25 Jahre Kölner Kette: Ein Meilenstein der Entschuldungsbewegung 

Avatar-Foto Amelie Fischer, erlassjahr.de
29. Mai 2024

19. Juni 1999, Köln. Acht Männer in Anzügen, die Mächtigsten ihrer Zeit. Straßensperrungen, Staatsbanketts und ein riesiges Polizeiaufgebot. Diese Bilder spuckt eine Google-Suche nach dem „G8-Gipfel Köln 1999“ aus. Die viel wichtigeren Bilder und Zahlen, die an diesem Tag entstanden sind, landeten eher nicht auf den Titelseiten der Zeitungen. Doch sie sprechen heute noch für sich: 35 000 Menschen in einer acht Kilometer langen Menschenkette rund um die Kölner Innenstadt. Mit dabei: 17,4 Millionen Unterschriften aus 160 Ländern, die die Gruppe der Acht dazu aufforderten, die Schulden kritisch verschuldeter Länder weltweit zu streichen.

35 000 Menschen in einer acht Kilometer langen Menschenkette rund um die Kölner Innenstadt.

Mit Erfolg: Beim G8-Gipfel 1999 wurde beschlossen, einen Großteil der Auslandsschulden von 41 hoch verschuldeten Ländern im Globalen Süden zu erlassen – und das Thema Schulden einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht.


Demonstrierende entlang der Rheinbrücke in Köln. (Foto: Gerhard Steeger)

Der 19. Juni 1999 – ein Momentum

Jener bedeutungsvolle 19. Juni jährt sich in diesem Jahr zum 25. Mal. Wie fängt man ein Momentum ein, das man selbst gar nicht miterlebt hat? Man hört Menschen zu, die dabei waren und besucht historische Orte, die von Bedeutung waren. Besonders die Berichte von Zeitzeug*innen des 19. Juni 1999 ermöglichen Einblicke in eine bewegte Zeit.

„Obwohl der Zug übervoll ist, ist die Stimmung gut. Das gemeinsame Ziel der meisten ist der Grund.“

„Der Bahnsteig ist voll, doch nichts im Vergleich zu dem Zug, in den wir einsteigen. Wir ergattern noch einen Stehplatz und fragen uns, ob die anderen wohl auch zur erlassjahr-Demo wollen. Die meisten wollen es. Obwohl der Zug übervoll ist, ist die Stimmung gut. Das gemeinsame Ziel der meisten ist sicher der Grund.“ So erinnert sich Maria Wego aus dem Jugendhaus Düsseldorf. Sie beschreibt, wie die Menschen auf den Straßen sich grüßen und einander zu winken. Ihr Erkennungsmerkmal sind die regenbogenfarbenen erlassjahr-Schals, die sich viele Menschen um den Hals oder den Kopf gebunden haben. „Eine Stimmung wie auf Katholiken- oder Kirchentagen“, beschreibt Maria Wego. „Daran ändern auch die Sicherheitsmaßnahmen wegen des G8-Gipfels nichts, die sonst vielleicht beängstigend wirken könnten.“

Für einige Minuten sind die beim G8-Gipfel versammelten Politiker symbolisch vom Rest der Welt abgeschnitten.

Die Fotos vom 19. Juni 1999, die uns Gerhard Steeger vom Arbeitskreis für Entwicklungspolitik und Selbstbesteuerung e.V. digitalisiert und zugesendet hat, verleihen diesen Erzählungen Gesichter. Darauf sind bunt gekleidete Menschen aller Altersstufen zu sehen, die sich an zentralen Orten am Rhein entlang versammeln. Manche von ihnen tragen Plakate mit den Forderungen „Drop the debt“ oder „Break the chain“. Die Aufbruchsstimmung und Aufregung sind beinahe greifbar. Und um 14.08 Uhr, so steht es zwei Tage später im Kölner Stadt-Anzeiger, ist es dann soweit: Am Konrad-Adenauer-Ufer schließt sich die Menschenkette. Für einige Minuten sind die beim G8-Gipfel versammelten Politiker symbolisch vom Rest der Welt abgeschnitten, um so mit den Forderungen der Kampagne konfrontiert zu werden.


Demonstrierende versammeln sich vor der Bühne am Rheinufer. (Foto: Gerhard Steeger)

Eine globale Bewegung

Der 19. Juni 1999 war keineswegs die Geburtsstunde der globalen Entschuldungsbewegung. Bereits Jahre zuvor begannen Menschen überall auf der Welt, Schuldenerlasse für kritisch verschuldete Staaten zu fordern. Ende der 90er Jahre schlossen sich Entschuldungsinitiativen weltweit zur globalen Erlaßjahr2000-Kampagne zusammen, mit dem Ziel, bis zum letzten Ländergipfel des Jahrtausends möglichst viele Unterschriften für Schuldenstreichungen zu sammeln. Und so erinnern wir uns neben der Kölner Kette auch an zahlreiche Bewegungen und Protestaktionen in Ländern des Globalen Südens wie Kenia, Uganda, Ghana, Nigeria, Peru und Honduras.

Wir erinnern uns neben der Kölner Kette auch an zahlreiche Bewegungen und Protestaktionen in Ländern des Globalen Südens.

Die Internationalität der Erlaßjahr2000-Bewegung war auch am 19. Juni 1999 in Köln zu spüren. Menschen aus rund 50 Ländern waren Teil der Kölner Kette. Winfried Montz, Abteilungsleiter für Pastoral & Bildung im Bistum Limburg, erinnert sich, dass er an jenem 19. Juni gemeinsam mit Bischof Dennis de Jong aus Ndola, Sambia in Köln war. Bischof Dennis de Jong hatte bereits im September 1997 an der Gründungsversammlung der Initiative Erlaßjahr2000 – aus der später erlassjahr.de in seiner heutigen Form entstand –in Wuppertal teilgenommen. Am Tag der Kölner Kette zog er aus dem Riesenhaufen der Millionen gesammelten Unterschriften zielsicher eine Liste mit Unterschriften heraus und sagte: „Das ist in Bemba geschrieben, das kommt aus Sambia“.


Bischof Dennis de Jong mit den gesammelten Unterschriften.
(Foto: Winfried Montz)

25 Jahre später – der Einsatz für faire Entschuldung geht weiter

Die große Kraftanstrengung, mit der sich Ende der 90er Jahre Menschen weltweit für Schuldenschnitte einsetzten, hatte sich gelohnt: Die damalige deutsche Bundesregierung wusste das Momentum zu nutzen und beschloss einen weitreichenden Schuldenerlass für 41 hoch verschuldete Länder im Globalen Süden. Diese Erlasse waren dringend notwendig und ermöglichten vielen Staaten, in die Armutsbekämpfung zu investieren. Wie erfolgreich die sogenannte HIPC-Kampagne (Heavily Indebted Poor Countries, HIPC) dabei letztendlich langfristig war, wurde lange Zeit kontrovers diskutiert. Die Entschuldungsbewegung wies schon damals darauf hin, dass die strukturellen Ungleichheiten der globalen Finanzarchitektur mit einmaligen Erlassen nicht zu überwinden seien.

Heute sind viele der damals betroffenen Länder erneut kritisch verschuldet und der Einsatz für faire Entschuldung ist dringender denn je.

25 Jahre später wird die Kölner Kette als Höhepunkt, aber keinesfalls als Endpunkt der Bewegung gesehen. Denn heute sind viele der damals betroffenen Länder erneut kritisch verschuldet und der Einsatz für faire Entschuldung ist angesichts der weltweiten Schuldenkrise dringender denn je. Am 18. Juni 2024 lädt das erlassjahr.de-Bündnis deshalb wieder nach Köln ein. In einer Menschenkette am Kölner Dom soll dem 25-jährigen Jahrestag der Kölner Kette gedacht werden. Aber vor allem möchten wir diesen Anlass nutzen, die Forderungen unserer aktuellen Kampagne „Mit Schulden fair verfahren!“ an die Bundesregierung zu richten. Die tut nämlich trotz Versprechungen im Koalitionsvertrag viel zu wenig gegen die Schuldenkrise.

Alle Informationen zu unserem Aktionstag in Köln am 18. Juni 2024 findet ihr hier.


Menschenkette auf der Kölner Rheinbrücke. (Foto: Gerhard Steeger)

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