairobi bevölkern werden. Denn am Flughafen war man sich noch nicht ganz sicher, was es mit UNCTAD auf sich hat, so dass es mehrere Beamte des kenianischen Immigration Offices gebraucht hat, bis ich mein UNCTAD14-Visum im Pass hatte. Auch sieht oder spürt man noch nicht die angekündigten verschärften Sicherheitsvorkehrungen oder verbesserten Transportmöglichkeiten in der Stadt. Die frühe Abreise nach Nairobi hat sich jedoch gelohnt, denn aufgrund eines kaputten Flugzeuges gleich zu Beginn und allerlei Umbuchungen und anderen Verzögerungen kam ich später an als geplant.

Trotz der Verspätung ist noch genug Zeit, um mich in Nairobi ein bisschen einzuleben und auf die kommenden Veranstaltungen vorzubereiten. Das Nairobi-Programm beginnt nächste Woche mit einer Versammlung der globalen Entschuldungsbewegung. Das letzte globale Treffen ist viele viele Jahre her. Angesichts der großen Herausforderungen rund um die nächste große Schuldenkrise im Globalen Süden ist das Treffen dringend nötig, um darüber zu sprechen, wie wir durch bessere Koordination gemeinsam faire Lösungen für die Krise erkämpfen können. Ich bin schon sehr gespannt und kann es kaum erwarten, die vielen (für mich) neuen Mitstreiter/innen kennenzulernen, die laut Teilnehmer/innen-Liste erwartet werden.

Am 15.07. organisieren wir zusammen mit verschiedenen Partnern einen runden Tisch für Expert/innen zu Schuldenkrisen in Afrika. Ich hoffe, dass die Delegierten aus den subsahara-afrikanischen Finanzministerien Impulse mitnehmen, wie Alternativen zu Pariser Club und Co. aussehen können. Persönlich hoffe ich zudem die Sicht der Betroffenen auf die aufkommende Krise besser zu verstehen.

Danach beginnt schon UNCTAD14. Wir werden mit Side-Events im CSO-Forum dabei sein und sind eingeladen worden, bei einer ministerialen Debatte zu Schulden zu sprechen. Ich hoffe, dass wir einen Beitrag dazu leisten können, dass UNCTAD weiterhin als wichtiger Akteur in den Debatten um faire Entschuldung verstanden wird und dass sie mit einem starken Mandat zurück nach Genf gehen können.

 

 

Papst Franziskus fordert Staateninsolvenzverfahren

„Wenn ein Unternehmen in die Insolvenz gehen kann, warum hat ein Staat diese Möglichkeit nicht?“, fragte Papst Franziskus zum Abschluss seiner Lateinamerikareise in diesem Sommer.

Papst Franziskus
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Dabei bezog er sich ausdrücklich auf die schwierige Situation Griechenlands und die Bemühungen in den Vereinten Nationen um ein Staateninsolvenzverfahren. Letztere könnten seiner Meinung nach zu einer Lösung von Staatsschuldenkrisen führen. Dazu ist jedoch wichtig, dass die am 10. September 2015 in der UN Generalsversammlung verabschiedeten Prinzipien zur Lösung von Staatsschuldenkrisen auch angewendet werden.

Als Argentinier weiß Papst Franziskus, dass die Überschuldung von Staaten zur Armut und Ungleichheit führen kann.

Fauler Griechenland-Kompromiss: Privatisierungsfonds anstatt Schuldenschnitt

Am Montag wurde der Öffentlichkeit ein “Kompromiss” für ein neues sogenanntes Rettungspaket für Griechenland vorgestellt. Neben verschiedenen Reformen und Sparmaßnahmen wurde die Idee der Einrichtung einer Art Treuhandfonds vorgestellt. In diesen Fonds sollen griechische Staatsbesitztümer überführt und privatisiert werden. Nach bisherigen Angaben soll der Fonds über ein Gesamtvolumen von 50 Milliarden verfügen. 25 Milliarden Euro sollen dazu dienen, die Mittel zur Rekapitalisierung der Banken zurückzuzahlen. 12,5 Milliarden Euro sollen für Investitionen in die griechische Wirtschaft verwendet werden und die restlichen 12,5 Milliarden Euro für die Verringerung der Schuldenquote. Das ist also die glorreiche Alternative zu einem tiefgreifenden Schuldenschnitt, den selbst der Internationale Währungsfonds (IWF) erst kürzlich als einzigen Weg zurück zur SchuldentPrivatisierungragfähigkeit benannt hat (und zur Bedingung seiner weiteren Beteiligung gemacht hat).

Interessant ist, dass der IWF in der aktuellsten Schuldentragfähigkeitsanalyse für Griechenland vom 26. Juni 2015 ziemlich deutlich zeigt, dass es realitätsfern ist, zu glauben, man bekäme auch nur die 12,5 Milliarden für die Tilgung der ESM-Schulden im geplanten Zeitraum zusammen (geschweige denn 50 Milliarden Euro). Privatisierungen waren auch in den vorigen “Rettungsprogrammen” Teil des jeweiligen Maßnahmenpakets. Drei Mal mussten die Prognosen zu den Privatisierungserlösen nach unten korrigiert werden, im Juni nun ein viertes Mal. Die IWF-Mitarbeiter/innen halten mittlerweile einen Erlös von nicht mehr als jährlich 500 Millionen Euro für realistisch. Die völlig utopischen Annahmen der letzten Jahre hat der IWF in einer sehr eindrücklichen Grafik (siehe oben) dargestellt.

In jeder Zeitung können potentielle Käufer im Moment nachlesen, dass Griechenland dringend Geld braucht. Zu glauben, man bekäme in einer solchen Situation angemessene Erlöse für griechisches Staatseigentum, mit denen man sowohl die griechische Wirtschaft auf Vordermann bringen als auch die Schuldenquote verringern kann, ist schlichtweg dumm.

 

 

 

 

 

 

 

Investitionsschiedsgerichtsverfahren als lukratives Geschäftsmodell

Internationale Freihandels- und Investmentabkommen sind im Moment ein heiß diskutiertes Thema der Wirtschafts-, aber auch Entwicklungspolitik, vor allem durch die Verhandlungen im Rahmen des Transatlantic Trade and Investment Partnership – kurz TTIP – zwischen Europa und den USA. Mit Staatsschuldenkrisen hat man das alles bislang nicht unbedingt in Verbindung gebracht.

Die Studie „Von der Krise profitieren – wie Konzerne und Kanzleien in Europas Krisenländern Gewinne ergattern wollen“ von Transnational Institute (TNI) und Corporate Europe Observatory (CEO) zeigt anschaulich, wie Konzerne und Hedgefonds mit Hilfe von Anwaltskanzleien Investitionsabkommen nutzen, um Regierungen von Krisenländern vor Schiedsgerichten zu verklagen. Sie klagen gegen notwendige Maßnahmen, die die Staaten zur Bekämpfung von Schulden- und Wirtschaftskrisen eingesetzt haben, die jedoch den Profit der Konzerne geschmälert haben. So können Privatgläubiger auf perverse Art und Weise eigentlich sinnvolle Regeln im Rahmen von Investitionsabkommen für sich ausnutzen. So besagt eine der Regeln, dass Investoren ein Recht auf stabile und vorhersehbare wirtschaftliche Rahmenbedingungen in dem Land haben, in dem sie investieren. Privatgläubiger können dies laut TNI und CEO für sich so auslegen, dass eine notwendig gewordene Schuldenrestrukturierung oder Austeritätspolitik die legitimen und zuvor kalkulierten Erwartungen auf die Rendite durch Kreditvergabe zerstört haben. Eine andere Regel dient dem Schutz gegen Enteignung. Umschuldungsmaßnahmen können als indirekte Enteignung ausgelegt werden, da sie den Wert der Anlage mindern.

Argentinien wurde zum Beispiel von 60.000 Anleihegläubigern aufgrund seiner Maßnahmen im Rahmen der Staatsschulden- und Wirtschaftskrise im Jahr 2001 auf Basis eines Investitionsabkommens verklagt, obwohl das Land ohne diese Maßnahmen ins totale Chaos gestürzt wäre. Die Anklage lautet dabei auf Zwangsenteignung. Die Frage ob Anleihegläubiger ohne direkte wirtschaftliche Tätigkeit in Argentinien wirklich als Investoren gelten dürfen, bejahten zwei von drei Schiedsrichtern, so dass der Fall angenommen wurde.

Noch anschaulicher zeigt sich in Griechenland, wie Investitionsabkommen unverantwortliche und profitgierige Akteure schützen. Während oft kritisiert wurde, wie die Krisenfinanzierung dazu geführt hat, dass Privatgläubiger das Risiko ihrer Investition nicht tragen mussten und die Lasten der Krise sozialisiert wurden, gibt es noch einen anderen Weg, wie vor allem Spekulanten auf ihren Profit nicht verzichten müssen, auch wenn sich das Risiko am Ende nicht ausgezahlt hat. So gab es eine slowakische Bank, die griechische Schulden in der Krise billig aufkaufte und auf die Rückzahlung spekulierte – zu einem Zeitpunkt als die Anleihen bereits herabgestuft waren und damit bereits klar war, dass diese Transaktion eine extrem risikoreiche ist. Als es 2012 zur Umschuldung kam, weigerte sich die Bank, an dem Deal teilzunehmen und verklagte das Land vor dem Schiedsgericht des International Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID), mit der Begründung, dass sie viel Geld durch die erzwungene Umschuldung verloren habe, und Griechenland seinen Pflichten im Rahmen des bilateralen Investitionsabkommens zwischen der Slowakei und Griechenland nicht nachgekommen sei. Obwohl auch hier die Bezeichnung „Investition“ äußerst fraglich ist, wird der Fall tatsächlich angehört. Dabei kommt hinzu, dass die Schuldenrestrukturierung eine Auflage des Troika-Hilfspakets gewesen ist – also nicht alleine eine „mutwillige“ Entscheidung der griechischen Regierung.

Ebenfalls in Griechenland hat eine andere skandalöse Praxis Früchte getragen: Anwaltskanzleien raten Investoren, die Androhung von Gerichtsverfahren vor Investitions-Schiedsgerichten als Verhandlungswerkzeug mit Regierungen in Schuldenrestrukturierungen zu nutzen. Der Geierfonds Dart Management and Elliot Associates wurde von Griechenland ausbezahlt aus Angst vor einem teuren und langwierigen Rechtsstreit vor einem ICSID-Schiedsgericht und der negativen öffentlichen Aufmerksamkeit.

Für die Autoren der Studie ist klar, dass investment arbitration ein lukratives Geschäftsmodell sowohl für Unternehmen als auch für Anwaltskanzleien und Schiedsrichter geworden ist. Die Schiedsrichter in derartigen Schiedsverfahren würden dabei vor allem finanziellen Interessenskonflikten unterliegen. Die oben genannten Fälle in Argentinien und Griechenland laufen noch, so dass nicht klar ist, ob im Falle einer Staatsinsolvenz solche Klagen auf Basis von Investitionsabkommen wirklich Erfolg haben. Doch die Autoren zeigen, dass bislang das Modell für Konzerne im Allgemeinen ein erfolgreiches war: So wurden 15 von 55 Klagen gegen Argentinien im Rahmen von internationalen Investitionsabkommen zugunsten des Investors entschieden, nur drei für Argentinien. Drei Viertel dieser Klagen sollen dabei von den Rettungsmaßnahmen durch die argentinische Regierung im Rahmen der Schulden- und Wirtschaftskrise herrühren. Für uns zeigt sich erneut, wie dringlich ein faires und transparentes Staateninsolvenzverfahren erforderlich ist.

Der IWF mag nicht am Katzentisch sitzen – Neuauflage des SDRM

Bald 12 Jahre ist es her, als die Direktorin des Internationalen Währungsfonds im Kontext der sich abzeichnenden Argentinienpleite einen Vorschlag für eine Art geordnetes Staateninsolvenzverfahren machte. Die Arbeit daran wurde auf Druck der US-Regierung schnell wieder eingestellt. Ein wenig schicksalsträchtig, dass die alte Idee des “Sovereign Debt Restructuring Mechanism” (SDRM) im Kontext der Diskussion um den “Jahrhundertprozess” in New York zwischen Geierfonds NML Capital und Argentinien (siehe weiter unten Beitrag im Blog) um Forderungen aus der Pleite 2001 nun wieder aus der Schublade geholt wurde.

Auch wenn damals einige Elemente des SDRM alles andere als ausgereift waren, so war es doch ein Vorschlag eines geordneten Verfahrens, welches heute eine ungeordnete Insolvenz wie im Falle Griechenlands hätte verhindern können. Eine Neubelebung der Diskussion um den SDRM, welche die internationale Debatte um die Lücke in der internationalen Finanzarchitektur hinsichtlich des Umgangs mit Staatspleiten weiter entfachen kann, scheint also gerade richtig, auch angesichts der verschleppten Krise in Europa.

Damit steht der IWF international in der Diskussion um ein geordnetes Staateninsolvenzverfahren nicht allein: so startete Beginn des Jahres eine Arbeitsgruppe der UN Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) mit der inhaltlichen Arbeit zu einem “sovereign debt workout” – was übrigens auch eine Gelegenheit für die Bundesregierung ist, die inhaltliche Arbeit zu einem internationalen Insolvenzverfahren weiter zu führen, die im Kontext der europapolitischen Debatte erst einmal untergegangen ist. erlassjahr.de ist zusammen mit unserem europäischen Dachnetzwerk EURODAD und unseren US-amerikanischen Kollegen Jubilee USA auf der zivilgesellschaftlichen Seite in der Expertengruppe vertreten.

Allerdings ist es ein wenig unglücklich, dass der IWF (laut Financial Times) im Laufe dieser Woche seinen fertigen Vorschlag bereits veröffentlichen möchte und die Arbeitsgruppe der UNCTAD noch ganz am Anfang steht. Damit kommt der IWF der UNCTAD mit einer klaren öffentlichen Positionierung zum Umgang mit Staatspleiten zuvor, was die Gefahr mit sich bringt, dass der IWF mit seinem Vorschlag die internationale Debatte möglicherweise dominieren wird. Etwas, was sich die Zivilgesellschaft nicht unbedingt erhofft.

Auf www.erlassjahr.de werden wir den Vorschlag des IWF und seine möglichen Konsequenzen für die internationale Debatte um geordnete Regeln im Umgang mit Staatspleiten genauer analysieren, sobald das Papier veröffentlicht ist.

Aus der Geschichte lernen – wie Griechenland und Pakistan Deutschland die Schulden erließen

Die Überschuldung von Staaten, die lange als ein Problem von afrikanischen oder lateinamerikanischen Entwicklungsländern gesehen wurde, ist nun auch vor unserer Haustür angekommen. Der finanzielle Notstand als Folge von Überschuldung bedroht inzwischen sogar die Europäische Währungsunion.

Der politische und soziale Zusammenbruch in den krisengeschüttelten Ländern bedroht deren Sozialgefüge. Deutschland scheint die Krise nichts anhaben zu können, angesichts der starken und florierenden Wirtschaft. Allerdings war dies nicht immer so.

Nicht viele Menschen in unserem Land wissen, dass am Anfang unseres „Wirtschaftswunders“ auch ein großzügiger Schuldenerlass unserer damaligen Gläubiger stand. Im „Londoner Schuldenabkommen“, dessen Unterzeichnung sich am 27. Februar 2013 zum 60. mal jährt, wurden der jungen Bundesrepublik rund die Hälfte der damaligen Vor- und Nachkriegsschulden erlassen. Der Rest wurde so intelligent umgeschuldet, dass unser Land seither kein Schuldenproblem mehr hatte.

Im Geschichtsunterricht hören unsere Kinder im Allgemeinen nichts von dem Abkommen, und auch in den Medien ist selten davon die Rede. Dabei wäre es gut, sich daran zu erinnern, wie damals eine drohende Staatspleite zeitig und schnell durch Verhandlungen gelöst wurde.

Der Unterschied zwischen dem früheren Umgang mit Deutschland und dem aktuellen Umgang mit Griechenland könnte nicht größer sein. Deutschland hatte einen weitreichenden Schuldenerlass bekommen und als Folge wuchs die Wirtschaft schnell und nachhaltig. Griechenland im Gegensatz wird dazu gezwungen sich in eine schmerzhafte und schädliche Rezession zu „sanieren“, die die Grundfesten der Gesellschaft erschüttert. Einer der großzügigen Gläubiger im Jahr 1953 war im übrigen Griechenland – ungeachtet aller Verbrechen, die die deutschen Besatzungstruppen nur wenige Jahre zuvor in Griechenland begangen hatten.

Nur wenige Schuldenlösungen haben den Übergang von einem kritisch verschuldeten Staat zu einer Situation, wo Schulden kein Problem mehr für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung darstellen, so deutlich gemacht, wie die von 1953. Das Abkommen ist noch immer eins der besten Beispiele dafür, wie vernünftig und nachhaltig eine Schuldenlösung aussehen kann – wenn ein politischer Wille da ist.

Das Londoner Schuldenabkommen von 1953 verdient es heute als ein Beispiel und als Anregung für die aktuellen Diskussionen über Schuldenerlasse – sowohl für die Länder des globalen Südens als auch im Kontext der Staateninsolvenzkrise in der Eurozone – wieder betrachtet zu werden. Lasst uns an dieses wichtige Stück lange vergessener Geschichte neu erinnern. Und lasst uns gemeinsam für den fairen, rechtzeitigen und menschenwürdigen Umgang mit überschuldeten Staaten einstehen.

 

Kristina Rehbein und Jürgen Kaiser, erlassjahr.de – Entwicklung braucht Entschuldung e.V. (Deutschland)

Isabel Castro, Iniciativa de Auditoria Cidadã à Divida Pública – IAC (Portugal)

Eric LeCompte, Jubilee USA Network (USA)

Iolanda Fresnillo, Plataforma Auditoria Ciudadana de la Deuda – PACD (Spanien)

Bodo Ellmers, European Network on Debt and Development (Belgien)

Nessa Ní Chasaide, Debt and Development Coalition and Andy Storey, Debt Justice Action’s Anglo: Not Our Debt (Irland)

Nick Dearden, Jubilee Debt Campaign (Vereintes Königreich)

Ein gelungener Start ins Jahr – internationales Strategietreffen in Berlin

Am 07.01.2013 startete erlassjahr.de das neue Jahr mit einem diskussionsreichen Tag in Berlin. Es kamen Aktive aus der ganzen Welt zusammen – aus dem erlassjahr.de-Bündnis, aus dem internationalen Netzwerk „Defuse the Debt Crisis“, Rechtsexperten und Beteiligte aus dem öffentlichen Sektor. Das bunte Gemisch diskutierte zu Strategien für einen globalen Reformprozess zu FTAP.

Der Vormittag diente als globales Strategietreffen, welches an das letzte Treffen im Juni 2012 in Johannesburg anschloss. Der Nachmittag wurde als Art informeller „Roundtable“ zum globalen Reformprozess im Hinblick auf den Umgang mit überschuldeten Staaten, mit Beteiligung aus dem Finanzministerium, der deutschen Bundesbank und der Botschaft von El Salvador veranstaltet. Konkret wurde der Tag um die Anwesenheit vom Rechtsexperten Prof. Ross Buckley organisiert, der nicht nur unserer Schwesterkampagne Jubilee Australia gut vertraut ist, sondern auch die australische Regierung im Hinblick auf die G20-Präsidentschaft in 2014 berät.

Für uns bedeutete die Anwesenheit von Ross Buckley daher wertvolle Hinweise für unsere G20-Planungen. Dazu kam, dass das ehemalige Bündnisratsmitglied Peter Lanzet in Moskau am zivilgesellschaftlichen Dialog mit der russischen G20-Präsidentschaft im Dezember teilgenommen hat. Damit erhielten wir wertvolle Einblicke aus erster Hand vom G20-Prozess in Russland.

Das Thema „sovereign debt management“ stößt in der russischen Regierung auf Interesse, bislang allerdings eher in technischer Hinsicht. In Australien wird es vor dem G20-Gipfel einen Regierungswechsel geben – mit Wahrscheinlichkeit hin zu einer konservativeren Regierung – was die Aussichten, das Thema der Notwendigkeit eines Reformprozesses auf die G20-Agenda zu bekommen, verschlechtert. Auch haben die Australier wenig Interesse an der Eurokrise – sie schauen viel eher nach Asien.

Auch konzeptionelle Dinge wurden diskutiert: so z.B., wie in einem umfassenden Verfahren mit dem dem “Preferred Creditor Status” der Internationalen Finanzinstitutionen umzugehen sei. Interessant, dass es diesen Status rechtlich gar nicht gibt. Im Rahmen eines FTAP macht es grundsätzlich mehr Sinn, neue Finanzierungen und eventuell auch neuere Financiers, die helfen, das Schuldnerland in der Krise über Wasser zu halten, mit so einem Status auszustatten, als grundsätzlich bestimmte Gläubiger zu privilegieren.

Durch die doch eher konzeptionelle Diskussion im zweiten Teil der Veranstaltung war es nur am Rande möglich, gemeinsame Strategien zu entwickeln. Vielmehr gab das Treffen jedoch erste Eindrücke für die Planungen vor allem hinsichtlich der Weiterarbeit zu G20.

Ein Insolvenzverfahren für Länder wie Simbabwe? So sieht's aus!

Der Begriff “ZIMulation” geisterte seit knapp einem Jahr durch die Räume von erlassjahr.de und hat sicher die ein oder andere schlaflose Nacht verursacht. Eine kleine Arbeitsgruppe hat sich letztes Jahr im Oktober aufgemacht der Welt zu zeigen, dass die vorgeschlagenen Alternativen zum existierenden gläubigerdominierten Schuldenmanagement nicht nur abstrakte Buchstaben auf dem Papier sind, sondern dass eine Alternative durchaus auch praktisch plausibel aussehen kann.

„ZIMulation“ steht für Simulation eines Schuldenschiedsverfahrens am aktuell kritischen Länderfall Zimbabwe. Einen „step-by-step-Guide“ gab es ja schon: so hatte Jürgen Kaiser im Rahmen der Studie „Resolving Sovereign Debt Crises“ konkretisiert, wie für Land X die Schritte eines Schuldenschiedsverfahrens aussehen könnten und was Finanzminister X dafür tun muss. Allerdings fehlt auch einem konkreten step-by-step-Guide das Bindemittel zwischen abstrakt und praktisch plausibel – die Geschichte. Die FTAP-AG hat das X in eine Geschichte übersetzt. Warum gerade Simbabwe?

Simbabwe ist seit knapp 12 Jahren insolvent. Im Jahr 2000 stellte das Land die Schuldendienstzahlungen an seine Gläubiger ein. Heute, im Jahr 2012 hat Simbabwe einen Schuldenstand in Höhe von 10,7 Milliarden US Dollar. Mehr als 6 Milliarden US Dollar sind davon schon lange im Rückstand. Der Schuldenstand steigt immer weiter, da auf die bereits bestehenden uneinbringlichen Schulden Zinsen fallen, die dann ebenfalls zu uneinbringlichen Schulden werden.

Simbabwe lebt damit in einer Phantomschuldenwelt, Schulden, die laut dem Ökonomen Kunibert Raffer eigentlich nicht real sind. Doch für den Schuldner haben sie ganz reale Konsequenzen: das Land ist von Neufinanzierungen abgeschnitten, Investitionen bleiben aus und selbst private Unternehmen in Simbabwe erhalten aus dem Ausland kein Geld mehr. Simbabwes Schulden sind Phantomschulden – sie entbehren jeder realen Grundlage tatsächlich je ab bezahlt zu werden, auch wenn Finanzminister Tendai Biti dies ungern zugibt, wenn er die simbabwischen Ressourcen für die Lösung verspricht.

Einzige reale Option scheint der Gang zum Pariser Club oder wahrscheinlicher noch die Aufnahme in die multilaterale HIPC-Initiative. Allerdings ist Simbabwe dafür eigentlich gar nicht zugelassen – zu Zeiten der Länderklassifizierung war Simbabwe nicht arm genug für die Initiative. Heute ist es das Land bestimmt – die Gläubiger erklären sich daher grundsätzlich bereit, Simbabwe rückwirkend zum Jahr 2004 als arm zu klassifizieren, wenn Simbabwe das Global Political Agreement (GPA) erfolgreich umsetzt. Das GPA ist eine Art Koalitionsvertrag der simbabwischen Einheitsregierung. Für den westlichen Gläubiger ist hinsichtlich der erfolgreichen Umsetzung des GPA vor allem die Durchführung demokratischer Wahlen gemeint.

Im Jahr 2013 könnte es also so weit sein: Simbabwe bekommt einen Teil seiner Schulden unter HIPC gestrichen. So einfach ist es nicht: Simbabwe muss vorher seine Zahlungsrückstände an die multilateralen Finanzinstitutionen ab bezahlen, sonst darf das Land nicht rein. Das sind etwas mehr als 1 Milliarde US Dollar; Simbabwe jährliches Budget liegt bei ca. 2,9 Milliarden US Dollar.

Müssen wohl wieder neue Schulden her, um die alten zu bezahlen, denn einem nackten Mann kann man nicht in die Tasche greifen. Gutes Geld wird also schlechtem hinterher geworfen; was das für einen bereits bankrotten Staat bedeutet sieht man jüngst in Griechenland. Brauchen tut das Land dringend mehr als 45 Milliarden Milliarden US Dollar auf die nächsten 10 Jahre gesehen, nur um wirtschaftlichen Wiederaufbau zu leisten.

Der HIPC-Prozess dauert allerdings mindestens drei Jahre bevor es zum vollständig vereinbarten Schuldenerlass kommt, so lange müsste Simbabwe dann wohl noch warten. Zudem geht HIPC mit IWF-konformen wirtschaftspolitischen Konditionalitäten einher, was besonders der Zivilgesellschaft in Simbabwe schlaflose Nächte bereitet, denn die ESAP-Zeiten sind nur zu gut in Erinnerung geblieben. Außerdem scheint die Vermischung eines logischerweise langwierigen Reformprozesses mit einem dringend benötigten Schuldenerlass sicher nicht als der ökonomisch sinnvollste Weg für Simbabwe aus der Schuldenkrise.

All dies macht deutlich, warum ein unparteiisches, umfassendes und zeitiges Schiedsverfahren für Simbabwe eine dringend notwendige Alternative zu Pariser Club und Co. ist. Wie ein fairer Interessenausgleich zwischen Simbabwe und seinen Gläubigern nun im Einzelnen aussehen könnte, das versucht die Simulation darzustellen; von der Insolvenzerklärung über finanzielle und politische Unterstützung durch eine „Friends Group“ bis hin zur eigentlichen Arbeit eines eingesetzten Panels. Wie könnte ein Panel überhaupt “ausgewählt” werden? Mit welchen Kosten müssten die Parteien bei so einem Verfahren rechnen und wie könnten diese finanziert werden? Wie kann Simbabwe wirklich alle Gläubiger über die bevorstehende Insolvenz benachrichtigen? Wie kann ein tragfähiges Schuldenniveau festgelegt werden?

Bei der Darstellung der einzelnen Schritte werden – wo angebracht – mögliche Szenarien für Simbabwe dargelegt, so z.B. die Einwerbung SADCs (“Southern African Development Community”) für vor allem politische Unterstützung des Schuldenschiedsprozesses, ob und wie einzelne Kredite Simbabwes als illegitim erklärt werden könnten und wie die zivilgesellschaftliche Beteiligung am Prozess speziell in Simbabwe aussehen könnte. Der Vollständigkeit halber sei dazu gesagt, dass der in der Simulation beschriebene Ablauf bloß ein Vorschlag ist. Ein zukünftiges faires und transparentes Staateninsolvenzverfahren muss natürlich nicht eins zu eins nach dem beschriebenen Schema ablaufen.

Wer also schon immer mal wissen wollte, wie ein internationales Insolvenzverfahren im beinahe kleinstem Detail aussehen könnte, der möge sich das knapp 50-seitige Dokument von unserer Länderinformationsseite hier herunterladen.