Jetzt auch der Wirtschaftsminister: Insolvenzverfahren für Staaten dringend benötigt

Die Griechenlandkrise macht der Politik Beine. Nachdem fast alle relevanten Mitglieder der Bundesregierung sowie der Bundespräsident sich für die Schaffung eines Internationalen Insolvenzverfahrens ausgesprochen haben, verlangt es nun auch der Wirtschaftsminister. Siehe: http://www.tagesschau.de/wirtschaft/staatspleite102.html Das ist erst mal sehr positiv, denn in der Vergangenheit haben wir auch gegenüber dem BMWi/BMWA oft über die Notwendigkeit eines umfassenden und rechtsstaatlichen Verfahrens gesprochen. Haarscharf daneben liegt der Minister allerdings mit seinem Bezug auf Kapitel 11 des US-Insolvenzrechts. Statt dieses Kapitels, das Unternehmensinsolvenzen regelt, ist der viel geeignetere Bezug das Kapitel 9. Dort geht es um die Zahlungsunfähigkeit von Gebietskörperschaften, und es ist geregelt, inwieweit in die souveräne Sphäre des Schuldner eingegriffen werden darf – und wieweit ausdrücklich nicht. Geradezu tragisch auch seine Ergänzung, dass wir ein Insolvenzverfahren sozusagen für die Griechenlands dieser Welt benötigen – aber nicht für Griechenland. Das erinnert fatal an die Diskussion um den SDRM, den Insolvenzvorschlag des IWF 2001. Der Fonds lancierte ihn mitten in der Argentinienkrise und versuchte danach eine globale Reformdebatte unter der Massgabe zu führen, dass Argentinien als der damals brennendste Fall von Staatspleite keinesfalls darunter fallen werde. Erreicht wurde im Ergebnis gar nichts. Hoffentlich vermasseln sie es jetzt nicht auch wieder – und wir erinnern uns in fünf Jahren daran, dass wir in der Griechenlandkrise damals besser ein Insolvenzverfahren für Staaten geschaffen hätten….

Finanzminister Schäuble fordert Staateninsolvenzverfahren

Nach den deutlichen Worten des Bundespräsidenten, und dem Hinweis des Entwicklungsministeriums, die Kanzlerin sei eine starke Fürsprecherin einer Internationalen Insolvenzordnung, hat sich nun auch der Bundesfinanzminister eindeutig und positiv positioniert. Im Spiegel-Interview von dieser Woche sagt er:

„SPIEGEL: Währungskommissar Olli Rehn hat vorgeschlagen, für weitere drohende Staatspleiten einen Fonds einzurichten. Was Halten Sie davon?

Schäuble: Wenn wir ein Verfahren für ähnliche Fälle wie Griechenland brauchen, müssen wir auch über die Frage reden, wie wir die Gläubiger an den Kosten beteiligen können. Bei jeder Insolvenz eines Unternehmens müssen die Gläubiger auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten, so sollte es auch bei einem Insolvenzverfahren für Staaten sein. Das zu lösen ist das A und O, dann lohnen sich Spekulationen nicht mehr. Dazu aber brauchen Sie keinen Fonds – sondern klare Regeln.“

Der Mann hat recht!

18.031 unterschriebene Wimpel für ein internationales Insolvenzverfahren

© erlassjahr.de

Hans-Jürgen Beerfeltz, Staatssekretär des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, nahm heute über 18.000 Unterschriften für ein internationales Insolvenzverfahren entgegen. Die Kampagne 2009 von erlassjahr.de wird somit symbolisch abgeschlossen. Ein Rückblick auf das Jahr 2009 – und was es gebracht hat.

© Informationsstelle Peru

3,6 Kilometer. So lang würde die Wimpelkette sein, wenn man alle unterschriebenen Wimpel aneinander binden würde. Ein großer Erfolg und ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Umsetzung eines internationalen Insolvenzverfahrens, meint erlassjahr.de und bedankt sich bei allen, die mitgemacht haben.  Auf der Straße, beim Infostand, in der Gemeinde oder im Eine-Welt-Laden – im letzten Jahr konnte man den regenbogenfarbenen Wimpeln oft begegnen. Jede Unterschrift bestätigt: Die gravierenden Schuldenprobleme der Entwicklungsländer sind ein wichtiges Thema  in der entwicklungspolitischen Debatte und ein Grund, sich aktiv zu engagieren – für ein faires und transparentes Verfahren!

© erlassjahr.de

Bis zum Bundestagswahltermin im letzten Herbst konnten über 17.000 Unterschriften präsentiert werden. Genau 18.031 sind es bis zum Abschluss der Kampagne geworden. Mit Erfolg: Die Forderung nach einem internationalen Insolvenzverfahren ist im Koalitionsvertrag verankert und genießt die Unterstützung der Regierung. Jetzt ist die Politik dran – erlassjahr.de ist auf die nächsten Schritte zur Umsetzung des Verfahrens gespannt. Was können wir erwarten? Die Kompetenzen zur Umsetzung eines interantionalen Insolvenzverfahrens teilt sich das BMZ mit dem Finanzministerium. Die ersten Signale sind positiv, es bleibt aber abzuwarten, wie die interantionale Staatengemeinschaft – vor allem die mächtigen Gläubigerregierungen – reagieren werden. Deutsche Regierungsvertreter äußern sich zuversichtlich.

erlassjahr.de sagt: DANKE an alle, die die Kampagne unterstützt haben!

(K)eine ganz normale Weltbank-Konferenz

© erlassjahr.de

So ungefähr sehen Weltbank-Konferenzen eigentlich immer aus: Ein künstlich beleuchteter und belüfteter Raum in einem teuren Hotel. Menschen aus vielen verschiedenen Ländern aufgereiht auf unbequemen Stühlen, mehr oder weniger aufmerksam zuhörend oder auch heimlich ihre Blackberrys checkend – und vorne ein Panel mit schlipstragenden weissen Männern. Wohldosierte Alibi-Frauen und -Afrikaner dazwischen. Und gesprochen wird über Finanzströme zwischen Nord und Süd. Alles irgendwie interessant für einen Entschuldungscampaigner, aber so sehr auch wieder nicht, dass er nicht auch lieber zwischendurch mal, die Mails durchsehen würde…
So auch hier bei der Debt Management Konferenz der Weltbank und der Afrikanischen Entwicklungsbank in einem hübschen Touristen-Hotel nördlich von Tunis.
Anders war, dass die Bank erlassjahr.de nicht nur freundlich das Zuhören gestattete (dafür wäre ich eher nicht gekommen), sondern überdies ein hübsches Streitgespräch zwischen einer Mitarbeiterin des holländischen Finanzministeriums und mir organisierte über die Frage, ob neue (gar: “radikale”) Entschuldungs-Verfahren gebraucht werden oder nicht. Und damit die Sache ein bisschen interessanter würde, kopierte sie eine Idee unseren Köln+10-Workshop vom letzten Juni: Die Tagungsteilnehmer sollten abstimmen: einmal vor dem Streitgespräch und dann nachher.
Da erlassjahr.de beim Heimspiel in Köln einen Erdrutschsieg errungen hatte, vermutete ich, dass sie nun auf eine Revanche scharf waren, und es nicht viele Lorbeeren zu gewinnen geben würde. Allerdings nahm die niederländische Kollegin das Match ziemlich auf die leichte Schulter (oder war in Gedanken schon beim anschließenden Vier-Augen-Gespräch mit dem Chefunterhändler der isländischen Regierung, mit dem die Niederländer derzeit einiges zu verhandeln haben). Jedenfalls war schon vor Beginn eine kleine Mehrheit für ein radikales neues Denken (“radical re-thinking of debt management”), und als wir beide gesprochen und jeweils eine Runde Fragen beantwortet hatten, war der Vorsprung – unter immerhin Finanzbeamten und -Zentralbankern, UNO-Leuten und WB/IWF-Mitarbeitern – noch gewachsen. Auch wenn man diese Art von Übungen mit der kleinen Prise Humor nehmen muss, mit der Moderator sie auch einführte, zeigt sich doch, dass es ein spürbares Unbehagen unter Fachleuten gegenüber einer Politik des schlichten “weiter so” gibt.
Jedenfalls folgten auf das Streitgespräch eine ganze Reihe interessanter Gespräche, mit Leuten, die über FTAP mehr wissen und hier oder dort auch mit uns zusammen arbeiten möchten. erlassjahr.de dankt der Weltbank für die freundliche Einladung.

Europäischer Währungsfonds? Die Staatspleite auch als solche behandeln

Ein wenig verdeckt von der Frage, wer denn um alles in der Welt noch einen Währungsfonds – diesmal neben dem “Internationalen”  in Washington den “Europäischen” – bezahlen soll, ist durch die Debatte um den EWF auch die nach einer Staateninsolvenz erfreulich dynamisch geworden. In allen Vorschlägen, von dem Papier des Think Tanks CEPS im Februar bis zum jüngsten Vorstoß des Bundesfinanzministers Schäuble wurde stets die Option einer geordneten Staateninsolvenz neben der einer europäischen Refinanzierung von Pleitestaaten und der eines Austritts aus der Währungsunion mitgedacht.
Diese Option ist der interessanteste Teil der ganzen Debatte.
Sicher wird es den Anleihegläubigern in vielen Fällen gelingen, auch künftig europäische Steuerzahler direkt oder indirekt in Haftung zu nehmen, und Rettungs- und Garantiepakete zu erzwingen. Aber durch die Option einer geordneten Insolvenz würde das Risiko einer Staatspleite endlich dort abgeladen, wo es hingehört: nämlich bei denjenigen, die 6,5% Verzinsung in Griechenland für ein interessantes Angebot halten, und um solcher Rendite willen ein Risiko eingehen.
Denn was würde passieren, wenn ein insolventer Staat tatsächlich Insolvenz anmelden könnte: Es würde – etwa nach dem Vorschlag eines Fairen und Transparenten Schiedsverfahrens von erlassjahr.de – von einer neutralen Instanz darüber befunden, welche Zahlungen ein insolventer Staat tatsächlich zu leisten imstande ist. Und alles was darüber hinaus an Forderungen besteht, würde pro rata gestrichen, genau wie es bei einer Unternehmensinsolvenz jeden Tag passiert. Die USA haben mit einem entsprechenden Insolvenzverfahren für überschuldete Gebietskörperschaften (dem Kapitel 9) auch im Bereich der öffentlichen Schuldner sehr gute Erfahrungen gemacht. Das Kapitel 9 dient dazu, eine Insolvenz abzuwickeln, ohne in die verfassungsmäßigen Rechte einer demokratisch gewählten Verwaltung einzugreifen. Eine Balance, die auch im Rahmen europäischer Staatsinsolvenzen erst noch gefunden werden muss – wie die wilde Debatte über die (un)zureichenden Sparanstrengungen der Griechen deutlich zeigt.
Es wäre nämlich reichlich blauäugig anzunehmen, dass wir es allein mit einem griechischen Problem zu tun haben. Geht man von der kritischen Verschuldungsgrenze des Maastricht-Vertrags von 60% des BIP aus, dann liegen weltweit 23 Länder allein mit ihren Auslandsschulden z.T. deutlich darüber, davon 8 in Europa. Und jede Datenaktualisierung hat in den letzten zwei Jahren die Zahl der Pleitekandidaten erhöht.

Geierfonds in Liberia: Wie die Reichen an Afrikas Schulden verdienen

Auch mit Armut lassen sich lukrative Geschäfte machen. Das Dokument der BBC zeigt, wie Geierfonds Liberias Schulden für einen Bruchteil ihres Wertes aufkaufen und dann umgehend das Land auf die vollständige Rückzahlung samt Verzugszinsen verklagen. Die Gläubigerregierungen verzeichnen den Schuldenverkauf als Schuldenerlass, weil sich ihre Forderungen reduzieren – doch die Bürger des Schuldnerstaates werden nun per Gerichtsspruch zur Kasse gebeten. Dabei müssen die Menschen in dem von Bürgerkrieg schwer zerstörten Liberia von ungefähr einem US-Dollar pro Tag leben.

In Großbritannien, wo die Gerichtsverhandlung ausgetragen wurde, haben nun Parlamentarier einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der die Geierfonds an einem solchen Vorgehen hindern sollte. Sogar der britische Richter Barton, der das Urteil sprach, gab zu, dass sich Liberia die Zahlungen nicht leisten kann, doch das Recht zwinge ihn zu dem Spruch. Die eingeklagten Schulden in Höhe von 30 Mio. US-Dollar entsprechen etwa 5% der staatlichen Einnahmen des Landes.

Zum Video: On the trail of the vultures picking over Liberia’s debt (Englisch)

Deutsche Bischofskonferenz verlangt Schuldenerlass für Haiti

Erzbischof Dr. Ludwig Schick, Vorsitzender der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz, sieht in einem konditionierten und umfassenden Schuldenerlass eine Grundbedingung für einen nachhaltigen Wiederaufbau Haitis. Das Land, das schon bei seiner Entstehung verschuldet war, braucht den Schuldenerlass nun dringender denn je. Außerdem sollen eine nachhaltige ländliche Entwicklung und funktionierende öffentliche Verwaltung im Fokus der Wiederaufbau-Initiativen stehen. Hier gehts zur Pressemeldung der Bischofskonferenz

"G7-Länder erlassen Haiti die Schulden": Leider nur ein PR-Gag

Wie man angesichts einer humanitären Katastrophe kostenfrei an seinem guten Image basteln kann, haben am Wochenende die G7-Finanzminister demonstriert. Von deutschen und internationalen Medien gebührend wahrgenommen, haben sie erklärt, sie würden dem erdbebenzerstörten Haiti alle Schulden erlassen.
Klingt gut, aber leider hat Haiti bei keinem der G7-Staaten irgendwelche Schulden, seit das Land im Juni 2009 den “Completion Point” der HIPC-Schuldenerlassinitiative passiert hat. “Na, umso besser”, werden sich Schäuble & Co gedacht haben, “da kostet es uns nicht mal was.”
Diese Art von PR-mäßiger Mehrfachverwertung der eigenen guten Taten hat bei den mächtigsten Volkswirtschaften des Westens durchaus Tradition: Weil im HIPC-Prozess erst Weltbank und IWF einen Erlassbedarf ausrechnen, dieser dann zum Teil im Pariser Club beschlossen und das Pariser Abkommen wiederum in bilateralen Vereinbarungen zwischen dem Schuldner und jedem einzelnen Gläubiger rechtsgültig vereinbart werden muss, lässt sich jeder erlassene Euro der Öffentlichkeit gleich drei mal als gute Tat verkaufen.
Spannend wird es in den Beschlüssen des G7-Finanzministertreffens vom Wochenende erst bei dem, die nach der wohlfeilen Ankündigung eines G7-Schuldenerlasses kommt: “Die Schulden (Haitis) bei den multinationalen Institutionen sollten ebenfalls gestrichen werden, und wir werden mit diesen Institutionen und anderen Partnern darauf hinarbeiten, dass dies bald geschieht”, sagte der kanadische Finanzminister zum Abschluss des G7-Finanzministertreffens in Iqaluit.
Die übrigen bilateralen Gläubiger sind nicht das Problem: Venezuela hat einen vollständigen Erlass seiner Forderungen bereits angekündigt – übrigens ohne dafür sieben Jahre zu brauchen, wie die westlichen Gläubiger unter HIPC. Und auch Taiwan hat seine Bereitschaft zum Schuldenerlass erklärt. Mehr bilaterale Gläubiger gibt es nicht.
Wenn die G7 bis zur Fälligkeit der nächsten Zahlungen Haitis an die Weltbank und den IWF im Mai allerdings durchsetzen, dass alle Forderungen dieser beiden Institutionen sowie der Interamerikanischen Entwicklungsbank (IDB) tatsächlich nicht nur ausgesetzt, sondern vollständig gestrichen werden: Das wäre das tatsächlich eine Meldung wert!

Haiti-Update V: IWF-Schuldenerlass für Haiti? Vielleicht im März

Letzte Woche hatte der Vorstand (Executive Board) des IWF seinen Direktor beim Thema “Schuldenerlass für Haiti” auf die Knochen blamiert. Nach Dominique Strauss-Kahn’s Ankündigung, man werde nicht nur die eigenen Forderungen erlassen, sondern auf einen allgemeinen Schuldenerlass zugunsten Haitis hinarbeiten, setzten die Direktoren das Thema “Schuldenerlass für Haiti” demonstrativ nicht einmal auf die Tagesordnung. Statt dessen gab es Katastrophenhilfe in Form neuer Schulden.
Nun bemüht man sich um Schadensbegrenzung – für den IWF zumindest, aber damit zusammenhängend dann vielleicht auch für Haiti. Bei einem Conference Call am 27.1. erklärte die Leiterin der IWF-Regionalabteilung Corinne Deléchat auf Nachfrage, bei der für März geplanten großen Geberkonferenz für Haiti werde die Frage eines Schuldenerlasses für Haiti erneut auf der Tagesordnung stehen. Beim IWF gebe es in der Frage guten Willen, allerdings schränkte sie ein, der Beitrag des Schuldenerlasses zur aktuellen Nothilfe sei minimal.
Voraussichtlich wird die Konferenz am 22. und 23.März am Sitz der Vereinten Nationen in New York stattfinden.

Haiti-Update IV: IWF-Vorstand ignoriert Entschuldungs-Vorschlag des Direktors

Bei seiner gestrigen Sitzung hat das Exekutivdirektorium des IWF lediglich über die neuen Kredite und die Auszahlung der letzten Tranche des alten Programms gesprochen. Damit hat es Haiti gut 100 Mio US-$ neue Schulden beschert – statt, wie von Dominique Strauss-Kahn vollmundig angekündigt, die Weichen für eine umfassende Entschuldung Haitis zu stellen. Hintergründe und Konsequenzen der Entscheidung enthält das aktualisierte Fachinfo Nr.22.