UN-Treffen für Schuldenarchitektur: Konsens für weitere Schuldenerlasse, trotzdem nur Status quo

Avatar-Foto Kristina Rehbein, erlassjahr.de
30. März 2021

Mehr als 20 Staats- und Regierungschef*innen, Vertreter*innen von Ministerien und von internationalen Institutionen trafen sich gestern auf Einladung des UN-Generalsekretärs António Guterres und der Regierungschefs von Kanada und Jamaika, Justin Trudeau und Andrew Holness, zum „High-Level-Event on International Debt Architecture and Liquidity“. Genau ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie und zehn Monate nach dem ersten Gipfel der Staats- und Regierungschef*innen standen erneut die globale Katastrophe und die Notwendigkeit systematischer Schuldenerleichterungen im Fokus.

Doch anders als noch vor einem Jahr war die Schuldenkrise für Deutschland diesmal nicht Chef*innensache: Bundeskanzlerin Merkel nahm trotz ihres damals gelobten Commitments diesmal nicht teil. Vertreten wurde sie durch BMF-Staatssekretär Wolfgang Schmidt. Gehört hätte Frau Merkel aus der ganzen Welt den Ruf, das aktuelle Schuldenmoratorium endlich durch reale Schuldenerlasse zu ergänzen. Und das nicht nur für die anstehenden Fälle im G20 Common Framework wie Tschad, Äthiopien und Sambia, bei denen Deutschland als Gläubiger keine Rolle spielt.

Gehört hätte sie den hilflosen Ruf des costa-ricanischen Präsidenten Carlos Alvarado Quesada, endlich zu handeln, nach so vielen warmen Worten. Sie hätte erfahren, dass die Mehrheit der von COVID-19 betroffenen armen Menschen nicht in den ärmsten Ländern lebt, die von der G20 immerhin ein Moratorium angeboten bekommen haben, sondern in so genannten Mitteleinkommensländern – die weiterhin von jeglichen Schuldenerleichterungsmaßnahmen ausgeschlossen bleiben. Und dass viele von diesen Staaten kleine Inselentwicklungsländer (SIDS) sind, die zusätzlich zum Ausfall des Tourismus mehr als andere vom Klimawandel bedroht sind. Gaston Browne, Premierminister von Antigua und Barbuda, machte deutlich, wie viel sinnvoller es sei, Schuldenerleichterungen den verwundbarsten Staaten zu gewähren anstatt den kleinsten, ärmsten und „billigsten“. Die neue WTO-Chefin Ngozi Okonjo-Iweala hätte ihr von ihren Erfahrungen vor 20 Jahren erzählt, als ein multilateraler Schuldenerlass die einzige Möglichkeit bot, zu Erholung und Entwicklung zurück zu kehren.

Schließlich hätte sie auch von Lazarus Chakwera, Präsident von Malawi, gehört, dass die ärmsten hochverschuldeten Länder der Welt jahrzehntelang ausgeplündert wurden, und der Schuldendienst deshalb eigentlich in die andere Richtung fließen sollte. Einige wenige tapfere Staatschefs hätten versucht, sie, so wie alle anderen, von der Schaffung eines permanenten Staateninsolvenzverfahrens zu überzeugen. Doch die Kanzlerin war nicht dort.

Genauso abwesend wie die Kanzlerin waren echte Reformanstöße. Einig war man sich bei einigen Liquiditätsmaßnahmen, der weiteren Verlängerung der G20 DSSI und der Schöpfung neuer IWF-Sonderziehungsrechte. Bei der Frage nach echten Schuldenerlassen gingen die Commitments nicht über die Umsetzung des bestehenden G20 Common Framework hinaus. Ankündigungen konkreter weiterer Schritte gab es nicht: Mitteleinkommensländer sind noch immer ausgeschlossen. Die Privaten beteiligen sich nicht an der DSSI. Multilaterale Gläubiger beteiligen sich nicht an Umschuldungen.

Ngozi Okonjo-Iweala erinnerte daran, dass ein verlorenes Entwicklungsjahrzehnt kein Schicksal sei, sondern eine aktive Politikentscheidung. Diese konkreten Entscheidungen werden u. a. im UN Financing for Development Forum getroffen. Doch die Verhandlungen und die Haltung Europas lassen wenig hoffen. Konsens gibt es nur für den Status quo, nicht für echte Reformen. Mit der voraussichtlichen Verlängerung der DSSI wird weiter Zeit gekauft. Die Frage ist: Wofür?

Weitere Informationen:

Aufnahme des High Level Meetings vom 29.03.2021 in voller Länge [UN Web TV]

Policy Brief „Liquidity and Debt Solutions to Invest in the SDGs: The Time to Act is Now“ des UN-Generalsekretärs António Guterres vom 29.03.2021 

erlassjahr.de-News vom 30.03.2021: „UN-Gipfel zur Internationalen Schuldenarchitektur: Viel Konsens für Schuldenerlasse“ 

EURODAD-Pressemitteilung vom 30.03.2021: „World leaders continue to kick the can down the road on debt reform“

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