Sieg fürs Kapital – Gefahr für die Demokratie Teil II: Verwobene Machtstrukturen in internationalen Schuldenrestrukturierungen 

Avatar-Foto Malina Stutz, erlassjahr.de
15. November 2024

Sri Lanka hat gewählt – doch der Handlungsspielraum des neuen linken Präsidenten Dissanayake ist stark eingeschränkt. Mit dem Versprechen, das Kreditprogramm mit dem IWF sowie die laufenden Umschuldungsverhandlungen neu auszuhandeln, trat er an. Nur zwei Wochen nach Amtsantritt gab er dieses Vorhaben jedoch auf und akzeptierte einen Schuldendeal, der stark zugunsten der Gläubiger ausfällt. 

In Teil I der Blogreihe habe ich die Bedeutung einer Neuaushandlung und die sozialen sowie politischen Konsequenzen von Dissanayakes Kehrtwende erörtert. In Teil II beleuchte ich nun, wie der laufende Klageprozess zwischen der Hamilton Reserve Bank und Sri Lanka einen Einblick in die vielschichtigen Mechanismen gibt, über die auf den neuen Präsidenten Druck ausgeübt wurde.

Vorgeschichte: Zwischen Krisen, Klage und Austeritätsauflagen

Trotz multipler Krisen und hoher Schuldendienstbelastungen versuchte Sri Lanka lange, seine Gläubiger weiter auszuzahlen und vermied Umschuldungsverhandlungen. Das änderte sich im Frühjahr 2022, als der öl- und weizenimportierende Inselstaat von den weltwirtschaftlichen Folgen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine erneut schwer getroffen wurde. Im April 2022 blieb dem Land keine andere Möglichkeit, als die Rückzahlungen einzustellen und Umschuldungsverhandlungen aufzunehmen. 

Öffentliche Gläubiger – darunter die Bundesregierung – sowie ein Großteil der privaten Gläubiger erklärten sich bereit, mit Sri Lanka über eine Schuldenrestrukturierung zu verhandeln. Wie üblich machten die öffentlichen Gläubiger dafür die Aufnahme eines IWF-Kreditprogramms zur Bedingung. Im Rahmen dieses Programms wurde Sri Lanka zu harten Austeritätsauflagen verpflichtet, während die Schuldenerleichterungen völlig unzureichend ausfielen. 

Ein privater Gläubiger, die Hamilton Reserve Bank, lehnte Verhandlungen jedoch von Anfang an ab: Im Juni 2022 reichte die Investmentbank mit Sitz im Steuerparadies St. Kitts und Nevis eine Klage beim New Yorker Gericht ein und forderte die vollständige und sofortige Rückzahlung ihrer Forderungen.

April 2022 – Juli 2024: Enges Zusammenspiel zwischen Übergangsregierung und internationalen Akteuren

Die Übergangsregierung unter Wickremesinghe trieb die Umschuldung schnell voran und peitschte Reformen und Gesetzesänderungen im Rekordtempo durch das Parlament – ganz im Sinne der internationalen Gläubiger und ihrer wirtschaftspolitischen Ideologie. Die Klage der Hamilton Bank stieß daher zunächst auf Ablehnung der westlichen Staaten, da sie den reibungslosen Ablauf dieses Umschuldungsprozesses zu gefährden drohte. Die Bank agierte zunächst zu plump, um das politische Druckpotenzial, das in solchen Klagen begründet liegt, voll auszuschöpfen. 

Sowohl die US-Regierung als auch das Pariser Club-Sekretariat unterstützten Sri Lanka durch Stellungnahmen vor Gericht, als das Land im Juli 2023 und Februar 2024 die Aussetzung des Klageprozesses beantragte. Sie argumentierten, dass ein Urteil zugunsten der Bank den Restrukturierungsprozess gefährde. Die US-Regierung betonte zudem, dass ein erfolgreicher Umschuldungsprozess im Rahmen des IWF-Programms in ihrem geopolitischen Interesse liege. Zuletzt wurde der Prozess so auf Anweisung des Gerichts bis zum 1. August 2024 pausiert

Als die Pausierung am 1. August endete, war die Restrukturierung mit den privaten Gläubigern noch nicht abgeschlossen. Daher beantragte Sri Lanka Ende Juli 2024 erneut die Aussetzung. Während der Pariser Club im Februar 2024 sofort eine Stellungnahme einbrachte und die US-Regierung sich zwei Wochen später äußerte, dauerte es diesmal rund drei Wochen, bis der Pariser Club eine Stellungnahme einreichte. Die US-Regierung reichte erstmals keine Stellungnahme zur Unterstützung Sri Lankas ein. Dies könnte damit zusammenhängen, dass sich der Regierungswechsel bei den Präsidentschaftswahlen im September zu diesem Zeitpunkt schon deutlich abzeichnete. Der linke Kandidat Dissanayake, der für eine Neuverhandlung des IWF-Programms eintrat, lag in den Umfragen deutlich vorne. 

August 2024: Letzte Amtshandlung: Politischen Wandel erschweren

Im August 2024 wandten sich erstmals auch die privaten Gläubiger des Anleihehalter-Komitees an das Gericht, dem nach eigenen Angaben „einige der weltweit größten Finanzinstitutionen angehören“. In ihrer Intervention vom 28. August, die sich explizit auf den Antrag Sri Lankas auf eine weitere Pausierung bezog, erklärten die privaten Gläubiger:  

„Angesichts der Unsicherheiten im Zusammenhang mit den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in Sri Lanka [am 21.09.2024] (…) ist das Anleihehalter-Komitee besorgt, dass eine Verzögerung die bedeutenden Fortschritte, die Sri Lanka gemacht hat, gefährden könnte (…) das Komitee positioniert sich nicht bezüglich des Antrags auf Pausierung, das Komitee hält es aber für entscheidend, dass die Umstrukturierung der Anleihen bis Mitte September 2024 eingeleitet wird.“

(eigene Übersetzung und Hervorhebung)

Auch wenn das konkrete Ziel der Intervention im Zusammenhang mit dem Hamilton-Fall unklar bleibt, wird daran deutlich, dass die Anleger sämtliche Kanäle nutzten, um den Abschluss der Restrukturierung noch vor dem Regierungswechsel zu erzwingen.

Am 19. September 2024, also zwei Tage vor der Präsidentschaftswahl, reagierte die sri-lankische Übergangsregierung öffentlich und verkündete, dass sie mit dem Komitee der Anleihehalter eine vorläufige Vereinbarung geschlossen habe. Dabei handelte es sich noch nicht um eine rechtsverbindliche Restrukturierung. Durch die öffentliche Bekanntgabe des vorläufigen Deals versuchte die Regierung des abdankenden Übergangspräsidenten jedoch, eine Neuaushandlung nach der Präsidentschaftswahl zu erschweren.

September 2024: Ein „marxistischer Außenseiter“ wird gewählt

Am 21. September wurde Dissanayake mit deutlicher Mehrheit gewählt. Kurz nach der Wahl verkündeten der IWF sowie die öffentlichen Gläubiger, dass sie die vorläufige Vereinbarung mit den Anleihehalter-Komitee akzeptieren – obwohl private Gläubiger damit schätzungsweise 21 Prozent weniger Erleichterungen gewähren als öffentliche Akteure. Das widerspricht eigentlich dem Prinzip der Gleichbehandlung, das öffentliche Gläubiger bei Umschuldungen einfordern, damit öffentlich gewährte Erleichterungen keine privaten Gewinne finanzieren. Die Zustimmung war ein entscheidender Schritt, um die Umschuldungsverhandlung mit den Anleihehaltern so zum Abschluss zu bringen, wie sie vor der Wahl eingestielt wurde. Eine neue Aufnahme der Verhandlungen, wie sie Dissanayake zu diesem Zeitpunkt noch anstrebte, wurde dadurch erschwert.  

Am 1. Oktober wandte sich die Hamilton Reserve Bank erneut an das Gericht und warnte davor, den Antrag auf eine weitere Pausierung stattzugeben: 

„Die Regierung von Präsident Ranil Wickremesinghe hatte die Umstrukturierungsverhandlungen mit den Gläubigern und dem IWF geleitet. Doch am 21. September 2024 (…) gewann ein marxistischer politischer Außenseiter, Anura Kumara Dissanayake, die Präsidentschaftswahlen (…). Dissanayakes überraschender Sieg hat das Land in politische Ungewissheit gestürzt (…). Während Sri Lanka wiederholt spekuliert hat, dass dieser Rechtsstreit ‚ernsthafte Risiken für den Erfolg‘ seiner Umstrukturierung darstellen könnte, scheint die neue Führung Sri Lankas selbst das größte Risiko für diese Ziele darzustellen (…) ein weiterer Aufschub ist nicht gerechtfertigt.“

(eigene Übersetzung und Hervorhebung)

Hamilton griff somit die Argumentation auf, die zuvor von der sri-lankischen Übergangsregierung, den USA und dem Pariser Club vertreten und vom Gericht nicht für die Ablehnung, sondern für die Gewährung der bisherigen Moratorien übernommen worden war: dass der Rechtsstreit die Umschuldung gefährde, die auf dem aktuellen IWF-Programm basiert, und die Moratorien notwendig seien, um diesen – ansonsten gut laufenden Prozess – nicht zu unterbrechen. 

Oktober 2024: Der Präsident knickt ein

Am 4. Oktober versicherte die sri-lankische Vertretung dann vor Gericht, dass man sich dem IWF-Programm sowie der Vereinbarung mit dem Anleihehalter-Komitee weiterhin verpflichtet fühle und keine Neuverhandlungen anstrebe: 

„Die Hamilton Reserve Bank spekuliert, dass die Umstrukturierungsbemühungen Sri Lankas durch die jüngsten Präsidentschaftswahlen untergraben wurden (…). Die Bank ist falsch informiert (…) Sri Lanka bleibt dem Restrukturierungsprozess verpflichtet (…) die sri-lankischen Behörden haben ihre Zustimmung zu den IWF-Zielwerten und der Vereinbarung vom 19. September 2024 mit Vertretern des Anleihehalter-Komitees bestätigt.

(eigene Übersetzung und Hervorhebung)

Damit begrub der neu gewählte Präsident nach weniger als zwei Wochen eines seiner wichtigsten Vorhaben. 

Wie ist die Kehrtwende des Präsidenten zu verstehen?  

Die Kehrtwende des Präsidenten lässt sich nicht nur im Zusammenhang mit dem Klageprozess verstehen. Kurz nach den Präsidentschaftswahlen hatte es auch Treffen zwischen IWF-Mitarbeitenden und dem neuen Präsidenten gegeben. Was dort sowie in weiteren bilateralen Gesprächen besprochen wurde, dürfte einen erheblichen Einfluss auf den raschen Kurswechsel des Präsidenten gehabt haben. Wenngleich nicht bekannt ist, wie die Gespräche abliefen, ist offensichtlich, dass man von Seiten des IWF sowie vermutlich auch von den westlichen und östlichen Gläubigerstaaten keine Bereitschaft signalisiert hat, sich auf konstruktive Neuverhandlungen einzulassen. 

Der Klageprozess ist in diesem Kontext von Interesse, da dabei deutlich wird, dass die Unterstützung vor Gericht durch die westlichen Staaten eng daran geknüpft war, dass Sri Lanka die Maßnahmen des IWF willfährig umsetzt. Hätte der neue Präsident an seinem Vorhaben festgehalten und die Verhandlungen mit dem IWF und den Gläubigern neu aufgenommen beziehungsweise diese konfliktiver geführt, hätte Sri Lanka diese Unterstützung vor Gericht voraussichtlich gefehlt. Hinzu kommt, dass gegebenenfalls weitere private Gläubiger den Klageweg beschritten hätten. 

Auch ganz unmittelbar drohte von dem Prozess eine unangenehme Signalwirkung auszugehen. Zum Zeitpunkt Dissanayakes Wahl stand die Entscheidung über die Gewährung eines weiteren Moratoriums noch aus – was auch damit zusammenhängen könnte, dass die US-Regierung diesmal keine unterstützende Stellungnahme einreichte und andere Staaten dies erst mit Verzögerung taten. Eine Ablehnung durch das Gericht hätte nicht nur weitere negative Auswirkungen eines entsprechenden Gerichtsstreits nach sich gezogen, sondern wäre vermutlich auch medial ein gefundenes Fressen gewesen, um den „Marxisten“ Dissanayake wirtschaftspolitisch und diplomatisch als unfähig darzustellen.

Wie geht es mit dem Klageprozess weiter?

Das Gericht stimmte am 15.11., das heißt deutlich nach dem Kurswechsel des Präsidenten, dem Antrag von Sri Lanka zu und pausierte den Prozess bis zum 30.11. Bis dahin wird der Anleihetausch aller Voraussicht nach nicht final abgeschlossen sein. Es ist somit davon auszugehen, dass Sri Lanka Ende November erneut einen Antrag auf Pausierung einbringen wird, der Anleihetausch vermutlich aber bereits durchgeführt ist, bevor das Gericht über den Antrag auf eine erneute Pausierung entscheidet. 

Aktuell ist jedoch noch nicht abzusehen, ob die Hamilton Reserve Bank sich am Anleihetausch beteiligen wird. Der Deal ist grundsätzlich vorteilhaft für die Gläubiger: Sie nehmen keine echten Verluste hin und erzielen weiterhin vergleichsweise hohe Renditen. Dies gilt insbesondere für die Hamilton Bank, die ihre Anleihen zwischen August 2021 und Juni 2022 zu stark reduzierten Preisen auf dem Sekundärmarkt aufkaufte, als Sri Lanka bereits tief in der Krise steckte. Es ist daher durchaus möglich, dass die Bank dem Deal zustimmt und ihre Klage einstellt. Andererseits setzte sie von Anfang an auf ein hohes Risiko und investierte bereits erhebliche Prozesskosten. 

Ob ein Anleihetausch ohne die freiwillige Beteiligung der Hamilton Bank möglich ist, ist indes ungewiss. Um die Bank zu überstimmen, braucht es eine Mehrheit von 75 Prozent. Nach eigenen Angaben hält die Bank Forderungen im Umfang von 250,19 Millionen US-Dollar und damit exakt die nötige Sperrminorität der 1 Milliarde schweren Anleihe. Wenn diese Angaben korrekt sind und die Hamilton Bank einer Restrukturierung nicht freiwillig zustimmt, hat sie weiterhin das Recht, ihre Forderung in voller Höhe vor Gericht einzutreiben. Sollte die Bank damit vor Gericht Erfolg haben, bliebe die Frage, ob die sri-lankische Regierung dem Urteilsspruch folgen wird – und welche Auswirkungen dies auf die Vereinbarung mit den übrigen Gläubigern hätte. Eine vorteilhafte Auszahlung einzelner Gläubiger kann dazu führen, dass Restrukturierungsvereinbarungen mit anderen Gläubigern nichtig werden. Verweigert die Regierung hingegen die Zahlung, könnte die Bank versuchen, sri-lankisches Auslandsvermögen zu pfänden, was jedoch auch für die Bank ein riskanter und kostspieliger Prozess wäre.

Fazit: Das Recht auf Entschuldung

Einmal mehr werden in diesem Prozess die Schwachstellen der aktuellen Ausgestaltung der internationalen Schuldenarchitektur sichtbar: Bei jedem anderen Schuldgeschäft existieren klare Vorgaben, wann Forderungen nicht mehr in vollem Umfang eingeklagt werden können und das Recht des Gläubigers auf Rückzahlung eingeschränkt werden muss – etwa, wenn dies im Konflikt mit dem Recht des Schuldners auf ein Leben in Würde steht. Für Staatsschulden gilt dies nicht, und jede Erleichterung wird als Zugeständnis und Entgegenkommen der Gläubiger angesehen. 

Es braucht daher verbindliche Regelungen: Ein etabliertes und institutionell durchsetzbares Recht auf Streichung untragbarer und illegitimer Schulden sowie Gesetze, die private Gläubiger dazu verpflichten, sich an diesen Streichungen zu beteiligen. 

Quellen

  • Pfeiffer, B. (28.08.2024) “Leave to File Amicus Submission”. Dokument 118 im Fall 1:22-cv-5199 DLC (Hamilton Reserve Bank Ltd. v. The Democratic Republic of Sri Lanka).
  • Bleichmar, J. (01.10.2024), Dokument 122 im Fall 1:22-cv-5199 DLC (Hamilton Reserve Bank Ltd. v. The Democratic Republic of Sri Lanka).
  • Houck, R. G. (04.10.2024), Dokument 123 im Fall 1:22-cv-5199 DLC (Hamilton Reserve Bank Ltd. v. The Democratic Republic of Sri Lanka).

Alle Gerichtsdokumente sind nach Anmeldung hier einsehbar: https://pacer.uscourts.gov

Redaktioneller Hinweis: Der Beitrag wurde erstmals am 15.11.2024 unter dem Titel „Sieg fürs Kapital – Gefahr für die Demokratie Teil II: Abuse of power comes as no surprise“ online gestellt. Am 18.11. wurde er inhaltlich überarbeitet, um die Urteilssprechung vom 15.11. und eine bei Gericht postalisch eingereichte Stellungnahme des Pariser Clubs einzuarbeiten, die zuvor nicht aufgenommen worden war.

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