Deutsche Chinabanken?

Wendet Deutschland eine ähnliche Taktik wie China an, um zu verhindern, dass Forderungen staatlicher Banken Teil von Erlassinitiativen sind? Eine neue Studie legt dies nahe.

Seit drei Jahren veröffentlicht die Weltbank Informationen zu den Forderungen einzelner Gläubigerstaaten. Dabei sind die von der Weltbank berichteten öffentlichen deutschen Forderungen Jahr für Jahr höher als die Forderungen, über die das deutsche Bundesfinanzministerium (BMF) selbst berichtet. Dieses Jahr berichtet die Weltbank über öffentliche deutsche Forderungen in Höhe von rund 30 Milliarden US-Dollar; das BMF weist lediglich umgerechnet 13 Milliarden US-Dollar aus. Für Ägypten und Indonesien übersteigen die Angaben der Weltbank die Angaben des BMF jeweils um mehr als 3 Milliarden US-Dollar. In Indien sind es über 2 Milliarden und in Kolumbien und Marokko mehr als 1 Milliarde US-Dollar. In einzelnen Fällen sind jedoch auch die Angaben des BMF höher als die Angaben der Weltbank. Das ist beispielsweise in Argentinien und China der Fall. Wie sich die Differenzen für die einzelnen Staaten zusammensetzen, findet die Informationen hier [Excel].

Die Weltbank berichtet auf Grundlage der Daten, die Schuldnerländer an sie übergeben. Schuldnerländer berichten also in toto über deutlich mehr ausstehende Schulden gegenüber Deutschland, als die Bundesregierung selbst in ihren Büchern stehen hat. Für zivilgesellschaftliche Akteure wie erlassjahr.de ist es unmöglich, im Einzelfall nachzuvollziehen, auf wessen Seite der Fehler liegt. Zum Teil dürften die Differenzen aber daran liegen, dass Deutschland die Forderungen von Finanzinstitutionen wie etwa der KfW-IPEX-Bank, nicht als öffentliche deutsche Forderungen einstuft. Die IPEX ist zu 100 Prozent im Staatsbesitz, führt aber kommerzielle Kreditgeschäfte durch.

Staatseigene Banken als „privat“ zu klassifizieren, wird sonst eigentlich nur China vorgeworfen. Spätestens seit Ausbruch der Corona-Pandemie und den in Reaktion darauf beschlossenen Maßnahmen der G20-Staaten ist ein heftiger Streit darüber entbrannt, welche chinesischen Finanzinstitutionen als öffentlich und welche als privat einzustufen werden. Mit der sogenannten Debt Service Suspension Initiative (DSSI) hatten die G20-Staaten einkommensschwachen Staaten in den Corona-Krisenjahren 2020 und 2021 angeboten, ihre Schuldenzahlungen vorübergehend auszusetzen. Dieses Moratorium galt allerdings zunächst nur für Schulden bei öffentlichen Gläubigerstaaten. China argumentierte, dass die Forderungen einer der finanzstärksten chinesischen Institutionen, der China Development Bank (CDB), nicht als öffentliche Forderungen einzustufen seien. Die Bank befindet sich zwar im Staatseigentum, tätigt aber nach Angaben Chinas kommerzielle Geschäfte. Mit dieser Logik begründete die chinesische Führung, dass sich die CDB nicht an dem Moratorium beteiligte. Westliche Staaten – darunter die deutsche Bundesregierung – warfen China dieses Vorgehen wiederholt vor.

Nun zeigt ein Bericht der Politikwissenschaftlerin und China-Expertin Deborah Bräutigam, dass sich die deutsche IPEX-Bank offenbar ebenfalls nicht an dem Moratorium beteiligte. Nach Angaben von Bräutigam begründete die Bank ihren Ausschluss damit, dass sich das Moratorium nur auf öffentliche Forderungen beziehe und die IPEX-Bank als kommerzielle Bank daher nicht davon „betroffen sei“.

Dies ist aus mindestens zwei Gründen skandalös:

  1. Die Appelle der deutschen Bundesregierung in Richtung China büßen dadurch an Glaubhaftigkeit ein. Die Regierung handelt sich zurecht den Vorwurf des Doppelstandards ein. Dass dies auch von chinesischer Seite nicht unbemerkt bleibt, zeigt ein Bericht der chinesischen Zentralbank, die den IPEX-Fall als Rechtfertigung für das eigene Vorgehen anführt.
  2. Die Bundesregierung hat den Einbezug des Privatsektors sowohl in die DSSI als auch grundsätzlich in Schuldenrestrukturierungen als ein zentrales Ziel angegeben. Sie hat private Gläubiger daher wiederholt öffentlich aufgefordert, sich freiwillig an dem Moratorium zu beteiligen. Offenbar hat sie die Beteiligung aber noch nicht einmal bei der staatseigenen Bank durchgesetzt.

Bei künftigen Umschuldungen muss die Bundesregierung die Beteiligung der IPEX-Bank sicherstellen. Wir werden ein Auge darauf haben. Zudem sollte sich die Bundesregierung dafür einsetzen, die Differenzen zwischen der eigenen Berichterstattung und den Angaben der Weltbank aufzuklären. Schließlich ist eine verlässliche Datengrundlage die Voraussetzung für ein faires und transparentes internationales Schuldenmanagement. Die Bundesregierung betont dies selbst wiederholt mit Blick auf Transparenzprobleme in Ländern des Globalen Südens. Zunächst sollte sie jedoch vor der eigenen Haustür kehren.

Ecuador – Credit Suisse: Ein Debt for Nature Swap ist etwas anderes

Große Medienaufmerksamkeit fand Anfang Mai der Ankauf ecuadorianischer Schulden in Höhe von 1,63 Milliarden US-Dollar auf dem Sekundärmarkt durch die Schweizer Großbank Credit Suisse (CS). Die zwischen 2030 und 2040 fällig werdenden Staatsanleihen Ecuadors wurden wegen der kritischen Wirtschaftslage des Landes zwischen 35,5 und 53,25 Prozent ihres Nennwerts gehandelt. Entsprechend konnte die Credit Suisse die 1,63 Milliarden für letztlich nur 656 Millionen US-Dollar kaufen. Zur Finanzierung der Operation hat die CS einen Blue Bond auf den Markt geworfen, den es durch den laufenden Schuldendienst Ecuadors auf die verbliebenen Forderungen in gleicher Höhe finanziert.

Zusätzlich verpflichtete sich Ecuador, jährlich 18 Millionen US-Dollar für den Schutz des sensiblen Galapagos-Archipels bereitzustellen. Diese zusätzliche Verpflichtung war ein wichtiges Verkaufsargument, welches es der CS gestattet hat, ihren Blue Bond an naturschutzinteressierte Anleger zu verkaufen.

Das ganze Paket wurde in den Medien als Debt for Nature Swap präsentiert – obwohl es das eigentlich nicht ist. Denn ein Debt for Nature Swap – oder generell jeder Tausch von Schulden in die Bereitstellung von Mitteln für Entwicklungsvorhaben im weiteren Sinne im Schuldnerland – beinhaltet eigentlich den Verzicht eines Gläubigers im Gegenzug für die vereinbarten entwicklungsfördernden Maßnahmen. So setzt beispielsweise die Bundesregierung, ebenso wie die Regierungen Italiens und Spaniens, das Instrument der Schuldenkonversion ein, und so haben auch die großen Schuldenumwandlungsprogramme der Vergangenheit funktioniert.

Im vorliegenden Fall und einigen anderen jüngeren Fällen ist das anders: Die ursprünglichen Gläubiger erhalten das, was ihre Forderungen tagesaktuell wert sind, verzichten freiwillig mithin auf nichts. Ein Investor (hier die CS) wird Inhaber eines – überdies wegen einer Kreditgarantie der (öffentlichen) Interamerikanischen Entwicklungsbank ausgesprochenen Garantie komplett risikolosen – Forderung an Ecuador. Und nur die Einsparungen infolge des gefallenen Sekundärmarktwerts – die Ecuador, wenn es die Mittel dazu gehabt hätte, auch ohne die CS ganz alleine hätte realisieren können – bieten den Spielraum für die erwünschten Investitionen in den Naturschutz.

Dass das attraktive Etikett Debt-for-Nature sich in dieser Weise von privaten Investoren aneignen lässt, hat auch mit den veränderten Gläubigerprofilen kritisch verschuldeter Länder zu tun: Ein wachsender Anteil gerade in Mitteleinkommensländern wie Ecuador entfällt nicht auf öffentliche, sondern auf private Anleihegläubiger. Anders als manche philanthropische Privatgläubiger in den früheren Phasen der globalen Schuldenkrise, sind heutige Anleger zu Forderungsverzichten jenseits dessen, was ihnen durch den gefallenen Marktpreis ohnehin schon verloren gegangen ist, nicht bereit. Das oben beschriebene Modell bietet nun die Möglichkeit, aus einer oder aus einer aus mehreren miteinander verknüpften kommerziellen Teilgeschäften verbundenen Operation ein menschenfreundliches Bild zu zeichnen und es mit dem traditionellen Etikett Debt for Nature Swap zu versehen.

Würde es den Investoren tatsächlich um massive Investitionen in den Naturschutz und nicht um eine lukrative Anlage plus ein bisschen Naturschutz nebenher gehen, könnten sie auch – so wie einige öffentliche Gläubiger das tun – auf eigene Forderungen gänzlich verzichten, und im Gegenzug eine Kooperation mit Partnern aus dem zivilgesellschaftlichen Bereich, Internationalen Finanzinstitutionen und relevanten Geberregierungen des betreffenden Landes zu echten Sponsoren für den Naturschutz werden.

Profitabel im engeren Sinne wäre das indes nicht. Sozial und ökologisch profitabel durchaus.

Kein Staateninsolvenzverfahren ist auch keine Lösung

In ihrem Koalitionsvertrag hat sich die Bundesregierung darauf geeinigt, sich international für die Schaffung eines Staateninsolvenzverfahrens einzusetzen. Nun zeigt die Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke: Weitreichende Schritte sind insbesondere aus dem Finanzministerium aktuell (noch) nicht zu erwarten. Das ist enttäuschend! Doch halten die Argumente einer genauen Betrachtung stand? 

Der Vorschlag eines kodifizierten Staateninsolvenzverfahrens auf internationaler Ebene erscheint der Bundesregierung – auch angesichts der veränderten Gläubigerstruktur – derzeit nicht zeitnah realisierbar, heißt es von Seite des Finanzministeriums. Dass es sich bei der Schaffung eines Staateninsolvenzverfahrens um ein dickes Brett handelt, wissen wir nur allzu gut. Auch den aktuell amtierenden Parteien dürfte das bereits vor Regierungsantritt bewusst gewesen sein. Trotzdem haben sie sich im Koalitionsvertrag darauf verständigt, „eine Initiative für ein kodifiziertes Staateninsolvenzverfahren“ zu unterstützen. Dieses selbstgesteckte Ziel nach nicht einmal einem Jahr Amtszeit über Bord zu werfen, darf nicht durch die Komplexität der Sache begründet werden und sollte von den Regierungsfraktionen so nicht akzeptiert werden. 

Fehlende internationale Dynamik?

Als deutsche Bundesregierung, die in internationalen Foren und Verhandlungen ein ernstzunehmendes Gewicht aufweist, auf eine fehlende internationale Dynamik zu verweisen, ist nicht vertretbar. Dies gilt insbesondere, da sich abzeichnet, dass es 2025 und damit im letzten Legislatur-Jahr der amtierenden Bundesregierung vorrausichtlich eine vierte internationale Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung geben wird (Financing for Development, FfD). Dies ist exakt der Ort, an dem weitreichendere Reformen beschlossen werden könnten, etwa ein Staateninsolvenzverfahren unter dem Dach der Vereinten Nationen. Ambitionierte Entscheidungsträger*innen würden daher nicht auf fehlende internationale Dynamik verweisen, sondern darauf hinwirken, dass die Durchführung der FfD-Konferenz bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen diesen Herbst beschlossen und das Schuldenthema prominent auf die Tagesordnung gesetzt wird. Wie viele andere G7-Staaten scheint jedoch auch die Bundesregierung eben aktuell doch (noch) nicht bereit, solche Reformen anzustoßen, die ihre eigene Macht und Einflussmöglichkeiten schmälern könnten. 

Festhalten an Macht und Einflussnahme!

Im Klartext heißt das, dass die Bundesregierung – wie auch in der Antwort angedeutet wird – weiterhin ein Interesse daran hat, Fragen der internationalen Schuldenpolitik allein innerhalb exklusiver Zusammenschlüsse wie der G7 und der G20 sowie innerhalb des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank zu entscheiden, in denen die G7-Staaten über 40 Prozent der Stimmrechte halten. Eine Verlagerung der Kompetenzen auf UN-Institutionen, die auch das eigene Mitspracherecht in zukünftigen Verhandlungen zugunsten eines wirklich gleichberechtigten multilateralen Prozesses schmälern würde, wird von der Bundesregierung aktuell offenbar noch nicht als ernsthafte Option bedacht, um dem selbstgesteckten Ziel im Koalitionsvertrag nahezukommen. Dies wird auch aus der ausweichenden Antwort auf einen Unterpunkt in der Anfrage ersichtlich, in dem die Fraktion Die Linke danach fragt, wie die Bundesregierung die Kolonialschuld Deutschlands bei der Befassung mit der Überschuldungsproblematik berücksichtigt und inwiefern die von der Bundesregierung ergriffenen Maßnahmen darauf abzielen, die asymmetrische Verhandlungsposition zwischen Gläubigern und Schuldnerstaaten im Sinne letzterer zu reformieren. 

Kleinschrittige Reformen und Reförmchen

Insbesondere aufgrund der Schwierigkeit, völkerrechtlich bindende Abkommen zu verabschieden, ist es jedoch auch wichtig, auf niedrigerer Ebene nach Ansatzpunkten zu suchen, die Schuldenrestrukturierungen effizienter und vor allem im Sinne der Bevölkerung des Schuldnerlandes fairer gestalten können. Einige solcher Ansatzpunkte haben wir beispielsweise hier zusammengefasst. Werfen wir daher einen Blick darauf, welche kleinschrittigeren Reformen die Bundesregierung gedenkt anzugehen – und welche nicht: 

  1. Die Bundesregierung betont, dass sie bei kritisch verschuldeten Staaten dafür wirbt, einen Antrag auf Umschuldungsverhandlungen im Rahmen des Common Frameworks zu stellen. Besser als nur zu werben, wäre es aber, das Rahmenwerk attraktiver zu gestalten – Schuldnerländer haben schließlich guten Grund dazu, sich vom Rahmenwerk nicht allzu viel zu versprechen. Bisher haben nur vier Staaten einen Antrag gestellt und die Verhandlungen gehen nur schleppend voran. Echte Erlasse wurden bisher in keinem einzigen Fall zugestanden.
  2. Die Bundesregierung betont, dass alle G20-Staaten grundsätzlich offen dafür seien, Schuldnerländern während der Verhandlungen eine vorübergehende Aussetzung des Schuldendienstes zu gewähren. Das Schuldnerland müsse dies aber beantragen und das sei bisher in keinem Fall geschehen. Na, dann kann man da wohl wirklich nichts machen, oder? Wer genau hinschaut ist schlauer: So betont die Bundesregierung, dass Schuldnerländer einen Antrag auf Zahlungsaussetzung stellen dürfen, diesem im Einzelfall aber von den G20-Staaten im Konsens zugestimmt werden muss. Anders formuliert: Automatisch wollen sie Schuldnerstaaten ein Moratorium nicht gewähren. Wenn ein Moratorium im Einzelfall jedoch nur dann gewährt wird, wenn alle zustimmen, ist damit nichts gewonnen. Schließlich ist es eine Banalität, dass jeder das Recht hat, alles Mögliche zu beantragen, und dass ein Antrag Erfolg hat, wenn ihm zugestimmt wird. Wie wahrscheinlich eine solche konsensuale Zustimmung ist, bleibt für Schuldnerstaaten indes ungewiss. Zudem schweigt die Bundesregierung dazu, ob sie Schuldnerstaaten auch im Falle einer vorübergehenden Zahlungseinstellung gegenüber privaten Gläubigern unterstützen würde. Das es genau darauf ankommt, haben wir hier erklärt. 
  3. Die Bundesregierung setzt sich nach eigenen Angaben dafür ein, sich innerhalb der G20 auf Leitlinien für den Ablauf von Umschuldungsverhandlungen zu verständigen und in diesem Sinne auch klare Fristen zu vereinbaren, in welchem Zeitraum sich ein Gläubigerkomitee gebildet und Finanzierungszusagen getätigt werden sollen. Wenngleich es sich dabei eher um ein Reförmchen handelt, dessen positiver Effekt begrenzt sein dürfte – insbesondere wenn unklar bleibt, was passiert, wenn die selbstgesteckten Fristen verstreichen – wäre die Verabschiedung solcher Leitlinien zu begrüßen. Innerhalb der G20 sei diesbezüglich aber kein Konsens zu erreichen, so das Finanzministerium – gemeint sein dürfte China. 
  4. Die Bundesregierung sei bereit, das Common Framework für mehr Länder zu öffnen. Aktuell haben nur die einkommensschwächsten Staaten die Möglichkeit unter dem Umschuldungsrahmenwerk der G20 zu verhandeln. Orientiert wird sich dabei an den Einkommenskriterien der Weltbank.  Damit möchte die Bundesregierung signalisieren, dass sie den Verbesserungsvorschlägen von Weltbank und IWF offen gegenübersteht. In ihrer Antwort begrenzt das Bundesfinanzministerium die Ausweitung jedoch auf Länder mit unterem mittlerem Einkommen – und ignoriert damit nonchalant, dass IWF und Weltbank fordern, das Common Framework für alle Länder mit Überschuldungsproblemen zu öffnen, also auch für Länder mit hohem mittlerem Einkommen (wie beispielsweise Jordanien, Libanon oder Surinam) und Hocheinkommensländer (wie beispielsweise Chile, Barbados oder Antigua und Barbuda). Auch die Zivilgesellschaft fordert diese Ausweitung. Schon heute sind 36 der 55 Länder mit mittlerem unterem Einkommen antragsberechtigt. Besonders vorwärtsgewandt ist die Aussage des Bundesfinanzministeriums an dieser Stelle also nicht. Letztlich sei aber auch bezüglich der Frage der Ausweitung innerhalb der G20 – insbesondere mit China – kein Konsens zu erzielen. 
  5. Die Bundesregierung wie auch die übrigen G7-Staaten lehnt die Beteiligung multilateraler Entwicklungsbanken an Umschuldungen weiterhin ab. China hingegen fordert die Beteiligung multilateraler Gläubiger vehement. Angesichts des relevanten Anteils der Forderungen multilateraler Institutionen ist das nachvollziehbar: Multilaterale Gläubiger wie IWF und Weltbank sind in mehr als der Hälfte der kritisch verschuldeten Staaten die wichtigste Gläubigergruppe. Das Bundesfinanzministerium begründet seine Haltung unter anderem damit, dass insbesondere hochverschuldete arme Länder von multilateralen Entwicklungsbanken „hoch-konzessionäre“ Kredite erhalten, die die Schuldentragfähigkeit nicht oder entsprechend wenig belasten würden. Eine Auswertung der Angaben der Weltbank zeigt jedoch, dass in mehr als der Hälfte der sehr kritisch verschuldeten Länder weniger als 50 Prozent der multilateralen Kredite zu konzessionären, geschweige denn zu „hoch-konzessionären“ Bedingungen vergeben wurden. Multilaterale Entwicklungsbanken mit diesem Argument pauschal aus jeglichen Umschuldungsverhandlungen raushalten zu wollen, erscheint also nicht belastbar. Immerhin betont das Bundesfinanzministerium, dass man Einzelfalllösungen für Länder finden wolle, wo der Anteil multilateraler Forderungen besonders hoch sei. Das ist tatsächlich mal ein neuer, begrüßenswerter Ton aus der Bundesregierung. 
  6. Die Bundesregierung sieht keine Notwendigkeit, weitere Schritte zu gehen, um die gleichwertige Beteiligung privater Gläubiger an Schuldenerlassen sicherzustellen. Diesbezüglich behauptet das Bundesfinanzministerium, dass die vergleichbare Beteiligung privater Gläubiger in der Vergangenheit grundsätzlich gut funktioniert habe. Empirische Studien sowohl von akademischer Seite als auch von der Weltbank deuten, wie das Bundesfinanzministerium weiß, auf das Gegenteil hin. Die Bundesregierung verweist diesbezüglich aber auf die sehr flexibel auslegbare Definition der „Gleichbehandlung“ des Pariser Clubs, die von der Weltbank und anderen – aus unserer Sicht zurecht – kritisiert wird. Zudem verweist sie auf eine interne Überprüfung der Gleichbehandlung entlang dieser Kriterien, die erstens nicht öffentlich ist und zweitens auch nicht von unabhängiger Seite überprüft werden kann, da die Umschuldungsvereinbarungen des Pariser Clubs nicht öffentlich zugänglich gemacht werden. Das bedeutet also, dass die Bundesregierung uns auffordert, ihr blind zu vertrauen, dass es keinen Handlungsbedarf gebe, obwohl alle öffentlich zugänglichen empirischen Studien auf das Gegenteil hindeuten. Für ein Land, das sowohl China als auch Schuldnerstaaten wiederholt vorwirft, nicht transparent genug zu agieren, ist das eine mutige Position. 
  7. Die Bundesregierung sieht primär Schuldnerstaaten in der Verantwortung, die gleichwertige Beteiligung privater Gläubiger sicherzustellen. Abgesehen davon, dass das Bundesfinanzministerium es so darstellt, als habe die Gleichbehandlung privater Gläubiger in der Vergangenheit gut funktioniert, hänge ihr erfolgreicher Einbezug letztlich von den Verhandlungen des Schuldnerstaates ab. Damit zieht sich die Bundesregierung auf die bequeme Position des Pariser Clubs zurück, der Schuldnerstaaten in Umschuldungsverhandlungen standardmäßig dazu auffordert, eine gleichwertige Beteiligung privater Gläubiger sicherzustellen, ihnen aber nicht die Mittel an die Hand gibt, diese auch gegen unkooperative private Gläubiger durchzusetzen. Das erfolgreichste Druckmittel, das Schuldnerstaaten haben, um private Gläubiger zur Beteiligung an Schuldenerlassen zu bewegen, ist es, Zahlungen (vorübergehend) einzustellen. Wenn Schuldnerstaaten von dieser Option Gebrauch machen, müssen sie aktuell aber damit rechnen, von ihren privaten Gläubigern in Staaten des Globalen Nordens verklagt zu werden. Die Staaten des Globalen Nordens unterstützen private Gläubiger also qua judikativer Gewalt, ihre Forderung im vollen Umfang einzutreiben, und lehnen sich gleichzeitig mit dem Verweis zurück, dass der Einbezug privater Gläubiger im Verantwortungsbereich der Schuldnerstaaten liege. Das ist inakzeptabel. 
  8. Das Bundesfinanzministerium sieht kaum Nutzen in einem deutschen Anti-Holdout-Gesetz. Nationale Gesetze, die die Klage- und Vollstreckungsmöglichkeiten privater Gläubiger gegenüber Schuldnerstaaten einschränken, wären ein wichtiger Beitrag, um Schuldnerstaaten in ihren Verhandlungen mit privaten Gläubigern effektiv zu unterstützen und die Gleichbehandlung privater Gläubiger an Schuldenerlassen sicherzustellen. Da der Großteil der ausstehenden Anleiheforderungen jedoch unter angelsächsischem Recht begeben wurde, schlussfolgert das Bundesfinanzministerium, dass ein solches Gesetz in Deutschland nicht zweckdienlich sei. Diese Überlegung ist jedoch verkürzt und verkennt den Unterschied zwischen schuldrechtlich- und vollstreckungsrechtlich konzipierten Gesetzen. Zu diesem Zweck empfehlen wir dem Bundesfinanzministerium in unseren Podcast „Schuldenschnitt“ reinzuhören. Glücklicherweise ist die Ampel-Regierung nicht immer in allen Punkten einer Meinung: Das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat bereits eine Studie in Auftrag gegeben, die mögliche Ansatzpunkte der Bundesregierung überprüfen soll (darunter Anti-Holdout-Gesetze), die den Einbezug privater Gläubiger an Schuldenerlassen unterstützen. Bleibt zu hoffen, dass die Ergebnisse die vorschnelle Meinung im Bundesfinanzministerium revidieren können. 

Keine Handlungsmöglichkeiten für die Bundesregierung aufgrund Chinas Blockade?

Die Antwort der Bundesregierung liest sich in Kurzfassung wie folgt: Es ist alles wahnsinnig kompliziert. Deutschland sei ja bereit, aber international gebe es insbesondere aufgrund der blockierenden Haltung Chinas wenig Konsens und das Problem der Privatgläubigerbeteiligung werde ohnehin überschätzt. 

Kann die Bundesregierung also schlichtweg nichts tun, da China sich quer stellt? Nein! Selbstverständlich ist die Weigerung Chinas in einigen der oben genannten Punkten nicht akzeptabel. Doch wer wirklich an der Sache interessiert ist, sollte auf die Reformschritte schauen, die im eigenen Verantwortungsbereich liegen – nicht zuletzt, da dadurch auch ein Kompromiss Chinas an anderer Stelle wahrscheinlicher wird. Diese Verantwortlichkeiten – namentlich die Beteiligung privater Gläubiger sicherzustellen und multilaterale Forderungen in Umschuldungsverhandlungen einzubeziehen – erkennt die Bundesregierung jedoch (aktuell noch) nicht an. 

Entschuldung im Koalitionsvertrag: Ein Jahr ist rum

Heute vor einem Jahr verabschiedete die Ampelkoalition ihren Koalitionsvertrag. Auf Seite 154 heißt es dort: 

„Unser Ziel ist ein neuer internationaler Schuldenmanagementkonsens. Wir unterstützen eine Initiative für ein kodifiziertes internationales Staateninsolvenz­ verfahren, das alle Gläubiger miteinbezieht und Schuldenerleichterungen für besonders gefährdete Ländergruppen umsetzt.“

Damit erklärte die neue Regierung die Absicht, ein rechtsstaatliches Entschuldungsverfahren zu schaffen. Allerdings nicht zum ersten Mal – denn bereits die Koalitionsverträge von 2002 und 2009 sahen dieses Ziel vor. Neu ist diesmal jedoch, dass bereits in den Wahlprogrammen aller drei Regierungsparteien (SPD, Grüne, FDP) entsprechende Absichtserklärungen enthalten waren. 

Neu ist auch, dass wir uns heute mitten in einer akuten Schuldenkrise befinden. Viele Länder im Globalen Süden können die Last der Verschuldung nicht mehr tragen. Ihnen gelingt es kaum noch, die Grundbedürfnisse ihrer Bevölkerung sicherzustellen.  Denn die im Zuge der Corona-Pandemie geschaffenen Entschuldungsinitiativen waren unzureichend. Sie konnten die sich immer mehr zuspitzende Schuldenkrise im Globalen Süden nicht entschärfen. In dieser Lage wird einmal mehr deutlich: Ein Staateninsolvenzverfahren muss her! 

Was ist bisher geschehen? 

Kurz nach Verabschiedung des Koalitionsvertrags übernahm die neue Regierung den Vorsitz der G7. Auch über eine Lösung der globalen Schuldenkrise wollten die sieben einflussreichen Staaten diskutieren. Doch die Ergebnisse der diversen Gipfeltreffen zeigen: Echte Reformen oder gar die Schaffung eines Staateninsolvenzverfahrens standen weder beim deutschen Vorsitz noch bei den anderen beteiligten Regierungen weit oben auf der Agenda. Statt auf die eigene Verantwortung zu schauen – und sich im Kreis der G7 beispielsweise auf Maßnahmen zu einigen, die den verbindlichen Einbezug privater Gläubiger gewährleisten könnten verloren sich die Diskussionen im geopolitischen Konflikt zwischen den westlichen Staaten und dem größten öffentlichen Gläubiger China. 

Wenig Ambitionen aus dem Finanzministerium

Als Thema der internationalen Finanzstabilität wird das Entschuldungsthema im Rahmen der G7 und G20 Prozesse primär im sogenannten Finance Track und damit von den Finanzministerien und Notenbanken besprochen. Innerhalb der deutschen Regierung sind aber gerade aus dem Finanzministerium wenig Ambitionen vernehmbar, ambitionierte Schritte zur Erfüllung des Koalitionsvertrag zu gehen. Zwar wird immer wieder die Absicht bekräftigt, das sogenannte Common Framework, auf das sich die G20-Staaten bereits im November 2020 geeinigt haben, effektiv umsetzen zu wollen. Bisher beschränken sich die Initiativen aus dem Ministerium jedoch auf das Erstellen hübscher Grafiken, die die Funktionsweise des Rahmenwerks erklären sollen und dabei galant von den vielfältigen Schwächen der Initiative ablenken (siehe Grafik). Konkrete Schritte, die das Rahmenwerk tatsächlich verbessern könnten, werden nicht gegangen.   

Alles paletti? Nicht ganz! Graphische Darstellung der Funktionsweise des Common Frameworks vom BMF mit Ergänzungen von erlassjahr.de.

Einigung zum Ausgleich klimawandelbedingter Schäden – aber kein Bezug auf Schuldenerlasse

Eine große Errungenschaft der ansonsten eher frustrierenden Klimakonferenz COP27 in Ägypten war die Einigung zur Einrichtung eines neuen Fonds, durch den die Kosten klimawandelbedingter Schäden weltweit fairer verteilt werden sollen. Nach über dreißig Jahren, in denen Länder des Globalen Südens auf einen solchen Mechanismus gepocht haben, war die Einigung am vergangenen Wochenende ein wichtiger Schritt in Richtung mehr globale Klimagerechtigkeit. Gleichzeitig reisten die Vertreter*innen von Ländern des Globalen Südens ohne klare Zusagen darüber ab, wie und von wem der neue Fond bestückt werden soll. Es ist davon auszugehen, dass dies schwierige und langwierige Verhandlungen werden und letztlich nicht genug Mittel zur Verfügung gestellt werden, um eine global faire Verteilung klimawandelbedingter Schäden tatsächlich zu ermöglichen. In diesem Kontext wäre es wünschenswert gewesen, wenn die deutsche Bundesregierung auch im Sinne des Koalitionsvertrags die Option auf Gewährung von Schuldenerlassen infolge klimawandelbedingter Schäden mit in die Verhandlungen in Ägypten eingebracht hätte. Denn die Streichung der infolge klimawandelbedingter Schäden untragbar werdenden Schuldenlast kann ein Beitrag zur fairen Verteilung klimawandelbedingter Schäden sein und wird seit langem von zivilgesellschaftlicher Seite weltweit gefordert. 

Was muss jetzt passieren? 

Um einen echten Beitrag zur Lösung der globalen Schuldenkrise zu leisten, darf sich die Bundesregierung nicht hinter dem Common Framework oder der mangelnden Kooperation internationaler Partner verstecken. 

Den Auftrag im Koalitionsvertrag zu erfüllen, muss dabei keineswegs bedeuten, entweder den großen Wurf zu wagen oder gar nichts zu tun. Es kann auch bedeuten, einzelne Elemente eines Staateninsolvenzverfahrens umzusetzen und kleinere Schritte hin zu mehr Rechtsstaatlichkeit bei Umschuldungsverhandlungen auf den Weg zu bringen. Diese Schritte müssten auch bestehende Verfahren wie das Common Framework nicht automatisch ersetzen oder schwächen, sondern könnten sie effizienter, fairer und attraktiver für Schuldnerländer gestalten. 

Ein wichtiger Ansatzpunkt, der von der Bundesregierung im Laufe dieser Legislaturperiode umgesetzt werden könnte, ist zum Beispiel die Verabschiedung eines nationalen Gesetzes, das es privaten Gläubigern unmöglich macht, multilaterale Entschuldungsvereinbarungen zu unterlaufen. Auch in den andauernden Verhandlungen zur Beschaffung finanzieller Mittel für den Ausgleich klimawandelbedingter Schäden sollte die Entschuldungsfrage weiter mitbedacht werden. 

Es braucht jetzt mutige Politiker*innen, die es wagen, einen proaktiven Diskurs darüber zu führen, wie der Auftrag im Koalitionsvertrag konkret zu verstehen und umzusetzen ist. Im Bundestag sehen wir einzelne Abgeordnete in zentralen Ausschüssen, die sich des Themas engagiert annehmen. Das Bundesministerium für wirtschafliche Zusammenarbeit und Entwicklung nimmt vor allem die Frage der umfassenden Gläubigerkoordination sehr ernst. Anders als noch 2002 und 2009 werden auch zahlreiche Vorschläge für eine Verbesserung bestehender Entschuldungsverfahren von Staaten und Staatenzusammenschlüssen aus dem Globalen Süden selbst eingebracht. Die Bundesregierung sollte solche Initiativen unterstützen und die Chance ergreifen, auch außerhalb von G7, G20 und EU neue Koalitionen zu schmieden. 

Dänemark entschädigt Opfer des Klimawandels – noch besser als ein Entschädigungsfonds wären Schuldenerleichterungen

Die dänische Regierung hat in dieser Woche 100 Millionen Dänische Kronen (ca. 13,4 Millionen Euro) für die Entschädigung von Ländern bereitgestellt, welche infolge des Klimawandels (vorübergehende) Schäden und/oder (dauerhafte) Verluste erleiden. Damit durchbricht die dänische Regierung den lange gepflegten informellen Konsens unter den Industrieländern, zwar Mittel für Anpassung an und Bekämpfung des Klimawandels, nicht aber für die Behebung von Schäden und Verlusten bereitzustellen. Der Grund für diese bislang durchgehaltene Weigerung ist die Befürchtung, jegliche Kompensation für Schäden und Verluste könnte als Eingeständnis der (unbestreitbaren) Verantwortung der großen Emittenten für solche Schäden angesehen werden, und entsprechend weitergehende Forderungen der Betroffenen nach sich ziehen. 

Dass Dänemark diese in der Sache unhaltbare und politisch wie moralisch fragwürdige Haltung als erster souveräner Staat (Schottland hatte bei der letzten COP bereits ein ähnliche Zusage gemacht) aufgegeben hat, ist aller Ehren wert. Dass Außenministerin Baerbock und Kanzler Scholz ebenfalls – wenngleich noch ohne konkrete Zusagen – angekündigt haben, Länder, die Schäden und Verluste erleiden “nicht alleine zu lassen”, kann den Opfern der Überschwemmungen in Pakistan oder des Hurrikans Fiona in der Karibik in diesen Tagen Mut machen.

Aber es ginge noch besser.

Der von Dänemark angeregte und hoffentlich auch von anderen großen Emittenten zu bestückende Entschädigungsfonds wäre zweifellos ein Fortschritt. Aber, wie alle solchen multilateralen Fonds würde er auch mit spürbaren administrativen und bürokratischen Hürden zu kämpfen haben: Wer wird überhaupt zugangsberechtigt? In welchem Umfang? Wer fällt darüber letztlich die Entscheidung? Wie schnell lassen sich gegebenenfalls Mittel für die unmittelbare Katastrophenhilfe mobilisieren? Dazu kommt, dass Mittel erst einmal mobilisiert und dann irgendwo “geparkt” werden müssen. Oder sie müssen als Garantien für von dritter Seite zu mobilisierende Mittel zugesagt werden. Das kann funktionieren, bedeutet aber in jedem Fall einen zusätzlichen Verwaltungsschritt und höhere Kosten für die kurzfristig zu mobilisierenden Drittmittel.

Der Verband der kleinen Inselstaaten (AOSIS) hat demgegenüber vorgeschlagen, eine multilaterale Vereinbarung über ein für alle Gläubiger verbindliches Schuldenmoratorium im Katastrophenfall zu treffen. Das heißt, in dem Moment, in dem etwa das UNO Büro für Katastrophenvorsorge (UNDRR) einen Katastrophenfall eines bestimmten Ausmaßes feststellt, zahlt das betroffene Land an keinen ausländischen Gläubiger mehr den vertraglichen Schuldendienst, sondern kann die Mittel, die sich bereits im Land befinden für die Katastrophenhilfe und die erste Phase des Wiederaufbaus nutzen. Gleichzeitig schafft das Moratorium den zeitlichen und materiellen Spielraum für Verhandlungen zwischen dem betroffenen Land und der Gesamtheit seiner Gläubiger über eine eventuell notwendige Umschuldung. Die zwischenzeitliche Uneintreibbarkeit der Forderungen an das Katastrophenopfer könnte  – wie bereits im Fall des Irak geschehen – durch eine Resolution des Weltsicherheitsrates gewährleistet werden.

Die Schulden eines Katstrophenopfers in Hilfe zu verwandeln hätte eine Reihe von Vorteilen:

  • Es wäre kein zeitraubender Pledging Prozess notwendig. Die zu verwendenden Mittel sind bereits in den Händen der betroffenen Regierung. Sie müssen nur intern umgewidmet werden.
  • Das Instrument verursacht für die externen Unterstützer nur dann Kosten, wenn eine Katastrophe tatsächlich eintritt. Es müssen keine Mittel anderen sinnvollen Verwendungszwecken, etwa im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit, entzogen werden. 
  • Je nach Ausmaß der Katastrophe ist es ohnehin fragwürdig, ob das betroffene Land seinen Schuldendienst vertragsgemäß weiter leisten kann. Es wäre nun bereits ein allgemeines Verfahren etabliert, nach dem die Schuldentragfähigkeit nach der Katastrophe von kompetenter Seite festgestellt und eine eventuell notwendige Umschuldung ausgehandelt werden kann.
  • Es fiele der Druck auf das betroffene Land weg, auch in der Katastrophe weiter Schuldendienst zu leisten – wie in der Vergangenheit z.B. in der Ostkaribik geschehen – auch auf Kosten einer wirksamen Katastrophenhilfe und des Wiederaufbaus. 
  • Die Kosten des Wiederaufbaus würden von allen getragen, welche sich in dem betroffenen Land engagieren – statt von wenigen gutwilligen Regierungen und ihren Steuerzahlern.
  • Die Ampel-Koalition hat sich in ihrem Koalitionsvertrag verpflichtet, auf die Schaffung eines geordneten Staateninsolvenzverfahrens hinzuwirken. Eine solche im Rahmen der nächsten COP zu treffende Vereinbarung unter allen Vertragspartnern könnte zeigen, dass multilaterale Vereinbarungen Wirkung entfalten können – schon bevor die gesamte globale Schuldenarchitektur vom Kopf auf die Füsse gestellt worden ist.

Kleine Inselstaaten: im Auge des (Schulden-)Hurrikans

Wadadli – in der indigenen Sprache Antiguas so viel wie: “Wir selbst”. erlassjahr.de durfte gleichwohl mit beraten.

Anfang August trafen sich rund 100 Vertreter*innen der Allianz der kleinen Inselstaaten (AOSIS) auf der Karibikinsel Antigua. Thema war die Entwicklung gemeinsamer Strategien für die Mitgliedsstaaten, die gleichzeitig von der dreifachen globalen Krise aus Klimawandel, Covid-Folgen und Preissteigerungen durch den Krieg in der Ukraine betroffen sind. Jürgen Kaiser war für erlassjahr.de mit einem Beitrag zur sich verschärfenden Schuldenkrise vieler Länder dabei.

Es wurde deutlich, dass die kleinen Inselstaaten mit den existierenden Instrumenten keine Chance haben, aus einer lebensbedrohlichen Überschuldungssituation herauszufinden. Allerdings zeigte sich auch, dass die Länder sowohl einzeln als auch als Gruppe wenig Hoffnung haben, tatsächlich Einfluss auf globale Entschuldungsverfahren nehmen zu können. Prozesse, die mühsam in der UNO auf den Weg gebracht werden müssen, oder gar ihre minimalen Einflussmöglichkeiten innerhalb des IWF zu einer Initiative zu bündeln, erschienen als eine sehr ferne Handlungsoption.

Kurzfristig vielversprechender erschien demgegenüber eine andere für die Schuldenfrage relevante Thematik, nämlich die, wie Länder sich überhaupt für Schuldenerleichterungen qualifizieren können. Aktuell ist eine Reihe kleiner Inselstaaten sowohl vom Zugang zu zinsgünstigen Krediten als auch von Schuldenerlassen ausgeschlossen. Grund dafür ist ihr zu hohes Pro-Kopf-Einkommen. Da Schuldenprobleme aber in Ländern aller Einkommenskategorien auftreten können, ist die Beschränkung des Zugangs zu Schuldenerleichterungen auf Grund des Pro-Kopf-Einkommens eine unsachgemäße Beschränkung.

AOSIS hat nicht nur die bisherige Praxis zu kritisiert, sondern positiv auch versucht eine Alternative ins Gespräch zu bringen: den „Multidimensionalen Vulnerabilitätsindex“ (MVI). Dieser soll ein breites Spektrum von Gefährdungen abbilden, denen kleine Inselstaaten besonders ausgesetzt sind. Allerdings sind die bislang auf dem Tisch liegenden Vorschläge für einen MVI noch mit mindestens zwei gravierenden Problemen behaftet: (1) Er versucht Gefährdungen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit durch ein breites Spektrum von Faktoren abzubilden. Für eine Reihe dieser Faktoren stehen trotz aller Bemühungen etwa der Vereinten Nationen allerdings schlicht keine hinreichenden Daten zu Verfügung. (2) Wo diese Daten zur Verfügung stehen, stellt sich die Frage, wie sehr unterschiedliche Aspekte zueinander zu gewichten sind. Was heißt es für Verletzlichkeit und die Notwendigkeit von Schuldenerleichterungen, wenn ein Land bei der Einschulung von Kindern vorbildlich ist, es am Bau von Schutzräumen für den Fall eines Wirbelsturms aber fehlen lässt – und es sich in einem anderen genau umgekehrt verhält?

Der UN-Generalsekretär hat dazu ein Expert*innen-Panel unter Leitung des Premierministers von Antigua & Barbuda, Gaston Browne, und der ehemaligen norwegischen Regierungechefin Erna Solberg berufen. Auf der Tagung wurde von Mitgliedern des Panels schon mal vorsichtig angedeutet, dass der erhoffte anwendungsfähige Index bei der UN-Vollversammlung eher noch nicht zu erwarten sein werde.

Die Tagungsteilnehmer*innen konnten sich an den Stränden von Antigua in schönster karibischer Idylle treffen. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Region sich bereits mitten in der Hurrikan-Saison befindet. Ob und wenn ja auf welcher Insel noch in diesem Jahr damit gerechnet werden muss, dass wieder 100 oder gar 200 Prozent der gesamten jährlichen Wirtschaftsleistung in einer Nacht vernichtet werden, kann niemand vorhersagen. Unter solchen Umständen wäre eine pro-aktive Politik zur Bewältigung von Schäden und Verlusten (Loss & Damage) wie die Bundesregierung sie noch im Mai dem AOSIS-Vorsitzenden in Berlin zugesagt hatte, umso dringender.

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Vor vierzig Jahren: Mit Mexikos Zahlungseinstellung beginnt die “Schuldenkrise der Dritten Welt”

Im August 1982 musste Mexiko zwischenzeitlich die Zahlungen an seine Gläubiger – vor allem US-amerikanischen, japanischen und britischen Banken – aussetzen. Dieser Schritt der zweitgrößten Volkswirtschaft Lateinamerikas wird gemeinhin als Beginn der großen Schuldenkrise im Globalen Süden der 1980er und 1990er Jahre angesehen. Zahlreiche weitere lateinamerikanische und asiatische Länder waren bald gezwungen, dem mexikanischen Beispiel zu folgen.

Wie war es dazu gekommen?

Mexiko hatte in den 19070er und 1980er Jahren seine ambitionierte Industrialisierungspolitik primär aus zwei Quellen finanziert: zum einen aus den seit 1973 steigenden Öleinnahmen, zum anderen durch extensive Auslandsverschuldung. 1981 gerieten beide Einnahmequellen in die Krise: Eine weltweite Konjunkturschwäche ließ den Ölpreis zurückgehen. Gleichzeitig verwandelte die Aufrüstungspolitik des neuen US-Präsidenten Reagan Mexikos wichtigsten Nachbarn fast über Nacht vom größten Kapitalanbieter weltweit in den größten Nachfrager. Die globalen Zinsen stiegen entsprechend dramatisch an, während Mexikos Exporteinnahmen zurückgingen. Der Mexikanische Peso verlor 40 Prozent seines Wertes gegenüber dem US-Dollar. Das größte Wirtschaftskonglomerat des Landes, die Grupo Alfa, rutschte in die Insolvenz. Das mexikanische Finanzierungsmodell funktionierte nicht mehr.

Schuldenerlasse lagen damals jenseits der Vorstellungen aller Beteiligten. Statt das faktische Insolvenzproblems Mexikos anzuerkennen, wurde stillschweigend angenommenen, dass die Zahlungseinstellung lediglich auf eine Liquiditätslücke zurückgehe. Die mexikanische Regierung bemühte sich daher zunächst, Gelder zu mobilisieren, um ihren Schuldendienst weiter leisten zu können. Dazu wandte sie sich einerseits an den Internationalen Währungsfonds (IWF) mit der Bitte um Krisenfinanzierung und forderte andererseits seine mehr als 500 Gläubigerbanken auf, frisches Geld zu akzeptablen Bedingungen zur Verfügung zu stellen. Im Juli 1982 kamen von den Banken noch einmal 2,5 Milliarden US-Dollar. Im August lehnten sie weitere Finanzierungen hingegen ab. Mexiko konnte nicht mehr zahlen und stellte den Schuldendienst an seine Gläubiger ein.

Gegensätzliche Interessen

Die Weigerung der Banken, dem schlechten Geld weiterhin gutes in Richtung Mexiko nachzuwerfen, war einerseits ein angemessener Akt der Vorsicht. Auf der anderen Seite bedrohten sie sich damit jedoch in starkem Maße selbst: Die rigide Bankenaufsicht in den USA sah mit Argusaugen auf die in den Bankbilanzen geführten Aktiva, die als Sicherheiten für die eigenen Kreditgeschäfte der Institutionen dienten. Fielen Zahlungen aus, mussten die Banken umgehend drastischer Wertberichtigungen vornehmen. Dadurch war Mexikos Krise auch eine des US-Bankensystems.

Der IWF verfolgte in Mexiko im Prinzip die gleiche Strategie wie in anderen verschuldeten Ländern: Er bot eine Zwischenfinanzierung gegen eine dramatische Reduzierung des fiskalischen Defizits, das in Mexikos Fall in der Größenordnung von fast 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts lag. Als man im September 1982 beim IWF von einer gerade noch politisch durchsetzbar scheinenden Reduzierung des Defizits auf 5 Prozent ausging, zeigte die Modellrechnung, dass nach den Finanzierungen des IWF und anderer öffentlicher Geber noch immer eine Finanzierungslücke von 5 Milliarden US-Dollar im Jahr 1983 bleiben würde. Diese musste – so die Erwartung des IWF – durch frisches Geld der Gläubigerbanken aufgebracht werden. Es dauerte bis zum März 1983, bis dieses Geld beisammen war, und die letzten sieben der über 500 Banken entsprechende Zusagen unterschrieben.

Die mexikanische Politik – und die Besetzung der Schlüsselpositionen der mexikanischen Finanzpolitik – schwankten in dieser Zeit zwischen Akzeptanz der vom IWF geforderten Maßnahmen als Voraussetzung für Rettungsgelder einerseits und dem Versuch einer Selbstbehauptung andererseits, beispielsweise durch die Einführung von Devisenkontrollen – schon damals eine Todsünde in den Augen der marktliberalen Orthodoxie des IWF.

Tatsächlich konnte Mexiko mit diesem Mix aus Trotz und Unterwerfung die Krise nicht überwinden, sondern sich nur Zeit kaufen. Neue Kreditzusagen der Gläubiger waren noch zwei weitere Male notwendig. Erst Ende der 1980er Jahre wurde klar, dass die Bereitstellung neuer Gelder die Krise nicht lösen konnte und im Rahmen des sogenannten Brady-Plans erstmals echte Abschreibungen privater Forderungen erreicht und zumindest die Krise von 1982 als überwunden angesehen werden konnte.

Die Folgen der nicht bewältigten, sondern durch immer neue Kredite nur verlängerten Krise waren für Mexiko enorm: Von einer „aufholenden“ Industrialisierungsstrategie vor der Krise verwandelte sich das Land in eine der ersten „verlängerten Werkbänke“ der USA (bevor es aus dieser Rolle von den noch billiger fertigenden Ländern in Asien auch wieder verdrängt wurde).

Was lässt sich aus der mexikanischen Schuldenkrise lernen?

  • Staaten, die sich im Ausland verschulden, um so nationalen Konsum statt Investitionen zu finanzieren, machen sich für externe Schocks extrem angreifbar. Das gilt für das damalige mit Sozialleistungen auf Massenloyalität zielende mexikanische Modell ebenso wie die Klientelpolitik von Steuersenkungen für die Reichen durch die 2022 gestürzte Regierung Sri Lankas oder die Finanzierung der Kapitalflucht der Eliten durch einen IWF-Megakredit der Macri-Regierung in Argentinien 2018.
  • Die Entwicklung globaler Zinsen liegt nicht in der Hand ärmerer und abhängiger Staaten. Wie Mexiko 1982 sind auch die Schwellenländer, die im August 2022 besorgt auf die Zinsanhebungen der Fed und der Europäischen Zentralbank schauen, ohne jeden Einfluss auf Politikentscheidungen, die sie fast über Nacht zahlungsunfähig machen können.
  • Staatliche Insolvenzen lassen sich durch die Zuführung frischen Geldes nicht überwinden, sondern nur aufschieben. Fast immer ist eine aufgeschobene Krisenlösung am Ende teurer als eine zeitige es hätte sein können. Und das nicht nur für den Schuldner, sondern auch für die meisten Gläubiger.
  • Das Fehlen einer umfassenden Gläubigerkoordination ist ein entscheidendes Hindernis bei der Krisenbewältigung. Mexikos private Geldgeber beklagten, dass sie fünfmal so viel an frischem Geld bereitstellen sollten wie die öffentlichen Gläubiger. Die USA versuchten überdies noch durch eine Öl-Vorfinanzierung Mexiko de facto einen mit satten 18 Prozent verzinsten Überbrückungskredit anzudrehen. Solche individuelle Interessendurchsetzung inmitten einer global ausbrechenden Krise stellt sich heute im unvollkommen funktionierende Entschuldungsrahmenwerk Common Framework der G20 nicht anders dar als damals: China unterläuft das Common Framework, indem es Transparenz über den kritischsten Teil seiner Forderungen verweigert; der Privatsektor, indem er immer neue Regeln für seine Beteiligung formuliert, sich aber an fast nichts beteiligt; und der öffentliche Sektor weigert sich, eine verbindliche Beteiligung aller Gläubiger zu erzwingen.

Bei allen von den Umständen erzwungenen Schuldenstreichungen wie etwa der Entschuldungsinitiative für die hoch verschuldeten armen Länder: Staaten, die heute in die Krise geraten – selbst nach Einschätzung des IWF sind es mehr als 30 in allen Einkommenskategorien –, haben heute keine besseren Aussichten auf eine rasche und effiziente Krisenüberwindung als Mexiko im August 1982.

Allerdings: Mit der um sich greifenden Krise wuchsen weltweit die systemkritischen und solidarischen Bewegungen. Indirekt, kann man sagen, verdankt auch erlassjahr.de seine Existenz den dramatischen Ereignissen zwischen August 1982 und dem Frühjahr 1983.

Kleine Klage mit großer Wirkung? Der Fall Hamilton vs. Sri Lanka

Sri Lanka stellte im April 2022 nach jahrelangem Durchwurschteln unter dem Druck der Folgen von Pandemie und der russischen Invasion die Schuldendienstzahlungen an seine ausländischen Gläubiger ein. Schon im März begannen Massenproteste angesichts der grassierenden Wirtschaftskrise und Inflation. Seither hat die Krise u. a. zur Flucht und zum Rücktritt des von großen Teilen der Bevölkerung verachteten Präsidenten Gotabaya Rajapaksa geführt. 

Es war eine Pleite mit Ansage, denn schon seit 2021 spekulierten Investoren, wie lange Sri Lanka angesichts stetig sinkender Devisenreserven und hoher Schuldendienstbelastung den Default noch vermeiden kann. Entsprechend begannen sich Gläubiger auch schon frühzeitig auf mögliche Umschuldungsverhandlungen vorzubereiten. So schloss sich kürzlich bereits ein Gläubigerkommittee aus ca. 30 privaten Gläubigern, die Anteile an Anleihen aus allen bestehenden Serien halten, zusammen. Bekannt ist jedoch nicht, wieviel Prozent der Gesamtforderungen aus dieser Gruppe von diesem Verbund gehalten werden. 

Klar ist, dass nicht alle Gläubiger mögliche Umschuldungen akzeptieren wollen. Am 21. Juni erhob die Hamilton Reserve Bank Ltd. mit Sitz in St. Kitts und Nevis Klage vor dem Bundesbezirksgericht im südlichen Bezirk von New York auf vorzeitige Zahlung seiner Ansprüche. Klagegegenstand sind Tilgungs- und Zinszahlungen von rund 258 Millionen US-Dollar.

Die Klage ist insofern ungewöhnlich, als dass sich Sri Lanka zu dem Zeitpunkt noch nicht in Umschuldungsverhandlungen befand. Außerdem war die Anleihe, auf die sich die Klage bezieht, zum Zeitpunkt der Klage noch gar nicht fällig. Die Klage wurde zum einen mit der Ankündigung der Zahlungseinstellung im April durch die sri-lankische Regierung, zum anderen mit dem Verzug auf Zinszahlungen bei anderen Anleiheserien begründet. Daneben wirft der Kläger Sri Lanka die Verletzung der sogenannten pari passu-Klausel (also der gleichrangigen Behandlung von Gläubigern) vor – auch wenn diese gegenüber Hamilton noch gar nicht verletzt wurde. Begründet wird die Anschuldigung mit der Ankündigung der sri-lankischen Regierung, die im Inland gehaltenen Sri Lanka Development Bonds von dem Zahlungsstillstand und zukünftigen Schuldenumstrukturierungen auszuschließen. Am kommenden Freitag, dem 26. August, ist eine erste gerichtliche Sitzung zu der Klage anberaumt. 

Ob die Klage tatsächlich Erfolg hat ist unklar. Beobachter*innen sind skeptisch. Insgesamt handelt es sich zudem nur um einen Bruchteil der Gesamtverschuldung des Landes, die in den kommenden Umschuldungsverhandlungen zur Debatte steht. Sollte die Klage am kommenden Freitag erfolgreich angenommen werden, wird der Fall jedoch trotzdem größere Bedeutung bekommen. 

Sri Lanka mag zwar seine Zahlungen bereits eingestellt haben. Viele andere Länder kurz vor der Staatspleite zögern den unvermeidlichen Schritt einer Umschuldung jedoch weiter hinaus, indem sie durch mühsam zusammengekratzte Neufinanzierungen oder durch die Kürzung bei anderen Ausgaben den Schuldendienst weiter aufrechterhalten. Die Angst vor rechtlichen Risiken, die durch einen Erfolg der Klage gegen Sri Lanka weiter geschürt würde, könnte Regierungen kritisch verschuldete Länder weiter davon abhalten, den unvermeidbaren Schritt einer Zahlungseinstellung zu gehen. Insbesondere auch deshalb, weil, wie empirische Untersuchungen zeigen, Rechtsstreitigkeiten um Forderungen den Zugang zum Kapitalmarkt beeinträchtigen können. Angesichts angespannter Haushalte ist das etwas, was Regierungen (auch wenn sie den Zugang zum Kapitalmarkt zu erschwinglichen Bedingungen eh schon verloren haben) unter allen Umständen zu vermeiden versuchen. Denn anders als für Unternehmen und Privatpersonen gibt es für Staaten keinen Vollstreckungsschutz im Falle einer Insolvenz. 

Zudem erhöht ein rechtliches Vorgehen die Verhandlungsposition von Gläubigern gegenüber anderen Gläubigern: So hat beispielsweise Venezuela aus Angst vor rechtlichen Schritten die Forderungen seiner Anleihegläubiger stets pünktlich und vollständig bedient, obwohl das Land andere Gläubiger – wie Russland und China – nicht weiter bediente und obwohl die finanziellen Mittel für den Import von Basisgütern fehlten. 

Da Sri Lanka seine Zahlungen bereits eingestellt hat, könnte der Klageprozess vor allem die kommenden Umschuldungsverhandlungen empfindlich stören. So könnten auch andere Anleihehalter ermutigt werden, den Klageweg zu beschreiten. Oder es könnte, sollte Sri Lanka sich mit Hamilton einigen bzw. Hamilton ausbezahlen, zu einer Ungleichbehandlung gutwilliger Gläubiger führen, deren Bereitschaft zu konstruktiven Umschuldungsverhandlungen dadurch geschwächt würde. 

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Wiedersehen nach drei Jahren Zoom: Eurodad-Konferenz in Brüssel

Das europäische Dachnetzwerk von erlassjahr.de – Eurodad – organisiert alle zwei Jahre eine internationale Konferenz, um Organisationen weltweit, die zu finanzieller Gerechtigkeit arbeiten, zusammenzubringen. So fand auch dieses Jahr vom 06.-08. Juni in Brüssel eine Konferenz statt. Auf der Agenda standen verschiedene Vorträge und Workshops rund um die Themengebiete Staatsverschuldung, Entwicklungspolitik und globale Gerechtigkeit. Mir wurde im Rahmen meines Praktikums die Möglichkeit geboten, daran teilzunehmen. Dieser Blogbeitrag stellt einen persönlichen Erfahrungsbericht dar.

Klassentreffen der Entschuldungsbewegung

Der erste Tag begann mit einem „Debt Strategy Meeting“. In dem Konferenzraum fanden sich mehr als 50 Menschen aus verschiedenen Ländern ein. Für mich war es überraschend, dass so viele an dem Thema der Staatsverschuldung arbeiten und teilweise eine sehr weite Reise auf sich genommen hatten, um an der Konferenz teilzunehmen. Der zwischenmenschliche Kontakt war sehr offen, freundlich und persönlich. Die Mehrheit der Teilnehmer*innen kannte sich offensichtlich aus früheren Treffen oder Zusammenarbeiten. Insgesamt war die Stimmung sehr enthusiastisch und die Vorfreude auf die kommenden Tage groß. Das lag auch daran, dass aufgrund der Pandemie in den vergangenen zwei Jahren keine persönlichen Treffen stattfinden konnten.

Nach einer kurzen Vorstellungsrunde wurde über Möglichkeiten und Herausforderungen einer neuen Schuldenkrise gesprochen. Thematisiert wurden unter anderem die Volatilität auf Staatsanleihemärkten und die Rolle Chinas in der internationalen Finanzarchitektur. Erwähnt wurde u.a. das Narrativ, dass China nicht bereit sei, sich an Schuldenumstrukturierungen zu beteiligen – welches westliche Regierungen gerne nutzen, um sich aus der Verantwortung zu stehlen. Die Anwesenden betonten, dass es vielmehr dringend notwendig sei, dass auch westliche Gläubiger sich bewegen und etwa Privatgläubiger in Umstrukturierungsverhandlungen zur Beteiligung verpflichten. Dies könne vor allem durch nationale Gesetzgebung in den G7-Staaten erreicht werden. Im Anschluss ging es um politische Handlungsoptionen: Der Direktor von von Jubilee USA stellte etwa einen neuen Gesetzesentwurf vor, der vor kurzem im Bundesstaat New York eingebracht worden war und dazu beitragen soll, die Beteiligung privater Gläubiger an Schuldenerlassen zu verbessern.

Mein erster Eindruck an diesem Tag war, dass viele wichtige und interessante Punkte angesprochen wurden, allerdings wenig Diskussion zustande kam. Es wirkte eher wie ein Austausch von Aspekten, die der jeweiligen Person wichtig waren, als eine tatsächliche Debatte, die sich an einem bestimmten Ziel orientiert. Am Abend organisierte Eurodad ein gemeinsames Abendessen, welches von vielen der Anwesenden genutzt wurde, um neue Kontakte zu knüpfen oder alte Bekanntschaften zu pflegen.

Ungerechtigkeiten sind systemimmanent

An Tag zwei standen Vorträge sowie Workshops auf der Agenda. Beim ersten Vortrag ging es um „Development cooperation as a leverage for tackling vaccine inequality? A Belgian perspective on the issue”. Die Sprecher*innen Kristina Bayingana (Büro des belgischen Ministers für Entwicklungszusammenarbeit), Vitalice Meja (Reality of Aid Africa) und Arnaud Zacherie (CNCD-11.11.11) wiesen darauf hin, dass im letzten Jahr über 11 Milliarden Impfdosen produziert wurden. Drei Viertel davon wurden jedoch von reicheren Ländern gekauft. Im März 2022 waren 56 Prozent der Weltbevölkerung vollständig geimpft. In Entwicklungsländern sind es gerade mal 7 Prozent. Die Sprecher*innen betonten, dass die Ungleichheit bei der Verteilung von Impfstoffen eine Frage von globaler Gerechtigkeit ist. Trotz kleinerer technischer Probleme bei einem via Zoom zugeschalteten Teilnehmer war es meiner Meinung nach dennoch ein gelungener Vortrag.

Danach wurde die Konferenz durch eine Diskussion zum Thema „Reboot the system: Defining joint strategies for economic justice“ eröffnet. Der erste Sprecher, Jason Hickel (Anthropologe), thematisierte in seiner Rede den Zusammenhang zwischen aktuellen Krisen und unserem derzeitigen Wirtschaftssystem. Der Vortrag hat mir persönlich sehr gut gefallen. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir der Satz „It’s not a bug, it’s a feature.“ Er machte deutlich, dass die globalen Probleme eben nicht durch einen Fehler im System entstanden sind und durch Behebung des Fehlers innerhalb des Systems beseitigt werden können. Krisen sind vielmehr, solange wir uns in diesem kapitalistischen System bewegen, unvermeidbar.

Die zweite Sprecherin, Emilia Reyes (Equidad de Género Ciudadanía, Trabajo y Familia), sprach in ihrer Rede direkt zivilgesellschaftliche Organisationen in Industriestaaten an. Sie kritisierte diese auf unterschiedlichen Ebenen, allerdings ohne konkrete Forderungen zu formulieren. Mich konnte ihre Ansprache nicht überzeugen. Die Reaktion der anderen Zuhörer*innen war jedoch mehrheitlich zustimmend. Als letzte Session dieses Tages waren drei unterschiedliche Workshops geplant. Ich nahm an dem Workshop „International Financial Institutions: Time for a reset?“ teil. In vier Welt-Cafés wurde über einzelne Aspekte des Themas gesprochen.

Besonders spannend war für mich die Diskussion um das Thema der Sonderziehungsrechte (Special Drawing Rights, SDRs). Die Verteilung dieser basiert auf den IWF-Quoten der Länder. Das führte dazu, dass während der Pandemie zwei Drittel der SDRs Industriestaaten zugewiesen wurden. Leider war hier, wie bei vielen Sessions, die Zeit nicht ausreichend, um tatsächlich ausführlich über ein Thema oder einzelne Aspekte des Themas zu sprechen. Auch dieser Tag endete wieder mit einem gemeinsamen Abendessen, welches erneut als „Socialising Event“ genutzt werden konnte. Vor allem an diesem Abend, aber auch während der restlichen Konferenz, hätte ich mir sehr gewünscht, dass die Veranstalter ein Hygienekonzept ausgearbeitet hätten.

Grüne Transformation und Menschenrechte

Der dritte und letzte Tag der Konferenz begann mit dem Vortrag „A green recovery: Empty rhetoric or a just transition?”. Dieser griff ein sehr spannendes Thema auf, welches aus meiner Sicht auch in Deutschland viel zu wenig behandelt wird. Die insgesamt fünf Sprecher*innen diskutierten Ideen für einen grünen Aufschwung. Im Vordergrund stand dabei die Notwendigkeit, den Übergang möglichst gerecht zu gestalten. Der zeitliche Rahmen von 60 Minuten wurde leider weder der Thematik noch den Sprecher*innen gerecht. Daher waren eine Diskussion und auch eine Entwicklung von Lösungsansätzen nicht möglich.

Die letzte Session des Tages behandelte das Thema „Ensuring the primacy of human rights in times of systemic crises”. Die Sprecher*innen wiesen darauf hin, dass die zu hohe Verschuldung von Staaten im Globalen Süden häufig dazu führe, dass Staaten öffentliche Ausgaben, vor allem auch Sozialausgaben, kürzen müssen. Dieses Finanzierungsproblem untergräbt die Menschenrechtsverpflichtungen dieser Staaten. Während der Veranstaltung wurde diskutiert, was die internationale Gemeinschaft tun kann, um die betroffenen Staaten zu unterstützen. Insbesondere der Redebeitrag von Maria Arena (Mitglied des Europäischen Parlaments) hat mich interessiert. Sie thematisierte unter anderem die Menschenrechtsverletzungen in Qatar und welche Rolle europäische Unternehmen dabei spielen. Nach dieser Session folgte die Closing Ceremony zum Abschluss der Konferenz.

Fazit: Zu wenig Zeit für Strategie und Inhalte, aber viele wertvolle Erfahrungen

Ich war während der gesamten Konferenz immer wieder beeindruckt, wie viele fachlich kompetente, freundliche und engagierte Menschen teilgenommen haben. Für viele dieser Teilnehmer*innen stand der Aspekt des Netzwerkens definitiv im Vordergrund. Für mich persönlich waren hingegen die Vorträge und Workshops deutlich interessanter als die Socialising Events am Abend. Für die Erarbeitung inhaltlicher Strategien wäre es vermutlich besser gewesen, sich auf einzelne Aspekte dieser Themengebiete zu beschränken und diesen dann auch die notwendige Zeit einzuräumen. Allerdings arbeiten die Teilnehmer*innen grundsätzlich an so vielen unterschiedlichen Themenaspekten, dass bei einer solch breit aufgestellten Konferenz nicht allen hätte gerecht werden können. Deshalb war es verständlich, dass die Konferenz stärker für den Austausch genutzt wurde – vor allem nach drei Jahren Videomeeting auf Zoom!

Zusammenfassend war es für mich eine sehr wertvolle Erfahrung. Ich habe nicht nur inhaltlich viel lernen können, sondern auch einen besseren Einblick in die Arbeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen bekommen.  

Herr Lindner vorm Schuldenberg: eine Auseinandersetzung mit den Positionen des deutschen Finanzministers

Vom 18. bis zum 20.  Mai 2022 trafen sich die G7-Finanzminister*innen in Bonn/Königswinter. Schon zuvor hatten wir mit der Bundesregierung immer wieder das Gespräch zur globalen Schuldenkrise und zur Notwendigkeit von Reformen im Rahmen der deutschen G7-Präsidentschaft gesucht. Im Rahmen unserer Kampagne „Globale Gerechtigkeit #stattSchuldendienst“ machten wir am 19. Mai mit einem riesigen Schuldenberg auf dem Bonner Marktplatz vor dem Alten Rathaus auf die Schuldenkrise im Globalen Süden aufmerksam. Wie es der Zufall wollte, verließ ein Teil der G7-Finanzminister*innen just an diesem Tag ihr gut abgeschottetes Tagungshaus auf dem Petersberg in Königswinter, um sich im Alten Rathaus ins Goldene Buch der Stadt Bonn einzutragen – und kam dadurch am Schuldenberg vorbei! Herangerufen durch unsere erlassjahr.de-Aktivist*innen, stellte sich Finanzminister Lindner einem Gespräch, das hier auf Video festgehalten ist. Im Folgenden möchten wir auf die wichtigsten Argumente des Finanzministers eingehen.

Der Finanzminister verwies zunächst auf die problematische Rolle Chinas in multilateralen Umschuldungsverhandlungen. Bereits im Vorfeld des G7-Finanzministertreffens hatte Lindner kritisiert, dass China nicht bereit sei, kritisch verschuldeten Staaten Schulden zu erlassen und angekündigt, sich beim Treffen in Bonn dafür einzusetzen, den Druck auf China zu erhöhen. Damit folgte der Finanzminister dem während der bisherigen G7-Präsidentschaft immer wieder vorgebrachten Argument, dass das Verhalten Chinas als größtem Einzelgläubiger von einkommensschwachen Staaten im Globalen Süden das Hauptproblem für eine zeitige Lösung der Schuldenkrise sei.

Lindner: “I remind China of its responsibility”

Auch wir von erlassjahr.de haben uns an verschiedenen Stellen mit der Rolle Chinas kritisch auseinandergesetzt. Die Versteifung auf China als alleinigen Hebel für erfolgreiche Schuldenerlasse verkennt jedoch das eigentliche Problem und dient der Rechtfertigung fehlenden politischen Handelns: So ist China, das ca. 9 Prozent der ausstehenden Forderungen hält, zwar der größte öffentliche Einzelgläubiger von Ländern des Globalen Südens. Doch ca. 60 Prozent der Forderungen gegenüber Niedrig- und Mitteleinkommensländern werden von privaten Gläubigern gehalten, ca. 23 Prozent von multilateralen Gläubigern. Beides Gläubigergruppen, die sich an Schuldenerleichterungen bislang kaum beteiligen und auf die vor allem die G7-Staaten Einfluss ausüben können.

Die Forderung an China, sich kooperativer zu zeigen, wäre auch glaubhafter, wenn die G7-Staaten dort, wo sie Einfluss haben, konkrete Impulse setzen würden. China hatte die Beteiligung aller Gläubiger an Schuldenerleichterungen zuletzt beim UN Financing for Development Forum gefordert. Ein verbindlicher Einbezug privater westlicher Gläubiger würde die Glaubwürdigkeit der westlichen Staaten und die Kooperationsbereitschaft Chinas potenziell erhöhen. Zudem hätten die westlichen Staaten dann auch ein Mittel in der Hand, den Druck auf China zu verstärken. Solange sich die westlichen Staaten jedoch nicht der eigenen Verantwortung stellen, bleibt die Konzentration auf Chinas problematische Rolle lediglich ein Versuch, von der eigenen Verantwortung abzulenken.

Lindner: „Wir brauchen Transparenz“

Wird in der öffentlichen Debatte von Transparenz gesprochen, ist auch hier meist die Offenlegung chinesischer Forderungsbestände gemeint. So formulierte es auch Finanzminister Lindner im Gespräch mit uns. Doch auch in puncto Transparenz haben die G7-Staaten selbst Hausaufgaben zu erledigen. Im Schuldenreport 2022 haben wir gezeigt, dass die von der Weltbank angegebenen öffentlichen deutschen Forderungen fast doppelt so hoch sind wie vom Bundesfinanzministerium berichtet. Diese Dateninkongruenz konnte von der Bundesregierung bisher nicht geklärt werden. Auch hinsichtlich der wichtigsten Gläubigergruppe von Ländern des Globalen Südens, der Anleihehalter, fehlt es an Transparenz. Dadurch ist für gut die Hälfte der ausstehenden Forderungen an öffentliche Schuldner im Globalen Süden nicht systematisch feststellbar, wer diese Forderungen hält. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat 2020 angekündigt, für mehr Transparenz in der internationalen Kreditvergabe zu sorgen, und 2021 erste Schritte dazu unternommen. Problematisch ist jedoch, dass sich die Transparenz-Initiative der OECD auf die freiwilligen Prinzipien des Institute for International Finance (IIF) stützt und private Gläubiger daher nur unverbindlich auffordert, die eigenen Forderungen offenzulegen. Bislang haben gerade einmal zwei Banken Informationen bereitgestellt – sodass es in diesem Bereich, der in der direkten Einflusssphäre der G7 steht, kaum Fortschritte gibt. In ihrem Communiqué bekräftigen die Finanzminister der G7-Staaten nun, dass sie sich weiter für mehr Transparenz auch bei den privaten Gläubigern einsetzen wollen. Konkrete Schritte werden jedoch nicht genannt. Dabei hätten sie bei ihrem Treffen in Bonn/Königswinter ein Zeichen für mehr Transparenz durch regulatorische oder gesetzgeberische Schritte setzen können. Etwa durch die Schaffung eines weltweiten öffentlich einsehbaren Schulden-Registers aller staatlichen Verbindlichkeiten. Gemeinsam mit vielen Partnerorganisationen aus Nord und Süd fordert erlassjahr.de bereits seit vielen Jahren, dass der Eintrag in solch ein Register entscheidend dafür sein sollte, ob Forderungen in Umschuldungsverhandlungen und vor nationalen Gerichten anerkannt werden. Doch auch diesen konkret umsetzbaren Schritt haben die Finanzminister*innen wieder einmal verpasst.

Lindner: „Was die Einbeziehung der Privaten angeht, bin ich ganz bei Ihnen“

Auf dem Bonner Marktplatz bekräftigte Bundesfinanzminister Lindner einmal mehr die klassische Position der FDP: Gewinnmöglichkeiten für private Investoren seien zentral, doch wer im Glücksfall die Gewinne einfahre, müsse im Schadensfall auch haften. Kurz: So wie erlassjahr.de  lehne auch er einen Bailout für private Gläubiger ab.

Bislang wollen öffentliche Gläubiger wie die Bundesregierung die Einbeziehung und damit die Haftung privater Gläubiger über die sogenannte Comparability of Treatment-Klausel in Umschuldungsabkommen im Rahmen des Common Framework for Debt Treatments beyond the DSSI der G20 sicherstellen. Dabei handelt es sich jedoch keinesfalls um ein neuartiges Instrument. Vielmehr wird diese Klausel standardmäßig in öffentlichen Umschuldungsabkommen vereinbart. In der Vergangenheit konnte dadurch jedoch nicht vermieden werden, dass private Gläubiger gegenüber öffentlichen Gläubigern bevorteilt behandelt wurden – sprich: Dass sie durch öffentliche Kreditvergaben und Schuldenerlasse faktisch einen Bailout erhielten. Private Gläubiger profitierten in der Vergangenheit auch davon, dass Schuldenkrisen über Jahre verschleppt wurden. So wurden unausweichliche Schuldenerlasse durch die Vergabe öffentlicher Überbrückungskredite und vor allem durch harte Einsparungen im Schuldnerland über Jahre hinausgezögert. Wenn die Notwendigkeit von Erlassen schlussendlich eingestanden wurde, hatten private Gläubiger sich bereits größtenteils zurückgezogen.

erlassjahr.de hatte – wie auch die Weltbank und IWF-Chefin Kristalina Georgieva – im Vorfeld des Treffens konkrete Maßnahmen vorgeschlagen, um diese Praxis zu beenden. Doch in ihrem Communiqué forderten die G7-Finanzminister*innen private Gläubiger wieder lediglich dazu auf, sich auf freiwilliger Basis zu beteiligen – ohne Verpflichtung, ohne gesetzliche Regelungen. Es reicht daher nicht aus, so wie Finanzminister Lindner es tut, gebetsmühlenartig die notwendige Kopplung von Gewinnchancen mit Haftungsrisiken zu wiederholen. Wer angesichts der historischen Erfahrung keine konkreten Schritte einleitet, private Gläubiger verbindlich zur Beteiligung an Schuldenerlassen zu verpflichten, verletzt dieses liberale Dogma. Vor allem führt die Nicht-Einbeziehung privater Gläubiger aber dazu, dass die Krise verschleppt wird. Leidtragende sind jetzt schon insbesondere vulnerable Bevölkerungsgruppen in den Schuldnerländern, die die Folgen der Überschuldung unmittelbar zu spüren bekommen.

Die Entwicklungsminister*innen der G7, die sich zu gleicher Zeit in Berlin trafen, gingen dann auch einen kleinen Schritt weiter: Sie appellierten in ihrem Communiqué nicht nur an die Privatgläubiger, sondern forderten den IWF und die Weltbank auf, machbare Vorschläge für die bessere Einbeziehung privater Gläubiger zu unterbreiten.

Lindner: „Wenn es gelänge, die Schuldenlast so zu reduzieren, dass Länder wieder in die eigene Entwicklung investieren können, dass sie wieder Zugang zum Kapitalmarkt bekommen, wäre vieles gewonnen.“

Bereits im Vorfeld des G7-Finanzministertreffens hatte Bundesfinanzminister Lindner die Problematik der hohen Schuldenstände vieler Länder im Globalen Süden anerkannt. Es ist durchaus erfreulich, dass er auch im Laufe des Gesprächs mit uns in Bonn die Reduzierung der Schuldenstände als wichtige Voraussetzung dafür ausmachte, dass Länder wieder Zugang zum Kapitalmarkt bekommen. Schließlich hatten insbesondere private Kapitalgeber in den letzten zwei Jahren erfolgreich das Argument ins Feld geführt, dass ein Schuldenerlass den Zugang zum Kapitalmarkt langfristig gefährde. Obwohl dieses Argument weitestgehend haltlos ist, hielt es einige kritisch verschuldete Länder davon ab, Schuldenerleichterungen in Anspruch zu nehmen.

Die Anerkennung, dass bereits hohe Schuldenstände den Zugang zum Kapitalmarkt verbauen und eine Reduzierung der Schuldenlast daher eine wichtige Voraussetzung – und nicht etwa eine Bedrohung – für den Zugang zum Kapitalmarkt zu vernünftigen Konditionen ist, ist daher ein erster wichtiger Schritt, um die Argumentation privater Gläubiger zu widerlegen. Allerdings stimmte Lindner an anderer Stelle im Gespräch in genau diese Argumentation der privaten Gläubiger wieder ein. Zudem blieb unklar, wie sich Lindner eine Reduzierung der Schuldenlast vorstellte.

Lindner sprach davon, über internationale Institutionen einen „Zugang“ zu kritisch verschuldeten Staaten zu finden, um die Schuldenlast zu reduzieren oder sie „beim Kapitaldienst zu unterstützen“. Letzteres hört sich wieder verdächtig nach einem quasi-Bailout privater Gläubiger an, den Herr Lindner zuvor eigentlich explizit abgelehnt hatte.

Über internationale Institutionen einen „Zugang“ zu kritisch verschuldeten Staaten zu bekommen, erinnert wiederum an die Konditionierung des IWF, kritisch verschuldete Staaten zu einem harten Sparkurs im eigenen Land zu verpflichten und dadurch – so zumindest die Hoffnung – die hohe Schuldenbelastung zu reduzieren.

Das ist beides – anders als Lindner es im selben Satz formuliert – nicht „genau das, was wir gesagt haben“. Uns geht es vielmehr darum, Gläubiger bei der Lösung der Schuldenkrise mit in die Verantwortung zu nehmen.

Lindner: „Es gibt Risiken für die globale Finanzstabilität, die damit verbunden wären, wenn man jetzt ‚einfach mal so machen‘ würde“

Im Laufe des Gesprächs verwies Lindner mehrfach auf Risiken für die globale Finanzstabilität, die damit verbunden wären, wenn wir Gläubigerrechte nicht ausreichend respektieren oder private Gläubiger verbindlich zur Beteiligung an Schuldenerlassen verpflichten würden. Einerseits stützt er damit das oben bereits genannte Argument privater Gläubiger, die als Folge von Schuldenerlassen vor einem langfristigen Ausschluss vom Kapitalmarkt warnen. Andererseits zielt der Verweis auf die „globale Finanzstabilität“ über dieses konkrete Argument hinaus und verweist auf die diffuse Gefahr einer globalen Finanzkrise.

Letzteres bleibt notwendigerweise unkonkret. Bei diesem Verweis handelt es sich nicht um ein klares – und damit auch potenziell widerlegbares – Argument, sondern vielmehr um einen Allgemeinplatz, demzufolge strikte Vorgaben allgemein die wirtschaftliche Tätigkeit und das reibungslose Funktionieren des (Finanz)marktes gefährden würden und daher nicht im allgemeinen Interesse liegen könnten. Letztlich seien es also wirtschaftspolitische Sachzwänge, die vermeintlich einfache Lösungen – wie Schuldenerlasse – ausschließen würden. Und darauf solche „Sachzwänge“ zu erkennen, erhebt die FDP einen exklusiven Anspruch. Das wurde im Gespräch mit dem Bundesfinanzminister etwa durch die Wortwahl vermittelt, dass es eben nicht ausreiche, „einfach nur an Humanität anzudocken“ oder „einfach mal so zu machen“, wie es Entschuldungsaktivist*innen seiner Meinung nach wohl tun.

Doch genau das Gegenteil ist richtig: Statt „einfach mal so zu machen“, fordert erlassjahr.de vielmehr seit Jahren, die rechtlichen Rahmenbedingungen für Umschuldungen grundlegend zu verbessern. Nicht zuletzt auch mit dem Ziel, ungeordnete Staatspleiten zu verhindern – ein Risiko für verlässliche Finanzbeziehungen und damit für die internationale Finanzstabilität.

Eine umfassende Beteiligung privater Gläubiger an Schuldenerlassen wurde in der Vergangenheit erst durch eben solche rechtlichen Absicherungen und – im Rahmen der sogenannten Brady-Umschuldungen in den 1990er Jahren – durch massiven Druck der G7-Länder auf private Gläubiger in ihren Hoheitsgebieten erreicht. Keine dieser Maßnahmen führte in der Vergangenheit zur Instabilität der globalen Finanzmärkte. Statt dieses Totschlagargument zu akzeptieren, sollte man sich zudem klar machen, dass für viele Menschen im Globalen Süden die befürchteten negativen Auswirkungen einer vermeintlich eintretenden „Finanzkrise“ schon jetzt Realität sind und dass die Interessen der (Finanz)-Wirtschaft daher keinesfalls deckungsgleich mit den Bedürfnissen des Großteils der Weltbevölkerung sind.

Fazit

Anstatt das Treffen für Reformen im eigenen Verantwortungsbereich zu nutzen, haben die G7-Finanzminister*innen die Verantwortung wieder einmal vor allem auf China abgewälzt. Unter dem Deckmantel der fehlenden Kooperationsbereitschaft Chinas und vermeintlich drohender globaler Finanzmarktrisiken schützt der Bundesfinanzminister damit die Interessen von Anlegern auf risikofreie Anlagen bzw. auf Gewinnmöglichkeiten ohne Haftung. Tatsächlich ist es jedoch gerade der unbedingte Schutz von privaten Gläubigerrechten, der soziale Spannungen in kritisch verschuldeten Ländern anheizt, damit die politische Stabilität bedroht und die Bereitschaft anderer Gläubiger, sich an multilateralen Umschuldungen zu beteiligen, unterminiert.

Auch wenn wir seit Jahrzehnten regelmäßig mit politischen Akteuren in den Ministerien und im Parlament in Kontakt sind: Als Aktivist*innen haben wir nicht oft Gelegenheit, mit Menschen der höchsten Regierungsebene wie Bundesfinanzminister Lindner direkt in den Dialog zu gehen. Solche Gespräche sind – so kurz sie auch sein mögen – deshalb besonders wichtig, um unseren Forderungen auch auf dieser Ebene buchstäblich Gehör zu verschaffen und unmittelbar auf die Positionen des politischen Gegenübers reagieren zu können.

Lieber Herr Lindner, das war hoffentlich nicht unser letztes Gespräch mit Ihnen!