Ukraine: Schulden und bizarre Ideen

Avatar-Foto Kristina Rehbein, erlassjahr.de
7. März 2025

mit Jürgen Kaiser

Der wiedergewählte US-Präsident Donald Trump schaut anders auf den Krieg in der Ukraine als sein Vorgänger. Die Unterstützung eines völkerrechtswidrig überfallenen Landes ist ihm ebenso egal wie die Verteidigung einer parlamentarischen Demokratie gegen einen Autokraten. Ob Krieg oder Frieden – ihn interessieren allein die Geschäftsmöglichkeiten für die USA insgesamt und seine Milliardärsfreunde im Speziellen. Dadurch rückt auch die Frage nach der wirtschaftlichen Überlebensfähigkeit der Ukraine und speziell dem Umgang mit den vor und im Krieg aufgelaufenen Staatsschulden wieder an eine prominentere Stelle.

Aktuelle Schuldensituation

Die Ukraine erhält in ihrem Abwehrkampf gegen die russische Aggression unterschiedliche finanzielle Hilfen aus westlichen und nicht-westlichen Ländern. Im internationalen Schuldenmanagement ist es (leider) nicht unüblich, dass hierbei unterschiedliche Zahlen über Auslandsschuldenstände kursieren und so ist es auch im Fall der Ukraine. Nimmt man die Angaben der ukrainischen Regierung, dann war der Staat Ende 2024 mit ca. 115 Milliarden US-Dollar bei ausländischen Gläubigern verschuldet. Davon entfielen knapp 15 Milliarden auf Anleihezeichner, die vor Kriegsbeginn hochverzinste Staatsanleihen gekauft und 2024 mit der Ukraine einen Umschuldungsdeal ausgehandelt hatten. Auf private Banken fallen weitere 1,5 Milliarden.

Westliche Regierungen haben bilateral mehr als 7 Milliarden an die Ukraine verliehen, davon alleine Kanada im letzten Jahr mehr als 5 Milliarden. Die letzte Zusage der Biden-Regierung von 18,3 Milliarden ist in den o. g. Zahlen noch nicht enthalten (s.u.). Der größte Teil der Auslandsschulden, nämlich ca. 86 Milliarden US-Dollar, besteht gegenüber multilateralen Gläubigern, davon nach Angeben des Ukraine Support Trackers des Kieler Instituts für Weltwirtschaft 41,6 Milliarden gegenüber Institutionen der Europäischen Union (EU), der Rest gegenüber verschiedenen anderen multilateralen Gebern, wie der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds (IWF).

Bei einem geschätzten Bruttoinlandsprodukt (BIP) von ca. 180 Mrd. US-Dollar bedeuten diese Angaben für Ende 2024 eine Auslandsschuldenquote von rund 60%. Rechnet man die letzte Kreditzusage der USA hinzu, ist man bei rund 70%. In Bezug zu Schuldentragfähigkeitsgrenzwerten, die etwa vom IWF angewendert werden, ist dies erstmal noch nicht extrem alarmierend. Einige hoch verschuldete Länder im Globalen Süden, sowie manche Industrieländer haben deutlich höhere Auslandsschuldenquoten. Problematisch wird die Auslandsverschuldung für die Ukraine durch zwei besondere Umstände: erstens dadurch, dass ein trotz des Krieges anhaltendes BIP-Wachstum vor allem von dem anhaltenden Zustrom ausländischer Mittel abhängig ist. Zweitens durch die enormen Kosten, die der Wiederaufbau nach Ende des Krieges absehbar erfordern wird. Wenn ein möglicher Waffenstillstand die Gefahr einer erneuten russischen Aggression nicht verlässlich ausschließt, somit Unsicherheiten für potentielle Kreditgeber und Investoren hoch bleiben, werden diese Mittel ausschließlich aus öffentlichen Quellen kommen müssen.

Dazu, wie mit dieser Situation umzugehen sei, hat US-Präsident Trump in der letzten Woche seine ganz eigenen Ideen geäußert.

Kredite und Zuschüsse

Im von Medien breit aufgenommenen Gespräch mit Frankreichs Präsident Macron hatte Trump geäußert, die USA hätten deutlich mehr geleistet als die Europäer, die überdies Kredite statt verlorener Zuschüsse beigetragen hätten. Das ist insofern richtig als bis Mitte 2024 die knapp 42 Milliarden Euro von 46 Milliarden Euro finanzieller Unterstützung, die die EU über ihre Institutionen zur Verfügung gestellt hat, tatsächlich Kredite sind. Anders die finanzielle Unterstützung der USA in Höhe von ca. 28 Milliarden US-Dollar, die bis 2024 ausschließlich in Zuschussform kam. Doch das hat erstmal nicht so viel mit der Ukraine selbst zu tun:

Die USA gewährten bis zu Trumps Rückkehr ins Weiße Haus ihre Unterstützung für befreundete Länder grundsätzlich als Zuschüsse. Das hat in der US-amerikanischen Politik eine lange und lagerübergreifende Tradition: Auslandshilfe wird grundsätzlich als geostrategische Investition zur Erringung von Einfluss begriffen. Israel und Ägypten etwa erhalten Militär- und Wirtschaftshilfen aus den USA seit jeher als Zuschüsse. Im Gegenzug sind sie aber auch extrem abhängig von der weiter fließenden US-Hilfe. Bei der Ukraine wichen die USA Ende 2024 erstmalig von dieser Tradition ab: 18,34 Milliarden US Dollar finanzielle Unterstützung wurden erstmalig in Kreditform vergeben – finanziert wird die Rückzahlung allerdings über die Gewinne aus dem in Europa eingefrorenen russischen Vermögen.

Eine solche Zuschuss-Praxis kennen die EU-Institutionen (bislang) nicht. Der EU-Haushalt hätte, ohne Kernaufgaben einzuschränken, Mittelabflüsse, die nicht als Forderungen in den Büchern bleiben, auch gar nicht aufbringen können. Aber man weiß natürlich auch in Brüssel, wie gering die mittelfristige Rückzahlungsfähigkeit der Ukraine ist. Deswegen haben sich in der zweiten Jahreshälfte 2024 die G7-Staaten darauf geeinigt, Zahlungsverpflichtungen aus Neuzusagen aus eingefrorenen Guthaben der russischen Zentralbank im europäischen Bankensystem zu garantieren bzw. zu begleichen. Das gilt sowohl für die bereits ausgezahlten rund 18 Milliarden US-Dollar der USA, also auch für zukünftige Mittel der Europäischen Kommission. Wie Macron zurecht sagte: Schuldendienst auf diese europäischen Forderungen sind in absehbarer Zeit nicht zu erwarten, stellen mithin auch keine Bedrohung für die Rückzahlung der jüngsten US-Kredite dar.

Rohstoffdeal

Entgegen der bisherigen Praxis bei der Unterstützung befreundeter Länder ist Trump der Ansicht, die USA müssten für ihre Unterstützung „etwas erhalten“ – und zwar nicht nur politische Loyalität und wirtschaftliche Kooperation. Dabei interessiert er sich besonders für strategische Rohstoffe, namentlich Seltene Erden, Titan, Lithium und Uran, welche auf dem ukrainischen Territorium vermutet werden. Das Ziel ist es, Chinas bisheriger Dominanz in dem Sektor etwas entgegen zu setzen. Allerdings sind die Kenntnisse über die Lagerstätten noch sehr lückenhaft, und die Seltenen Erden liegen zu einem erheblichen Teil in den von Russland besetzen Regionen des Donbass. 

Die Ausbeutung aller Lagerstätten sollte – so der von der US-Regierung vorgelegte Vertragsentwurf – künftig umfassend und exklusiv durch einen Amerikanisch-Ukrainischen „Fonds“ erfolgen. Verschiedene Medien beschrieben den am 7. Februar vorgelegten Vorschlag als wirtschaftliche Kolonisierung der Ukraine durch die USA. In Teilen der Ukraine stieß dieser Vorschlag jedoch zunächst auf vorsichtige Zustimmung, vor allem aus zwei Gründen: (1) Gerade weil mindestens eine bedeutende Lagerstätte im Donbass liegt, könnte ein solches Arrangement den US-Amerikanern einen starken Anreiz bieten, die russische Aggression zurückzudrängen. (2) Die Ukraine selbst beutet ihre Lagerstätten bislang kaum aus; deswegen sei „die Hälfte von etwas besser als alles von gar nichts“. Beide Argumente sind nur begrenzt belastbar: Zum einen werden strategische Rohstoffe in Zukunft noch wichtiger und damit wertvoller werden. Sie erst mal im Boden zu lassen und später auf eigene Rechnung zu fördern, gerade auch mit Blick auf einen selbstbestimmten Wiederaufbau des Landes, wäre daher ökonomisch sinnvoll. Zweitens könnte Trump sich über eine Förderung der Vorkommen im Donbass angesichts seines Verhältnisses zum russischen Präsidenten auch mit Putin einigen und die Ukraine dabei einfach übergehen.

Die ukrainische Regierung war entsprechend zurückhaltend gegenüber dem Vertragsentwurf und hätte sich ihrerseits auf einen wie auch immer gearteten Deal nur im Gegenzug für US-amerikanische Sicherheitsgarantien eingelassen. Die Reaktion des selbsternannten „Dealmakers“ Trumps darauf, dass ein für ihn lukratives Geschäft nicht zustande kommt, konnte die Welt kurze Zeit später im Weißen Haus beobachten, als der ukrainische Präsident im Weißen Haus heftig angepöbelt wurde. Damit ist eine solche „Kompensation“ für die bisherige US-Unterstützung aber nicht vom Tisch: Präsident Selenskis jüngste Bemühungen um eine Wiederannährung nach dem Eklat im Weißen Haus könnten auch ein solches Geschäft wieder zurück auf die Tagesordnung bringen, wenn es der Ukraine ein Mehr an Sicherheit einbringen würde.

Reparationen

Ebenfalls sehr bizarr ist schließlich das vom Weißen Haus bemühte Narrativ, dass die USA Entschädigung für ihre seit 2022 geleistete Hilfe erhalten müssten, die Militärhilfe daher nun an (beispiellose) Bedingungen geknüpft werden müsste. Von den Medien aufgegriffen wurde das Narrativ als Forderung nach Reparationen, wie sie nach Kriegen von besiegten Gegnern verlangt werden, wenn diese im Territorium des Siegers oder neutraler Mächte Schäden angerichtet haben. So wurde der Plan zum Beispiel mit dem Umfang der Reparationszahlungen verglichen, die Deutschland im Versailler Vertrag nach dem Ersten Weltkrieg auferlegt wurde (Deutschland hat nur einen kleinen Teil dieser Reparationen tatsächlich erbracht, bevor das Hoover-Moratorium 1932 alle Zahlungen zunächst aussetzte und sie nie wieder aufgenommen wurden).

Unabhängig von ihrer ökonomischen und politischen Sinnhaftigkeit ist eine solche Diskussion für die Situation der Ukraine und ihr Verhältnis zu den USA vollkommen abwegig: Trump fordert „Reparationen“ für Leistungen, die die USA freiwillig und nicht aus selbstloser Solidarität, sondern aus eindeutigem, auch eigennützigen politischem Interesse aufgebracht haben. Sie selbst haben überhaupt keinen Schaden erlitten, der „repariert“ werden könnte. Auch ist die Ukraine kein besiegter Kriegsgegner, sondern – zumindest bis zur vergangenen Woche – ein unbesiegter Verbündeter.

Wie weiter?

Wie öffentlich bekannt wurde, wird nun auch in Europa ein neuer Friedensplan für die Ukraine diskutiert. Noch ist nicht absehbar, was genau vorschlagen wird. Es ist zu hoffen, dass dabei die Notwendigkeit einer Regelung der Auslandsschulden der Ukraine mit auf dem Schirm ist. Angesichts der Widersprüche zwischen den verschiedenen Gläubigern – darunter vor allem der große Batzen „nicht restrukturierbare“ multilaterale Forderungen – könnte ein Blick auf erfolgreiche, außerordentliche Schuldenlösungen der Vergangenheit eine Option sein, wie die erfolgreiche Entschuldung Deutschlands bei der Londoner Schuldenkonferenz 1952/3.

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