Wiedersehen nach drei Jahren Zoom: Eurodad-Konferenz in Brüssel

Das europäische Dachnetzwerk von erlassjahr.de – Eurodad – organisiert alle zwei Jahre eine internationale Konferenz, um Organisationen weltweit, die zu finanzieller Gerechtigkeit arbeiten, zusammenzubringen. So fand auch dieses Jahr vom 06.-08. Juni in Brüssel eine Konferenz statt. Auf der Agenda standen verschiedene Vorträge und Workshops rund um die Themengebiete Staatsverschuldung, Entwicklungspolitik und globale Gerechtigkeit. Mir wurde im Rahmen meines Praktikums die Möglichkeit geboten, daran teilzunehmen. Dieser Blogbeitrag stellt einen persönlichen Erfahrungsbericht dar.

Klassentreffen der Entschuldungsbewegung

Der erste Tag begann mit einem „Debt Strategy Meeting“. In dem Konferenzraum fanden sich mehr als 50 Menschen aus verschiedenen Ländern ein. Für mich war es überraschend, dass so viele an dem Thema der Staatsverschuldung arbeiten und teilweise eine sehr weite Reise auf sich genommen hatten, um an der Konferenz teilzunehmen. Der zwischenmenschliche Kontakt war sehr offen, freundlich und persönlich. Die Mehrheit der Teilnehmer*innen kannte sich offensichtlich aus früheren Treffen oder Zusammenarbeiten. Insgesamt war die Stimmung sehr enthusiastisch und die Vorfreude auf die kommenden Tage groß. Das lag auch daran, dass aufgrund der Pandemie in den vergangenen zwei Jahren keine persönlichen Treffen stattfinden konnten.

Nach einer kurzen Vorstellungsrunde wurde über Möglichkeiten und Herausforderungen einer neuen Schuldenkrise gesprochen. Thematisiert wurden unter anderem die Volatilität auf Staatsanleihemärkten und die Rolle Chinas in der internationalen Finanzarchitektur. Erwähnt wurde u.a. das Narrativ, dass China nicht bereit sei, sich an Schuldenumstrukturierungen zu beteiligen – welches westliche Regierungen gerne nutzen, um sich aus der Verantwortung zu stehlen. Die Anwesenden betonten, dass es vielmehr dringend notwendig sei, dass auch westliche Gläubiger sich bewegen und etwa Privatgläubiger in Umstrukturierungsverhandlungen zur Beteiligung verpflichten. Dies könne vor allem durch nationale Gesetzgebung in den G7-Staaten erreicht werden. Im Anschluss ging es um politische Handlungsoptionen: Der Direktor von von Jubilee USA stellte etwa einen neuen Gesetzesentwurf vor, der vor kurzem im Bundesstaat New York eingebracht worden war und dazu beitragen soll, die Beteiligung privater Gläubiger an Schuldenerlassen zu verbessern.

Mein erster Eindruck an diesem Tag war, dass viele wichtige und interessante Punkte angesprochen wurden, allerdings wenig Diskussion zustande kam. Es wirkte eher wie ein Austausch von Aspekten, die der jeweiligen Person wichtig waren, als eine tatsächliche Debatte, die sich an einem bestimmten Ziel orientiert. Am Abend organisierte Eurodad ein gemeinsames Abendessen, welches von vielen der Anwesenden genutzt wurde, um neue Kontakte zu knüpfen oder alte Bekanntschaften zu pflegen.

Ungerechtigkeiten sind systemimmanent

An Tag zwei standen Vorträge sowie Workshops auf der Agenda. Beim ersten Vortrag ging es um „Development cooperation as a leverage for tackling vaccine inequality? A Belgian perspective on the issue”. Die Sprecher*innen Kristina Bayingana (Büro des belgischen Ministers für Entwicklungszusammenarbeit), Vitalice Meja (Reality of Aid Africa) und Arnaud Zacherie (CNCD-11.11.11) wiesen darauf hin, dass im letzten Jahr über 11 Milliarden Impfdosen produziert wurden. Drei Viertel davon wurden jedoch von reicheren Ländern gekauft. Im März 2022 waren 56 Prozent der Weltbevölkerung vollständig geimpft. In Entwicklungsländern sind es gerade mal 7 Prozent. Die Sprecher*innen betonten, dass die Ungleichheit bei der Verteilung von Impfstoffen eine Frage von globaler Gerechtigkeit ist. Trotz kleinerer technischer Probleme bei einem via Zoom zugeschalteten Teilnehmer war es meiner Meinung nach dennoch ein gelungener Vortrag.

Danach wurde die Konferenz durch eine Diskussion zum Thema „Reboot the system: Defining joint strategies for economic justice“ eröffnet. Der erste Sprecher, Jason Hickel (Anthropologe), thematisierte in seiner Rede den Zusammenhang zwischen aktuellen Krisen und unserem derzeitigen Wirtschaftssystem. Der Vortrag hat mir persönlich sehr gut gefallen. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir der Satz „It’s not a bug, it’s a feature.“ Er machte deutlich, dass die globalen Probleme eben nicht durch einen Fehler im System entstanden sind und durch Behebung des Fehlers innerhalb des Systems beseitigt werden können. Krisen sind vielmehr, solange wir uns in diesem kapitalistischen System bewegen, unvermeidbar.

Die zweite Sprecherin, Emilia Reyes (Equidad de Género Ciudadanía, Trabajo y Familia), sprach in ihrer Rede direkt zivilgesellschaftliche Organisationen in Industriestaaten an. Sie kritisierte diese auf unterschiedlichen Ebenen, allerdings ohne konkrete Forderungen zu formulieren. Mich konnte ihre Ansprache nicht überzeugen. Die Reaktion der anderen Zuhörer*innen war jedoch mehrheitlich zustimmend. Als letzte Session dieses Tages waren drei unterschiedliche Workshops geplant. Ich nahm an dem Workshop „International Financial Institutions: Time for a reset?“ teil. In vier Welt-Cafés wurde über einzelne Aspekte des Themas gesprochen.

Besonders spannend war für mich die Diskussion um das Thema der Sonderziehungsrechte (Special Drawing Rights, SDRs). Die Verteilung dieser basiert auf den IWF-Quoten der Länder. Das führte dazu, dass während der Pandemie zwei Drittel der SDRs Industriestaaten zugewiesen wurden. Leider war hier, wie bei vielen Sessions, die Zeit nicht ausreichend, um tatsächlich ausführlich über ein Thema oder einzelne Aspekte des Themas zu sprechen. Auch dieser Tag endete wieder mit einem gemeinsamen Abendessen, welches erneut als „Socialising Event“ genutzt werden konnte. Vor allem an diesem Abend, aber auch während der restlichen Konferenz, hätte ich mir sehr gewünscht, dass die Veranstalter ein Hygienekonzept ausgearbeitet hätten.

Grüne Transformation und Menschenrechte

Der dritte und letzte Tag der Konferenz begann mit dem Vortrag „A green recovery: Empty rhetoric or a just transition?”. Dieser griff ein sehr spannendes Thema auf, welches aus meiner Sicht auch in Deutschland viel zu wenig behandelt wird. Die insgesamt fünf Sprecher*innen diskutierten Ideen für einen grünen Aufschwung. Im Vordergrund stand dabei die Notwendigkeit, den Übergang möglichst gerecht zu gestalten. Der zeitliche Rahmen von 60 Minuten wurde leider weder der Thematik noch den Sprecher*innen gerecht. Daher waren eine Diskussion und auch eine Entwicklung von Lösungsansätzen nicht möglich.

Die letzte Session des Tages behandelte das Thema „Ensuring the primacy of human rights in times of systemic crises”. Die Sprecher*innen wiesen darauf hin, dass die zu hohe Verschuldung von Staaten im Globalen Süden häufig dazu führe, dass Staaten öffentliche Ausgaben, vor allem auch Sozialausgaben, kürzen müssen. Dieses Finanzierungsproblem untergräbt die Menschenrechtsverpflichtungen dieser Staaten. Während der Veranstaltung wurde diskutiert, was die internationale Gemeinschaft tun kann, um die betroffenen Staaten zu unterstützen. Insbesondere der Redebeitrag von Maria Arena (Mitglied des Europäischen Parlaments) hat mich interessiert. Sie thematisierte unter anderem die Menschenrechtsverletzungen in Qatar und welche Rolle europäische Unternehmen dabei spielen. Nach dieser Session folgte die Closing Ceremony zum Abschluss der Konferenz.

Fazit: Zu wenig Zeit für Strategie und Inhalte, aber viele wertvolle Erfahrungen

Ich war während der gesamten Konferenz immer wieder beeindruckt, wie viele fachlich kompetente, freundliche und engagierte Menschen teilgenommen haben. Für viele dieser Teilnehmer*innen stand der Aspekt des Netzwerkens definitiv im Vordergrund. Für mich persönlich waren hingegen die Vorträge und Workshops deutlich interessanter als die Socialising Events am Abend. Für die Erarbeitung inhaltlicher Strategien wäre es vermutlich besser gewesen, sich auf einzelne Aspekte dieser Themengebiete zu beschränken und diesen dann auch die notwendige Zeit einzuräumen. Allerdings arbeiten die Teilnehmer*innen grundsätzlich an so vielen unterschiedlichen Themenaspekten, dass bei einer solch breit aufgestellten Konferenz nicht allen hätte gerecht werden können. Deshalb war es verständlich, dass die Konferenz stärker für den Austausch genutzt wurde – vor allem nach drei Jahren Videomeeting auf Zoom!

Zusammenfassend war es für mich eine sehr wertvolle Erfahrung. Ich habe nicht nur inhaltlich viel lernen können, sondern auch einen besseren Einblick in die Arbeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen bekommen.