Workers Tribunal: Menschenunwürdige Arbeitsbedingungen auf den Tee- und Kautschukplantagen in Sri Lanka

Avatar photo Malina Stutz, erlassjahr.de
16. August 2024

Am ersten Tag meiner diesjährigen Reise nach Colombo, über die ich ausführlich hier berichtet habe, standen noch keine schuldenpolitischen Veranstaltungen an. Daher konnte ich mir den Tag frei einteilen und habe am ersten Nachmittag unseren sri-lankischen Kollegen Ahilan Kadirgamar zu einem „Workers Tribunal“ in der architektonisch beeindruckenden Bandaraneike Momorial International Conference Hall begleitet. 

Der zweitägige Prozess wurde von der Red Flag Gewerkschaft organisiert, die vor allem Plantagenarbeiter*innen vertritt. Bei dem Prozess handelte es sich nicht um einen ordentlichen Gerichtsprozess. Wie wir im Laufe der Woche noch von mehreren Jurist*innen hörten, ist es äußerst schwierig, wirtschaftliche und soziale Rechte im sri-lankischen Rechtssystem erfolgreich einzuklagen. Bei dem sogenannten „Tribunal“ machten Arbeiter*innen von Tee- und Kautschukplantagen in einem medial begleiteten Prozess Aussage vor drei ehemaligen (Verfassungs-)Richter*innen aus Sri Lanka, Indien und Nepal. Am zweiten Tag sprachen die Richter*innen einen – rechtlich nicht bindenden – Urteilsspruch. Der Prozess sollte dadurch vor allem Aufmerksamkeit für die Arbeits- und Lebensumstände der Plantagenarbeiter*innen erzeugen.  

Die Arbeiter*innen, die im Prozess aussagten, gehören der ethnischen Minderheit der Tamilen an, deren Vorfahren während der britischen Kolonialzeit aus Südindien nach Sri Lanka gebracht wurden, um auf den Kaffee-, Tee- und Kautschukplantagen der Brit*innen zu arbeiten. Die meisten Arbeiter*innen arbeiten – und leben – demnach seit Generationen auf den Plantagen und viele sprachen davon, dass sie ihre Situation als Versklavung unter neuen Vorzeichen wahrnehmen. Die Arbeiter*innen berichteten, dass auf den Plantagen grundlegende sanitäre Einrichtungen nicht zur Verfügung stehen und dass der Tagesmindestlohn von aktuell 1.000 sri-lankischen Rupien (umgerechnet ca. 3 Euro) systematisch nicht eingehalten wird – unter anderen, weil die Arbeitgeber*innen nicht erfüllbare Vorgaben bezüglich der zu pflückenden Mengen machen. Infolge der gestiegenen Lebenshaltungskosten können die Familien der Plantagenarbeiter*innen nur noch selten drei Mahlzeiten täglich zu sich nehmen.

Tatsächlich sind nach meiner eigenen Erfahrung die Lebenshaltungskosten für einen Lebensstil wie ich ihn in Deutschland führe zumindest in der sri-lankischen Hauptstadt Colombo mit den Kosten in Deutschland durchaus vergleichbar: Für unser nicht gerade übertrieben schickes Hotel zahlten wir rund 80 Euro die Nacht, Bananen waren gerade in einem normalen Supermarkt für 70 Cent/kg im Angebot, für eine 3-Zimmer-Wohnung, die qualitativ mit meiner Wohnung vergleichbar ist, zahlte eine Bekannte deutlich mehr Miete als ich in Düsseldorf. Zwar sind die Lebenshaltungskosten auf dem Land vermutlich deutlich geringer, trotzdem ist es unvorstellbar, wie man mit einem realen Lohn von umgerechnet weniger als 3 Euro am Tag das eigene Leben und das Überleben der eigenen Familie gewährleisten soll – geschweige denn ein Leben in Würde führen kann. Faktisch ist dies auch schlicht nicht möglich: Wissenschaftler*innen in Sri Lanka sprechen davon, dass es einen Tagesmindestlohn von mindestens 2.300 sri-lankischen Rupien – rund 7 Euro – bräuchte, um die alltäglichen Ausgaben einer vierköpfigen Familie zu stemmen. 

Ich konnte am zweiten Tag des Prozesses verfolgen, wie die Richter*innen ihren Urteilsspruch verkündeten. Sie sprachen davon, dass sie entsetzt über die menschenunwürdigen Arbeits- und Lebensumstände der Plantagenarbeiter*innen seien und forderten, dass alle Verantwortlichen – insbesondere die Regierung – unverzüglich alle zur Verfügung stehenden Maßnahmen ergreifen müssen, um einen Tagesmindestlohn von mindestens 1.700 Rupie praktisch (!) umzusetzen und unlautere Praktiken der Plantagenunternehmen wie die willkürliche Erhöhung der Tagesziele strikt zu unterbinden seien. Meera, Auslandskorrespondentin der indischen Tageszeitung The Hindu, bei der wir später in der Woche noch zum Abendessen eingeladen waren, hat hier ausführlich über den Prozess berichtet. 

Mir führte der Prozess einmal mehr vor Augen, wie koloniale Kontinuitäten das Leben von Menschen ganz praktisch bestimmen und auf wessen Kosten Schuldenkrisen aktuell ausgetragen werden: Nämlich auf Kosten der vulnerabelsten Bevölkerungsschichten, die am stärksten unter der aktuellen Inflation in Sri Lanka leiden und deren Lohn aufgrund des Drucks der für den Weltmarkt produzierenden Unternehmen trotzdem nicht angehoben wird. Schlimmer noch: Um Verluste für ausländische Gläubiger zu minimieren wurde in Sri Lanka auf Druck ausländischer Akteure eine Inlandsumschuldung durchgeführt. Im Klartext bedeutet das, dass eben diese Plantagenarbeiter*innen noch um ihre magere Rentenersparnisse gebracht werden, wie Ahilan hier berichtet hat. 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Wir verarbeiten Ihre in diesem Formular angegebenen, personenbezogenen Daten für die Beantwortung bzw. Bearbeitung Ihrer Anfrage bzw. Ihrer Kommentare sowie damit sachlich zusammenhängender Zwecke. Dabei nutzen wir die angegebene E-Mailadresse zum Bezug von Profilbildern bei dem Dienst Gravatar des amerikanischen Anbieters Automattic Inc.. Weitere Angaben zu der Verarbeitung personenbezogener Daten sowie Ihren Rechten nach Maßgabe der Datenschutzgrundverordnung entnehmen Sie bitte unserer Datenschutzerklärung. Hinweise zu der Nutzung des Dienstes Gravatar finden Sie in Ziffer 12.1 unserer Datenschutzerklärung.