Colombo Consulations: Manchmal lohnt sich Fliegen doch!

Avatar photo Malina Stutz, erlassjahr.de
16. August 2024

Auf Einladung unserer sri-lankischen Kolleg*innen vom YUKTHI-Kollektiv waren meine Kollegin Kristina Rehbein und im Juni 2024 für eine knappe Woche in Sri Lanka zu Besuch. Für mich war es die erste außer-europäische Reise in meiner Funktion bei erlassjahr.de. Nicht, weil es zuvor keine Anlässe gegeben hätte, sondern weil wir uns bisher bei vielen Gelegenheiten explizit dagegen entschieden hatten, mal eben durch die Welt zu jetten. 

Diesmal fiel unsere Entscheidung anders aus. Dies lag vor allem daran, dass wir mit den Wissenschaftler*innen des YUKTHI-Kollektivs mittlerweile seit fast zwei Jahren – seit Sri Lanka im April 2022 in den Zahlungsausfall geriet – einen sehr engen Austausch gepflegt haben. Ahilan Kadirgamar, einer der Mitinitiator*innen des YUKTHI-Kollektivs, war bereits im Oktober 2023 für eine Rundreise bei uns in Deutschland zu Gast gewesen. Nun waren wir für die Colombo Consulations nach Sri Lanka eingeladen. Auch mit Blick auf die im September anstehenden Präsidentschaftswahlen fand in der Woche vom 8. Juni eine Vielzahl an öffentlichen und nicht-öffentlichen Veranstaltungen statt, um die Diskussion bezüglich möglicher Alternativen zum aktuellen Umschuldungsprozess und zu den IWF-Konditionen zu beleben.

Kristina und ich hatten unsere Kolleg*innen aus Sri Lanka auch im Vorhinein bei den Planungen unterstützt und insbesondere den Kontakt zu und die Anreise von weiteren internationalen Expert*innen im Schuldenthema mitorganisiert. Neben Kristina und mir waren in der Woche vom 8. Juni folgende weitere internationale Gäste vor Ort in Colombo: Martín Guzman, ehemaliger Wirtschaftsminister Argentiniens und aktuell Professor an der Colombia University mit großer Expertise im Schuldenthema; Jayati Ghosh, indische Politökonomin, aktuell Professorin in Massachusetts und ebenfalls eine bekannte Größe in der internationalen Debatte zur Reform der internationalen Schulden- und Finanzarchitektur; Charles Abugre, ghanaischer Direktor der International Development Economics Associates (IDEAs), einem Wissenschaftsnetzwerk progressiver Ökonom*innen insbesondere aus dem Globalen Süden; Charles Chandrasekhar, ebenfalls IDEAs-Mitglied und Wirtschaftsprofessor, der aktuell in Delhi und Bangkok lehrt, sowie Ashim Rashid, Mitglied des Alternate Law Collective in Pakistan und Wissenschaftler an der Universität in Pennsylvania. 

Samstag, 8.6.: Ankunft und „Workers Tribunal“

Nach einem Nachtflug bin ich Samstag früh in Colombo gelandet und wurde von Shafiya Roshan Rabaithu und Yatursha Ulankentheran am Flughafen herzlich empfangen. Shafiya und Yatursha arbeiten beide als Wissenschaftlerinnen im YUKTHI Kollektiv. Am Samstag standen noch keine schuldenbezogenen Veranstaltungen an und ich konnte mir den Tag etwas einteilen. Beim Mittagessen habe ich Chandru Chandrasekhar kennengelernt, den ich bisher nur von Online-Sitzungen kannte. 

Nachmittags habe ich Ahilan zu einem „Workers Tribunal“ in der architektonisch beeindruckenden Bandaraneike Momorial International Conference Hall (BMICH) begleitet. Das BMICH-Kongresszentrum wurde in den 1970er Jahren von China als Geschenk an Sri Lanka errichtet, um an den vierten Premierminister des Landes, Bandaranaike, zu erinnern. Dieser führte Sri Lanka in den 1950er Jahren in die Blockfreie Bewegung und eröffnete diplomatische Beziehungen zu China. Für mich war es interessant, dieses Gebäude und die damit verbundene Geschichte kennenzulernen, da im Westen oft die Auffassung herrscht, dass Chinas jüngste Bemühungen, weltpolitischen Einfluss zu gewinnen, ein völlig neues Phänomen seien. Über das “Workers Tribunal“ und die menschunwürdigen Arbeitsumstände der dort zu Wort kommenden Plantagenarbeiter*innen habe ich hier ausführlich berichtet.

Sonntag, 9.6.: Interner Konsultationsprozess

Am Sonntag fand ein ganztägiger, interner Austausch mit rund 30 Menschen aus Sri Lanka und den aus dem Ausland angereisten Gästen im schönen Galle Face Hotel statt. Trotz des kolonialen Ursprungs des Hotels – an der Bauweise sehr gut erkennbar – ist das Hotel für Veranstaltungen dieser Art bei unseren sri-lankischen Kolleg*innen sehr beliebt und wird von ihnen vor allem gegenüber den neuen großen internationalen Hotelketten für die Unterbringung ausländischer Gäste gern genutzt. Der Fokus lag am Sonntag vor allem darauf, den ausländischen Gästen im Vorfeld der anstehenden öffentlichen Termine ein umfassenderes Bild der aktuellen Lage in Sri Lanka zu vermitteln und Perspektiven auf den aktuell laufenden Umschuldungsprozess auszutauschen. 

Montag, 10.6.: Fernsehinterview & große öffentliche Veranstaltung zu Sri Lankas Schuldenrestrukturierung

Kristina landete am Montagmorgen und wurde von unseren sri-lankischen Kolleginnen vom Flughafen direkt ins Fernsehstudie von NewsFirst geleitet. Dort gab sie gemeinsam mit Jayati Ghosh ein einstündiges Interview, das hier angeschaut werden kann. 

Am Montagnachmittag fand die größte öffentliche Veranstaltung der Woche statt. In einer Paneldiskussion mit dem Titel „Is there another way? Debt restructuring, the IMF and the future of Sri Lanka” diskutierten Martín Guzman, Jayati Ghosh und Charles Abugre über die Probleme des aktuellen Umschuldungsprozesses und über mögliche Alternativen. Mit rund 400 Teilnehmenden – darunter Arbeiter*innen der verschiedenen ethnischen Gruppen Sri Lankas, Parlamentsabgeordnete und der ehemalige Zentralbankchef – wurde die Erwartung unserer sri-lankischen Kolleg*innen weit übertroffen. Auch in den großen Zeitungen sowie in den sozialen Medien wurde viel über die Veranstaltung berichtet, z.B. hier. Kristina und ich haben kleineren Medien am Rande der Veranstaltung Interviews gegeben. 

Dienstag, 11.6.: Interview und Klimaworkshop

Am Dienstagmorgen haben Kristina und ich der sri-lankischen Tageszeitung The Daily Mirror ein Interview gegeben. Nachmittags haben wir einen Workshop zur Verbindung der Schulden- und Klimakrise gegeben, an dem rund 30 Personen teilnahmen, vor allem Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen, die in Sri Lanka zu unterschiedlichen Klima- und Umweltfragen arbeiten. Es kam zu einem sehr anregenden Austausch. Mit Melani, einer der Mitorganisator*innen des Workshops, haben wir unsererseits ein Interview über ihr Engagement vor Ort und die Lage Sri Lankas geführt, das in Kurzfassung hier wiedergegeben wird. 

Mittwoch und Donnerstag, 12.-13.6.: Auswertung und Strategiebesprechung in kleiner Runde

Am Mittwoch und Donnerstag hatten Kristina und ich gemeinsam mit dem Kernteam von YUKTHI Zeit für eine Auswertung der Colombo Consultations und unserer Zusammenarbeit der letzten zwei Jahre. Wir haben die Zeit außerdem genutzt, um uns gegenseitig tiefergehend über unsere aktuellen Arbeitsschwerpunkte zu informieren und strategische Planungen für die nächsten Wochen und Monate anzustellen. Es war sehr deutlich, dass es gerade für einen solchen Austausch sehr viel fruchtbarer ist, gemeinsam in einem Raum zu sitzen, statt sich wie in den letzten zwei Jahren immer nur auf Kacheln am Bildschirm zu sehen. An diesen Tagen haben wir außerdem noch Interviews mit Madhulika, einer jungen Gewerkschaftsaktivistin und Ermiza, einer Menschenrechtsanwältin aufgezeichnet. Das Interview mit Ermiza kann hier im Blog des Netzwerk Entwicklungspolitik Saarbrücken nachgelesen werden, denn Ermiza wird zu unserer großen Freude einen Online-Workshop bei unserer diesjährigen Jahrestagung in Saarbrücken geben. 

Gemeinsam mit Charles und Hashim hat Kristina am Mittwochabend zudem noch an einem Expert Roundtableteilgenommen, der hier nachgehört werden kann. 

Abschied und Rückreise

Donnerstagnachmittag hatten wir noch wenige Stunden freie Zeit und das erste Mal die Möglichkeit, uns die Beine etwas zu vertreten. Nach dem Aufenthalt in den vielen klimatisierten Räumen sind wir bei dem feucht-warmen Wetter draußen schnell ins Schwitzen gekommen. Unsere Gastgeber*innen haben uns außerdem noch in ein Kulturzentrum mitgenommen, in dem auch fair produzierte Kleinigkeiten verkauft wurden. Kristina und ich haben uns dort noch mit einigen Leckereien und kleinen Erinnerungsstücken eingedeckt – mein Schreibtisch im Düsseldorfer Büro wird seitdem durch einen Stifte- und Post-it Halter aus Sri Lanka verschönert. Abends waren wir ebenfalls mit dem Kernteam von YUKTHI etwas außerhalb – und erstmals am Strand – zum Abschied etwas essen, bevor es Donnerstagnacht mit dem Flieger zurück nach Deutschland ging. 

Unsere Kolleg*innen in Sri Lanka bewerten die Colombo Consultations als großen Erfolg. Die Vielzahl der Veranstaltungen in dieser Woche hat die Debatte über den Sinn und Unsinn des aktuellen IWF-Programms neu entfacht und vor allem konkrete Alternativszenarien in den Fokus gerückt. Für die Menschen in Sri Lanka – einem Land, das erstmals in seiner Geschichte Umschuldungsverhandlungen führt – ist es äußerst wertvoll, auf die Erfahrungen anderer Länder in ähnlichen Situationen zurückgreifen zu können. Dadurch wird deutlich, dass die Lage in Sri Lanka kein Einzelfall ist und dass weltweit Menschen daran arbeiten, Schuldenkrisen fairer und nachhaltiger zu überwinden. Es bleibt zu hoffen, dass die gewonnenen Erkenntnisse aus den Colombo Consultations den Weg für eine gerechtere Zukunft für Sri Lanka ebnen.

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