Die Schuldensituation der Ukraine war diesen Sommer trotz andauernden Krieges großes Thema in der Fachöffentlichkeit. Denn im August lief das zweijährige Schuldenmoratorium der privaten Vorkriegsanleger aus. Die Anleger gewährten 2022 das Moratorium unter der Annahme, dass der Krieg rasch vorbei sei und die Ukraine dann ihre Schuldendienstzahlungen wieder regulär aufnehmen könne – ein Irrtum. Im Sommer wurde daher eine (aus Sicht von erlassjahr.de unzureichende) Schuldenrestrukturierung mit den privaten Vorkriegsanlegern ausgehandelt.
Nach Kriegsende wird das Land aber nicht nur bei privaten Vorkriegsanlegern verschuldet sein. Nach Berechnungen des IWF wird die Ukraine im Laufe der nächsten Jahre mit rund 100 Prozent seines BIPs verschuldet sein, sowohl weiterhin bei den privaten Vorkriegsgläubigern, wie auch bei öffentlichen bilateralen und vor allem multilateralen Gläubigern. Gleichzeitig gibt es schon jetzt einen enormen Finanzierungsbedarf für den Wiederaufbau. Wiederaufbau und Schuldenrückzahlung stehen damit in Konflikt. Gleichzeitig eignen sich derzeitige Verfahren zur Schuldenrestrukturierung nicht, um die finanzielle und politische Komplexität einer Nation, die sich von einem bewaffneten Konflikt erholt, zu bewältigen.
Wie kann sich die Ukraine in einem solchen Kontext langfristig sozial und wirtschaftlich gerecht erholen? Wir argumentieren, dass es dafür eine besondere Lösung braucht, die mit den bestehenden Verfahren zur Schuldenrestrukturierung nicht zu erreichen ist.
In Bezug auf ihre Schuldensituation ist die Ukraine kein Einzelfall. In der jüngeren Geschichte wurden außergewöhnliche Lösungen für Schuldenkrisen nach kriegerischen Konflikten gefunden. Die historischen Exempel können als eine Inspirationsquelle für eine Schuldenrestrukturierung in einem Nachkriegskontext dienen.
Der 50-prozentige Schuldenerlass für die westdeutschen Vor- und Nachkriegsschulden im Londoner Schuldenabkommen von 1953
Die Halbierung der AuslandsschuldenIndonesiens im Jahr 1969, als nach dem Militärputsch von 1965 die Hälfte der Schulden bei der Sowjetunion und ihren Verbündeten und die andere Hälfte bei hauptsächlich westlichen Gläubigern im Pariser Club lag
Die Halbierung derpolnischen Auslandsschulden im Jahr 1991 nach dem Ende des Militärregimes
Der 80-prozentige Erlass der Altschulden des Iraks nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein im Jahr 2004
Natürlich ist keine dieser Episoden identisch mit der Schuldensituation, mit der eine Nachkriegs-Ukraine konfrontiert sein könnte, und kann daher nicht als Blaupause genutzt werden. Nichtsdestoweniger identifiziert die Studie Elemente, Argumente, Kriterien und Verfahrensschritte, aus denen Lehren für eine nachhaltige, wirtschaftliche Erholung der Ukraine gezogen werden können.
Zu diesen Lehren zählen u.a.:
Londoner Schuldenabkommen 1953: Priorität auf langfristige Kooperation statt Maximierung von Gläubigerforderungen: Zentrale Gläubiger legten mehr Wert auf die langfristige friedliche Koexistenz und wirtschaftliche Integration Deutschlands als auf enge Gläubigerinteressen. Diese Haltung ermöglichte eine schnelle und effektive Lösung, die den Wiederaufbau Deutschlands beschleunigte. Elemente, die eine langfristig nachhaltige Lösung garantierten: Aussetzung des Schuldendienstes, wenn Deutschland keinen Handelsüberschuss mit dem jeweiligen Gläubiger erzielte, ein unabhängiges Schiedsverfahren für Konfliktfälle. Deutschlands Schuldendienstquote überschritt zudem nie 3,5 % der jährlichen Exporterlöse. Für die Ukraine könnte bei der Berechnung des Schuldenerlasses solch niedrige Kennzahlen herangezogen werden.
Indonesiens Schuldenerlass 1969: Neutrale Vermittlung: Ein unabhängiger Mediator spielte eine entscheidende Rolle, indem er einen für alle Gläubiger akzeptablen Vorschlag entwickelte. Diese neutrale Vermittlung sorgte für ein langfristig tragfähiges Ergebnis, da sie Konflikte zwischen Gläubigergruppen entschärfte und einseitige Profitinteressen minimierte. Schuldnerschutz: Indonesien profitierte von einer contingency clause, die es erlaubte, Zahlungen je nach wirtschaftlicher Entwicklung anzupassen – sowohl bei positivem, aber eben auch bei negativem Verlauf. Zusätzlich wurde ein niedriger Schuldendienst von nur 5–6 % der Einnahmen angesetzt, um die Rückzahlungsfähigkeit mit langfristigem Wiederaufbau zusammenzubringen.
Polens Umschuldung 1991: Vermeidung halbherziger Lösungen durch politischen Druck: Die albtraumhaften Erfahrungen mit zu geringen Pariser-Club-Umschuldungen in Polen während der 1980er-Jahre führten zu einem klaren Verständnis dafür, dass tiefgreifende Schuldenerlasse unvermeidbar sind. Der politische Druck der Bush-Administration trug dazu bei, diese umfassenden Entschuldungsmaßnahmen trotz Widerstand durchzusetzen. Gleichbehandlung als Schlüssel: Ein zentraler Erfolgsfaktor war das strikte Prinzip der Gleichbehandlung aller Gläubiger.
Iraks Schuldenerlass 2004: Schutz von Ressourcen und Vermögenswerten: Die Immunisierung von Iraks Öl-Ressourcen durch die UN-Sicherheitsratsresolution 1483 schützte das Land vor unhaltbaren Forderungen und Ressourcenabfluss während und nach dem Restrukturierungsprozess. Obwohl eine ähnliche Resolution für die Ukraine aufgrund geopolitischer Hürden weniger realistisch ist, könnten nationale Gesetze oder Exekutivmaßnahmen eine vergleichbare Schutzwirkung entfalten. Atempause durch Moratorium und konsequente Gleichbehandlung: Ein umfassendes Schuldenmoratorium verschaffte dem Land den nötigen Spielraum für Verhandlungen und erhöhte den Druck auf Gläubiger, einer Einigung zuzustimmen. Zudem zeigt die strikte Gleichbehandlung aller Ansprüche an den Irak, dass ein kohärenter und einheitlicher Ansatz, trotz verschiedener Interessen der Gläubigergruppen, zu einem nachhaltigeren und gerechteren Ergebnis führt.
Ob sich die Ukraine wirtschaftlich erholen wird, entscheidet sich je nachdem wie innovativ mit der Schuldensituation der Ukraine umgegangen wird.
Während eine außergewöhnliche Lösung für die Verschuldung der Ukraine im Zentrum stehen muss, könnte eine solche Lösung auch zu allgemeineren Reformen inspirieren, die die Machtungleichgewichte zwischen Schuldnern und Gläubigern ein Stück weit überwinden könnten. Im Vergleich zum Status quo würde dies die Chancen für andere hochverschuldete Länder – einschließlich, aber nicht ausschließlich solcher in Konfliktsituationen – erhöhen, ihre Schuldentragfähigkeit nachhaltig wiederherzustellen.
Sri Lanka hat gewählt – doch der Handlungsspielraum des neuen linken Präsidenten Dissanayake ist stark eingeschränkt. Mit dem Versprechen, das Kreditprogramm mit dem IWF sowie die laufenden Umschuldungsverhandlungen neu auszuhandeln, trat er an. Nur zwei Wochen nach Amtsantritt gab er dieses Vorhaben jedoch auf und akzeptierte einen Schuldendeal, der stark zugunsten der Gläubiger ausfällt.
In Teil I der Blogreihe habe ich die Bedeutung einer Neuaushandlung und die sozialen sowie politischen Konsequenzen von Dissanayakes Kehrtwende erörtert. In Teil II beleuchte ich nun, wie der laufende Klageprozess zwischen der Hamilton Reserve Bank und Sri Lanka einen Einblick in die vielschichtigen Mechanismen gibt, über die auf den neuen Präsidenten Druck ausgeübt wurde.
Vorgeschichte: Zwischen Krisen, Klage und Austeritätsauflagen
Trotz multipler Krisen und hoher Schuldendienstbelastungen versuchte Sri Lanka lange, seine Gläubiger weiter auszuzahlen und vermied Umschuldungsverhandlungen. Das änderte sich im Frühjahr 2022, als der öl- und weizenimportierende Inselstaat von den weltwirtschaftlichen Folgen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine erneut schwer getroffen wurde. Im April 2022 blieb dem Land keine andere Möglichkeit, als die Rückzahlungen einzustellen und Umschuldungsverhandlungen aufzunehmen.
Öffentliche Gläubiger – darunter die Bundesregierung – sowie ein Großteil der privaten Gläubiger erklärten sich bereit, mit Sri Lanka über eine Schuldenrestrukturierung zu verhandeln. Wie üblich machten die öffentlichen Gläubiger dafür die Aufnahme eines IWF-Kreditprogramms zur Bedingung. Im Rahmen dieses Programms wurde Sri Lanka zu harten Austeritätsauflagen verpflichtet, während die Schuldenerleichterungen völlig unzureichend ausfielen.
Ein privater Gläubiger, die Hamilton Reserve Bank, lehnte Verhandlungen jedoch von Anfang an ab: Im Juni 2022 reichte die Investmentbank mit Sitz im Steuerparadies St. Kitts und Nevis eine Klage beim New Yorker Gericht ein und forderte die vollständige und sofortige Rückzahlung ihrer Forderungen.
April 2022 – Juli 2024: Enges Zusammenspiel zwischen Übergangsregierung und internationalen Akteuren
Die Übergangsregierung unter Wickremesinghe trieb die Umschuldung schnell voran und peitschte Reformen und Gesetzesänderungen im Rekordtempo durch das Parlament – ganz im Sinne der internationalen Gläubiger und ihrer wirtschaftspolitischen Ideologie. Die Klage der Hamilton Bank stieß daher zunächst auf Ablehnung der westlichen Staaten, da sie den reibungslosen Ablauf dieses Umschuldungsprozesses zu gefährden drohte. Die Bank agierte zunächst zu plump, um das politische Druckpotenzial, das in solchen Klagen begründet liegt, voll auszuschöpfen.
Sowohl die US-Regierung als auch das Pariser Club-Sekretariat unterstützten Sri Lanka durch Stellungnahmen vor Gericht, als das Land im Juli 2023 und Februar 2024 die Aussetzung des Klageprozesses beantragte. Sie argumentierten, dass ein Urteil zugunsten der Bank den Restrukturierungsprozess gefährde. Die US-Regierung betonte zudem, dass ein erfolgreicher Umschuldungsprozess im Rahmen des IWF-Programms in ihrem geopolitischen Interesse liege. Zuletzt wurde der Prozess so auf Anweisung des Gerichts bis zum 1. August 2024 pausiert.
Als die Pausierung am 1. August endete, war die Restrukturierung mit den privaten Gläubigern noch nicht abgeschlossen. Daher beantragte Sri Lanka Ende Juli 2024 erneut die Aussetzung. Während der Pariser Club im Februar 2024 sofort eine Stellungnahme einbrachte und die US-Regierung sich zwei Wochen später äußerte, dauerte es diesmal rund drei Wochen, bis der Pariser Club eine Stellungnahme einreichte. Die US-Regierung reichte erstmals keine Stellungnahme zur Unterstützung Sri Lankas ein. Dies könnte damit zusammenhängen, dass sich der Regierungswechsel bei den Präsidentschaftswahlen im September zu diesem Zeitpunkt schon deutlich abzeichnete. Der linke Kandidat Dissanayake, der für eine Neuverhandlung des IWF-Programms eintrat, lag in den Umfragen deutlich vorne.
August 2024: Letzte Amtshandlung: Politischen Wandel erschweren
Im August 2024 wandten sich erstmals auch die privaten Gläubiger des Anleihehalter-Komitees an das Gericht, dem nach eigenen Angaben „einige der weltweit größten Finanzinstitutionen angehören“. In ihrer Intervention vom 28. August, die sich explizit auf den Antrag Sri Lankas auf eine weitere Pausierung bezog, erklärten die privaten Gläubiger:
„Angesichts der Unsicherheiten im Zusammenhang mit den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in Sri Lanka [am 21.09.2024] (…) ist das Anleihehalter-Komitee besorgt, dass eine Verzögerung die bedeutenden Fortschritte, die Sri Lanka gemacht hat, gefährden könnte (…) das Komitee positioniert sich nicht bezüglich des Antrags auf Pausierung, das Komitee hält es aber für entscheidend, dass die Umstrukturierung der Anleihen bis Mitte September 2024 eingeleitet wird.“
(eigene Übersetzung und Hervorhebung)
Auch wenn das konkrete Ziel der Intervention im Zusammenhang mit dem Hamilton-Fall unklar bleibt, wird daran deutlich, dass die Anleger sämtliche Kanäle nutzten, um den Abschluss der Restrukturierung noch vor dem Regierungswechsel zu erzwingen.
Am 19. September 2024, also zwei Tage vor der Präsidentschaftswahl, reagierte die sri-lankische Übergangsregierung öffentlich und verkündete, dass sie mit dem Komitee der Anleihehalter eine vorläufige Vereinbarung geschlossen habe. Dabei handelte es sich noch nicht um eine rechtsverbindliche Restrukturierung. Durch die öffentliche Bekanntgabe des vorläufigen Deals versuchte die Regierung des abdankenden Übergangspräsidenten jedoch, eine Neuaushandlung nach der Präsidentschaftswahl zu erschweren.
September 2024: Ein „marxistischer Außenseiter“ wird gewählt
Am 21. September wurde Dissanayake mit deutlicher Mehrheit gewählt. Kurz nach der Wahl verkündeten der IWF sowie die öffentlichen Gläubiger, dass sie die vorläufige Vereinbarung mit den Anleihehalter-Komitee akzeptieren – obwohl private Gläubiger damit schätzungsweise 21 Prozent weniger Erleichterungen gewähren als öffentliche Akteure. Das widerspricht eigentlich dem Prinzip der Gleichbehandlung, das öffentliche Gläubiger bei Umschuldungen einfordern, damit öffentlich gewährte Erleichterungen keine privaten Gewinne finanzieren. Die Zustimmung war ein entscheidender Schritt, um die Umschuldungsverhandlung mit den Anleihehaltern so zum Abschluss zu bringen, wie sie vor der Wahl eingestielt wurde. Eine neue Aufnahme der Verhandlungen, wie sie Dissanayake zu diesem Zeitpunkt noch anstrebte, wurde dadurch erschwert.
Am 1. Oktober wandte sich die Hamilton Reserve Bank erneut an das Gericht und warnte davor, den Antrag auf eine weitere Pausierung stattzugeben:
„Die Regierung von Präsident Ranil Wickremesinghe hatte die Umstrukturierungsverhandlungen mit den Gläubigern und dem IWF geleitet. Doch am 21. September 2024 (…) gewann ein marxistischer politischer Außenseiter, Anura Kumara Dissanayake, die Präsidentschaftswahlen (…). Dissanayakes überraschender Sieg hat das Land in politische Ungewissheit gestürzt (…). Während Sri Lanka wiederholt spekuliert hat, dass dieser Rechtsstreit ‚ernsthafte Risiken für den Erfolg‘ seiner Umstrukturierung darstellen könnte, scheintdie neue Führung Sri Lankas selbst das größte Risiko für diese Ziele darzustellen (…) ein weiterer Aufschub ist nicht gerechtfertigt.“
(eigene Übersetzung und Hervorhebung)
Hamilton griff somit die Argumentation auf, die zuvor von der sri-lankischen Übergangsregierung, den USA und dem Pariser Club vertreten und vom Gericht nicht für die Ablehnung, sondern für die Gewährung der bisherigen Moratorien übernommen worden war: dass der Rechtsstreit die Umschuldung gefährde, die auf dem aktuellen IWF-Programm basiert, und die Moratorien notwendig seien, um diesen – ansonsten gut laufenden Prozess – nicht zu unterbrechen.
Oktober 2024: Der Präsident knickt ein
Am 4. Oktober versicherte die sri-lankische Vertretung dann vor Gericht, dass man sich dem IWF-Programm sowie der Vereinbarung mit dem Anleihehalter-Komitee weiterhin verpflichtet fühle und keine Neuverhandlungen anstrebe:
„Die Hamilton Reserve Bank spekuliert, dass die Umstrukturierungsbemühungen Sri Lankas durch die jüngsten Präsidentschaftswahlen untergraben wurden (…). Die Bank ist falsch informiert (…) Sri Lanka bleibt dem Restrukturierungsprozess verpflichtet (…) die sri-lankischen Behörden haben ihre Zustimmung zu den IWF-Zielwerten und der Vereinbarung vom 19. September 2024 mit Vertretern des Anleihehalter-Komitees bestätigt.“
(eigene Übersetzung und Hervorhebung)
Damit begrub der neu gewählte Präsident nach weniger als zwei Wochen eines seiner wichtigsten Vorhaben.
Wie ist die Kehrtwende des Präsidenten zu verstehen?
Die Kehrtwende des Präsidenten lässt sich nicht nur im Zusammenhang mit dem Klageprozess verstehen. Kurz nach den Präsidentschaftswahlen hatte es auch Treffen zwischen IWF-Mitarbeitenden und dem neuen Präsidenten gegeben. Was dort sowie in weiteren bilateralen Gesprächen besprochen wurde, dürfte einen erheblichen Einfluss auf den raschen Kurswechsel des Präsidenten gehabt haben. Wenngleich nicht bekannt ist, wie die Gespräche abliefen, ist offensichtlich, dass man von Seiten des IWF sowie vermutlich auch von den westlichen und östlichen Gläubigerstaaten keine Bereitschaft signalisiert hat, sich auf konstruktive Neuverhandlungen einzulassen.
Der Klageprozess ist in diesem Kontext von Interesse, da dabei deutlich wird, dass die Unterstützung vor Gericht durch die westlichen Staaten eng daran geknüpft war, dass Sri Lanka die Maßnahmen des IWF willfährig umsetzt. Hätte der neue Präsident an seinem Vorhaben festgehalten und die Verhandlungen mit dem IWF und den Gläubigern neu aufgenommen beziehungsweise diese konfliktiver geführt, hätte Sri Lanka diese Unterstützung vor Gericht voraussichtlich gefehlt. Hinzu kommt, dass gegebenenfalls weitere private Gläubiger den Klageweg beschritten hätten.
Auch ganz unmittelbar drohte von dem Prozess eine unangenehme Signalwirkung auszugehen. Zum Zeitpunkt Dissanayakes Wahl stand die Entscheidung über die Gewährung eines weiteren Moratoriums noch aus – was auch damit zusammenhängen könnte, dass die US-Regierung diesmal keine unterstützende Stellungnahme einreichte und andere Staaten dies erst mit Verzögerung taten. Eine Ablehnung durch das Gericht hätte nicht nur weitere negative Auswirkungen eines entsprechenden Gerichtsstreits nach sich gezogen, sondern wäre vermutlich auch medial ein gefundenes Fressen gewesen, um den „Marxisten“ Dissanayake wirtschaftspolitisch und diplomatisch als unfähig darzustellen.
Wie geht es mit dem Klageprozess weiter?
Das Gericht stimmte am 15.11., das heißt deutlich nach dem Kurswechsel des Präsidenten, dem Antrag von Sri Lanka zu und pausierte den Prozess bis zum 30.11. Bis dahin wird der Anleihetausch aller Voraussicht nach nicht final abgeschlossen sein. Es ist somit davon auszugehen, dass Sri Lanka Ende November erneut einen Antrag auf Pausierung einbringen wird, der Anleihetausch vermutlich aber bereits durchgeführt ist, bevor das Gericht über den Antrag auf eine erneute Pausierung entscheidet.
Aktuell ist jedoch noch nicht abzusehen, ob die Hamilton Reserve Bank sich am Anleihetausch beteiligen wird. Der Deal ist grundsätzlich vorteilhaft für die Gläubiger: Sie nehmen keine echten Verluste hin und erzielen weiterhin vergleichsweise hohe Renditen. Dies gilt insbesondere für die Hamilton Bank, die ihre Anleihen zwischen August 2021 und Juni 2022 zu stark reduzierten Preisen auf dem Sekundärmarkt aufkaufte, als Sri Lanka bereits tief in der Krise steckte. Es ist daher durchaus möglich, dass die Bank dem Deal zustimmt und ihre Klage einstellt. Andererseits setzte sie von Anfang an auf ein hohes Risiko und investierte bereits erhebliche Prozesskosten.
Ob ein Anleihetausch ohne die freiwillige Beteiligung der Hamilton Bank möglich ist, ist indes ungewiss. Um die Bank zu überstimmen, braucht es eine Mehrheit von 75 Prozent. Nach eigenen Angaben hält die Bank Forderungen im Umfang von 250,19 Millionen US-Dollar und damit exakt die nötige Sperrminorität der 1 Milliarde schweren Anleihe. Wenn diese Angaben korrekt sind und die Hamilton Bank einer Restrukturierung nicht freiwillig zustimmt, hat sie weiterhin das Recht, ihre Forderung in voller Höhe vor Gericht einzutreiben. Sollte die Bank damit vor Gericht Erfolg haben, bliebe die Frage, ob die sri-lankische Regierung dem Urteilsspruch folgen wird – und welche Auswirkungen dies auf die Vereinbarung mit den übrigen Gläubigern hätte. Eine vorteilhafte Auszahlung einzelner Gläubiger kann dazu führen, dass Restrukturierungsvereinbarungen mit anderen Gläubigern nichtig werden. Verweigert die Regierung hingegen die Zahlung, könnte die Bank versuchen, sri-lankisches Auslandsvermögen zu pfänden, was jedoch auch für die Bank ein riskanter und kostspieliger Prozess wäre.
Fazit: Das Recht auf Entschuldung
Einmal mehr werden in diesem Prozess die Schwachstellen der aktuellen Ausgestaltung der internationalen Schuldenarchitektur sichtbar: Bei jedem anderen Schuldgeschäft existieren klare Vorgaben, wann Forderungen nicht mehr in vollem Umfang eingeklagt werden können und das Recht des Gläubigers auf Rückzahlung eingeschränkt werden muss – etwa, wenn dies im Konflikt mit dem Recht des Schuldners auf ein Leben in Würde steht. Für Staatsschulden gilt dies nicht, und jede Erleichterung wird als Zugeständnis und Entgegenkommen der Gläubiger angesehen.
Es braucht daher verbindliche Regelungen: Ein etabliertes und institutionell durchsetzbares Recht auf Streichung untragbarer und illegitimer Schulden sowie Gesetze, die private Gläubiger dazu verpflichten, sich an diesen Streichungen zu beteiligen.
Quellen
Pfeiffer, B. (28.08.2024) “Leave to File Amicus Submission”. Dokument 118 im Fall 1:22-cv-5199 DLC (Hamilton Reserve Bank Ltd. v. The Democratic Republic of Sri Lanka).
Bleichmar, J. (01.10.2024), Dokument 122 im Fall 1:22-cv-5199 DLC (Hamilton Reserve Bank Ltd. v. The Democratic Republic of Sri Lanka).
Houck, R. G. (04.10.2024), Dokument 123 im Fall 1:22-cv-5199 DLC (Hamilton Reserve Bank Ltd. v. The Democratic Republic of Sri Lanka).
Redaktioneller Hinweis: Der Beitrag wurde erstmals am 15.11.2024 unter dem Titel „Sieg fürs Kapital – Gefahr für die Demokratie Teil II: Abuse of power comes as no surprise“ online gestellt. Am 18.11. wurde er inhaltlich überarbeitet, um die Urteilssprechung vom 15.11. und eine bei Gericht postalisch eingereichte Stellungnahme des Pariser Clubs einzuarbeiten, die zuvor nicht aufgenommen worden war.
This publication was co-funded by the European Union. Its contents are the sole responsibility of erlassjahr.de and do not necessarily reflect the views of the European Union.
Sri Lanka hat gewählt. Doch hohe Schuldendienstzahlungen und strikte Auflagen des IWF schränken den politischen Handlungsspielraum des neu gewählten Präsidenten stark ein – mit gravierenden sozialen Folgen und der Gefahr, das Vertrauen der Bevölkerung in die Demokratie zu untergraben.
Wahlen nach zwei Jahren Übergangsregierung
Mehr als zwei Jahre nach den großen Protesten im Frühjahr 2022 fand am 21. September 2024 in Sri Lanka der erste Urnengang seit den Unruhen statt. Trotz der Flucht des damaligen Präsidenten Gotabaya Rajapaksa infolge der Proteste hatte es bis dahin keine Neuwahlen gegeben. Stattdessen wurde 2022 eine Übergangsregierung unter Ranil Wickremesinghe gebildet, die in den Augen vieler Sri Lanker*innen keine Legitimität besaß. Wickremesinghe setzte Kommunalwahlen mit fadenscheinigen Argumenten aus und ging hart gegen zivile Proteste vor. Der autoritär regierende Übergangspräsident versuchte auch die Präsidentschaftswahlen weiter hinauszuzögern. Durch das Eingreifen des sri-lankischen Verfassungsgerichts konnte dies jedoch verhindert werden.
Bei der Wahl Ende September 2024 wurde Wickremesinghe nun wenig überraschend abgewählt. Mit über 40 Prozent der Erstpräferenzstimmen siegte der linke Kandidat Anura Kumara Dissanayake. Dissanayake, Vorsitzender der marxistisch-kommunistischen Partei Janatha Vimukthi Peramuna (JVP), trat als Spitzenkandidat eines Bündnisses aus 20 weiteren Organisationen an, darunter politische Parteien, Jugend- und Frauengruppen sowie Gewerkschaften.
Sieg fürs Kapital
Das Wahlbündnis Dissanayakes hatte im Wahlkampf damit geworben, eine Wirtschaftspolitik im Interesse der Einkommensschwachen durchzusetzen sowie das Kreditprogramm mit dem IWF und die Schuldenrestrukturierung neu auszuhandeln. Doch nach weniger als zwei Wochen im Amt ruderte die Regierung Dissanayakes bereits zurück und verkündete, dass sie den Deal mit dem IWF einhalten und keine Neuverhandlungen der Schuldenrestrukturierung anstreben werde. Vielmehr wolle man auch die noch nicht abgeschlossenen Verhandlungen mit den Anleihehaltern so zum Abschluss bringen, wie sie von der Übergangsregierung noch kurz vor ihrem Abdanken eingestielt wurde. Ein klarer Sieg für internationale Anleihehalter, die so auch nach der Restrukturierung Gewinne in Höhe von schätzungsweise 3,6 Milliarden US-Dollar machen.
Eingeschränkter politischer Handlungsspielraum
Eine spürbare Verbesserung der alltäglichen Lebenssituation zu erreichen, dürfte indes für Dissanayake nun sehr schwierig werden. Denn der hohe Schuldendienst schränkt den politischen Handlungsspielraum stark ein. Diese Einschätzung teilt interessanterweise auch die Friedrich Naumann Stiftung:
„Auch wenn Dissanayake aus einem linksgerichtetem Umfeld kommt, der wirtschaftspolitischen Realität muss er sich auch stellen… Die fiskalische Realität wird AKDs [=Anura Kumara Dissanayake] Agenda sofort Grenzen setzen. Sri Lanka steht weiterhin unter der wachsamen Beobachtung internationaler Gläubiger, und jede Abweichung von vereinbarten Wirtschaftspolitiken könnte schwerwiegende Folgen haben.“
Selbstverständlich schränken jedoch nicht unveränderbare wirtschaftspolitische und fiskalische „Realitäten“ die Handlungsfähigkeit Sri Lankas ein. Die Umstände fußen vielmehr auf politischen Entscheidungen, die im Rahmen der Schuldenrestrukturierung klar zugunsten der Gläubiger gefällt wurden.
Denn wenn die Schuldenrestrukturierung so abgeschlossen wird, wie sie im Rahmen des IWF-Programms von der Übergangsregierung auf den Weg gebracht wurde, muss Sri Lanka in den nächsten Jahren weiterhin rund 26 Prozent seiner Staatseinnahmen für den ausländischen Schuldendienst aufbringen. Damit gehört Sri Lanka in seiner Einkommenskategorie auch nach der Restrukturierung zu den 20 Prozent der Länder, die weltweit am meisten an Schuldendienstzahlungen an ausländische Gläubiger leisten. Zum Vergleich: Im Rahmen der Entschuldungsinitiativen der 1990er Jahre (HIPC) wurden Rückzahlungen auf maximal 15 Prozent der Staatseinnahmen begrenzt, da alles darüber als nicht mehr tragfähig galt. Selbst konservative, IWF-nahe Kreise stimmen zu, dass im Falle Sri Lankas die im IWF-Programm anvisierten Schuldenerleichterungen zu gering ausfallen und die Schuldendienstzahlungen eine nachhaltige wirtschaftliche Erholung gefährden (siehe unter anderem hier und hier).
Zusätzlich schränkt das IWF-Programm den fiskalischen Spielraum weiter ein, indem es der Regierung vorschreibt, einen Primärüberschuss in Höhe von 2,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu erzielen. Diese Vorgabe fußt keinesfalls auf einer soliden empirischen Grundlage. Ganz im Gegenteil deutet alles darauf hin, dass diese Vorgabe aus volkswirtschaftlicher Sicht kontraproduktiv ist.
Diese Austeritätsvorgaben sowie die Kleinrechnung des Erlassbedarfs durch den IWF – und nicht unveränderbare „Realitäten“ – begrenzen Dissanayakes Möglichkeit in Bildung, Soziales und Gesundheit zu investieren. Angesichts dieser offensichtlicher Schwächen im IWF-Programm und der verheerenden sozialen Situation in Sri Lanka – die Armutsrate hat sich gerade das vierte Jahr in Folge verschärft – war die Forderung Dissanayakes, das Programm neu auszuhandeln sehr vernünftig und die Bundesregierung und ihre Partnerstaaten hätten dies unterstützen sollen.
Gemäßigte Positionen
Dies gilt nicht zuletzt, da Dissanayake – anders als es in internationalen Medien bisweilen kommuniziert und die Parteigeschichte der JVP es nahelegen könnte – keine besonders radikalen, marxistischen Positionen vertritt. Bereits in seinen Wahlkampfreden bekräftigte Dissanayake, dass er die Rückzahlung der IWF-Gelder in jedem Fall sicherstellen werde und betonte, dass ihm an guten Beziehungen zu seinen westlichen und östlichen Partnern gelegen sei. Nicht die Aufkündigung des IWF-Programms, sondern lediglich dessen Neuaushandlung waren im Gespräch. Dissanayake hält sich demnach durchaus an die – primär vom Westen – gesetzten „Spielregeln“ und bemühte sich lediglich darum, innerhalb dieser Rahmenbedingungen ein faireres Ergebnis auszuhandeln. Diese ausgestreckte Hand hätten westliche Regierungen und internationale Finanzinstitutionen ergreifen sollen.
Gefahr für die Demokratie
Regierungsverantwortliche in Washington und Berlin – ebenso wie in Beijing und Neu Delhi – tragen somit Mitverantwortung für den eingeschränkten fiskalischen Handlungsspielraum Dissanayakes. Wenn der demokratisch gewählte Präsident dadurch seine Wahlversprechen nicht umsetzen kann, droht seine Zustimmung zu bröckeln. Nun kann es nicht verwundern, dass es im Interesse westlicher Regierungen liegt, die Beliebtheit eines „marxistischen“ Präsidenten zu mindern. Jedoch droht das Vertrauen in die demokratischen Strukturen selbst zu erodieren, wenn die Bürger*innen einmal mehr erleben, dass es keinen Unterschied macht, wem sie ihre Stimme geben. Eine Verschärfung der sozialen Lage verstärkt zudem anti-westliche Stimmungen, da diese – zurecht – den westlich dominierten internationalen Finanzinstitutionen, insbesondere dem IWF, angelastet wird.
Im Teil II der Blogreihe werfen wir einen genaueren Blick darauf, wie Druck auf Dissanayake ausgeübt wurde, sein Vorhaben aufzugeben und welche Rolle dabei der laufende Klageprozess mit der Hamilton Reserve Bank spielt.
This publication was co-funded by the European Union. Its contents are the sole responsibility of erlassjahr.de and do not necessarily reflect the views of the European Union.
Seit 1993 kann Deutschland auf die Rückzahlungen von Entwicklungshilfekrediten aus einigen Ländern des Globalen Südens verzichten, wenn das Partnerland im Gegenzug den gesamten oder einen Teilbetrag für mit dem BMZ vereinbarte Entwicklungsprojekte in nationaler Währung zur Verfügung stellt. Dieses Modell nennt man „Schuldenumwandlung“.
Die Regeln dafür, welche Länder und welche Vorhaben so gefördert werden können, sind im jährlichen Haushaltsgesetz festgelegt sowie in einem „Modalitätenpapier“, welches die auf deutscher Seite beteiligten Ressorts untereinander vereinbart haben. Die noch gültigen Modalitäten gehen auf das Jahr 2008 zurück. Mit Beginn der aktuellen Legislaturperiode wurde die Reform der Fazilität angekündigt, nicht zuletzt weil Schuldenumwandlungen im Kontext der globalen Klimafinanzierungsdebatte an Attraktivität gewannen. Nach zwei Jahren Diskussion zwischen den Ministerien liegt nun eine neue (unveröffentlichte), vor allem zwischen BMZ und BMF vereinbarte Fassung vor. Sie soll voraussichtlich mit dem Haushaltsgesetz 2025 in Kraft treten.
Schon in der Vergangenheit ist die Fazilität sowohl reformiert – als auch immer wieder blockiert – worden. Aus Sicht von erlassjahr.de wird das Potenzial der Fazilität auch nicht durch die aktuelle Reform ausgeschöpft.
Im Einzelnen:
Der Plafonds von maximal 150 Millionen € bleibt unverändert.
Der Kreis der begünstigten Länder wird über die bisher prinzipiell zugangsberechtigten Niedrigeinkommensländer und Länder mit niedrigem mittleren Einkommen auf Länder mit höheren mittlerem Einkommen (LICs und LMIC, sowie nun UMICs nach den Definitionen der Weltbank) ausgeweitet. Die Fazilität auf UMICs auszuweiten, war auch aus Sicht von erlassjahr.de einer der wichtigsten Reformvorschläge, gibt es doch keinen sinnvollen Zusammenhang zwischen dem Einkommensniveau eines Landes und der Sinnhaftigkeit einer Schuldenumwandlung. Sie kann in Argentinien oder Barbados ein ebenso sinnvolles Instrument sein wie in Burundi oder Bangladesch. Das ist jeweils von dem finanzierten Vorhaben und den politischen Umständen vor Ort abhängig, nicht aber vom durchschnittlichen Einkommen der Bevölkerung. Dass plötzlich die ganze Welt ihre Schulden bei Deutschland umwandelt verhindert schon das begrenzte jährliche Volumen von 150 Millionen Euro.
Der Ausweitung wurde allerdings nur unter der Bedingung zugestimmt, dass UMICs bestimmte Zusatzkriterien erfüllen müssen, wozu neben der grundsätzlichen Qualifizierung für den Resilience and Sustainability Trust des IWF vor allem „Reformbereitschaft“ zählt – zu lesen als: ein IWF-Programm haben – denn sonst gelten sie nicht als würdiger Partner der Bundesregierung, der Unterstützung „verdient“. Immerhin wurde erreicht, dieses unsinnige Zusatzkriterium stark aufzuweichen, so dass sich am Ende doch viele UMICs werden qualifizieren können. So müssen Länder nicht zwingend ein IWF-Programm haben, es reicht auch die Absicht dazu, ohne dass näher spezifiziert ist, woran diese zu erkennen ist. Alternativ können sich auch UMICs qualifizieren, die eine Weltbank-Politikfinanzierung vereinbart haben. Fast alle Länder, welche Schulden aus der Entwicklungshilfe bei Deutschland haben, sind damit nun prinzipiell antragsberechtigt.
Neben dieser Ausweitung ist die Umdrehung des bisherigen Überschuldungskriteriums die wichtigste Veränderung: Bislang mussten begünstigte Länder einen klaren Schuldenerlassbedarf nachweisen. Dies etwa dadurch, dass sie ein aktives Umschuldungsabkommen mit dem Pariser Club einschließlich einer so genannten Swap-Klausel hatten, oder sie mussten Schuldenindikatoren jenseits der damaligen HIPC-Schuldenobergrenzen (Schulden im Verhältnis zu den jährlichen Exporteinnahmen von mehr als 150% bzw. laufender Schuldendienst zu den Exporteinnahmen von 15%) aufweisen. Dieses Kriterium ging noch auf die Frühzeit der Fazilität 1992 zurück, als Schuldenumwandlungen noch als Instrument zur Wiederherstellung von Schuldentragfähigkeit im Krisenfall (miss)verstanden wurden. Die Geschichte der Fazilität wie auch die Erfahrungen anderer Länder mit ähnlichen Programmen haben indes gezeigt, dass Schuldenumwandlungen für eine Krisenbewältigung viel zu klein und zu kompliziert sind. Vielmehr können Umwandlungen besonders dann sehr effizient zur Entwicklungsfinanzierung beitragen, wenn die betroffenen Länder zwar Schulden haben, aber noch fiskalisch handlungsfähig sind. Schließlich müssen sie ja die Inlandswährung für die vereinbarten Vorhaben aufbringen. Sinnvoll wäre deshalb schlicht und einfach die Abschaffung dieses Kriteriums gewesen. Der Schuldenstand kann ein Hebel sein, um Umwandlungen im Einzelfall scheinbar objektiv blockieren zu können. Vermutlich deshalb wurde das Kriterium nicht abgeschafft, sondern einfach umgedreht: Künftig dürfen bestimmte, kompliziert definierte Schuldenhöhen nicht überschritten werden.
Anders als zuvor sind nun nicht mehr feste Grenzwerte maßgebend, sondern die Schuldentragfähigkeitsanalysen von IWF (und Weltbank) und die darin enthaltenen Kategorisierungen des Überschuldungsrisikos. Für LICs und LMICs, deren Schuldentragfähigkeit nach dem Rahmenwerk für Niedrigeinkommensländer begutachtet wird, ist das noch einigermaßen einfach. Denn sie müssen nach den neuen Regeln vom IWF entweder mit einem niedrigen oder mittleren Überschuldungsrisiko eingestuft sein. Nicht so einfach ist das in Bezug auf LMICs und UMICs, die dem anderen Schuldentragfähigkeitsrahmenwerk des IWF zugeordnet sind, das die Schuldentragfähigkeit im Prinzip aller anderen Länder misst (das sogenannte SRDSF). Hier gibt es keine festgelegten Grenzwerte oder Kategorisierungen. Im Modalitätenpapier behilft man sich damit, indem man einfach bestimmte Obergrenzen aus dem Rahmenwerk für Niedrigeinkommensländer nimmt. An sich nicht verkehrt so vorzugehen, aber – Problem Nr. 2 – im SRDSF gibt es keine dezidierte Analyse der Auslandsverschuldung. Zentrales Konzept ist dort die gesamte öffentliche Verschuldung im In-und Ausland. Unter Umständen erhält man also aus den IWF-Analysen für diese Länder gar nicht die nötigen Daten, die man für die Qualifizierung braucht. Für diese Länder müsste man dann auf Auslandsschulden-Daten aus den International Debt Statistics der Weltbank zurückgreifen (die es aber nicht für alle UMICs gibt).
Hinzu kommt, dass Schuldentragfähigkeitsanalysen des IWF nur nach ausdrücklicher Zustimmung des Schuldnerlandes öffentlich zugänglich gemacht werden. Damit kann es sein, dass Daten einzelner Länder auch deshalb nicht zur Verfügung stehen. Vorher konnten die Daten einfach aus der International Debt Statistics der Weltbank ermittelt werden, brauchte man die Schuldentragfähigkeitsanalyse des IWF ja nicht. Hier behilft man sich im Modalitätenpapier (falls keine Schuldentragfähigkeitsanalyse vorliegt), dass eine „entsprechende Dokumentation“ ausreichend sei, was immer das heißen mag.
Die schon auf den ersten Blick sehr willkürliche Umdrehung der bisherigen Zugangsbeschränkung wird noch weniger überzeugend dadurch, dass Ausnahmen im Fall von außerordentlichen Umständen, darunter Natur- oder Umweltkatastrophen, ermöglicht werden. Warum die Frage einer ausreichenden fiskalischen Handlungsfähigkeit des begünstigten Landes gerade dann keine Rolle mehr spielen soll, wenn das Land durch eine Naturkatastrophe schwer angeschlagen ist, ist rätselhaft: Entweder die Vorbedingung einer ausreichenden fiskalischen Handlungsfähigkeit macht Sinn oder sie ist ohnehin sinnlos (und kann daher nicht nur im Katstrophenfall ignoriert werden). Warum zudem ausdrücklich in solchen Fällen der Pariser Club vor Umsetzung einer Umwandlung konsultiert werden sollte, bleibt das Geheimnis der Autoren. Gerade, wenn nach Katastrophen die Zahlungsfähigkeit eines Schuldners gefährdet ist, hat selbstverständlich kein Gläubiger etwas dagegen, wenn konkurrierende Gläubiger auf Hartwährungsforderungen verzichten und damit die Wahrscheinlichkeit, dass man selbst bedient, wird, erhöht wird.
Bei der letzten Reform 2008 erstritt das damalige BMZ eine gewisse Liberalisierung und Öffnung des Instruments dadurch, dass der Bundestag eine Notbremse einbauen konnte: Vor der Aufnahme von Verhandlungen im Einzelfall musste der Haushaltsausschuss des Bundestages zustimmen. Das führte dazu, dass der wichtigste Ausschuss des Parlaments in seiner allerletzten Sitzung des Jahres, in der er im Rennen gegen die Uhr die letzten Milliarden im Haushalt des kommenden Jahres zwischen den Ressorts hin- und herschiebt, darüber befinden musste ob 15 Millionen Euro für den Wiederaufbau eines nationalen Gesundheitslabors in El Salvador sinnvoll investiert sind oder eher nicht – ohne dass die meisten Mitglieder wussten, was es mit diesem komischen Salvator überhaupt auf sich hat. In den neuen Modalitäten ist nur noch von einer „Information des Haushaltsausschusses“ die Rede, während im Haushaltsgesetz selbst weiterhin die Zustimmung des Ausschusses eingefordert wird.
Besonders skandalös aus Sicht von erlassjahr.de: dem Bundesfinanzministerium wird explizit ein Vetorecht eingeräumt – während in den alten Modalitäten stets von einer Abstimmung unter „den Ressorts“ (gemeint: BMZ, BMZ, AA und BMWi sowie in der Regel auch deren Vorfeldorganisationen KfW und GIZ einbezogen wurden) die Rede war.
Es ist sehr bedauerlich, dass das Potenzial der Fazilität bei diesem Reformprozess nicht ausgeschöpft wurde und die konkrete Überarbeitung in der Praxis sogar die Anwendung der Fazilität im Einzelfall erschweren könnte. Denn noch immer ist Deutschland nur eines von drei Ländern, die über eine klar definierte Schuldenumwandlungspolitik verfügen und in Nord und Süd dafür zu Recht Anerkennung genießen.
Dieser Text wurde nach Veröffentlichung noch einmal redaktionell überarbeitet.
Auf Einladung unserer sri-lankischen Kolleg*innen vom YUKTHI-Kollektiv waren meine Kollegin Kristina Rehbein und im Juni 2024 für eine knappe Woche in Sri Lanka zu Besuch. Für mich war es die erste außer-europäische Reise in meiner Funktion bei erlassjahr.de. Nicht, weil es zuvor keine Anlässe gegeben hätte, sondern weil wir uns bisher bei vielen Gelegenheiten explizit dagegen entschieden hatten, mal eben durch die Welt zu jetten.
Diesmal fiel unsere Entscheidung anders aus. Dies lag vor allem daran, dass wir mit den Wissenschaftler*innen des YUKTHI-Kollektivs mittlerweile seit fast zwei Jahren – seit Sri Lanka im April 2022 in den Zahlungsausfall geriet – einen sehr engen Austausch gepflegt haben. Ahilan Kadirgamar, einer der Mitinitiator*innen des YUKTHI-Kollektivs, war bereits im Oktober 2023 für eine Rundreise bei uns in Deutschland zu Gast gewesen. Nun waren wir für die Colombo Consulations nach Sri Lanka eingeladen. Auch mit Blick auf die im September anstehenden Präsidentschaftswahlen fand in der Woche vom 8. Juni eine Vielzahl an öffentlichen und nicht-öffentlichen Veranstaltungen statt, um die Diskussion bezüglich möglicher Alternativen zum aktuellen Umschuldungsprozess und zu den IWF-Konditionen zu beleben.
Kristina und ich hatten unsere Kolleg*innen aus Sri Lanka auch im Vorhinein bei den Planungen unterstützt und insbesondere den Kontakt zu und die Anreise von weiteren internationalen Expert*innen im Schuldenthema mitorganisiert. Neben Kristina und mir waren in der Woche vom 8. Juni folgende weitere internationale Gäste vor Ort in Colombo: Martín Guzman, ehemaliger Wirtschaftsminister Argentiniens und aktuell Professor an der Colombia University mit großer Expertise im Schuldenthema; Jayati Ghosh, indische Politökonomin, aktuell Professorin in Massachusetts und ebenfalls eine bekannte Größe in der internationalen Debatte zur Reform der internationalen Schulden- und Finanzarchitektur; Charles Abugre, ghanaischer Direktor der International Development Economics Associates (IDEAs), einem Wissenschaftsnetzwerk progressiver Ökonom*innen insbesondere aus dem Globalen Süden; Charles Chandrasekhar, ebenfalls IDEAs-Mitglied und Wirtschaftsprofessor, der aktuell in Delhi und Bangkok lehrt, sowie Ashim Rashid, Mitglied des Alternate Law Collective in Pakistan und Wissenschaftler an der Universität in Pennsylvania.
Samstag, 8.6.: Ankunft und „Workers Tribunal“
Nach einem Nachtflug bin ich Samstag früh in Colombo gelandet und wurde von Shafiya Roshan Rabaithu und Yatursha Ulankentheran am Flughafen herzlich empfangen. Shafiya und Yatursha arbeiten beide als Wissenschaftlerinnen im YUKTHI Kollektiv. Am Samstag standen noch keine schuldenbezogenen Veranstaltungen an und ich konnte mir den Tag etwas einteilen. Beim Mittagessen habe ich Chandru Chandrasekhar kennengelernt, den ich bisher nur von Online-Sitzungen kannte.
Nachmittags habe ich Ahilan zu einem „Workers Tribunal“ in der architektonisch beeindruckenden Bandaraneike Momorial International Conference Hall (BMICH) begleitet. Das BMICH-Kongresszentrum wurde in den 1970er Jahren von China als Geschenk an Sri Lanka errichtet, um an den vierten Premierminister des Landes, Bandaranaike, zu erinnern. Dieser führte Sri Lanka in den 1950er Jahren in die Blockfreie Bewegung und eröffnete diplomatische Beziehungen zu China. Für mich war es interessant, dieses Gebäude und die damit verbundene Geschichte kennenzulernen, da im Westen oft die Auffassung herrscht, dass Chinas jüngste Bemühungen, weltpolitischen Einfluss zu gewinnen, ein völlig neues Phänomen seien. Über das „Workers Tribunal“ und die menschunwürdigen Arbeitsumstände der dort zu Wort kommenden Plantagenarbeiter*innen habe ich hier ausführlich berichtet.
Sonntag, 9.6.: Interner Konsultationsprozess
Am Sonntag fand ein ganztägiger, interner Austausch mit rund 30 Menschen aus Sri Lanka und den aus dem Ausland angereisten Gästen im schönen Galle FaceHotel statt. Trotz des kolonialen Ursprungs des Hotels – an der Bauweise sehr gut erkennbar – ist das Hotel für Veranstaltungen dieser Art bei unseren sri-lankischen Kolleg*innen sehr beliebt und wird von ihnen vor allem gegenüber den neuen großen internationalen Hotelketten für die Unterbringung ausländischer Gäste gern genutzt. Der Fokus lag am Sonntag vor allem darauf, den ausländischen Gästen im Vorfeld der anstehenden öffentlichen Termine ein umfassenderes Bild der aktuellen Lage in Sri Lanka zu vermitteln und Perspektiven auf den aktuell laufenden Umschuldungsprozess auszutauschen.
Montag, 10.6.: Fernsehinterview & große öffentliche Veranstaltung zu Sri Lankas Schuldenrestrukturierung
Kristina landete am Montagmorgen und wurde von unseren sri-lankischen Kolleginnen vom Flughafen direkt ins Fernsehstudie von NewsFirst geleitet. Dort gab sie gemeinsam mit Jayati Ghosh ein einstündiges Interview, das hier angeschaut werden kann.
Am Montagnachmittag fand die größte öffentliche Veranstaltung der Woche statt. In einer Paneldiskussion mit dem Titel „Is there another way? Debt restructuring, the IMF and the future of Sri Lanka” diskutierten Martín Guzman, Jayati Ghosh und Charles Abugre über die Probleme des aktuellen Umschuldungsprozesses und über mögliche Alternativen. Mit rund 400 Teilnehmenden – darunter Arbeiter*innen der verschiedenen ethnischen Gruppen Sri Lankas, Parlamentsabgeordnete und der ehemalige Zentralbankchef – wurde die Erwartung unserer sri-lankischen Kolleg*innen weit übertroffen. Auch in den großen Zeitungen sowie in den sozialen Medien wurde viel über die Veranstaltung berichtet, z.B. hier. Kristina und ich haben kleineren Medien am Rande der Veranstaltung Interviews gegeben.
Dienstag, 11.6.: Interview und Klimaworkshop
Am Dienstagmorgen haben Kristina und ich der sri-lankischen Tageszeitung The Daily Mirror ein Interview gegeben. Nachmittags haben wir einen Workshop zur Verbindung der Schulden- und Klimakrise gegeben, an dem rund 30 Personen teilnahmen, vor allem Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen, die in Sri Lanka zu unterschiedlichen Klima- und Umweltfragen arbeiten. Es kam zu einem sehr anregenden Austausch. Mit Melani, einer der Mitorganisator*innen des Workshops, haben wir unsererseits ein Interview über ihr Engagement vor Ort und die Lage Sri Lankas geführt, das in Kurzfassung hier wiedergegeben wird.
Mittwoch und Donnerstag, 12.-13.6.: Auswertung und Strategiebesprechung in kleiner Runde
Am Mittwoch und Donnerstag hatten Kristina und ich gemeinsam mit dem Kernteam von YUKTHI Zeit für eine Auswertung der Colombo Consultations und unserer Zusammenarbeit der letzten zwei Jahre. Wir haben die Zeit außerdem genutzt, um uns gegenseitig tiefergehend über unsere aktuellen Arbeitsschwerpunkte zu informieren und strategische Planungen für die nächsten Wochen und Monate anzustellen. Es war sehr deutlich, dass es gerade für einen solchen Austausch sehr viel fruchtbarer ist, gemeinsam in einem Raum zu sitzen, statt sich wie in den letzten zwei Jahren immer nur auf Kacheln am Bildschirm zu sehen. An diesen Tagen haben wir außerdem noch Interviews mit Madhulika, einer jungen Gewerkschaftsaktivistin und Ermiza, einer Menschenrechtsanwältin aufgezeichnet. Das Interview mit Ermiza kann hier im Blog des Netzwerk Entwicklungspolitik Saarbrücken nachgelesen werden, denn Ermiza wird zu unserer großen Freude einen Online-Workshop bei unserer diesjährigen Jahrestagung in Saarbrücken geben.
Gemeinsam mit Charles und Hashim hat Kristina am Mittwochabend zudem noch an einem Expert Roundtableteilgenommen, der hier nachgehört werden kann.
Abschied und Rückreise
Donnerstagnachmittag hatten wir noch wenige Stunden freie Zeit und das erste Mal die Möglichkeit, uns die Beine etwas zu vertreten. Nach dem Aufenthalt in den vielen klimatisierten Räumen sind wir bei dem feucht-warmen Wetter draußen schnell ins Schwitzen gekommen. Unsere Gastgeber*innen haben uns außerdem noch in ein Kulturzentrum mitgenommen, in dem auch fair produzierte Kleinigkeiten verkauft wurden. Kristina und ich haben uns dort noch mit einigen Leckereien und kleinen Erinnerungsstücken eingedeckt – mein Schreibtisch im Düsseldorfer Büro wird seitdem durch einen Stifte- und Post-it Halter aus Sri Lanka verschönert. Abends waren wir ebenfalls mit dem Kernteam von YUKTHI etwas außerhalb – und erstmals am Strand – zum Abschied etwas essen, bevor es Donnerstagnacht mit dem Flieger zurück nach Deutschland ging.
Unsere Kolleg*innen in Sri Lanka bewerten die Colombo Consultations als großen Erfolg. Die Vielzahl der Veranstaltungen in dieser Woche hat die Debatte über den Sinn und Unsinn des aktuellen IWF-Programms neu entfacht und vor allem konkrete Alternativszenarien in den Fokus gerückt. Für die Menschen in Sri Lanka – einem Land, das erstmals in seiner Geschichte Umschuldungsverhandlungen führt – ist es äußerst wertvoll, auf die Erfahrungen anderer Länder in ähnlichen Situationen zurückgreifen zu können. Dadurch wird deutlich, dass die Lage in Sri Lanka kein Einzelfall ist und dass weltweit Menschen daran arbeiten, Schuldenkrisen fairer und nachhaltiger zu überwinden. Es bleibt zu hoffen, dass die gewonnenen Erkenntnisse aus den Colombo Consultations den Weg für eine gerechtere Zukunft für Sri Lanka ebnen.
Am ersten Tag meiner diesjährigen Reise nach Colombo, über die ich ausführlich hier berichtet habe, standen noch keine schuldenpolitischen Veranstaltungen an. Daher konnte ich mir den Tag frei einteilen und habe am ersten Nachmittag unseren sri-lankischen Kollegen Ahilan Kadirgamar zu einem „Workers Tribunal“ in der architektonisch beeindruckenden Bandaraneike Momorial International Conference Hall begleitet.
Der zweitägige Prozess wurde von der RedFlag Gewerkschaft organisiert, die vor allem Plantagenarbeiter*innen vertritt. Bei dem Prozess handelte es sich nicht um einen ordentlichen Gerichtsprozess. Wie wir im Laufe der Woche noch von mehreren Jurist*innen hörten, ist es äußerst schwierig, wirtschaftliche und soziale Rechte im sri-lankischen Rechtssystem erfolgreich einzuklagen. Bei dem sogenannten „Tribunal“ machten Arbeiter*innen von Tee- und Kautschukplantagen in einem medial begleiteten Prozess Aussage vor drei ehemaligen (Verfassungs-)Richter*innen aus Sri Lanka, Indien und Nepal. Am zweiten Tag sprachen die Richter*innen einen – rechtlich nicht bindenden – Urteilsspruch. Der Prozess sollte dadurch vor allem Aufmerksamkeit für die Arbeits- und Lebensumstände der Plantagenarbeiter*innen erzeugen.
Die Arbeiter*innen, die im Prozess aussagten, gehören der ethnischen Minderheit der Tamilen an, deren Vorfahren während der britischen Kolonialzeit aus Südindien nach Sri Lanka gebracht wurden, um auf den Kaffee-, Tee- und Kautschukplantagen der Brit*innen zu arbeiten. Die meisten Arbeiter*innen arbeiten – und leben – demnach seit Generationen auf den Plantagen und viele sprachen davon, dass sie ihre Situation als Versklavung unter neuen Vorzeichen wahrnehmen. Die Arbeiter*innen berichteten, dass auf den Plantagen grundlegende sanitäre Einrichtungen nicht zur Verfügung stehen und dass der Tagesmindestlohn von aktuell 1.000 sri-lankischen Rupien (umgerechnet ca. 3 Euro) systematisch nicht eingehalten wird – unter anderen, weil die Arbeitgeber*innen nicht erfüllbare Vorgaben bezüglich der zu pflückenden Mengen machen. Infolge der gestiegenen Lebenshaltungskosten können die Familien der Plantagenarbeiter*innen nur noch selten drei Mahlzeiten täglich zu sich nehmen.
Tatsächlich sind nach meiner eigenen Erfahrung die Lebenshaltungskosten für einen Lebensstil wie ich ihn in Deutschland führe zumindest in der sri-lankischen Hauptstadt Colombo mit den Kosten in Deutschland durchaus vergleichbar: Für unser nicht gerade übertrieben schickes Hotel zahlten wir rund 80 Euro die Nacht, Bananen waren gerade in einem normalen Supermarkt für 70 Cent/kg im Angebot, für eine 3-Zimmer-Wohnung, die qualitativ mit meiner Wohnung vergleichbar ist, zahlte eine Bekannte deutlich mehr Miete als ich in Düsseldorf. Zwar sind die Lebenshaltungskosten auf dem Land vermutlich deutlich geringer, trotzdem ist es unvorstellbar, wie man mit einem realen Lohn von umgerechnet weniger als 3 Euro am Tag das eigene Leben und das Überleben der eigenen Familie gewährleisten soll – geschweige denn ein Leben in Würde führen kann. Faktisch ist dies auch schlicht nicht möglich: Wissenschaftler*innen in Sri Lanka sprechen davon, dass es einen Tagesmindestlohn von mindestens 2.300 sri-lankischen Rupien – rund 7 Euro – bräuchte, um die alltäglichen Ausgaben einer vierköpfigen Familie zu stemmen.
Ich konnte am zweiten Tag des Prozesses verfolgen, wie die Richter*innen ihren Urteilsspruch verkündeten. Sie sprachen davon, dass sie entsetzt über die menschenunwürdigen Arbeits- und Lebensumstände der Plantagenarbeiter*innen seien und forderten, dass alle Verantwortlichen – insbesondere die Regierung – unverzüglich alle zur Verfügung stehenden Maßnahmen ergreifen müssen, um einen Tagesmindestlohn von mindestens 1.700 Rupie praktisch (!) umzusetzen und unlautere Praktiken der Plantagenunternehmen wie die willkürliche Erhöhung der Tagesziele strikt zu unterbinden seien. Meera, Auslandskorrespondentin der indischen Tageszeitung The Hindu, bei der wir später in der Woche noch zum Abendessen eingeladen waren, hat hier ausführlich über den Prozess berichtet.
Mir führte der Prozess einmal mehr vor Augen, wie koloniale Kontinuitäten das Leben von Menschen ganz praktisch bestimmen und auf wessen Kosten Schuldenkrisen aktuell ausgetragen werden: Nämlich auf Kosten der vulnerabelsten Bevölkerungsschichten, die am stärksten unter der aktuellen Inflation in Sri Lanka leiden und deren Lohn aufgrund des Drucks der für den Weltmarkt produzierenden Unternehmen trotzdem nicht angehoben wird. Schlimmer noch: Um Verluste für ausländische Gläubiger zu minimieren wurde in Sri Lanka auf Druck ausländischer Akteure eine Inlandsumschuldung durchgeführt. Im Klartext bedeutet das, dass eben diese Plantagenarbeiter*innen noch um ihre magere Rentenersparnisse gebracht werden, wie Ahilan hier berichtet hat.
19. Juni 1999, Köln. Acht Männer in Anzügen, die Mächtigsten ihrer Zeit. Straßensperrungen, Staatsbanketts und ein riesiges Polizeiaufgebot. Diese Bilder spuckt eine Google-Suche nach dem „G8-Gipfel Köln 1999“ aus. Die viel wichtigeren Bilder und Zahlen, die an diesem Tag entstanden sind, landeten eher nicht auf den Titelseiten der Zeitungen. Doch sie sprechen heute noch für sich: 35 000 Menschen in einer acht Kilometer langen Menschenkette rund um die Kölner Innenstadt. Mit dabei: 17,4 Millionen Unterschriften aus 160 Ländern, die die Gruppe der Acht dazu aufforderten, die Schulden kritisch verschuldeter Länder weltweit zu streichen.
35 000 Menschen in einer acht Kilometer langen Menschenkette rund um die Kölner Innenstadt.
Mit Erfolg: Beim G8-Gipfel 1999 wurde beschlossen, einen Großteil der Auslandsschulden von 41 hoch verschuldeten Ländern im Globalen Süden zu erlassen – und das Thema Schulden einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Demonstrierende entlang der Rheinbrücke in Köln. (Foto: Gerhard Steeger)
Der 19. Juni 1999 – ein Momentum
Jener bedeutungsvolle 19. Juni jährt sich in diesem Jahr zum 25. Mal. Wie fängt man ein Momentum ein, das man selbst gar nicht miterlebt hat? Man hört Menschen zu, die dabei waren und besucht historische Orte, die von Bedeutung waren. Besonders die Berichte von Zeitzeug*innen des 19. Juni 1999 ermöglichen Einblicke in eine bewegte Zeit.
„Obwohl der Zug übervoll ist, ist die Stimmung gut. Das gemeinsame Ziel der meisten ist der Grund.“
„Der Bahnsteig ist voll, doch nichts im Vergleich zu dem Zug, in den wir einsteigen. Wir ergattern noch einen Stehplatz und fragen uns, ob die anderen wohl auch zur erlassjahr-Demo wollen. Die meisten wollen es. Obwohl der Zug übervoll ist, ist die Stimmung gut. Das gemeinsame Ziel der meisten ist sicher der Grund.“ So erinnert sich Maria Wego aus dem Jugendhaus Düsseldorf. Sie beschreibt, wie die Menschen auf den Straßen sich grüßen und einander zu winken. Ihr Erkennungsmerkmal sind die regenbogenfarbenen erlassjahr-Schals, die sich viele Menschen um den Hals oder den Kopf gebunden haben. „Eine Stimmung wie auf Katholiken- oder Kirchentagen“, beschreibt Maria Wego. „Daran ändern auch die Sicherheitsmaßnahmen wegen des G8-Gipfels nichts, die sonst vielleicht beängstigend wirken könnten.“
Für einige Minuten sind die beim G8-Gipfel versammelten Politiker symbolisch vom Rest der Welt abgeschnitten.
Die Fotos vom 19. Juni 1999, die uns Gerhard Steeger vom Arbeitskreis für Entwicklungspolitik und Selbstbesteuerung e.V. digitalisiert und zugesendet hat, verleihen diesen Erzählungen Gesichter. Darauf sind bunt gekleidete Menschen aller Altersstufen zu sehen, die sich an zentralen Orten am Rhein entlang versammeln. Manche von ihnen tragen Plakate mit den Forderungen „Drop the debt“ oder „Break the chain“. Die Aufbruchsstimmung und Aufregung sind beinahe greifbar. Und um 14.08 Uhr, so steht es zwei Tage später im Kölner Stadt-Anzeiger, ist es dann soweit: Am Konrad-Adenauer-Ufer schließt sich die Menschenkette. Für einige Minuten sind die beim G8-Gipfel versammelten Politiker symbolisch vom Rest der Welt abgeschnitten, um so mit den Forderungen der Kampagne konfrontiert zu werden.
Demonstrierende versammeln sich vor der Bühne am Rheinufer. (Foto: Gerhard Steeger)
Eine globale Bewegung
Der 19. Juni 1999 war keineswegs die Geburtsstunde der globalen Entschuldungsbewegung. Bereits Jahre zuvor begannen Menschen überall auf der Welt, Schuldenerlasse für kritisch verschuldete Staaten zu fordern. Ende der 90er Jahre schlossen sich Entschuldungsinitiativen weltweit zur globalen Erlaßjahr2000-Kampagne zusammen, mit dem Ziel, bis zum letzten Ländergipfel des Jahrtausends möglichst viele Unterschriften für Schuldenstreichungen zu sammeln. Und so erinnern wir uns neben der Kölner Kette auch an zahlreiche Bewegungen und Protestaktionen in Ländern des Globalen Südens wie Kenia, Uganda, Ghana, Nigeria, Peru und Honduras.
Wir erinnern uns neben der Kölner Kette auch an zahlreiche Bewegungen und Protestaktionen in Ländern des Globalen Südens.
Die Internationalität der Erlaßjahr2000-Bewegung war auch am 19. Juni 1999 in Köln zu spüren. Menschen aus rund 50 Ländern waren Teil der Kölner Kette. Winfried Montz, Abteilungsleiter für Pastoral & Bildung im Bistum Limburg, erinnert sich, dass er an jenem 19. Juni gemeinsam mit Bischof Dennis de Jong aus Ndola, Sambia in Köln war. Bischof Dennis de Jong hatte bereits im September 1997 an der Gründungsversammlung der „Initiative Erlaßjahr2000“– aus der später erlassjahr.de in seiner heutigen Form entstand –in Wuppertal teilgenommen. Am Tag der Kölner Kette zog er aus dem Riesenhaufen der Millionen gesammelten Unterschriften zielsicher eine Liste mit Unterschriften heraus und sagte: „Das ist in Bemba geschrieben, das kommt aus Sambia“.
Bischof Dennis de Jong mit den gesammelten Unterschriften.
(Foto: Winfried Montz)
25 Jahre später – der Einsatz für faire Entschuldung geht weiter
Die große Kraftanstrengung, mit der sich Ende der 90er Jahre Menschen weltweit für Schuldenschnitte einsetzten, hatte sich gelohnt: Die damalige deutsche Bundesregierung wusste das Momentum zu nutzen und beschloss einen weitreichenden Schuldenerlass für 41 hoch verschuldete Länder im Globalen Süden. Diese Erlasse waren dringend notwendig und ermöglichten vielen Staaten, in die Armutsbekämpfung zu investieren. Wie erfolgreich die sogenannte HIPC-Kampagne (Heavily Indebted Poor Countries, HIPC) dabei letztendlich langfristig war, wurde lange Zeit kontrovers diskutiert. Die Entschuldungsbewegung wies schon damals darauf hin, dass die strukturellen Ungleichheiten der globalen Finanzarchitektur mit einmaligen Erlassen nicht zu überwinden seien.
Heute sind viele der damals betroffenen Länder erneut kritisch verschuldet und der Einsatz für faire Entschuldung ist dringender denn je.
25 Jahre später wird die Kölner Kette als Höhepunkt, aber keinesfalls als Endpunkt der Bewegung gesehen. Denn heute sind viele der damals betroffenen Länder erneut kritisch verschuldet und der Einsatz für faire Entschuldung ist angesichts der weltweiten Schuldenkrise dringender denn je. Am 18. Juni 2024 lädt das erlassjahr.de-Bündnis deshalb wieder nach Köln ein. In einer Menschenkette am Kölner Dom soll dem 25-jährigen Jahrestag der Kölner Kette gedacht werden. Aber vor allem möchten wir diesen Anlass nutzen, die Forderungen unserer aktuellen Kampagne „Mit Schulden fair verfahren!“ an die Bundesregierung zu richten. Die tut nämlich trotz Versprechungen im Koalitionsvertrag viel zu wenig gegen die Schuldenkrise.
Alle Informationen zu unserem Aktionstag in Köln am 18. Juni 2024 findet ihr hier.
Menschenkette auf der Kölner Rheinbrücke. (Foto: Gerhard Steeger)
Seit Juni 2022 läuft ein Klageprozess zwischen der sri-lankischen Regierung und der Hamilton Reserve Bank, der zuletzt pausiert hatte . Nachdem das vom Gericht zugestandene Moratorium Ende Februar 2024 auslief, hat Sri Lanka erneut die Aussetzung des Prozesses für weitere fünf Monate beantragt. Unterstützung erfährt dieser Antrag wieder von den Regierungen der USA, Großbritanniens und Frankreichs und neuerdings auch von Kanada, Japan, Niederlande und Spanien. Ein Urteil des Gerichts, ob dem Antrag von Sri Lanka stattgegeben wird steht aktuell noch aus. Nun sind neue zwielichtige Akteure auf der Bildfläche erschienen.
Jesse Guzman: Ein zwielichtiger Investor taucht auf
Bisher wurde der Streit vor Gericht zwischen zwei Parteien, Sri Lanka auf der einen und der Hamilton Reserve Bankauf der anderen Seite ausgetragen. Ende Februar 2024 mischte sich jedoch eine dritte Partei ein: Der US-amerikanische Investor Jesse Guzman hatte Ende 2021 nach eigenen Angaben 50 Millionen US-Dollar bei der Hamilton Reserve Bank angelegt und fordert seit Mai 2022 die Rückzahlung von etwas über der Hälfte dieser Anlage von der Bank.
Guzman (weder verwandt noch verschwägert mit dem ehemaligen argentinischen Wirtschaftsminister Martín Guzmán) ist 100-prozentiger Eigentümer und Manager des in Texas registrierten Bauunternehmens Ultimate Concrete LLC. sowie des in Belize registrierten Finanzunternehmens Intercoastal Finance Ltd. – und ein Mann mit durchaus zwielichtigem Geschäftsgebaren: Sein Bauunternehmen war unter anderem am Bau der Mauer zwischen Mexiko und den USA, dem Prestigeprojekt Donald Trumps, beteiligt. In diesem Kontext wurde das Unternehmen auch dafür angeklagt, überhöhte Baukosten zu veranschlagen und bei der Einschleusung illegal bewaffneter mexikanischer Sicherheitsteams in die USA zur Bewachung von Baustellen beteiligt zu sein. Bekannt wurde dies durch die Aussagen zweier ehemaliger Angestellter bei Ultimate Concrete LLC., die Guzman daraufhin laut Medienberichten öffentlich als „faule Ärsche“ und „Parasiten“ beschimpfte.
Anschuldigung: „Hamilton hat Geld gestohlen“
In seinem Schreiben an das Gericht argumentieren die Anwälte Guzmans nun, dass Guzman der eigentliche Eigentümer („beneficial holder“) der Anleihen sei und dass seine Interessen durch die Hamilton Reserve Bank vor Gericht nicht angemessen vertreten würden. Guzman nimmt an, dass das von ihm angelegte Geld gegen sein Wissen von der Hamilton Reserve Bank verwendet wurde, um die Anleihen Sri Lankas zu erwerben, und die Bank die Rückzahlung nun verweigert, da ihr dies aufgrund der Zahlungseinstellung Sri Lankas nicht möglich sei. Er beschuldigt die Bank ausdrücklich sein Geld „gestohlen“ und „veruntreut“ zu haben.
Die Hamilton Reserve Bank verweist demgegenüber auf nicht eingehaltene Formalia auf Seiten Guzmans, die es ihr verbieten würden, das Geld zurückzuzahlen. Vor Gericht bekräftigt sie, dass es sich um zwei unabhängige Streitfälle handele und sie selbst der rechtmäßige Eigentümer der sri-lankischen Anleihen sei. Zudem verweist sie darauf, dass Guzman das Geschäft mit der Hamilton Reserve Bank nicht als US-amerikanische Privatperson eingegangen sei, sondern als Direktor des in Belize registrierten Finanzunternehmens Intercoastal Finance Ltd. Letztlich beruft sie sich darauf, dass in den Verträgen zwischen der Hamilton Reserve Bank und der Intercoastal Finance Ltd. vereinbart sei, dass eventuelle Streitigkeiten in St. Kitts und Nevis zu klären seien, wo die Hamilton Reserve Bank ihren Sitz hat, und schlussfolgert daher, dass es keinen Grund für das US-amerikanische Gericht gebe, die Intervention von Guzman in diesem Klagefall zu berücksichtigen.
“There is no U.S. interest in resolving a dispute between a Belize-based company and a Nevis bank.”
Dokument 92 im Rechtsstreit zwischen der Hamilton Reserve Bank und Sri Lanka
Das Anwaltsteam von Guzman hat eine Anhörung vor Gericht in der Sache beantragt. Eine Entscheidung des Gerichts steht noch aus.
Einer zweifelhafter als der andere
Lange bestand Unklarheit darüber, in wessen Interesse die Hamilton Reserve Bank ihre Klage vorbringt. Dies wurde schon früh im Prozess von Sri Lanka vorgebracht und darauf hat sich auch Jesse Guzman bezogen. Nun verdichten sich die Hinweise jedoch, dass letztlich ein gewisser Benjamin Wey hinter der Hamilton Reserve Bank und der vorgebrachten Klage steht. So argumentiert zumindest das Anwaltsteam von Sri Lanka, das sich diesbezüglich auch auf die Recherchen der New York Times bezieht, die bereits im September 2023 hier veröffentlich wurden.
Bei Wey handelt es sich um eine mindestens so zwielichtige Person wie bei Jesse Guzman. 2015 wurde Wey, ebenfalls US-Amerikaner, wegen illegaler Finanzgeschäfte angeklagt und beschuldigt, von nicht offen gelegten Eigentumsbeteiligungen an mehreren US-amerikanischen Unternehmen zu profitieren. Zudem wurde er zur Schadensersatzzahlung in Millionenhöhe an eine ehemalige Praktikantin verurteilt, die er sexuell belästigt hatte. 2016 wurde in diesem Zusammenhang außerdem eine Verleumdungsklage gegen Wey vorgebracht, da in einem Online-Medienblog – offenbar ebenfalls von Wey verantwortetet – über die ehemalige Praktikantin sowie über Journalist*innen, die kritisch über Wey berichtet hatten, hergezogen wurde.
Zum Klagen geworben
Mit Blick auf die Verstrickung von Wey in den Klageprozess gegen Sri Lanka liegen der New York Times zwei interessante Quellen vor. Erstens hat Wey nach Ankündigung der Zahlungseinstellung im April 2022 ein direktes Schreiben an, Gotabaya Rajapaksa, den damaligen Präsidenten Sri Lankas verschickt. Darin warnte er vor den schlimmen Folgen einer solchen Zahlungseinstellung und stellte für den Fall, dass Sri Lanka sich anders entscheiden sollte, weitere Investitionen unter anderem in der sri-lankischen Finanzindustrie in Aussicht. Das Schreiben ist von Wey als stellvertretendem Vorsitzenden der Fintech Holding Ltd. unterzeichnet, von der die Hamilton Reserve Bankeine 100-prozentige Tochtergesellschaft ist.
Zweitens hat Wey bei anderen Gläubigern Sri Lankas dafür geworben, gemeinsam eine Klage gegen das Land vorzubringen, bevor die Hamilton Reserve Bank schließlich allein den Klageweg beschritten hat. In einer Präsentation, die ebenfalls der New York Times vorliegt, argumentierte Wey gegenüber anderen Gläubigern:
„suing a sovereign for non-debt payment can be a justified and lucrative business”
Dokument 86 im Rechtsstreit zwischen der Hamilton Reserve Bank und Sri Lanka
Außerdem war sich Wey sicher, dass er durch eine Klage und die Weigerung, sich an einer Restrukturierung zu beteiligen, Druck auf Sri Lanka ausüben könne:
„Fintech Holdings can block IMF payments to Sri Lanka until it is paid off.“
Ebenda.
Der Präsentation ist auch zu entnehmen, dass Wey und Ajith Cabraal, der ehemalige Zentralbankchef Sri Lankas, im direkten Kontakt zueinanderstanden.
Und wie geht’s weiter?
Der eigentliche Prozess zwischen Sri Lanka und der Hamilton Reserve Bank ist mittlerweile vorangeschritten. Ende Februar 2024 ist das vorübergehende Moratorium, das vom Gericht im November 2023 zugestanden wurde, ausgelaufen. Sri Lanka hat daraufhin am 1. März 2024 erneut die vorübergehende Aussetzung des Prozesses für weitere fünf Monate beantragt. In der Argumentation vor Gericht verweist das Anwaltsteam von Sri Lanka darauf, dass die Verhandlungen mit den Gläubigern gut voranschreiten würden, dass Sri Lanka die im IWF-Programm vereinbarten Maßnahmen gewissenhaft umsetze und eine Einigung mit der Gläubigermehrheit bis Ende Juni 2024, spätestens jedoch im Juli 2024 wahrscheinlich sei.
Sri Lanka wird wie bereits im Spätsommer 2023 in seinem Gesuch auf vorübergehende Aussetzung des Prozesses von öffentlichen Gläubigerstaaten unterstützt. So haben sich erneut die US-Regierung und das Sekretariat des Pariser Clubs in zwei Stellungnahmen mit der Bitte an das Gericht gewandt, dem Antrag Sri Lankas stattzugeben. Im September 2023 hatte das Sekretariat des Pariser Clubs dies noch im Namen Großbritanniens und Frankreichs getan. In dem Schreiben vom Februar 2024 vertritt der Pariser Club darüber hinaus nun auch die Interessen von Kanada, Japan, den Niederlanden und Spanien. Sowohl die US-Regierung als auch das Sekretariat des Pariser Clubs wiederholen ihre Bedenken und Argumente aus dem Spätsommer 2023, die wir hier wiedergegeben haben. Zudem bekräftigen sie, dass Sri Lanka in guter Absicht („good faith“) mit seinen öffentlichen und privaten Gläubigern verhandele.
Hamilton verweist hingegen darauf, dass kein nennenswerter Fortschritt in den Verhandlungen zwischen dem Inselstaat und seinen privaten Gläubigern festzustellen sei, und hat eine Anhörung bezüglich des Streits über die vorübergehende Aussetzung beim Gericht beantragt. Ein Urteil des Gerichts, ob eine Anhörung angesetzt und/oder dem Antrag auf eine erneute Aussetzung stattgegeben wird, steht aktuell noch aus.
Lehren:
Eins beweist der Fall beispielhaft: Hunderte Seiten Gerichtsdokumente durchzusehen ist nicht immer eine dröge Tätigkeit. Mir kam es bisweilen fast so vor, als würde ich einen aufregenden Krimi lesen, und die Absurdität der Gestalten kann einen dabei manchmal fast zum Schmunzeln bringen. Fast. Wäre es nicht gleichzeitig auf der anderen Seite so bitterernst und würde dieses skrupellose Vorgehen Weniger nicht auf Kosten so Vieler geschehen. Aus meiner Sicht müssen daher auch folgende ernsthafte Schlüsse aus dem aktuellen Stand des Prozesses gezogen werden:
Das wiederholte Eingreifen von nunmehr sieben Staaten zeigt, dass sie ernsthaft befürchten, dass ein solcher Klagefall koordinierte Restrukturierungsverhandlungen erheblich erschweren kann. Statt eines solchen einzelfallbezogenen Eingreifens wäre es aber wünschenswerter – und würde sowohl für Schuldnerstaaten als auch für private Gläubiger zu mehr Rechtssicherheit führen – wenn endlich nationale Gesetze verabschiedet würden, die es privaten Gläubigern unmöglich machen, internationale Restrukturierungen auf dem Rechtsweg zu unterlaufen.
Es deutet alles darauf hin, dass in diesem Fall einmal mehr nicht etwa Kleinanleger und Rentenfonds, sondern Superreiche mit fragwürdigem Verhältnis zum Recht die Profiteure einer solchen Klage werden könnten.
Es ist komplett inakzeptabel, dass solche Akteure in irgendeiner Weise durch öffentliche Gelder subventioniert werden. In diesem Sinne ist es zu begrüßen, dass Benjamin Wey sich offenbar geirrt und sich der IWF in diesem Fall nicht als Erfüllungsgehilfe der Hamilton Reserve Bank entpuppt hat.
Ebenso inakzeptabel ist es jedoch ebenfalls, dass knappe öffentliche Ressourcen durch diesen Fall gebunden werden. Die sri-lankische Regierung hat zweifelsohne gerade wichtigeres zu tun als sich mit einem solchen Rechtsprozess herumzuschlagen und zur eigenen Verteidigung seit nunmehr bald zwei Jahren ein dreiköpfiges Team der Anwaltskanzler Clifford Chance zu bezahlen. Und jede Stunde, die Beamte in Washington, Paris, London, Madrid, Ottawa, Amsterdam und Tokyo darauf verwenden müssen, die Klageunterlagen zu sichten und Briefe an das Gericht zu formulieren, ist eine Stunde zu viel. Das gilt übrigens auch für die Zeit, die Beamte in Berlin dafür verwendet haben mögen, sich der Stellungnahme des Pariser Clubs aus unerklärlichen Gründen nicht anzuschließen. Diese Verschwendung öffentlicher Ressourcen könnte durch die Verabschiedung eines nationalen Gesetzes, durch das solche Klagestrategien wie die von Hamilton von vorherein unterbunden werden, effektiv verhindert werden.
Das dreiste und gut zu skandalisierende Auftreten von Akteuren wie Guzman und Wey sollte nicht über die eigentlichen strukturellen Probleme hinwegtäuschen. In gewisser Weise wirkt das Auftreten der beiden Akteure gar dilettantisch. Ganz so offensichtlich ist die Klaviatur der Macht dann doch nicht (immer) zu bespielen und sind öffentliche Akteure wie der IWF nicht für die eigenen Interessen einzuspannen. Erfolg hat, wer subtiler vorgeht. Dies zeigt sich beispielsweise im Fall Surinames, wo private Gläubiger es einmal mehr geschafft haben, bevorteilt behandelt zu werden und den ursprünglich vom IWF berechneten Erlass deutlich zu drücken. Der Großteil der privaten Gläubiger weiß: Solange eine Regierung auf dem Verhandlungsweg mitspielt und bereit ist, die Interessen der eigenen Bevölkerung dem Interesse der ausländischen Gläubiger weitestgehend unterzuordnen (was im Falle Sri Lankas fraglos der Fall ist), lohnt es nicht, den risikobehafteten und offen konfrontativen Klageweg zu beschreiten. Bei der Verabschiedung nationaler Gesetze muss dies berücksichtigt werden. Daher reicht es nicht, ausschließlich besonders aggressiven „Geierfonds“ wie der Hamilton Reserve Bank das Handwerk zu legen oder die rechtliche Absicherung von internationalen Restrukturierungen immer von der Zustimmung der Mehrheit der privaten Gläubiger abhängig zu machen. Wie nationale Gesetze stattdessen ausgestaltet werden sollten, haben wir hier ausbuchstabiert.
Und letztlich führt der Prozess auch vor Augen, wie die unterschiedlichen Mächte, die im Falle einer Schuldenkrise die umfassende Eintreibung der Gläubigerforderungen sicherstellen, ineinandergreifen: So verweisen sowohl die sri-lankische Regierung als auch die westlichen Staaten in ihren Stellungsnahmen mehrfach darauf, wie gewissenhaft die sri-lankische Regierung die Auflagen des IWF-Programms im eigenen Land umsetze. Auch wurde von Seiten der USA wiederholt auf die strategische Rolle verwiesen, die Sri Lanka bezüglich der eigenen geopolitischen Interessen in der Region einnehme. Im Urteilsspruch des Gerichts von November 2023, in dem eine vorübergehende Pausierung des Prozesses angeordnet wurde, zeigt sich, dass diese Einreden Erfolg hatten. Im Umkehrschluss ist jedoch auch davon auszugehen, dass ein solcher Klageprozess für Regierungen, die konfrontativer gegenüber den vom IWF geforderten Maßnahmen auftreten, zu empfindlicheren Kosten führen dürfte – denn dann fehlen ihnen die mächtigen Verbündeten. Das Gleiche gilt, wenn das Interesse an der Stabilität eines Landes nicht mit dem geopolitischen Interesse der USA oder anderer mächtiger Staaten zusammenfällt. Das ist alles nicht neu, wird an diesem Prozess aber deutlich und sollte beispielsweise bei der Ausgestaltung eines nationalen Anti-Holdout-Gesetzes berücksichtigt werden.
Nachtrag 23.04.2024: Das Gericht hat die Einrede von Jesse Guzman als unbegründet zurückgewiesen und den Antrag von Sri Lanka auf eine vorübergehende Aussetzung stattgegeben. Das Verfahren ist demnach bis zum 1. August 2024 pausiert.
Quellen
Houck, R. G. (01.03.2024) „Memorandum of Law in Support of Defendant’s Motion for a Further Stay of Proceedings“. Dokument 86 im Fall 1:22-cv-5199 DLC (Hamilton Reserve Bank Ltd. v. The Democratic Republic of Sri Lanka).
Bleichmar, J. (15.03.2024): „Plaintiff’s Memorandum of Law in Opposition to Motion to Intervene“. Dokument 92 im Fall 1:22-cv-5199 DLC (Hamilton Reserve Bank Ltd. v. The Democratic Republic of Sri Lanka).
Angaben des restlichen Artikels beruhen auf den Gerichtsdokumenten 79-99 im Fall 1:22-cv-5199 DLC (HAmilton Reserve Bank Ltd. v. The Democratic Republic of Sri Lanka).
Nachdem Sri Lanka im Frühjahr 2022 seine Zahlungen eingestellt hatte, trat das Land mit seinen Gläubigern in Umschuldungsverhandlungen ein. Der Großteil der privaten Gläubiger Sri Lankas schloss sich daraufhin in einem Gläubigerkomitee zusammen und legte Sri Lanka im Oktober 2023 einen Vorschlag zur Restrukturierung vor. Im Rechtsstreit mit der Hamilton Reserve Bank verweist Sri Lanka vor Gericht nun darauf, dass es diesen Vorschlag nicht habe annehmen können, da dieser nicht mit den Vereinbarungen mit seinen öffentlichen Gläubigern vereinbar gewesen sei. Außerdem habe Sri Lanka ernsthafte Bedenken bezüglich der Ausgestaltung der von den privaten Gläubigern geforderten sogenannten „macro linked bonds“. Zugleich betont Sri Lanka jedoch, offen für die Aufnahme solcher Klauseln zu sein, sofern diese angemessen ausgestaltet würden. Im Februar 2024 hat Sri Lanka dem privaten Gläubigerkomitee diesbezüglich einen Vorschlag unterbreitet, dessen Details jedoch nicht öffentlich bekannt sind.
Umgang mit Unsicherheit
Bei „macro linked bonds“ handelt es sich um Klauseln, durch die die Staaten automatisch mehr Rückzahlungen an die Gläubiger leisten müssen, wenn bestimmte ökonomische Auslöser eintreten, sich also etwa die Wirtschaft des Schuldnerlandes besser entwickelt als zum Zeitpunkt der Verhandlung zunächst angenommen wurde. Die Höhe der Rückzahlung wird also von der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung eines Landes abhängig gemacht, welche naturgemäß vorab schwer einzuschätzen ist. Auch erlassjahr.de und andere sprechen sich explizit dafür aus, in Umschuldungsverhandlungen Zins- und Tilgungszahlungen von der zukünftigen realen Entwicklung des Schuldnerlandes abhängig zu machen (siehe dazu auch „Ausreichend umfassende Schuldenerlasse für eine nachhaltige wirtschaftliche Erholung ermöglichen!“ im Rahmen unserer Kampagne Mit Schulden Fair Verfahren). Unser Anliegen ist dabei jedoch ein ganz anderes: Wir fordern, dass Rückzahlungen automatisch nach untenangepasst werden müssen, sofern sich die Wirtschaft eines Landes weniger gut entwickeln sollte als angenommen. Schließlich ist dieses Szenario leider auch der Regelfall: In der Vergangenheit wurde die wirtschaftliche Entwicklung im Kontext von Restrukturierungen systematisch zu optimistisch eingeschätzt und so die Rückzahlungsfähigkeit der Schuldnerländer im Interesse der Gläubiger schöngerechnet.
Neues Muster in Umschuldungsverhandlungen
Eine solche automatische Anpassung der Schuldendienstverpflichtungen nach unten wurde bisher allerdings noch in keiner Restrukturierung aufgenommen. Die Aufnahme der Klauseln zugunsten der Gläubiger kristallisiert sich indes als neues Muster heraus, um einen Anreiz für private Gläubiger zu schaffen, sich an Schuldenrestrukturierungen zu beteiligen. Dabei profitieren private Gläubiger bereits jetzt schon doppelt: erstens durch hohe Zinssätze bei der Kreditvergabe selbst, zweitens durch eine bevorteilte Bedienung im Falle von Restrukturierungsverhandlungen. Mit dem Slogan „The Winner Takes All – Twice“ wurde das hier treffend auf den Punkt gebracht. Mit Blick auf die Aufnahme der neuen macro linked-Klauseln gilt nun sogar: „The Winner Takes All – Thrice!“
Es ist Zeit, diesem Gebaren der Privatgläubiger durch gesetzliche Regelungen Einhalt zu gebieten!
Seit mehr als drei Jahren gibt es das G20 Common Framework, um Umschuldungen in kritisch verschuldeten Ländern zu organisieren. Verhandlungen sind langwierig, die Koordination der verschiedenen Gläubiger ist schwierig, für Schuldnerländer ist das Rahmenwerk bisher nicht besonders attraktiv. Entsprechend machen verschiedene Akteure immer wieder Vorschläge, wie der Ablauf von Umschuldungsverhandlungen verbessert werden kann (siehe auch erlassjahr.de hier). Nun reiht sich ein weiterer Vorschlag ein, der die Verbindung zwischen der Lösung der Schulden- und Klimafinanzierungskrise zieht. In der Studie „A bridge to climate action – A tripartite deal for times of illiquidity“ wird die Gefahr einer „stillen Entwicklungskrise“ betont, ausgelöst durch einen untragbaren Schuldendienst bei gleichzeitig fehlendem Zugang zu Finanzierungen, so dass Regierungen Kürzungen bei Sozialausgaben und Zukunftsinvestitionen vornehmen müssen. Dieser willkommen alarmistische Ton schlägt sich jedoch nicht nieder im dann vorgestellten Vorschlag, wie damit umzugehen sei. Der Vorschlag nährt vielmehr den seit einiger Zeit vorherrschenden Diskurs, dass Schritte zu ambitionierten Schuldenerlassen (noch) nicht nötig seien (siehe unter anderem hier).
Aus Sicht der Autoren der Studie seien die meisten Länder bloß illiquide und nicht insolvent, bräuchten also bloß Überbrückungshilfe, um wachstumsfördernde Investitionen vornehmen und aus ihren Schulden herauswachsen zu können. Sie nehmen dabei vor allem Länder in den Blick, die zwischen 2024 und 2026 hohe Schuldendienstzahlungen leisten müssen.
Der Vorschlag
Für diese Länder wird folgendes vorgesehen:
Multilaterale Entwicklungsbanken und der Internationale Währungsfonds vergeben umfassende Neukredite an die beteiligten Schuldnerstaaten. Diese Finanzmittel sollen an Strukturauflagen gebunden werden, die anders als sonst in Rettungsprogrammen des IWF nicht auf die Stabilisierung der Zahlungsbilanz ausgerichtet sein sollten, sondern auf nachhaltiges grünes Wachstum. Dafür sollen begünstigte Länder „nationale Anpassungs- und Erholungspläne“ unter Beteiligung von Zivilgesellschaft erarbeiten.
Schuldnerstaaten verpflichten sich über einen fünfjährigen Programmzeitraum, die Strukturauflagen umzusetzen, damit eingesetzte Mittel auch tatsächlich zu produktivem Wachstum führen.
Um zu vermeiden, dass die Gelder von IWF und co. lediglich den Schuldendienst an andere Gläubiger aufrechterhalten, sollen anfallende Tilgungszahlungen für die Dauer von 5 Jahren umgeschuldet werden. Zinszahlungen sollen zumindest teilweise geleistet werden. In einem ersten Entwurf war noch geplant, dass ausstehende Schulden zu einer Zinsrate umgeschuldet werden sollen, die nicht höher als die realistische Wachstumsrate der Länder ist. Im Vorschlag mit Stand Februar 2024 ist letzteres verwässert worden.
In einem früheren Entwurf des Vorschlags war noch geplant, dass am Ende des Verfahrens eine endgültige Überprüfung vorgenommen werden soll, ob die Verschuldungssituation tatsächlich tragbar ist. Wäre dem nicht so, dann hätten die Schulden auf ein nachhaltiges Niveau reduziert werden sollen. Dieser Schritt ist in der aktuellsten Version nicht mehr enthalten.
Alter Wein in neuen Schläuchen?
Die Gewährung von Zahlungsverlängerungen, wie es der Vorschlag aussieht, ist das Einzige, auf das sich Gläubiger aktuell in den laufenden Post-Covid-Umschuldungen innerhalb und außerhalb des G20 Common Frameworks bereits einigermaßen einlassen. Allerdings tun sie dies nicht in einer koordinierten und raschen Weise, so dass Schuldnerländer langwierigen Verhandlungen mit ungewissem Ausgang ausgesetzt sind. Hier versucht der Vorschlag anzusetzen und die Gewährung von Zahlungsverlängerungen für die betroffenen Ländern planbarer und schneller über die Bühne zu bekommen, da diese mehr oder weniger automatisch Teil des Programms wären. Wie genau jedoch sichergestellt werden kann, dass sich wirklich alle Gläubiger an der Aussetzung der Tilgungszahlungen beteiligen, wird nicht ausreichend klar. Die Autoren verweisen auf die negative Erfahrung mit der G20 Debt Service Suspension Initiative, der DSSI, bei der sich damals trotz Bitten der öffentlichen Gläubiger private Gläubiger mit fast keinem einzigen Schuldendollar beteiligt haben – sehr zum Leidwesen Chinas. Auch heute bleibt das Problem bestehen: Äthiopien erhielt etwa ein Schuldenmoratorium von seinen öffentlichen Gläubigern, seine Anleihehalter weigerten sich jedoch, ein Moratorium zuzugestehen. Eine zufriedenstellende Antwort darauf, wie in Zukunft die Beteiligung aller Gläubiger, inklusive privater Gläubiger, an einer 5-jährigen Zahlungsaussetzung durchgesetzt werden soll, gibt der Vorschlag nicht.
Wenn Schuldnerländer im G20 Common Framework umschulden, sind Zahlungsverlängerungen das einzige, worauf sich die öffentlichen Gläubiger bislang einigen (und über ihre Gleichbehandlungsklausel auch von anderen Gläubigern verlangen). Das, was im G20 Common Framework aktuell nicht funktioniert – wo also dringender Reformbedarf besteht – ist, Gläubiger zu umfassenden Schuldenstreichungen in den betroffenen Ländern zu bewegen. Hier leistet der Vorschlag keinen Beitrag dazu, wie im Kontext widerstreitender Gläubigerinteressen weitreichendere Schuldenrestrukturierungen durchgesetzt werden können, die über eine kurzfristige Zahlungsverlängerung hinausgehen.
Der Vorschlag sieht hauptsächlich vor, die Beteiligungsbereitschaft aller Gläubiger durch die Aussicht auf Wachstum und damit Rendite in den Schuldnerländern zu erhöhen. Zudem gehen die Autoren davon aus, dass die politische Unterstützung aller Schlüsselakteure (vom Schuldnerland bis hin zu allen relevanten internationalen Finanzinstitutionen und öffentlichen Gläubigern) die nötige Strahlkraft habe, um Beteiligung sicherzustellen. Exakt diese Annahme hatten auch die Architekten des G20 Common Framework im Jahr 2020: Sie gingen davon aus, dass die (umfangreiche) Einbindung des Privatsektors in Umschuldungen im Common Framework viel überzeugender eingefordert werden könnte, wenn alle (wesentlichen) öffentlichen Gläubiger/Akteure politisch hinter dem G20 Common Framework stehen. Die ersten Common Framework-Fälle zeigen, dass diese Annahme naiv war, auch wenn in Sambia der öffentliche Sektor tatsächlich eine Rolle dabei gespielt hat, dass private Gläubiger mehr Erlass zugestehen müssen, als sie zuerst bereit waren zu geben. Die Erfahrung zeigt, dass alleinig die reale Gefahr des Forderungsverlustes der zentrale Anreiz für unkooperative Gläubiger ist, sich (ausreichend) zu beteiligen. Ob ohne jegliche Sanktionsmechanismen eine wirklich vollumfängliche Umschuldung durchgesetzt werden kann, ist fraglich.
Gefahr, dass fehlende Handlungsbereitschaft der Gläubiger weiter gefestigt wird
Nun ist dies nur ein Vorschlag unter vielen. Doch anders als andere Vorschläge trifft dieser auf viel politisches Interesse. Dies liegt auch daran, dass der Vorschlag im Wesentlichen eine Bejahung des Status Quo ist. Er gibt Gläubigern die Möglichkeit, das Muster der Ablehnung von Schuldenstreichungen noch einmal akademisch zu legitimieren und stärker zu standardisieren. Es gibt ihnen die Möglichkeit, zu behaupten, dass sie die Lösung der Schuldenkrise angehen, obwohl sie sie in der Realität nur hinauszögern. Der Vorschlag gibt auch Schuldnerregierungen die Möglichkeit, einfach noch ein paar Jahre lang weiter so zu tun, als gäbe es keine Krise und den Moment der Wahrheit entsprechend hinauszuzögern oder ihren Nachfolgern zu überlassen, während sie in der Zwischenzeit noch mehr Kredite aufnehmen.
Schon immer sind Schuldenrestrukturierungen davon geprägt, dass Gläubiger lieber erstmal darauf hoffen, dass sich Wachstumschancen ergeben, die geringere Zugeständnisse nötig machen würden. Entsprechend war die Antwort auf Schuldenprobleme, ob in den 1990er Jahren oder in der Griechenlandkrise, immer erstmal die Ausweitung zum Beispiel multilateraler Kreditvergabe und Sparmaßnahmen bei gleichzeitig nur sehr zaghaften Umschuldungen. Damit wurden die ursprünglichen Kreditgeber ausgezahlt, während die Schuldenkrise aufrechterhalten wurde. Vergangene Phasen von Überschuldung haben auch gezeigt, dass zaghafte Umschuldungen in dem Bestreben, den Gläubigern so wenig wie möglich weh zu tun, am Ende zu höheren Kosten für alle Beteiligten geführt haben. Empirisch gesehen: Wenn man schon Schulden reduzieren muss, dann muss man es richtig machen. Anstatt den Status Quo und damit die fehlende Akzeptanz umfassender Schuldenstreichungen hinzunehmen, braucht es größere Anstrengungen, um das G20 Common Framework effektiver zu machen. Der Bridge-Vorschlag verringert leider den politischen Druck dafür.
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