Warum es ein wichtiges Zeichen ist, dass der Kirchentag sich gerade jetzt zu Klima- und Schuldengerechtigkeit bekennt  

Avatar-Foto Sebastian Kalversberg,
15. Mai 2025

Christliche Initiativen, die sich für soziale Gerechtigkeit und den Schutz der Umwelt einsetzen, haben eine lange Tradition. Auch der Kirchentag war immer wieder ein Ort lebhafter gesellschaftlicher Debatten. Doch nicht allen gefällt das: Immer wieder wird gefordert, Kirchen haben sich aus politischen Themen herauszuhalten. Dabei ist gerade jetzt ist ihr öffentlicher Einsatz für Klima- und Schuldengerechtigkeit wichtiger denn je – und der Kirchentag sendet ein starkes Signal. 

Der christliche Glaube war nie nur Privatsache. Von der Befreiungstheologie über eine Vielfalt von kirchlichen Hilfswerken, bis hin zu lokalen Umwelt- und Menschenrechtsgruppen: Christliche Akteure engagieren sich seit Jahrzehnten für Gerechtigkeit – lokal wie global.  

Auch der Klimaschutz ist längst kein politisches Randthema mehr, sondern eine existenzielle Frage – gerade auch für Christ*innen. Die Klimakrise ist eine Krise der Gerechtigkeit: Hauptverursacht durch Privilegierte Staaten und Bevölkerungsgruppen, sind vor allem jene am härtesten betroffen, die am wenigsten dazu beigetragen haben. Auch die Kirche ist in der Pflicht sich zu positionieren und eine gerechte sozial-ökologische Transformation aktiv zu begleiten.   

Solche tiefgreifenden Wandlungsprozesse erinnern an das, was in der christlichen Tradition Bekehrung verstanden wird. Eine tiefgehende Umorientierung im Denken, Fühlen und Handeln, welche unsere Leben auf vielfältige Weise prägen. Der kürzlich verstorbene Papst Franziskus sprach in diesem Kontext von einer ganzheitlichen „ökologischen Umkehr“, welche die Logiken der Ausbeutung und des Egoismus überwinde.

Wenn Kirche Haltung zeigt 

Trotz dieser tief verankerten Tradition gerät das gesellschaftliche Engagement der Kirchen zunehmend unter Druck. In den vergangenen Jahren wurden vermehrt zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich etwa für Menschenrechte, Klimaschutz, oder gegen Rechtsextremismus einsetzen, politisch attackiert – etwa durch parlamentarische Anfragen, die ihre Finanzierung infrage stellen. Auch Kirchen bleiben davon nicht verschont.  

So wiederholte etwa die neue Bundestagspräsidentin Julia Klöckner beim Kirchentag ihre Kritik an dem politischen Engagement der Kirchen und forderte weniger Stellungnahmen und Einmischung zu tagesaktuellen Themen. Ob diese Kritik dem kirchlichen Einsatz für Klimagerechtigkeit galt oder etwa dem offenen Brief von zahlreichen Kirchenvertreter*innen zur Asylpolitik und dem gemeinsamen Abstimmungsverhalten der Union mit der AfD, bleibt offen, es wirkt jedoch wie ein Rundumschlag gegen alle unliebsamen Stimmen. Die Botschaft ist klar: Kirche soll, wenn es unbequem wird, lieber schweigen.

Ein Blick über den Atlantik zeigt ähnliche Tendenzen. Als sich Bischöfin Mariann Edgar Budde während des Gottesdienstes zur Amtseinführung direkt an den Präsidenten richtete, und für Mitgefühl, Barmherzigkeit und gesellschaftlichen Zusammenhalt warb, wurde schnell von vielen Menschen weltweit gefeiert, und von Trump öffentlich diffamiert: „She brought her church into the world of politics in a very ungracious way.“ Die Kritik traf eine Geistliche, die schlicht christliche Grundwerte und die Würde eines jeden Menschen verteidigte. 

Wenn zivilgesellschaftliche Räume schrumpfen, bleibt die Kirche? 

Gerade weil Zivilgesellschaft weltweit zunehmend unter Druck gerät, kommt Kirchen eine besondere Rolle zu. Der evangelische Kirchentag selbst entstand aus einer politischen Motivation heraus: Als Reaktion protestantischer Christi*innen auf das Schweigen und die Gleichschaltung der Kirchen im Nationalsozialismus. Auch in den Jahrzehnten danach blieb der Kirchentag ein politischer Ort – ob mit Protesten gegen den Vietnamkrieg oder Diskussionen über atomare Abrüstung. Ende der 1980er Jahre rückte die Haltung der Kirche zur Apartheid in Südafrika in den Fokus, auch wenn die kritische Aufarbeitung eigener kolonialer Verstrickungen bis heute vielerorts nur zögerlich voranschreitet. Aktuell setzt sich das kirchliche Engagement sichtbar mit einem verstärkten Fokus auf die Klimakrise fort.   

Auch der diesjährige Kirchentag zeigte: Das Interesse an gesellschaftspolitische Themen und der Positionen der Kirchen dazu ist riesig. Als die US-Bischöfin Budde beim Kirchentag sprach, war der Andrang so groß, dass zusätzliche Plätze geschaffen werden mussten und ihr Vortrag in eine zweite Halle übertragen wurde. Stehende Ovationen begleiteten ihren Auftritt. Viele Veranstaltungen widmeten sich den drängenden Themen unserer Zeit: Klimagerechtigkeit, Demokratie, queere Rechte und die humanitären Konsequenzen der europäischen Asylpolitik. 

Die verabschiedeten Resolutionen spiegeln diese Breite: Sie reichen von besseren Bedingungen in der Pflege über den Schutz des Asylrechts bis zur Forderung nach einem AfD-Verbot und der Anerkennung des Palästinensischen Staates, wie sie bereits mehr als 140 Staaten weltweit vollzogen haben. Der Kirchentag zeigte: Christliche Werte und politisches Handeln schließen sich nicht aus – im Gegenteil. 

Schuldengerechtigkeit im Erlassjahr 2025  

Ein besonderer Schwerpunkt lag dieses Jahr auf der globalen Schuldenkrise. Über 130 Länder des Globalen Südens gelten derzeit als kritisch verschuldet. Viele von ihnen müssen auf Drängen ihrer Gläubiger – etwa der Bundesregierung – soziale Sicherungssysteme abbauen und fossile Rohstoffe exportieren, nur um ihre Schulden zu bedienen. Das verschärft humanitäre Notlagen, genauso wie ökologische Krisen.  

Ein umfassender Schuldenerlass ist daher keine Frage der Großzügigkeit, insbesondere angesichts kolonialer Kontinuitäten, die häufig zur Entstehung dieser Schulden beigetragen haben, sondern eine soziale und klimapolitische Notwendigkeit. Und er hat biblische Wurzeln. In der jüdisch-christlichen Tradition ist das Erlassjahr („Jubeljahr“) in regelmäßigen Abständen vorgesehen: Schulden sollen gestrichen, Versklavte befreit, Land an ursprüngliche Besitzer*innen zurückgegeben werden. Auch im Islam finden sich vergleichbare Prinzipien.  

Papst Franziskus sagte zur Eröffnung des Heiligen Jahres im Vatikan: 

„Wenn wir wirklich den Weg für den Frieden in der Welt ebnen wollen, sollten wir uns dafür einsetzen, die Grundursachen der Ungerechtigkeit zu beseitigen – ungerechte und nicht zurückzahlbare Schulden erlassen.“ 

Schon die Kampagne Jubilee 2000 trug mit starkem kirchlichem Rückenwind dazu bei, dass Schulden in Höhe von über 130 Milliarden US-Dollar für mehr als 35 Länder gestrichen wurden. Viele ältere Besucher*innen des diesjährigen Kirchentags erinnerten sich daran, manche trugen sogar die regenbogenfarbenen Erlassjahr-Schals aus jener Zeit.  

Die aktuelle Kampagne zum Erlassjahr 2025 fordert nicht nur Schuldenstreichung, sondern auch eine gerechte Reform des globalen Finanzsystems. Der Kirchentag hat dazu eine wegweisende Resolution verabschiedet, die von Debt for Climate, Christians for Future, sowie dem Entschuldungsbündnis erlassjahr.de eingereicht wurde. Ein starkes Zeichen in einer Welt, in der sich Schulden- und Klimakrise dramatisch zuspitzen.  

Ein Kirchentag, der nicht schweigt 

In Zeiten, in denen Menschenrechte, Demokratie und sozial Verantwortung unter Druck geraten, braucht es mutige Stimmen. Der Kirchentag hat gezeigt, dass Kirche mehr sein kann als ein Ort des Rückzugs: ein Ort des Aufbruchs, der Erinnerung, des politischen Gewissens, und der Hoffnung. Ein Ort an dem Schulden in Hoffnung verwandelt werden können: #TurnDebtIntoHope.  

Wenn andere zivilgesellschaftliche Akteure an Oberwasser verlieren, kann die Kirche eine stabile Instanz mit globaler Reichweite sein, die Orientierung bietet. Sie soll diese Rolle selbstbewusst ausfüllen – und der Kirchentag 2025 mit seinem starken Signal zur Schulden- und Klimakrise sind ein eindrucksvoller Beleg dafür, dass sie dazu in der Lage ist. 

Sebastian Kalversberg ist Geograph und Politischer Ökologe und engagiert sich in verschiedenen Gruppen der Klimagerechtigkeits- und Dekolonialisierungsbewegung. Beim Kirchentag war er als Teil von Debt for Climate Deutschland und betreute mit erlassjahr.de zusammen am Stand im Zentrum Junge Menschen.

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