Vom Sinn und Unsinn eines europäischen Staateninsolvenzverfahrens

Am vergangenen Samstag bekam die Kanzlerin ihren Willen: In ihrer zweiten Arbeitsphase wird sich die Arbeitsgruppe der EU-Finanzminister unter dem Vorsitz von Herman van Rompuy mit der Schaffung eines geordneten Insolvenzverfahrens für EU-Staaten beschäftigen.
Hintergrund: Im April 2010 musste die Bundesregierung zur Abwehr einer umfassenden Bankenkrise in großem Stil öffentliche Mittel zur Rettung der in Griechenland exponierten deutschen und europäischen Banken bereitstellen. Weil der Rest Europas sich danach mit der Institutionalisierung eines hauptsächlich von Deutschland und Frankreich finanzierten Europäischen Rettungsfonds für insolvente Staaten sehr gut anfreunden konnte, war die Bundeskanzlerin unter erheblichem Druck, Alternativen zu einem permanenten Bail-out europäischer Staaten – genauer gesagt: von deren Gläubigern – zu finden.
Sie tat dazu das einzig richtige, indem sie auf die Schaffung eines geordneten Insolvenzverfahrens drängte, welches im Ernstfall auch zu Verlusten für die in den betroffenen Ländern engagierten (privaten) Gläubigern führen würde. Allerdings trat die Bundesregierung dabei so tollpatschig auf, dass sie selbst erhebliche Widerstände gegen ihren Vorschlag produzierte: Als in der eigens eingerichteten Arbeitsgruppe der EU-Finanzminister unter Vorsitz des Ratspräsidenten van Rompuy die Frage eines Insolvenzverfahrens zum Tragen kam, gab es nicht einmal einen schriftlichen Vorschlag der Deutschen, sondern lediglich Sprechzettel des Finanzministers.
Im Mai wurden dann sehr allgemeine Leitsätze auf der Homepage des BMF veröffentlicht. Und erst im September wurde der deutsche Vorschlag erstmals in einem (vertraulichen) Papier so dingfest gemacht, dass andere Regierungen und eine Öffentlichkeit (die das Papier, weil vertraulich, aber eigentlich gar nicht kennen durfte), sich dazu verhalten konnte.
Im Kern läuft der deutsche Vorschlag auf ein zweistufiges Verfahren hinaus. Die erste Stufe besteht aus einem Tausch der Staatsanleihen eines potenziell zahlungsunfähigen EU-Mitglieds gegen geringer bewertete Papiere. Dieser Haircut soll den Gläubigern dadurch versüßt werden, dass die neuen Papiere durch EU-Mittel abgesichert werden. Wie schon beim “Brady-Plan”, der eine wichtige Rolle bei der Bewältigung der lateinamerikanischen Schuldenkrise in den 80er Jahren spielte, sollen die Gläubiger Nennwert gegen Sicherheit tauschen. Damals hat das leidlich gut funktioniert – allerdings betrugen die Abschläge in einigen Ländern mehr als 50% des Nennwerts, was heutzutage im EU-Kontext kaum vorstellbar ist.
In der zweiten Stufe soll dann – wenn die erste Stufe die Tragfähigkeit der Schulden des betreffenden Landes nicht wiederherzustellen vermag – ein eigentliches Insolvenzverfahren folgen, d.h. die Reduzierung aller Verbindlichkeiten des betreffenden Landes in einem Planverfahren. Anders als die erste Stufe ist die zweite in dem Papier der Bundesregierung aber noch höchst vage formuliert.
Beim EU-Gipfel Ende Oktober setzen die Deutschen die Befassung mit ihrem Vorschlag in der zweiten Arbeitsphase der van Rompuy-Arbeitsgruppe durch. Die Kanzlerin machte sich, als sie die Grundlage dafür in trauter Zweisamkeit mit Präsident Sarkozy schuf, nicht nur Freunde in Europa, aber sie bekam ihren Willen. Allerdings blieben einige ihrer ohnehin nicht sonderlich durchdachten Lieblingsideen dabei auf der Strecke:
• “Berliner Club” wird die neue Institution nicht heißen. Das kam in Frankreich, wo man auf die ungeschmälerte Kompetenz des bereits bestehenden “Pariser Clubs” allergrößten Wert legt, nicht gut an.
• Auch der Begriff “Insolvenzverfahren” ist aus dem Sprachgebrauch verschwunden. Statt dessen spricht man nun von “der Einbeziehung des Privatsektors”. Gemeint ist, wie Berliner Ministeriale versichern, aber dasselbe.
• Überschuldete Staaten mit dem Entzug ihrer EU-Stimmrechte unter Druck zu setzen, wie von den Deutschen propagiert, war nicht nur ökonomisch eine kontraproduktive Schnapsidee. Es demonstrierte überdies eine vordemokratische Denkweise, welche Mitbestimmungsrechte am wirtschaftlichen Status festmacht. Zum Glück ließ der Rest Europas, sich das von Berlin nicht bieten.
Bis Anfang 2011 erarbeitet die van Rompuy-Arbeitsgruppe unter deutscher Federführung einen Vorschlag, der noch vor Abschluss der Beitrittsverhandlungen mit Kroatien im kommenden Frühjahr zu einer Veränderung des Vertrags von Lissabon führen soll.
Aus der Sicht der weltweiten Entschuldungsbewegung ist der deutsche Vorschlag sehr ambivalent:
▪ Positiv ist, dass eine Schuldenreduzierung zulasten der Privatanleger nicht mehr – wie noch im April bei der Griechenland-Rettung – ausgeschlossen wird.
▪ Es ist auch denkbar, dass die erste Stufe des deutschen Vorschlags tatsächlich zu einem modifizierten europäischen Rettungsmechanismus führen wird. Und es darf gehofft werden, dass unter den besonderen Bedingungen des Euro-Raumes, eine nächste Griechenland-Krise damit im Ansatz entschärft werden kann.
▪ Ein echtes Staateninsolvenzverfahren allerdings, das nicht nur Fälligkeiten umstrukturiert, sondern dem betreffenden Land einen tatschälichen Neuanfang ermöglicht, ist regional gar nicht umsetzbar. Schließlich ist Griechenland nicht nur bei solchen Gläubigern verschuldet, die sich direkt oder indirekt auf der Grundlage der Verträge von Lissabon zu einer Schulden-Restrukturierung zwingen lassen. Von anderen essenziellen Elementen eines rechtsstaatlichen Verfahrens wie unparteiischer Entscheidungsfindung und unparteiischer Bestimmung des Erlassbedarfs gar nicht zu reden.
▪ Negativ ist politisch, dass die Deutschen ihre zwischenzeitlich angekündigte Initiative im G20-Kreis für ein Staateninsolvenzverfahren, welches allen überschuldeten Staaten zugute kommen könnte, erst mal wieder auf Eis gelegt haben. Hier kann nur weiterer politischer Druck dafür sorgen, dass die Bundesregierung ihren eigenen Koalitionsvertrag so ernst nimmt, wie es ihrer nicht nur Europa-sondern weltpolitischen Verantwortung entspricht.

Pakistan: Zu kleine Katastrophe für einen Schuldenerlass

Im Oxfam/Avaaz-Aufruf für einen Schuldenerlass zugunsten Pakistans heißt es: “Nach Angaben der Vereinten Nationen waren die Auswirkungen der Flut in Pakistan schlimmer als die des Tsunamis, des Erdbebens in Pakistan 2005 und des Erdbebens in Haiti 2010 zusammengenommen. Über 20 Millionen Menschen sind bislang von den Überschwemmungen betroffen und ein Ende der Krise ist nicht abzusehen.”
Legt man die absoluten Zahlen der Betroffenen und der angerichteten Zerstörung zugrunde, stimmt die Einschätzung der Kollegen zweifellos. Der IWF rechnet indes anders: Er hatte nach dem Erdbeben auf Haiti eine spezielle Fazilität geschaffen, durch die Streichung von Schulden beim IWF für solche Länder ermöglicht werden sollte, die besonders unter Naturkatastrophen zu leiden haben: den “Post-Catastrophe Debt Relief Trust”. Diese Fazilität im Programm des Fonds war eine Reaktion darauf, dass nach dem Erdbeben, der IWF satzunngskonform nur mit neuen Krediten, und nicht etwa mit Zuschüssen dem zerstörten Land zu Hilfe kommen konnte. Eine durchaus sinnvolle Regelung, denn eine weitere Internationale Institution, die offizielle Entwicklungshilfebudgets anzapft, um Mittel durch die eigene Bürokratie zu schleusen und an arme Länder weiter zu reichen, braucht wirklich kein Mensch. Gleichwohl war klar, dass Haiti seinen Aufbau nicht per Kredit würde finanzieren können. Der Ausweg bestand in der Schaffung des PCDR, der die nachträgliche Refinanzierung der IWF-Schulden aus eigenen Mitteln des IWF vorsah. Im Prinzip funktioniert auch der IWF/Weltbank-Schuldenerlass unter der HIPC-Initiative nicht anders.
Wer aber wird davon profitieren? Der Vorstand des IWF legte rigide Kriterien fest, und stellte genau so viel Geld bereit, wie notwendig war, um die Schulden Haitis beim IWF aus der Welt zu schaffen. Genau wie bei HIPC gingen die IWF Verantwortlichen davon aus, dass man soeben die letzte große Katastrophe der Menschheitsgeschichte bewältigt habe, und ein weiterer Finanzierungsbedarf im Rahmen des neu geschaffenen Instruments ohnehin nicht bestehe.
Und tatsächlich: Die Zugangsbedingungen wurden so formuliert, dass Pakistan (“sorry, sorry”) leider nicht betroffen genug ist. Um in den Genuss eines Schuldenerlasses durch die PCDR zu kommen, muss
• das Land IDA-Status bei der Weltbank haben. Den hat Pakistan.
• Ein Viertel der produktiven Kapazität des Landes durch die Katastrophe verloren sein. In Pakistan pendeln sich die Schätzungen in der Größenordnung von 15% ein.
• Ein Drittel der Bevölkerung betroffen sein. In Pakistan sind es etwa 20 von 172 Mio Menschen, also “nur” rund 12%.
Somit kommt Pakistan nicht in den Genuss von Schuldenerleichterungen. Zwar lag sein Schuldenstand im Verhältnis zu den jährlichen Exporteinnahmen mit 220% schon Ende 2008 deutlich über dem Wert, den Haiti nach seinem kurz vor dem Erdbeben gewährten HIPC-Schuldenerlass erreichte. Aber Regeln sind nun mal Regeln. Und so erhält Pakistan vom IWF eine grosszügige Wiederaufbauhilfe von 767 Mio US-$, wodurch der Schuldenstand beim IWF auf knapp 9 Mrd. US-$ steigt.
Besonders enttäuschend ist in diesem Zusammenhang die bisherige Haltung der deutschen Bundesregierung. Auch, wenn die Schulden beim IWF eine gefährlich wachsende Bedrohung darstellen, sind die Schulden bei den bilateralen Gebern quantitativ bedeutender. Und mit der Schuldenumwandlungsfazilität des BMZ hätten die Deutschen ein Instrument, um die Schuldenstreichung mit der Bereitstellung von Wiederaufbaumitteln unmittelbar verknüpfen zu können. Und Masse für eine sinnvolle Entlastung gibt mit 1,2 Mrd. € Entwicklungshilfeschulden und 231 Mio € Handelsschulden in Deutschland allemal.

erlassjahr.de vor dem Weißen Haus

Aus Anlass der Jahrestagung von IWF und Weltbank organisierte Jubilee USA nicht nur eine Reihe von Veranstaltungen innerhalb und außerhalb der Internationalen Finanzinstitutionen, sondern auch eine “Ketten-Demonstration” von der Weltbank zum Weißen Haus.

Quer durch die Staaten hatten Jubilee-Unterstützer aus Kirchen, Gewerkschaften und Eine-Welt-Gruppen in den letzten Wochen bunte Kettenglieder gebastelt und teils mit persönlichen Botschaften beschriftet. Diese wurde von etwa 500 Demonstrant/innen am Freitag, dem 9. Oktober 2010 zu Beginn der eigentlichen Gouverneurstagung von Bank und Fonds durch die Straßen Washingtons getragen.

Da erlassjahr.de heute die zusammen mit der Friedrich-Ebert-Stiftung erstellte neue FTAP-Studie vorstellt, konnte ich natürlich auch bei der Demo dabei sein, und vor dem Weißen Haus das mitgebrachte erlassjahr.de-Banner in Szene setzen. In diesem Fall mit der Hilfe unserer Freunde von Jubilee San Diego, mit denen wir schon beim vorletzten Kirchentag in Bremen eine gemeinsame Veranstaltung organisiert hatten.
Die Demo war nicht groß, aber bunt und laut: Sogar eine amerikanische Version des “Hai des Jahres” war mit von der Partie – schon etwas abgenagt, und dem IWF liebevoll gewidmet. Die Freund/innen der “Stop-IMF-Coalition” kamen in der etwas martialischen Aufmachung des schwarzen Blocks, aber selbst ihnen gegenüber blieben die Polizisten – überwiegend auf Fahrrädern der Marke “Smith & Wesson” (!) – friedlich.

Für mich war es die erste Demo im Jacket. Schließlich musste ich unmittelbar danach wieder zurück in die Weltbank. Dort stellte die Debt Management Abteilung ein neues Buch zum Thema Sovereign Debt Management vor. Interessanterweise erstmals mit einem Kapitel über die Option eines Internationalen Insolvenzgerichtshofs – aus der Feder des Berliner Völkerrechtlers Christoph Paulus. Ansonsten war es allerdings eine fix dröge Veranstaltung: Fünf Herren in grauen Anzügen sagten zur insgesamt rund fünfzig weiteren grauen Herren (und einigen wenigen ebenfalls grau beanzugten Damen) mehr oder weniger kluge Dinge über das Buch, das sie selbst geschrieben haben. Ein afrikanischer Delegierter hinter mir begann zur Mitte der Veranstaltung vernehmlich zu schnarchen. Ich konnte es ihm nicht verdenken.
Bei unserer eigenen Buchvorstellung heute nachmittag wird das hoffentlich nicht passieren. Und wenn doch, werde ich ein paar Witze erzählen oder einen Teil meines Vortrags singen.

IWF an Europa: zahlt um Himmels willen weiter Eure Schulden!

Auch das Riesen-Rettungspaket von EU und IWF hat die Nervosität an den Finanzmärkten nur zeitweilig beilegen können. Außer den in der Finanzpresse anhaltenden Erwartungen, Griechenland könne spätestens 2013 doch zu Umschuldung gezwungen sein, produzieren auch andere Kandidaten aus dem Kreis der “PIGS” Woche für Woche Alarmmeldungen. In der letzten Woche was das P=Portugal. Gestern und heute zweifelt die FTD in I=Irland angesichts eines Rekorddefizits von rund 20% des BIP an der Fähigkeit des Landes, an den Kapitalmärkten die heute (und in Zukunft immer wieder mal) benötigten 1,5 Mrd. € an neuen Krediten zu bezahlbaren Konditionen aufzunehmen.
Anfang September stellte sich der IWF mit einer Serie von Papieren zu den Gefahren von Zahlungseinstellungen im Euro-Raum solchen Befürchtungen entgegen. Lesenswert ist davon nur eines, nämlich das von Cottarelli, Forni, Gottschalk und Mauro, in dem Zahlungseinstellung und Umschuldung programmatisch als “unnötig, nicht wünschenswert und unwahrscheinlich” bezeichnet werden. Im Netz unter: http://www.imf.org/external/pubs/ft/spn/2010/spn1012.pdf
In dem kurzen, gut lesbaren Papier werden sechs Argumente genannt, warum die kritisch verschuldeten Länder der europäischen Peripherie besser daran täten, weiter zu zahlen, als etwa eine Umschuldung oder gar einen Teilerlass zu fordern. Darunter sind “Klassiker”, mit denen uns schon vor zwanzig Jahren der damalige Bundesfinanzminister einreden wollte, Länder schadeten sich selbst, wenn sie nicht für immer pünktlich zahlten (bevor die Gläubiger selbst dann HIPC & Co auf den Weg brachten). Oder Regierungen sollten bedenken, dass auch die ärmeren und die Mittelschichten Staatsanleihen hielten. Dass die durch die Einsparungen in den öffentlichen Budgets und die erzwungenen Gehaltseinbussen deutlich härter betroffen sind, wird vorsichtshalber nicht erwähnt.
Wirklich bedenkenswert ist in dem apologetischen Papier nur ein einziges Argument, nämlich das, die aktuelle Krise resultiere – anders als die Überschuldung Lateinamerikas in den 80er und 90ern z.B. – nicht aus unbezahlbaren Zinslasten, sondern aus einem anhaltend hohen öffentlichen Defizit infolge zu hoher laufender Ausgaben. Dieses ist naturgemäss im nächsten Jahr nur wenig geringer, wenn eine Regierung sich dazu entschliesst, den Schuldendienst zu reduzieren. Die Autoren errechnen eine Einsparung von durchschnittlich 0,5% des BSP, falls ein Land sich dazu entschließe, seinen Gläubigern einen relativ drastischen “Haircut” von 50% ihrer Forderungen zuzumuten. Da sei es doch allemal besser, durch eine rigide Strukturanpassung die öffentlichen Finanzen zu sanieren…
Mal abgesehen von der in diesem Zusammenhang spannenden Frage, wie sich in diesen beiden Fällen die Anpassungslasten tatsächlich auf Arm und Reich im Lande selbst und auf Drinnen und Draußen verteilen: das Problem an dem zunächst einleuchtenden Argument ist, dass die heutigen Daten über Irland eher ein anwachsendes Zinsenproblem erwarten lassen: Die Finanzierung des Defizits zu beständig wachsenden Zinsaufschlägen, mit denen die Anleger sich ihr Risiko versichern lassen, führt gerade dazu, dass aus der Krise des laufenden Staatshaushaltes eine strukturelle Schuldenkrise wird – selbst wenn die Zahlen von heute das noch nicht hergeben. Auch in den Schwellenländern, die vor zehn oder zwanzig Jahren umschulden mussten, wuchs ein untragbarer Schuldendienst dadurch heran, dass Strukturdefizite allzu lange durch exzessive Neukreditaufnahme gedeckt wurden.

Die schöne Welt des Engagements

Eingeladen an der (Spaß)Veranstaltung “Engagement fairbindet” teilzunehmen, haben sich die Campaignerin und Rechercheassistentin von erlassjahr.de am Freitag, den 03.09.2010, nach Bonn begeben. Der “Parcours des Engagements” bestand aus vielen schönen weißen Zelten, die im Park des BMZ-Geländes der Präsentation und Vernetzung von Stiftungen, NGOs und staatlichen Institutionen der Entwicklungshilfe dienen sollten.

Man traf bekannte Gesichter wie die Partner von “VENRO”, kirchliche Hilfswerke und die „Großen“ der deutschen Entwicklungshilfe. Auch wurde z. B. das hauseigene Weltwärts-Programm, das DIE (Deutsches Institut für Entwicklungspolitik), die bpb (Bundeszentrale für politische Bildung) und die Arbeit der UNO Bonn vorgestellt. Länder und Kommunen, die sich in Städtepartnerschaften engagieren, Migranten, die sich für Ihre Heimatländer einsetzen, Unternehmen aus der Privatwirtschaft und Stiftungen durften sich natürlich auch präsentieren. Kurz: ein kunterbunter, fröhlicher, vorbildlicher Haufen, den Staatssekretär Beerfeltz und Minister Niebel da zusammen getrommelt haben. Auch der “Global Plaza” strahlte durch seine hübsche Bühne und einen fröhlichen  Entwicklungsminister, der tapfer die ständige Frage des Moderators Cherno Jobatey nach “den Beweggründen für Ihr Engagement” beantwortete und sich unheimlich über (*Achtung: Wortwitz-Gefahr*) den “blau-gelben” Himmel freute, der die für ihn so betont wichtige und hoch-effiziente Vernetzungs-Veranstaltung begleitete.

Zumindest scheint das BMZ der NGO- und zivilgesellschaftlichen Basis durch solch eine zwar nette, aber eher inhaltsleere Veranstaltung mit Inbrunst beweisen zu wollen, dass sein Interesse an einer vernünftigen Zusammenarbeit weiterhin sehr groß ist. Kein Wunder,  nachdem Herr Niebel das Ministerium zuerst vollständig auflösen wollte. Ein bisschen Eigenwerbung kann da nicht schaden. Betont wurde auch die Präsenz von Firmen, die sich in Entwicklungsländern engagieren, wie auch die Pflege der wirtschaftlichen Beziehungen dorthin (die neue Agenda des BMZ?). Was haben wir von dieser fairbindenden Veranstaltung mit zurück nach Düsseldorf genommen? Wie wichtig doch Engagement und Zusammenarbeit für unsere Welt ist. Danke, Herr Niebel, dass Sie uns daran noch einmal erinnert haben!

Brief an slowakische Ministerpräsidentin Radicova

Erlassjahr.de hat der slowakischen Ministerpräsidentin Iveta Radicova anlässlich ihres Deutschland-Besuchs einen offenen Brief geschrieben. Slowakei hat als einziges Euro-Land ihre Beteiligung an den Hilfskrediten für Griechenland abgesagt.  Allerdings hat sich Radicova auch für ein Staateninsolvenzverfahren ausgesprochen. In dem Brief begrüßt erlassjahr.de die positive Haltung zum deutschen Vorschlag für ein Internationales Insolvenzverfahren und weist auf die Argumente für die schnelle Einführung einer Insolvenzordnung für Staaten hin.

Brief an slowakische Ministerpräsidentin Radicova (deutsch)

List premierke Radicovej (slovensky)

Experten-Talk als Video: Sollten Staaten pleite gehen können?

Die Diskussion “Nach dem Griechenland-Schock: Sollten Staaten pleite gehen können?” im Frankfurter Haus am Dom (22.6.2010) wurde gefilmt und  in zwei 10-minütige Clips geschnitten:

 http://www.youtube.com/watch?v=Kf6QnRoKycc&feature=channel 

Mit: Dr. Dagmar Linder (Deutsche Bank), Prof. Marcel Tyrell (Zeppelin University Friedrichshafen), Paul Garaycochea (BMZ, Jürgen Kaiser (erlassajhr.de)

Rettung mit Bedingung: Slowakei unterstützt deutsche Pläne für ein internationales Insolvenzverfahren

Zuerst war es ein heißes Wahlkampfthema, dann eine strategische Entscheidung: Über die  Beteiligung der Slowakei am europäischen Rettungspaket für das bankrotte Griechenland wurde gerade vor den Parlamentswahlen vom 12. Juni sehr emotional diskutiert. Dabei kamen so manche interessante Aspekte ans Licht: Dass die Slowakei selber Kredite aufnehmen müsste, um den Griechen was zu leihen. Dass solche “Rettungsaktionen” eigentlich laut den geltenden Verträgen gar nicht stattfinden sollten. Aber auch, dass ein kleines Land gar nicht so viel Entscheidungssouverenität hat in der EU, und dass Solidarität in der EU doch wichtiger ist als ein paar Wählerstimmen. Denn wie die neue Regierung mit Besorgnis meldet, könnte der Haushaltsdefizit der Slowakei bald den griechischen Zahlen ähnlich sein – derzeit wird in Bratislava an einem neuen Sparplan gearbeitet. Also wurde nach wochenlangem Überlegen entschieden, sich an den Garantien in Höhe von 4,37 Mrd. € im Rahmen des “Rettungspakets” zu beteiligen, nicht aber an direkten Soforthilfen in Höhe von 880 Mio. €. Die Beteiligung soll vier Bedingungen haben:  Die EU soll den Stabilitätspakt stärken, ein geordnetes Insolvenzverfahren für bankrotte Staaten einführen, das betroffene Land soll alle anderen Optionen geprüft haben und die finanziellen Mittel sollen entsprechend den IWF-Regeln verwendet bzw. zurückgezahlt werden.

Auf der Seite des slowakischen Regierungsamtes heißt es: “Die Premierministerin Iveta Radicová begrüßt die medialisierte Initiative der deutschen Bundesregierung für ein geordnetes Insolvenzverfahren für untragbar verschuldete Länder.” Und außerdem: “Für die Premierministerin Radicová ist es inakzeptabel, dass die Folgen des verantwortungslosen Handelns nicht von den Banken, sondern in vollem Maße von den Bürgern der Mitgliedsstaaten getragen werden, die über den Rettungsmechanismus nicht entschieden haben und für die Krisensituation nicht verantwortlich sind. (…) Die Regierung hat grundsätzliche Einwände gegen die Art, wie die Europäische Währungsunion mit der Schuldenkrise einiger ihrer Mitgliedsstaaten umgeht. Deswegen wird sie auf einer Einigung bestehen, die gewährleisten soll, dass sich das Risiko einer Wiederholung derartiger Situationen minimalisiert.” 

Über die Bedingung Nr.2 ist erlassjahr.de besonders erfreut – wir setzen uns gerade jetzt dafür ein, dass die Idee eines Internationalen Insolvenzverfahrens noch mehr Unterstützung auf internationaler Ebene findet!

Neue Zahlen zu den Schulden der ärmeren Länder bei Deutschland

Mehr als zwei Jahre lang hat das Bundesfinanzministerium darauf verzichtet, die Forderungen der Bundesrepublik an die Entwicklungs- und Schwellenländer zu aktualiserten. Wer wissen wollte, wie viel Geld Deutschland noch von ärmeren Ländern zu bekommen hatte, musste sich mit Informationen zum Stichtag 31.12.2007 zufrieden geben. Dank einer Kleinen Anfrage der Grünen Bundestagsfraktion sah sich der BMF nun genötigt, die Zahlen zum 31.12.2009 zu aktualisieren. Das BMF kündigt die Veröffentlichung der Zahlen auf seiner Website  “voraussichtlich im Sommer” an.  Offenbar ist es in der Berliner Wilhelmstrasse aber noch nicht sommerlich genug. Bei uns in Düsseldorf ist es hingegen so heiß, dass wir die Zahlen schon mal zum Download anbieten.

Insgesamt sind die Schulden von Entwicklungs- und Schwellenländern bei der Bundesregierung um 2,1 Mrd. € auf 21,58 Mrd. zurückgegangen. Davon entfallen 14,6 Mrd. € auf Schulden aus der Entwicklungszusammenarbeit und knapp 7 Mrd. € auf vom Staat entschädigte Schulden bei deutschen Exporteuren (“Handelsforderungen”). In den meisten Fällen liegt der Rückgang daran, dass die verschuldeten Länder regulär gezahlt haben. Dazu kommen die Effekte der nach und nach umgesetzten HIPC-Entschuldungsinitiative. Spürbar gestiegene Schulden hat Argentinien (durch Verzugszinsen auf die seit 2001 nicht mehr bedienten Handelsschulden von 1,8 Mrd.). Ähnlich liegt der Fall bei Myanmar und Simbabwe. Neue Kredite im Rahmen der Entwicklungshilfe bekamen Vietnam, Pakistan und Südafrika.

Die schöne bunte Welt der Entschuldung

Wer mal so richtig schwelgen möchte in den segensreichen Wirkungen der Entschuldung, der wird von der Weltbank in einem neuen YouTube Video bedient: http://www.youtube.com/watch?v=EJYZCTXU4Dg
Glücklichen Afrikanern und Südamerikanern kann man dabei zusehen, wie sie dank Entschuldung in ihrem örtlichen Krankenhaus zuvor unerschwingliche Medikamente kostenlos verabreicht bekommen. Genauer gesagt: Dank HIPC-Entschuldung. Denn Sinn des Streifens ist natürlich zu demonstrieren, dass die weitsichtige Politik der Bank, deren Mitarbeiter reichlich zu Wort kommen, dieses schöne Ergebnis herbeigeführt hat. Zu Wort kommt übrigens auch der Autor dieses Blogbeitrags, den die PR-Abteilung am Rande einer Tagung im April vor die Kamera bekam.
Überraschenderweise nicht in den Film geschnitten wurde aus den längeren Statements der Hinweis, dass HIPC nach wie vor ein Instrument in der Hand der Gläubiger ist, und am Ende einer langen Kette von Entschuldungs-Verweigerungen steht. Dafür erfährt der Zuschauer, dass durch die Initiative die Bank gezwungen wurde, ihren vorgeblichen “bevorzugten Gläubigerstatus” endlich aufzugeben. Immerhin.