Eine Brücke zurück – wie die „Bridge to Climate Action“ Gläubigerinteressen stützt

Seit mehr als drei Jahren gibt es das G20 Common Framework, um Umschuldungen in kritisch verschuldeten Ländern zu organisieren. Verhandlungen sind langwierig, die Koordination der verschiedenen Gläubiger ist schwierig, für Schuldnerländer ist das Rahmenwerk bisher nicht besonders attraktiv. Entsprechend machen verschiedene Akteure immer wieder Vorschläge, wie der Ablauf von Umschuldungsverhandlungen verbessert werden kann (siehe auch erlassjahr.de hier). Nun reiht sich ein weiterer Vorschlag ein, der die Verbindung zwischen der Lösung der Schulden- und Klimafinanzierungskrise zieht. In der Studie „A bridge to climate action – A tripartite deal for times of illiquidity“ wird die Gefahr einer „stillen Entwicklungskrise“ betont, ausgelöst durch einen untragbaren Schuldendienst bei gleichzeitig fehlendem Zugang zu Finanzierungen, so dass Regierungen Kürzungen bei Sozialausgaben und Zukunftsinvestitionen vornehmen müssen. Dieser willkommen alarmistische Ton schlägt sich jedoch nicht nieder im dann vorgestellten Vorschlag, wie damit umzugehen sei. Der Vorschlag nährt vielmehr den seit einiger Zeit vorherrschenden Diskurs, dass Schritte zu ambitionierten Schuldenerlassen (noch) nicht nötig seien (siehe unter anderem hier).

Aus Sicht der Autoren der Studie seien die meisten Länder bloß illiquide und nicht insolvent, bräuchten also bloß Überbrückungshilfe, um wachstumsfördernde Investitionen vornehmen und aus ihren Schulden herauswachsen zu können. Sie nehmen dabei vor allem Länder in den Blick, die zwischen 2024 und 2026 hohe Schuldendienstzahlungen leisten müssen.

Der Vorschlag

Für diese Länder wird folgendes vorgesehen:

  • Multilaterale Entwicklungsbanken und der Internationale Währungsfonds vergeben umfassende Neukredite an die beteiligten Schuldnerstaaten. Diese Finanzmittel sollen an Strukturauflagen gebunden werden, die anders als sonst in Rettungsprogrammen des IWF nicht auf die Stabilisierung der Zahlungsbilanz ausgerichtet sein sollten, sondern auf nachhaltiges grünes Wachstum. Dafür sollen begünstigte Länder „nationale Anpassungs- und Erholungspläne“ unter Beteiligung von Zivilgesellschaft erarbeiten.
  • Schuldnerstaaten verpflichten sich über einen fünfjährigen Programmzeitraum, die Strukturauflagen umzusetzen, damit eingesetzte Mittel auch tatsächlich zu produktivem Wachstum führen.
  • Um zu vermeiden, dass die Gelder von IWF und co. lediglich den Schuldendienst an andere Gläubiger aufrechterhalten, sollen anfallende Tilgungszahlungen für die Dauer von 5 Jahren umgeschuldet werden. Zinszahlungen sollen zumindest teilweise geleistet werden. In einem ersten Entwurf war noch geplant, dass ausstehende Schulden zu einer Zinsrate umgeschuldet werden sollen, die nicht höher als die realistische Wachstumsrate der Länder ist. Im Vorschlag mit Stand Februar 2024 ist letzteres verwässert worden.

In einem früheren Entwurf des Vorschlags war noch geplant, dass am Ende des Verfahrens eine endgültige Überprüfung vorgenommen werden soll, ob die Verschuldungssituation tatsächlich tragbar ist. Wäre dem nicht so, dann hätten die Schulden auf ein nachhaltiges Niveau reduziert werden sollen. Dieser Schritt ist in der aktuellsten Version nicht mehr enthalten.

Alter Wein in neuen Schläuchen?

Die Gewährung von Zahlungsverlängerungen, wie es der Vorschlag aussieht, ist das Einzige, auf das sich Gläubiger aktuell in den laufenden Post-Covid-Umschuldungen innerhalb und außerhalb des G20 Common Frameworks bereits einigermaßen einlassen. Allerdings tun sie dies nicht in einer koordinierten und raschen Weise, so dass Schuldnerländer langwierigen Verhandlungen mit ungewissem Ausgang ausgesetzt sind. Hier versucht der Vorschlag anzusetzen und die Gewährung von Zahlungsverlängerungen für die betroffenen Ländern planbarer und schneller über die Bühne zu bekommen, da diese mehr oder weniger automatisch Teil des Programms wären. Wie genau jedoch sichergestellt werden kann, dass sich wirklich alle Gläubiger an der Aussetzung der Tilgungszahlungen beteiligen, wird nicht ausreichend klar. Die Autoren verweisen auf die negative Erfahrung mit der G20 Debt Service Suspension Initiative, der DSSI, bei der sich damals trotz Bitten der öffentlichen Gläubiger private Gläubiger mit fast keinem einzigen Schuldendollar beteiligt haben – sehr zum Leidwesen Chinas. Auch heute bleibt das Problem bestehen: Äthiopien erhielt etwa ein Schuldenmoratorium von seinen öffentlichen Gläubigern, seine Anleihehalter weigerten sich jedoch, ein Moratorium zuzugestehen. Eine zufriedenstellende Antwort darauf, wie in Zukunft die Beteiligung aller Gläubiger, inklusive privater Gläubiger, an einer 5-jährigen Zahlungsaussetzung durchgesetzt werden soll, gibt der Vorschlag nicht.

Wenn Schuldnerländer im G20 Common Framework umschulden, sind Zahlungsverlängerungen das einzige, worauf sich die öffentlichen Gläubiger bislang einigen (und über ihre Gleichbehandlungsklausel auch von anderen Gläubigern verlangen). Das, was im G20 Common Framework aktuell nicht funktioniert – wo also dringender Reformbedarf besteht – ist, Gläubiger zu umfassenden Schuldenstreichungen in den betroffenen Ländern zu bewegen. Hier leistet der Vorschlag keinen Beitrag dazu, wie im Kontext widerstreitender Gläubigerinteressen weitreichendere Schuldenrestrukturierungen durchgesetzt werden können, die über eine kurzfristige Zahlungsverlängerung hinausgehen.

Der Vorschlag sieht hauptsächlich vor, die Beteiligungsbereitschaft aller Gläubiger durch die Aussicht auf Wachstum und damit Rendite in den Schuldnerländern zu erhöhen. Zudem gehen die Autoren davon aus, dass die politische Unterstützung aller Schlüsselakteure (vom Schuldnerland bis hin zu allen relevanten internationalen Finanzinstitutionen und öffentlichen Gläubigern) die nötige Strahlkraft habe, um Beteiligung sicherzustellen. Exakt diese Annahme hatten auch die Architekten des G20 Common Framework im Jahr 2020: Sie gingen davon aus, dass die (umfangreiche) Einbindung des Privatsektors in Umschuldungen im Common Framework viel überzeugender eingefordert werden könnte, wenn alle (wesentlichen) öffentlichen Gläubiger/Akteure politisch hinter dem G20 Common Framework stehen. Die ersten Common Framework-Fälle zeigen, dass diese Annahme naiv war, auch wenn in Sambia der öffentliche Sektor tatsächlich eine Rolle dabei gespielt hat, dass private Gläubiger mehr Erlass zugestehen müssen, als sie zuerst bereit waren zu geben. Die Erfahrung zeigt, dass alleinig die reale Gefahr des Forderungsverlustes der zentrale Anreiz für unkooperative Gläubiger ist, sich (ausreichend) zu beteiligen. Ob ohne jegliche Sanktionsmechanismen eine wirklich vollumfängliche Umschuldung durchgesetzt werden kann, ist fraglich.

Gefahr, dass fehlende Handlungsbereitschaft der Gläubiger weiter gefestigt wird

Nun ist dies nur ein Vorschlag unter vielen. Doch anders als andere Vorschläge trifft dieser auf viel politisches Interesse. Dies liegt auch daran, dass der Vorschlag im Wesentlichen eine Bejahung des Status Quo ist. Er gibt Gläubigern die Möglichkeit, das Muster der Ablehnung von Schuldenstreichungen noch einmal akademisch zu legitimieren und stärker zu standardisieren. Es gibt ihnen die Möglichkeit, zu behaupten, dass sie die Lösung der Schuldenkrise angehen, obwohl sie sie in der Realität nur hinauszögern. Der Vorschlag gibt auch Schuldnerregierungen die Möglichkeit, einfach noch ein paar Jahre lang weiter so zu tun, als gäbe es keine Krise und den Moment der Wahrheit entsprechend hinauszuzögern oder ihren Nachfolgern zu überlassen, während sie in der Zwischenzeit noch mehr Kredite aufnehmen.

Schon immer sind Schuldenrestrukturierungen davon geprägt, dass Gläubiger lieber erstmal darauf hoffen, dass sich Wachstumschancen ergeben, die geringere Zugeständnisse nötig machen würden. Entsprechend war die Antwort auf Schuldenprobleme, ob in den 1990er Jahren oder in der Griechenlandkrise, immer erstmal die Ausweitung zum Beispiel multilateraler Kreditvergabe und Sparmaßnahmen bei gleichzeitig nur sehr zaghaften Umschuldungen. Damit wurden die ursprünglichen Kreditgeber ausgezahlt, während die Schuldenkrise aufrechterhalten wurde. Vergangene Phasen von Überschuldung haben auch gezeigt, dass zaghafte Umschuldungen in dem Bestreben, den Gläubigern so wenig wie möglich weh zu tun, am Ende zu höheren Kosten für alle Beteiligten geführt haben. Empirisch gesehen: Wenn man schon Schulden reduzieren muss, dann muss man es richtig machen. Anstatt den Status Quo und damit die fehlende Akzeptanz umfassender Schuldenstreichungen hinzunehmen, braucht es größere Anstrengungen, um das G20 Common Framework effektiver zu machen. Der Bridge-Vorschlag verringert leider den politischen Druck dafür.

Ukraine: Optionen für das Ende des Schuldenmoratoriums 2024

Im November 2023 hat die ukrainische Regierung ihren Haushalt für 2024 beschlossen. Ca. 40 Milliarden US-Dollar an externer Unterstützung werden benötigt, um Staatsfunktionen am Laufen zu halten. Die Finanzierung könnte auch durch die Wiederaufnahme des Schuldendienstes an private Vorkriegsanleger erschwert werden.

Wenn das Schuldenmoratorium 2024 endet

Kurz nach dem Angriff Russlands im Februar 2022 hatten neben öffentlichen bilateralen Gläubigern auch Halter von sogenannten Eurobonds in einem Gesamtvolumen von 20 Milliarden US-Dollar der Ukraine ein Schuldenmoratorium gewährt. Durch dieses Moratorium konnte die Ukraine für zwei Jahre seine Zahlungen an die Anleger aussetzen. Das Moratorium läuft im September 2024 aus. Damit stehen allein 2024 Schuldendienstzahlungen in Höhe von mindestens 4 Milliarden US-Dollar an; zwischen 2024 und 2027 werden knapp 15 Milliarden US-Dollar fällig. Anders als die öffentlichen bilateralen Gläubiger, die das erste Moratorium noch deutlich vor Ablauf bis 2027 verlängerten, blieben die privaten Anleger vorerst bei dem 2024-Datum. Laut Medienberichten will die ukrainische Regierung Anfang 2024 einen ersten Vorschlag für den weiteren Umgang mit den Vorkriegsanleihen vorlegen. Sie muss dies im Kontext eines laufenden IWF-Programms tun, welches sowohl an die Umschuldung mit Anlegern 2024 sowie an eine Umschuldung mit öffentlichen bilateralen Gläubigern spätestens bis 2027 gebunden ist. Öffentliche bilaterale Gläubiger wiederum erwarten, dass die Ukraine sicherstellt, dass der Privatsektor vergleichbare Zugeständnisse zu ihren eigenen (noch nicht verhandelten) Erleichterungen bereitstellt.

Erste Medienberichte zeigen, dass die Ukraine mit dem Gedanken spielt, schnellstmöglich an die internationalen Kapitalmärkte zurückzukehren, um frisches Geld zu mobilisieren. Sie tut dies auch vor dem Hintergrund möglicher politischer Veränderungen bei wichtigen Partnerländern und eines schwieriger werdenden Umfelds für finanzielle Unterstützung. In Gesprächen ukrainischer Zivilgesellschaft und ukrainischem Privatsektor zeigte sich zudem die Einstellung, dass man mit seinen Anlegern pfleglich umgehen müsse, sie nicht „zu unfreundlich“ behandeln dürfe, damit sie der Ukraine nicht den Rücken kehrten. Mit „unfreundlich“ ist gemeint, ihnen zuzumuten, Schuldenerleichterungen zu gewähren. Richtig ist, dass, angesichts marktbasierter Verfahren für Umschuldungen und damit auch fehlenden rechtlichen Schutzes für den Schuldner rasche Einigungen mit Privatgläubigern häufig dann zustande kommen, wenn die ausgehandelten Schuldenerleichterungen gering ausfallen. Je höher der notwendige Schuldenerlass bzw. je ambitionierter die Umschuldung, desto länger dauert die Aushandlung und desto höher das Risiko für Holdouts.Um die Angelegenheit also rasch über die Bühne zu bringen und in der Annahme, dem zukünftigen Marktzugang einen Schritt näher zu kommen, kann es sein, dass die Umschuldung 2024 entsprechend investorenfreundlich ausfällt.

Mangelnde Anreize für Zustimmung zu Umschuldung

Die Legacy Bondholders (also der Halter der Vorkriegsanleihen) haben erstmal Interesse daran, frühestmöglich im Krieg eine Einigung zu erzielen, bei der sie so viel wie möglich zurückerhalten. Das liegt auch daran, dass der Anteil von Forderungen, der aus einer zukünftigen Restrukturierung ausgenommen werden würde, immer höher wird. Darunter sind vor allem multilaterale Forderungen sowohl vor dem Krieg als auch aus Unterstützungsleistungen während des Krieges, die bei Schuldenrestrukturierungen grundsätzlich immer ausgenommen werden, sowie finanzielle Unterstützung von bilateralen Gebern während des Krieges . Halter von Vorkriegsanleihen müssen vor diesem Hintergrund damit rechnen, dass ihre Forderungen bevorzugt in eine Umschuldung einbezogen werden.

Die noch anhaltende Unterstützung von bilateraler und multilateraler Seite verbessert zudem die Rückzahlungsfähigkeit der Ukraine – auch wenn die Unterstützung eindeutig für Verteidigungs- und Wiederaufbauzwecke und nicht für die Rückzahlung von Altschulden bestimmt (und notwendig) ist. Auch wenn öffentliche bilaterale Gläubiger und der IWF kein Interesse daran haben, dass ihre Unterstützung an die Ukraine in den Schuldendienst an die Legacy Bondholders fließt, so werden sie die Ukraine auch nicht fallen lassen. Weder ist davon auszugehen, dass der IWF sein Finanzierungsprogramm aufkündigt, noch dass die G7-Staaten ihre Unterstützung auf der Basis eines nicht ausreichenden Einbezugs der Legacy Bondholders in eine Umschuldung aufkündigen. Damit haben Anleihehalter kaum einen Anreiz gibt, einer ambitionierten Restrukturierung zuzustimmen. Das zeigt sich auch daran, dass aufgrund des stetigen Zustroms von Hilfsgeldern, die die Devisenreserven der Ukraine aufstocken, die Anleihekurse seit Juni 2023 um mehr als 50 Prozent gestiegen sind, womit die ukrainischen Anleihen zu den besten Wertentwicklungen auf den globalen Märkten für festverzinsliche Wertpapiere gehören.

Selbst wenn die Legacy Bondholders theoretisch zu höheren Zugeständnissen bereit wären, fehlt Klarheit darüber, wie die Umschuldung aussehen müsste, um den Vorgaben der öffentlichen Gläubiger in Bezug auf die Comparability of Treatment zu entsprechen. Normalerweise gibt es zuerst eine Vereinbarung mit dem Pariser Club (im Fall der Ukraine mit der Group of Creditors of Ukraine), auf dessen Basis der Schuldner vergleichbare Zugeständnisse mit dem Privatsektor aushandeln muss. Im Fall der Ukraine ist es aber umgekehrt: Während die Aussetzung des Schuldendienstes an die Anleihehalter 2024 ausläuft, wird es eine Umschuldung mit der Group of Creditors erst gegen Ende des IWF-Programms, also einige Jahre später geben. Wenn nicht klar ist, wieviel andere Gläubiger bereit sind zuzugestehen, gibt es keinen Grund, selbst bereits umfassend in „Vorleistung“ zu treten. Hinzu kommt, dass in den Jahren zwischen 2024 und 2027 inmitten einer Kriegssituation viel passieren kann, was kaum in eine verlässliche Schuldentragfähigkeitsanalyse einrechenbar ist. Das reicht von der Frage, ob externe Unterstützungen – wie vom IWF in seinen Vorhersagen eingerechnet – überhaupt in ausreichendem Maße zustande kommen, bis hin zum kaum vorhersehbaren weiteren Kriegsverlauf. Damit kann es sein, dass für die Umschuldung der öffentlichen Gläubiger ganz andere Parameter gelten (müssen). Anleger haben vor allem Sorge, dass sie ein positiveres Szenario verpassen könnten, von dem die öffentlichen Gläubiger dann profitieren würden, sie aber höhere Verluste hinnehmen müssten. Schon in anderen Schuldnerländern, die sich nicht in einer Kriegssituation befinden, hatten Veränderungen im makroökonomischen Umfeld im Verlauf einer Umschuldung zu Verzögerungen und Gläubigerblockaden geführt.

Wie haltbar ist die Annahme des raschen Marktzugangs?

Sehr wahrscheinlich ist es nicht, dass der besonders vorsichtige Umgang mit den Anlegern und die Präsentation als verlässlicher, marktfreundlicher Schuldner den Marktzugang für die Ukraine noch während des Krieges wiederherstellen wird. Bereits vor dem Angriffskrieg hatten private Gläubiger begonnen, ihr Engagement in der Ukraine zurückzufahren. Auch müsste die Ukraine heute rund 15 Prozent auf neu ausgegebene Anleihen bezahlen. Schon andere Krisenländer haben zudem lernen müssen, dass Versprechen von Kapitalmarktgebern, dass, wenn Länder in der Krise sich nur wohlverhalten und ihnen, den Kapitalgebern, nicht zu viel zumuten würden, sie entsprechend mit Unterstützung rechnen könnten, nicht haltbar sind: So wurde dem hoch verschuldeten Griechenland 2011 auf Basis der sogenannten Vienna Initiative versprochen, dass deutsche Banken ihr Griechenland-Engagement nicht zurückfahren würden – unmittelbar danach wurde ihr Exposure auf rund die Hälfte reduziert. Staaten im Globalen Süden wurden davon abgehalten, ihre privaten Gläubiger in das Schuldenmoratorium DSSI der G20 einzubeziehen, um ihren wohlverdienten Marktzugang nicht zu verlieren – den sie nicht nur längst verloren hatten, sondern der in der Folge (wohlgemerkt aufgrund ihrer Schuldensituation, nicht aufgrund fehlenden Wohlverhaltens) auch nicht wieder kam.

Nun kann es bei dem besonders freundlichen Umgang mit Investoren 2024 auch darum gehen, mit einem Vertrauensvorschuss sicherzustellen, dass die Ukraine nach Kriegsende mit der Wiederherstellung eines günstigen Marktzugangs rechnen kann. Viel wahrscheinlicher ist jedoch, dass es potentielle Anleger nach dem Krieg nur wenig interessiert, ob Legacy Bondholders besonders mit Samthandschuhen angefasst wurden. Sondern dass für den Marktzugang a) ausreichend Renditechancen durch den Aufschwung im Rahmen des Wiederaufbaus ausschlaggebend sein werden, sowie dass b) die neuen Anleger nicht mit den Altgläubigern um knappe Devisen konkurrieren müssen, also damit rechnen müssen, dass der Wert ihrer Investition durch einen hohen Altschuldendienst geschmälert wird.

Was bedeutet dies für eine Umschuldungsstrategie?

Die Ukraine könnte auf eine Verlängerung des Schuldenmoratoriums der privaten Gläubiger bis 2027 und auf Verhandlungen mit beiden Gläubigergruppen zum gleichen Zeitpunkt drängen, auch um die Comparability of Treatment sicherzustellen. Allerdings zeigen Anleihehalter schon jetzt wenig Bereitschaft, in der Kriegssituation einer Umschuldung zuzustimmen, ohne öffentliche Garantien auf die umgeschuldeten Forderungen etwa von Seiten der G7-Partner zugesichert zu bekommen. Die ukrainische Regierung könnte stattdessen folgende strategische Optionen auf den Tisch legen:

  1. die Altschulden so weit in die Zukunft strecken, dass sie mit potenziellen neuen (Anleihe-)Gläubigern in der Nachkriegszeit nicht um den Schuldendienst konkurrieren können und somit den erhofften Marktzugang nach Kriegsende erleichtern,
  2. Angesichts der hohen Unsicherheiten, die mit der Kriegssituation einhergehen, ein Schuldenmoratorium auf sämtliche Forderungen bis zum Ende des Krieges und dann Umschuldung nach dem Krieg in einem umfassenden Verfahren.

Insbesondere b) wird auch von einigen Anlegern selbst ins Gespräch gebracht, um mit der besonderen Kriegssituation umzugehen (siehe hier).

Ukrainische Privatsektorexpert*innen befürchten jedoch, dass bei einer Verlängerung des Moratoriums die betroffenen Anleger ihre Forderungen an Geierfonds verkaufen könnten, die dann ggf. den Klageweg bestreiten. Es solle also besser direkt (und vorsichtig) umgeschuldet werden. Verklagt werden kann die Ukraine auch bei einer möglichen Umschuldung 2024, bei der einzelne Anleger – je nachdem wie ambitioniert die Umschuldung ist – sich nicht beteiligen wollen. In beiden Fällen könnten die USA und Großbritannien gesetzlich tätig werden, um die Ukraine und gutwillige Gläubiger vor Klagen von Geierfonds oder unkooperativen Gläubigern zu schützen.

Anleihehalter sollten ihr Risiko selbst tragen müssen

Während einige gutwillige Anleger weitreichende Vorschläge für den Umgang mit den Legacy Bonds vorlegen, sind andere Argumente weniger unterstützenswert. So gibt es etwa die Idee, dass die Mobilisierung eingefrorenen russischen Vermögens mit in die Schuldentragfähigkeitsanalyse einbezogen werden müsse, da dies die zukünftigen Finanzierungsaussichten der Ukraine verbessern (und die Verluste der Gläubiger verringern) würde. Das Argument wird auf der Basis hervorgebracht, dass der arme westliche Rentner, der in gutem Glauben in der Ukraine seine Rente angelegt hat, nicht für russische Verbrechen zur Kasse gebeten werden dürfe. Wenngleich die Möglichkeiten der G7-Staaten zur Mobilisierung russischer Oligarchengelder für die Finanzierung des Wiederaufbaus der Ukraine tatsächlich Teil einer wichtigen Debatte sind, muss diese von der Umschuldung der Vorkriegsschulden jedoch zwingend getrennt werden. Bei den Legacy Bonds handelt es sich um hochverzinsliche Anleihen. Ihre Halter haben sich bewusst für eine spekulative Anlage entschieden, deren Kupon für dieses Risiko entschädigt. Eine Umschuldung würde bedeuten, dieses Risiko nun auch – zurecht – tragen zu müssen. Nicht wegen der durch Russland angerichteten Zerstörungen müssen Legacy Bondholder umschulden, sondern aufgrund der finanziellen und makroökonomischen Lage des Landes, die durch den Krieg verursacht wurde.

Und abgesehen davon, dass aktuell nicht sicher gesagt werden kann, wieviel an eingefrorenem Vermögen überhaupt mobilisiert werden kann – und damit die Aufnahme in eine Schuldentragfähigkeitsanalyse genauso spekulativ wäre wie bei anderen Faktoren – sollten die Mittel für den Wiederaufbau des Landes genutzt werden, nicht für die Entschädigung von Vorkriegsforderungen. Sind die Anleger mit ihrem Argument erfolgreich, sind es vielmehr die ukrainischen Bürger*innen, die dafür zahlen müssen, dass Entschuldungsverfahren im Falle untragbarer Schuldensituationen das Recht des Stärkeren stärken.

Sri Lanka: Vorübergehende Aussetzung im Rechtsstreit mit der Hamilton Reserve Bank 

Am 1. November hat das zuständige New Yorker Gericht dem Antrag von Sri Lanka stattgegeben und eine Aussetzung des Gerichtsprozesses bis Ende Februar 2024 angeordnet. Das erleichtert aktuelle Restrukturierungsverhandlungen. Ausreichend Rechtssicherheit für Sri Lanka und andere Schuldnerstaaten wird dadurch jedoch nicht geschaffen. 

Vorgeschichte

Spätestens mit Ausbruch der Corona-Pandemie 2020 galt Sri Lanka unter Finanzfachleuten als sicherer Kandidat für die nächste Staatspleite. Zu diesem Zeitpunkt begann die Hamilton Reserve Bank, Anleihen von Sri Lanka für einen stark abgewerteten Preis auf den internationalen Kapitalmärkten aufzukaufen. Durch die Verteuerung der Energie- und Lebensmittelpreise infolge des Kriegs in der Ukraine verschärfte sich die finanzielle Situation Sri Lankas weiter. Im April 2022 musste das Land die Rückzahlungen an seine ausländischen Gläubiger einstellen und Schuldenrestrukturierungen einleiten. 

Die Hamilton Reserve Bank legte jedoch vor einem New Yorker Gericht Klage ein und forderte die vollständige und sofortige Rückzahlung aller Zins- und Tilgungszahlungen. An den Verhandlungen zwischen Sri Lanka und seinen Gläubigern wollte sich die Bank von Anfang an nicht beteiligen. Sri Lanka hatte zunächst im November 2022 auf Abweisung der Klage plädiert, da die Hamilton Reserve Bank die Forderungen nicht im eigenen Namen halte. Das Gericht befand jedoch, dass Hamilton klageberechtigt sei, da die Bank eine Klagevollmacht vom eingetragenen Halter der Anleihen erhalten hatte. Bereits in dieser Urteilssprechung wies das Gericht jedoch auf ernsthafte politische Bedenken hin, die sich daraus ergeben, wenn einzelne Gläubiger versuchen, Schuldenrestrukturierungen über den Klageweg zu unterlaufen. 

Frankreich, Großbritannien und die USA mischen sich ein 

Im Juli 2023 beantragte Sri Lanka schließlich die vorübergehende Aussetzung des Prozesses für sechs Monate. Die Bank hingegen beantragte ein Urteil im Schnellverfahren. Im September wandten sich Frankreich und Großbritannien in einer gemeinsamen Stellungnahme an das New Yorker Gericht, die USA legten im Oktober nach. Alle drei Staaten sprachen sich dafür aus, dem Antrag von Sri Lanka auf eine vorübergehende Aussetzung des Prozesses stattzugeben. Sie führten die Sorge an, dass ein Urteil zugunsten Hamiltons den Restrukturierungsprozess ernsthaft gefährden und andere private Gläubiger dazu verleiten könne, ebenfalls den Klageweg zu beschreiten („rush to the courthouse“). In der Stellungnahme der USA heißt es etwa: 

„Die Verweigerung eines Zahlungsaufschubs, gefolgt von einem Urteil gegen Sri Lanka, bevor die Restrukturierungsverhandlungen weiter vorankommen, könnte diese Verhandlungen erschweren und möglicherweise zu deren Scheitern führen. Ein solches Urteil könnte zudem andere private Gläubiger dazu ermutigen, sich wie die Hamilton Bank „vorzudrängeln“ (…). Dies könnte erhebliche Folgen haben, sowohl für die Bemühungen Sri Lankas um wirtschaftliche und humanitäre Verbesserungen in der derzeitigen Wirtschaftskrise als auch ganz allgemein für die Möglichkeit in künftigen Schuldenrestrukturierungen eine breite, einvernehmliche Beteiligung zu erreichen.“

Zudem führen die USA ihr geopolitisches Interesse im indopazifischen Raum an: 

„Die Vereinigten Staaten betrachten Sri Lanka als einen Partner im indopazifischen Raum (…). Der rechtzeitige Abschluss des IWF-Programms wird dazu beitragen, einen starken und dauerhaften wirtschaftlichen Aufschwung zu fördern und dadurch die Stabilität und Sicherheit des Landes zu erhöhen und die Indo-Pazifik-Strategie der US-Regierung voranzutreiben.“

Gericht stimmt Aussetzungsantrag zu 

Am 1. November hat das zuständige New Yorker Gericht dem Antrag von Sri Lanka nun stattgegeben und eine Aussetzung des Gerichtsprozesses bis Ende Februar 2024 angeordnet. Als Begründung führt das New Yorker Gericht folgende fünf Aspekte an: 

  1. Abwägung der Interessen des Klägers: Der Schaden durch eine vorübergehende Aussetzung des Gerichtsprozesses für Hamilton wird vom Gericht als zumutbar gewertet. Erstens handele es sich nicht um eine unbegrenzte Aussetzung, sondern lediglich um eine Aussetzung von 6 Monaten. Zweitens könne Sri Lanka nachträglich verpflichtet werden, Zinsen für den Zeitraum der Zahlungsaussetzung zu zahlen, sofern Hamilton in einem späteren Urteil mit seiner Klage Erfolg habe.
  2. Abwägung der Interessen des Angeklagten: Die zu erwartenden Kosten für Sri Lanka bei einem raschen Rechtsspruch für Hamilton seien hingegen erheblich. Das Gericht erwartet, dass ein Urteil zugunsten von Hamilton die komplexen Verhandlungen und damit die erfolgreiche wirtschaftliche Erholung Sri Lankas entscheidend gefährden würde. Diesbezüglich bezieht sich das Gericht auch auf die Stellungnahmen von Frankreich, Großbritannien und den USA.
  3. Abwägung der Interessen des Gerichts: Grundsätzlich liege es im wirtschaftlichen Interesse des Gerichts, schnell zu einem Urteil zu kommen. Im vorliegenden Fall werde dieses Interesse aber dadurch überschattet, dass das Gericht mit einem „Ansturm auf das Gericht“ rechnen müsse, wenn Hamilton mit seiner Klage erfolgreich sei, bevor die Restrukturierungsverhandlungen abgeschlossen seien.
  4. Abwägung der Interessen anderer Akteure, die mittelbar von dem Prozess betroffen sind: Das Gericht sieht vor allem die Interessen übriger bilateraler öffentlicher und privater Gläubiger beeinträchtigt, da ein frühes Urteil zugunsten Hamiltons den Restrukturierungsprozess entscheidend erschweren könne. 
  5. Abwägung des öffentlichen Interesses: Eine Aussetzung sei auch im öffentlichen Interesse der USA. Auch hier bezieht sich das Gericht in seiner Anordnung auf die eingereichte Interessensbekundung der USA. 

Ende gut, alles gut? 

Zunächst verhindert die Aussetzung des Prozesses, dass ein Urteil zugunsten der Hamilton Reserve Bank die aktuellen Restrukturierungsverhandlungen zusätzlich erschwert. Allerdings macht der Prozess auch deutlich, wie problematisch Klagen für den raschen Abschluss von Schuldenrestrukturierungen und die Wiederherstellung von Schuldentragfähigkeit sind. Sowohl die USA, Frankreich und Großbritannien als auch das New Yorker Gericht haben auf diese Gefahr in ihren Stellungsnahmen und Anordnungen wiederholt hingewiesen. Dass das New Yorker Gericht dem Antrag von Sri Lanka stattgegeben hat, dürfte auch dadurch beeinflusst worden sein, dass sich die drei westlichen Staaten in den Prozess eingemischt haben. Dies ist wiederum nicht zuletzt auf die eigenen (geopolitischen) Interessen dieser Staaten zurückzuführen. Mit Rechtssicherheit hat das wenig zu tun.  

Zudem wird in der aktuellen Anordnung des New Yorker Gerichts explizit die Möglichkeit genannt, dass Hamilton der Klageweg ab März 2024 wieder offenstehe und dann auch die Verzugszinsen für den Zeitraum der Zahlungsaussetzungen mit eingeklagt werden können. Einerseits ist noch nicht klar, ob Sri Lanka die Schuldenrestrukturierungen bis dahin tatsächlich finalisiert haben wird. Andererseits zeigt die Erfahrung aus vergangenen Klageprozessen, dass anhängige Klagen die wirtschaftliche Erholung des Schuldnerstaates auch nach Abschluss einer Vereinbarung mit dem Großteil seiner Gläubiger empfindlich erschweren können. So war es Schuldnerstaaten zum Beispiel in der Vergangenheit häufig nicht möglich, neue Anleihen zu platzieren, solange einzelne Klagen noch anhängig waren (siehe hier ab S. 6). Insgesamt wird deutlich, dass es dringenden Bedarf an Gesetzen gibt, die es privaten Gläubigern unmöglich machen, internationale Restrukturierungen auf dem Rechtsweg zu unterlaufen. Wie solch ein Gesetz beispielsweise in Deutschland aussehen könnte, haben wir hier und hier erklärt. 

Quellen

  • Denise Cote (01.11.2023): „Opinion and Order“, Dokument 77 im Fall 1:22-cv-05199-DLC (Hamilton Reserve Bank Ltd. v. The Democratic Socialist Republic of Sri Lanka).
  • Philippe Guyonnet-Duperat (31.08.2023): „Brief for France and the United Kingdom as members of the Paris Club as Amicus Curiae in support of the Republic of Sri Lanka’s petition for a motion to stay proceedings“, Dokument 69-1 im Fall 1:22-cv-05199-DLC.
  • Damian Williams (02.10.2023): „Statement of Interest of the United States of America“, Dokument 73 im Fall 1:22-cv-05199-DLC.

Alle Gerichtsdokumente sind nach Anmeldung hier einsehbar: https://pacer.uscourts.gov

Weitere Informationen

Zum Fortschrittsbericht des G20/IWF Global Sovereign Debt Roundtable

Seit einem Dreivierteljahr gibt es den sogenannten Global Sovereign Debt Roundtable (GSDR), dessen Vorsitz IWF, Weltbank und G20 halten. Mitglieder sind Gläubigerländer und ihre -institutionen, einige wenige Schuldnerländer sowie Privatsektorvertreter*innen. Geschaffen wurde der Roundtable von IWF und Co. insbesondere deshalb, weil es innerhalb der G20, auch aufgrund geopolitischer Spannungen um die russische Invasion in die Ukraine, kaum noch Fortschritte in der Verbesserung des G20 Common Framework gab. 2022 wurden geopolitische Spannungen zwischen China und dem Westen auch stellvertretend über das Schuldenthema ausgetragen. Aufgrund dieser Spannungen, gleichzeitig aber zunehmender Dringlichkeit in der rascheren Lösung von Schuldenkrisen, sollte das Format des GSDR insbesondere für China einen als neutraler verstandenen Raum bieten, um dringliche Fragen in laufenden oder kommenden Umschuldungen zu klären. Viel Transparenz für die Öffentlichkeit gab es bislang zum Prozess nicht, obwohl der IWF regelmäßig mit zivilgesellschaftlichen Organisationen den Austausch suchte, über den Prozess (dosiert) informierte und bei einem Workshop ausgewählte zivilgesellschaftliche Organisationen auch teilnehmen durften. Zu Beginn des Prozesses forderten zivilgesellschaftliche Organisationen daher mehr Transparenz und u. a. auch die Veröffentlichung eines Berichts mit den Ergebnissen des Prozesses.

Fortschritte und Stillstände

Zur IWF- und Weltbanktagung im Oktober hat der IWF nun genau das getan und einen Fortschrittsbericht veröffentlicht. Dort werden Fortschritte in einzelnen Länderfällen sowie Themen, zu denen der GSDR diskutiert hat, vorgestellt. Auch zukünftige Themen werden genannt.

Folgende zentrale „Fortschritte“ (oder Stillstände) wurden im Bericht aufgezeigt:

Der Einsatz von sogenannten State Contingent Debt Instruments (SCDI) würde als Möglichkeit in Umschuldungen, die mit besonders hoher Unsicherheit behaftet sind, dazu beitragen, „Schuldner-Gläubiger-Differenzen“ rascher beizulegen, „sollten aber nicht zur Norm werden“.

SCDI sind Schuldtitel, die die Schuldendienstzahlungen eines Staates an seine Zahlungsfähigkeit knüpfen. Wenn also beispielsweise ein wirtschaftlicher Abschwung eintritt, wäre die Idee, dass die Schuldendienstbelastung auch entsprechend sinkt, um zu verhindern, dass das Land in eine Schuldenkrise gerät. Umgekehrt könnte das Land wieder mehr zahlen, wenn seine wirtschaftliche Lage sich verbessert. So zumindest der ursprüngliche Gedanke hinter diesen Instrumenten.

Was wir jedoch in den aktuellen Länderfällen beobachten, ist nur ein Teil davon, bzw. das Gegenteil vom ursprünglichen Gedanken: Wir sehen nämlich, dass Schuldnerländer ihren Gläubigern ein saftiges Schmankerl anbieten müssen, damit sie diese überhaupt dazu bekommen, einer Schuldenrestrukturierung zuzustimmen. Und dieses Schmankerl besteht für die Gläubiger darin, von einem zukünftigen Aufschwung zu profitieren und dadurch (noch) weniger Erlass geben zu müssen. Was mit dem Land während eines Abschwungs passiert, spielt keine Rolle – Abwärtsrisiken werden also nicht abgesichert. In Surinam haben sich private Gläubiger etwa durch die Umschuldung Zugang zu Öleinnahmen gesichert, obwohl sie ihre ehemalige Kreditvergabe auf Annahmen ohne Öleinnahmen getätigt hatten. Der IWF schreibt daher, diese Instrumente sollten nur in Ausnahmefällen zum Einsatz kommen. Bislang werden sie jedoch eher zur Norm, kamen sie doch in jedem einzelnen Fall zum Einsatz, um insbesondere private Gläubiger von einem eh schon geringen Erlass zu überzeugen.

Was der IWF zudem genau mit „besonders hoher Unsicherheit“ meint, ist unklar – in die Zukunft sehen kann niemand, egal ob das Land Sambia oder Ukraine heißt. Unsicher bleiben die zukünftigen Zahlungsaussichten also immer. Also gibt es auch immer wieder einen Anreiz, dieses Instrument einzufordern.

Was der IWF gedenkt zu tun, damit solche Instrumente zum einen im Sinne des Erfinders, zum anderen wirklich nur in Ausnahmefällen eingesetzt werden, wird nicht deutlich.

Es sollte genau abgewogen werden, ob eine Umschuldung von Inlandsforderungen zur notwendigen Bedingung gemacht wird.

Begrüßenswert ist, dass zur genauen Abwägung der gesellschaftlichen, politischen und finanziellen Folgen einer Inlandsumschuldung aufgerufen wird. Hier hatte sich der IWF u. a. in Sri Lanka die Finger verbrannt, wo vor allem auf Druck privater Gläubiger eine Inlandsumschuldung nachträglich im IWF-Programm zur Bedingung gemacht wurde, die vor allem die Ersparnisse der Arbeiter*innen hart trifft.

Was allerdings nicht angesprochen wird, aber ein zentrales Problem darstellt: In Mitteleinkommensländern wie Sri Lanka oder Surinam wendet der IWF – anders als für Niedrigeinkommensländer – ein Modell der Schuldentragfähigkeitsanalyse an, welches Auslands- und Inlandsschulden nicht getrennt voneinander betrachtet. Die Parameter, die der IWF zugrunde legt, beziehen sich allein auf die öffentliche Verschuldung und damit die Auslands- und Inlandsverschuldung der öffentlichen Hand. Sollte ein Land vor allem ein Auslandsschuldenproblem haben, wird dies durch die Parameter des IWF nicht genügend abgebildet. Vielmehr schafft der IWF durch das Zugrundelegen allein der öffentlichen Verschuldung einen Anreiz, Inlandsschulden einzubeziehen, auch wenn es eigentlich gar nicht nötig wäre. Dass das Analysewerk des IWF damit ungeeignet ist, die Wiederherstellung von Schuldentragfähigkeit in Ländern mit (meist niedrigem) mittlerem Einkommen, die ein Auslandsschuldenproblem haben, anzuleiten, wird zwar in Expert*innenkreisen diskutiert. Doch die Erfahrung in Sri Lanka hat der IWF noch nicht zum Anlass genommen, einen Vorstoß für eine Reform vorzulegen.

Vergleichbare Zugeständnisse zwischen öffentlichen und privaten Gläubigern sicherstellen

Das wichtigste – und kontroverseste – Thema des letzten Jahres war die Frage, wie eigentlich ein vergleichbarer Beitrag zur Umschuldung der verschiedenen Gläubiger aussehen und vor allem sichergestellt werden kann. Viel ging es um die Frage, wie die Vergleichbarkeit von Zugeständnissen konkret berechnet werden könnte (lange Zeit vor allem für die Bundesregierung die einzig nötige Diskussion). Doch erfrischend ist auch der explizite Bezug dazu, dass öffentliche Gläubiger auf verschiedenen Wegen versucht haben, gleichwertige Beteiligung von (privaten) Gläubigern zu erzwingen. Darunter fällt etwa die Aufforderung, gegenüber privaten Gläubigern im Verzug zu bleiben, bis eine Vereinbarung gefunden wurde, die die Anforderung an ein vergleichbares Zugeständnis erfüllt. Auch wenn das ein richtiger Schritt hin zur Anerkennung der Notwendigkeit von „Zwangsmitteln“ im Falle fehlender Kooperation ist, so bleiben öffentliche Gläubiger weiterhin die Antwort, wie sie weitere Anreize schaffen wollen, um den vergleichbaren Einbezug zu ermöglichen und nicht allein auf das Schuldnerland abzuwälzen, schuldig. Leider wird im Bericht auch nicht transparent gemacht, ob es zu der Notwendigkeit der Erzwingung von Gläubigerbeteiligung Uneinigkeit gab und wer genau diesen Ansatz proaktiver verfolgt. Noch im Februar hatte die Bundesregierung als Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken gesagt, sie sehe keinerlei Handlungsnotwendigkeit. Der Abschnitt endet allerdings mit der Aussage, dass „öffentliche bilaterale Gläubiger die Absicht zu haben [scheinen], den oben dargestellten Ansatz in künftigen Fällen beizubehalten.“

Wie geht es weiter?

Zukünftige Themen sollen sich um weitere technische Fragen – etwa den Einbezug von Verbindlichkeiten von Staatsunternehmen oder den Umgang mit Ratingagenturen – drehen, aber auch darum, wie besonders klimaverwundbare kritisch verschuldete Länder unterstützt werden können. Letzteres ist ein mehr oder weniger alter Hut – so gab es schon 2015 konkrete Vorschläge aus der Karibik zu dieser Frage. Interessant wird bei dieser Frage werden, ob die Vulnerable20, eine Gruppe von mehr als 60 klimaverwundbaren Staaten im Globalen Süden, sich durchsetzen und als koordinierte Gruppe Positionen in den GSDR einbringen „dürfen“.  

Globale Entschuldungsbewegung neu justiert in Bogotá

Am heutigen Freitag ist ein Strategietreffen der globalen Entschuldungsbewegung in Bogotá, Kolumbien, zu Ende gegangen. Es war das erste globale Präsenztreffen seit 2016 in Nairobi und das erste Treffen überhaupt, welches im Verbund aller kontinentalen Entschuldungsnetzwerke in Asien, Amerika (USA und Lateinamerika/Karibik), Europa und Afrika organisiert wurde. Es war zudem das erste Treffen nach Ausbruch der COVID-Pandemie, die das Schuldenthema hoch auf die politische Agenda katapultiert hatte. Dadurch hatten vor allem im Globalen Süden viele alte und neue Gruppen angefangen, zum Schuldenthema zu arbeiten, u. a. auch aufgrund eines höheren Interesses in der Geberlandschaft, Zivilgesellschaft zum Thema zu finanzieren.

Ca. 70 Teilnehmer*innen aus aller Welt in Bogotá 

Drei Jahre Zoom hatten ihre Spuren hinterlassen, bei einer immer höheren Anzahl an Gruppen und Teilnehmer*innen an Debt Coordination Calls und gleichzeitig einer immer rasanter werdenden Dynamik im Thema durch neue Entschuldungsinitiativen, immer mehr zahlungsunfähigen Staaten, neuen Schuldeninstrumenten, sich vervielfachenden globalen Gipfeln usw. Zeit und Luft für tiefergehende Strategieberatung und die gemeinsame Einordnung der vielen Themen fehlte, das Vertrauen zueinander war nur oberflächlich ausgeprägt, eine gemeinsame Idee dazu, welche Gegenantwort wir etwa zum G20 Common Framework geben wollen, gab es in dieser Zeit nicht.

Das Treffen in Bogotá wurde entsprechend gestaltet: kein Zoom, Teilnehmer*innen-Zahl begrenzt. Maximal 15 Gruppen aus jeder Region im Globalen Süden, aus dem Globalen Norden insgesamt nur 15 Gruppen. Etwa 70 Teilnehmer*innen kamen so zusammen. Ein schwerer Wermutstropfen: Einige afrikanische und südasiatische Partner*innen erhielten leider kein Visum und berichteten von Zuständen, wie man sie auch in deutschen Botschaften in afrikanischen Ländern allzu häufig erlebt.

Erreicht werden sollten Antworten auf die folgenden Fragen:

  • Was sind die wichtigsten Argumente für uns, um Schulden auf die regionale und globale Agenda zu setzen? Welche Schwerpunkte setzen wir in welchen Regionen?
  • Was verstehen wir unter einem Staateninsolvenzverfahren, wie und wo bringen wir dies voran?
  • Was sind die wichtigsten Forderungen außerhalb eines Staateninsolvenzverfahrens und wie bringen wir diese voran?

Viele Themen wurden im Akkord durchgekaut: vom Umgang mit Inlandsschulden über Schuldenumwandlungen als neue silver bullet auf der politischen Agenda, bessere Schuldentragfähigkeitsanalysen, Regulierung von Kreditratingagenturen, Klimaschulden und -investitionen, Umgang mit dem Common Framework und China als Gläubiger bis hin zu nationaler Gesetzgebung in Schuldner- und Gläubigerländern usw. So wie Akteure aus dem Globalen Süden seit einiger Zeit versuchen, politisch und rhetorisch selbstbewusster gegenüber einer westlich dominierten Finanzordnung aufzutreten, so kam in Bogotá in den verschiedensten Beiträgen die Idee eines Schuldnerclubs auf, als Möglichkeit ein Gegengewicht zur Übermacht westlich dominierter Narrative und Verhandlungsmacht zu setzen. Auch im abschließenden Austausch mit der kolumbianischen Regierung, die ihre Agenda im Bereich Schulden und Naturschutz vorstellte, tauchte diese Idee immer wieder auf: Schuldnerländer könnten nur dann Championrollen in der globalen Finanzarchitektur sowie im Umgang mit konkreten Umschuldungen einnehmen, wenn sie dies im Verbund tun, um möglichen „Strafen“ zu entgehen. Allerdings blieb die Frage offen, wie so ein Club bzw. bessere Schuldnerkoordination ganz konkret aussehen sollte.

Netzwerke aus Afrika, Lateinamerika und Asien im Verbund

Auf der Agenda des Plenums stand auch die Frage, wie ein Staateninsolvenzverfahren bei den Vereinten Nationen im Kontext geopolitisch zugespitzter Konflikte vorangetrieben werden könne. Anders als noch vor 10 bis 15 Jahren konnten viele vor allem lokale Gruppen mit der Agenda um ein Staateninsolvenzverfahren in der UN nicht (mehr) viel anfangen. Einigkeit herrschte jedoch, dass es fairere, rechtsstaatliche Regeln beim Umgang mit Schuldenkrisen inkl. einem geringeren Einfluss der Gläubiger geben müsse, sowie mehr Teilhabe der Staaten im Globalen Süden. Ein Staateninsolvenzverfahren wurde damit Teil einer umfangreichen Liste an Forderungen und Strategien, unter denen sich die globale Entschuldungsbewegung mit ihren vielen verschiedenen Initiativen und Kampagnen gemeinsam wieder finden kann. Auch wurde eine politische Deklaration verabschiedet, die diese Forderungen in einen gemeinsamen Rahmen bringt. So geht es gut gerüstet weiter bis zum nächsten Treffen auf globaler Ebene – dann vermutlich 2030.

 

Deutsche Chinabanken?

Wendet Deutschland eine ähnliche Taktik wie China an, um zu verhindern, dass Forderungen staatlicher Banken Teil von Erlassinitiativen sind? Eine neue Studie legt dies nahe.

Seit drei Jahren veröffentlicht die Weltbank Informationen zu den Forderungen einzelner Gläubigerstaaten. Dabei sind die von der Weltbank berichteten öffentlichen deutschen Forderungen Jahr für Jahr höher als die Forderungen, über die das deutsche Bundesfinanzministerium (BMF) selbst berichtet. Dieses Jahr berichtet die Weltbank über öffentliche deutsche Forderungen in Höhe von rund 30 Milliarden US-Dollar; das BMF weist lediglich umgerechnet 13 Milliarden US-Dollar aus. Für Ägypten und Indonesien übersteigen die Angaben der Weltbank die Angaben des BMF jeweils um mehr als 3 Milliarden US-Dollar. In Indien sind es über 2 Milliarden und in Kolumbien und Marokko mehr als 1 Milliarde US-Dollar. In einzelnen Fällen sind jedoch auch die Angaben des BMF höher als die Angaben der Weltbank. Das ist beispielsweise in Argentinien und China der Fall. Wie sich die Differenzen für die einzelnen Staaten zusammensetzen, findet die Informationen hier [Excel].

Die Weltbank berichtet auf Grundlage der Daten, die Schuldnerländer an sie übergeben. Schuldnerländer berichten also in toto über deutlich mehr ausstehende Schulden gegenüber Deutschland, als die Bundesregierung selbst in ihren Büchern stehen hat. Für zivilgesellschaftliche Akteure wie erlassjahr.de ist es unmöglich, im Einzelfall nachzuvollziehen, auf wessen Seite der Fehler liegt. Zum Teil dürften die Differenzen aber daran liegen, dass Deutschland die Forderungen von Finanzinstitutionen wie etwa der KfW-IPEX-Bank, nicht als öffentliche deutsche Forderungen einstuft. Die IPEX ist zu 100 Prozent im Staatsbesitz, führt aber kommerzielle Kreditgeschäfte durch.

Staatseigene Banken als „privat“ zu klassifizieren, wird sonst eigentlich nur China vorgeworfen. Spätestens seit Ausbruch der Corona-Pandemie und den in Reaktion darauf beschlossenen Maßnahmen der G20-Staaten ist ein heftiger Streit darüber entbrannt, welche chinesischen Finanzinstitutionen als öffentlich und welche als privat einzustufen werden. Mit der sogenannten Debt Service Suspension Initiative (DSSI) hatten die G20-Staaten einkommensschwachen Staaten in den Corona-Krisenjahren 2020 und 2021 angeboten, ihre Schuldenzahlungen vorübergehend auszusetzen. Dieses Moratorium galt allerdings zunächst nur für Schulden bei öffentlichen Gläubigerstaaten. China argumentierte, dass die Forderungen einer der finanzstärksten chinesischen Institutionen, der China Development Bank (CDB), nicht als öffentliche Forderungen einzustufen seien. Die Bank befindet sich zwar im Staatseigentum, tätigt aber nach Angaben Chinas kommerzielle Geschäfte. Mit dieser Logik begründete die chinesische Führung, dass sich die CDB nicht an dem Moratorium beteiligte. Westliche Staaten – darunter die deutsche Bundesregierung – warfen China dieses Vorgehen wiederholt vor.

Nun zeigt ein Bericht der Politikwissenschaftlerin und China-Expertin Deborah Bräutigam, dass sich die deutsche IPEX-Bank offenbar ebenfalls nicht an dem Moratorium beteiligte. Nach Angaben von Bräutigam begründete die Bank ihren Ausschluss damit, dass sich das Moratorium nur auf öffentliche Forderungen beziehe und die IPEX-Bank als kommerzielle Bank daher nicht davon „betroffen sei“.

Dies ist aus mindestens zwei Gründen skandalös:

  1. Die Appelle der deutschen Bundesregierung in Richtung China büßen dadurch an Glaubhaftigkeit ein. Die Regierung handelt sich zurecht den Vorwurf des Doppelstandards ein. Dass dies auch von chinesischer Seite nicht unbemerkt bleibt, zeigt ein Bericht der chinesischen Zentralbank, die den IPEX-Fall als Rechtfertigung für das eigene Vorgehen anführt.
  2. Die Bundesregierung hat den Einbezug des Privatsektors sowohl in die DSSI als auch grundsätzlich in Schuldenrestrukturierungen als ein zentrales Ziel angegeben. Sie hat private Gläubiger daher wiederholt öffentlich aufgefordert, sich freiwillig an dem Moratorium zu beteiligen. Offenbar hat sie die Beteiligung aber noch nicht einmal bei der staatseigenen Bank durchgesetzt.

Bei künftigen Umschuldungen muss die Bundesregierung die Beteiligung der IPEX-Bank sicherstellen. Wir werden ein Auge darauf haben. Zudem sollte sich die Bundesregierung dafür einsetzen, die Differenzen zwischen der eigenen Berichterstattung und den Angaben der Weltbank aufzuklären. Schließlich ist eine verlässliche Datengrundlage die Voraussetzung für ein faires und transparentes internationales Schuldenmanagement. Die Bundesregierung betont dies selbst wiederholt mit Blick auf Transparenzprobleme in Ländern des Globalen Südens. Zunächst sollte sie jedoch vor der eigenen Haustür kehren.

Ecuador – Credit Suisse: Ein Debt for Nature Swap ist etwas anderes

Große Medienaufmerksamkeit fand Anfang Mai der Ankauf ecuadorianischer Schulden in Höhe von 1,63 Milliarden US-Dollar auf dem Sekundärmarkt durch die Schweizer Großbank Credit Suisse (CS). Die zwischen 2030 und 2040 fällig werdenden Staatsanleihen Ecuadors wurden wegen der kritischen Wirtschaftslage des Landes zwischen 35,5 und 53,25 Prozent ihres Nennwerts gehandelt. Entsprechend konnte die Credit Suisse die 1,63 Milliarden für letztlich nur 656 Millionen US-Dollar kaufen. Zur Finanzierung der Operation hat die CS einen Blue Bond auf den Markt geworfen, den es durch den laufenden Schuldendienst Ecuadors auf die verbliebenen Forderungen in gleicher Höhe finanziert.

Zusätzlich verpflichtete sich Ecuador, jährlich 18 Millionen US-Dollar für den Schutz des sensiblen Galapagos-Archipels bereitzustellen. Diese zusätzliche Verpflichtung war ein wichtiges Verkaufsargument, welches es der CS gestattet hat, ihren Blue Bond an naturschutzinteressierte Anleger zu verkaufen.

Das ganze Paket wurde in den Medien als Debt for Nature Swap präsentiert – obwohl es das eigentlich nicht ist. Denn ein Debt for Nature Swap – oder generell jeder Tausch von Schulden in die Bereitstellung von Mitteln für Entwicklungsvorhaben im weiteren Sinne im Schuldnerland – beinhaltet eigentlich den Verzicht eines Gläubigers im Gegenzug für die vereinbarten entwicklungsfördernden Maßnahmen. So setzt beispielsweise die Bundesregierung, ebenso wie die Regierungen Italiens und Spaniens, das Instrument der Schuldenkonversion ein, und so haben auch die großen Schuldenumwandlungsprogramme der Vergangenheit funktioniert.

Im vorliegenden Fall und einigen anderen jüngeren Fällen ist das anders: Die ursprünglichen Gläubiger erhalten das, was ihre Forderungen tagesaktuell wert sind, verzichten freiwillig mithin auf nichts. Ein Investor (hier die CS) wird Inhaber eines – überdies wegen einer Kreditgarantie der (öffentlichen) Interamerikanischen Entwicklungsbank ausgesprochenen Garantie komplett risikolosen – Forderung an Ecuador. Und nur die Einsparungen infolge des gefallenen Sekundärmarktwerts – die Ecuador, wenn es die Mittel dazu gehabt hätte, auch ohne die CS ganz alleine hätte realisieren können – bieten den Spielraum für die erwünschten Investitionen in den Naturschutz.

Dass das attraktive Etikett Debt-for-Nature sich in dieser Weise von privaten Investoren aneignen lässt, hat auch mit den veränderten Gläubigerprofilen kritisch verschuldeter Länder zu tun: Ein wachsender Anteil gerade in Mitteleinkommensländern wie Ecuador entfällt nicht auf öffentliche, sondern auf private Anleihegläubiger. Anders als manche philanthropische Privatgläubiger in den früheren Phasen der globalen Schuldenkrise, sind heutige Anleger zu Forderungsverzichten jenseits dessen, was ihnen durch den gefallenen Marktpreis ohnehin schon verloren gegangen ist, nicht bereit. Das oben beschriebene Modell bietet nun die Möglichkeit, aus einer oder aus einer aus mehreren miteinander verknüpften kommerziellen Teilgeschäften verbundenen Operation ein menschenfreundliches Bild zu zeichnen und es mit dem traditionellen Etikett Debt for Nature Swap zu versehen.

Würde es den Investoren tatsächlich um massive Investitionen in den Naturschutz und nicht um eine lukrative Anlage plus ein bisschen Naturschutz nebenher gehen, könnten sie auch – so wie einige öffentliche Gläubiger das tun – auf eigene Forderungen gänzlich verzichten, und im Gegenzug eine Kooperation mit Partnern aus dem zivilgesellschaftlichen Bereich, Internationalen Finanzinstitutionen und relevanten Geberregierungen des betreffenden Landes zu echten Sponsoren für den Naturschutz werden.

Profitabel im engeren Sinne wäre das indes nicht. Sozial und ökologisch profitabel durchaus.

Kein Staateninsolvenzverfahren ist auch keine Lösung

In ihrem Koalitionsvertrag hat sich die Bundesregierung darauf geeinigt, sich international für die Schaffung eines Staateninsolvenzverfahrens einzusetzen. Nun zeigt die Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke: Weitreichende Schritte sind insbesondere aus dem Finanzministerium aktuell (noch) nicht zu erwarten. Das ist enttäuschend! Doch halten die Argumente einer genauen Betrachtung stand? 

Der Vorschlag eines kodifizierten Staateninsolvenzverfahrens auf internationaler Ebene erscheint der Bundesregierung – auch angesichts der veränderten Gläubigerstruktur – derzeit nicht zeitnah realisierbar, heißt es von Seite des Finanzministeriums. Dass es sich bei der Schaffung eines Staateninsolvenzverfahrens um ein dickes Brett handelt, wissen wir nur allzu gut. Auch den aktuell amtierenden Parteien dürfte das bereits vor Regierungsantritt bewusst gewesen sein. Trotzdem haben sie sich im Koalitionsvertrag darauf verständigt, „eine Initiative für ein kodifiziertes Staateninsolvenzverfahren“ zu unterstützen. Dieses selbstgesteckte Ziel nach nicht einmal einem Jahr Amtszeit über Bord zu werfen, darf nicht durch die Komplexität der Sache begründet werden und sollte von den Regierungsfraktionen so nicht akzeptiert werden. 

Fehlende internationale Dynamik?

Als deutsche Bundesregierung, die in internationalen Foren und Verhandlungen ein ernstzunehmendes Gewicht aufweist, auf eine fehlende internationale Dynamik zu verweisen, ist nicht vertretbar. Dies gilt insbesondere, da sich abzeichnet, dass es 2025 und damit im letzten Legislatur-Jahr der amtierenden Bundesregierung vorrausichtlich eine vierte internationale Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung geben wird (Financing for Development, FfD). Dies ist exakt der Ort, an dem weitreichendere Reformen beschlossen werden könnten, etwa ein Staateninsolvenzverfahren unter dem Dach der Vereinten Nationen. Ambitionierte Entscheidungsträger*innen würden daher nicht auf fehlende internationale Dynamik verweisen, sondern darauf hinwirken, dass die Durchführung der FfD-Konferenz bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen diesen Herbst beschlossen und das Schuldenthema prominent auf die Tagesordnung gesetzt wird. Wie viele andere G7-Staaten scheint jedoch auch die Bundesregierung eben aktuell doch (noch) nicht bereit, solche Reformen anzustoßen, die ihre eigene Macht und Einflussmöglichkeiten schmälern könnten. 

Festhalten an Macht und Einflussnahme!

Im Klartext heißt das, dass die Bundesregierung – wie auch in der Antwort angedeutet wird – weiterhin ein Interesse daran hat, Fragen der internationalen Schuldenpolitik allein innerhalb exklusiver Zusammenschlüsse wie der G7 und der G20 sowie innerhalb des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank zu entscheiden, in denen die G7-Staaten über 40 Prozent der Stimmrechte halten. Eine Verlagerung der Kompetenzen auf UN-Institutionen, die auch das eigene Mitspracherecht in zukünftigen Verhandlungen zugunsten eines wirklich gleichberechtigten multilateralen Prozesses schmälern würde, wird von der Bundesregierung aktuell offenbar noch nicht als ernsthafte Option bedacht, um dem selbstgesteckten Ziel im Koalitionsvertrag nahezukommen. Dies wird auch aus der ausweichenden Antwort auf einen Unterpunkt in der Anfrage ersichtlich, in dem die Fraktion Die Linke danach fragt, wie die Bundesregierung die Kolonialschuld Deutschlands bei der Befassung mit der Überschuldungsproblematik berücksichtigt und inwiefern die von der Bundesregierung ergriffenen Maßnahmen darauf abzielen, die asymmetrische Verhandlungsposition zwischen Gläubigern und Schuldnerstaaten im Sinne letzterer zu reformieren. 

Kleinschrittige Reformen und Reförmchen

Insbesondere aufgrund der Schwierigkeit, völkerrechtlich bindende Abkommen zu verabschieden, ist es jedoch auch wichtig, auf niedrigerer Ebene nach Ansatzpunkten zu suchen, die Schuldenrestrukturierungen effizienter und vor allem im Sinne der Bevölkerung des Schuldnerlandes fairer gestalten können. Einige solcher Ansatzpunkte haben wir beispielsweise hier zusammengefasst. Werfen wir daher einen Blick darauf, welche kleinschrittigeren Reformen die Bundesregierung gedenkt anzugehen – und welche nicht: 

  1. Die Bundesregierung betont, dass sie bei kritisch verschuldeten Staaten dafür wirbt, einen Antrag auf Umschuldungsverhandlungen im Rahmen des Common Frameworks zu stellen. Besser als nur zu werben, wäre es aber, das Rahmenwerk attraktiver zu gestalten – Schuldnerländer haben schließlich guten Grund dazu, sich vom Rahmenwerk nicht allzu viel zu versprechen. Bisher haben nur vier Staaten einen Antrag gestellt und die Verhandlungen gehen nur schleppend voran. Echte Erlasse wurden bisher in keinem einzigen Fall zugestanden.
  2. Die Bundesregierung betont, dass alle G20-Staaten grundsätzlich offen dafür seien, Schuldnerländern während der Verhandlungen eine vorübergehende Aussetzung des Schuldendienstes zu gewähren. Das Schuldnerland müsse dies aber beantragen und das sei bisher in keinem Fall geschehen. Na, dann kann man da wohl wirklich nichts machen, oder? Wer genau hinschaut ist schlauer: So betont die Bundesregierung, dass Schuldnerländer einen Antrag auf Zahlungsaussetzung stellen dürfen, diesem im Einzelfall aber von den G20-Staaten im Konsens zugestimmt werden muss. Anders formuliert: Automatisch wollen sie Schuldnerstaaten ein Moratorium nicht gewähren. Wenn ein Moratorium im Einzelfall jedoch nur dann gewährt wird, wenn alle zustimmen, ist damit nichts gewonnen. Schließlich ist es eine Banalität, dass jeder das Recht hat, alles Mögliche zu beantragen, und dass ein Antrag Erfolg hat, wenn ihm zugestimmt wird. Wie wahrscheinlich eine solche konsensuale Zustimmung ist, bleibt für Schuldnerstaaten indes ungewiss. Zudem schweigt die Bundesregierung dazu, ob sie Schuldnerstaaten auch im Falle einer vorübergehenden Zahlungseinstellung gegenüber privaten Gläubigern unterstützen würde. Das es genau darauf ankommt, haben wir hier erklärt. 
  3. Die Bundesregierung setzt sich nach eigenen Angaben dafür ein, sich innerhalb der G20 auf Leitlinien für den Ablauf von Umschuldungsverhandlungen zu verständigen und in diesem Sinne auch klare Fristen zu vereinbaren, in welchem Zeitraum sich ein Gläubigerkomitee gebildet und Finanzierungszusagen getätigt werden sollen. Wenngleich es sich dabei eher um ein Reförmchen handelt, dessen positiver Effekt begrenzt sein dürfte – insbesondere wenn unklar bleibt, was passiert, wenn die selbstgesteckten Fristen verstreichen – wäre die Verabschiedung solcher Leitlinien zu begrüßen. Innerhalb der G20 sei diesbezüglich aber kein Konsens zu erreichen, so das Finanzministerium – gemeint sein dürfte China. 
  4. Die Bundesregierung sei bereit, das Common Framework für mehr Länder zu öffnen. Aktuell haben nur die einkommensschwächsten Staaten die Möglichkeit unter dem Umschuldungsrahmenwerk der G20 zu verhandeln. Orientiert wird sich dabei an den Einkommenskriterien der Weltbank.  Damit möchte die Bundesregierung signalisieren, dass sie den Verbesserungsvorschlägen von Weltbank und IWF offen gegenübersteht. In ihrer Antwort begrenzt das Bundesfinanzministerium die Ausweitung jedoch auf Länder mit unterem mittlerem Einkommen – und ignoriert damit nonchalant, dass IWF und Weltbank fordern, das Common Framework für alle Länder mit Überschuldungsproblemen zu öffnen, also auch für Länder mit hohem mittlerem Einkommen (wie beispielsweise Jordanien, Libanon oder Surinam) und Hocheinkommensländer (wie beispielsweise Chile, Barbados oder Antigua und Barbuda). Auch die Zivilgesellschaft fordert diese Ausweitung. Schon heute sind 36 der 55 Länder mit mittlerem unterem Einkommen antragsberechtigt. Besonders vorwärtsgewandt ist die Aussage des Bundesfinanzministeriums an dieser Stelle also nicht. Letztlich sei aber auch bezüglich der Frage der Ausweitung innerhalb der G20 – insbesondere mit China – kein Konsens zu erzielen. 
  5. Die Bundesregierung wie auch die übrigen G7-Staaten lehnt die Beteiligung multilateraler Entwicklungsbanken an Umschuldungen weiterhin ab. China hingegen fordert die Beteiligung multilateraler Gläubiger vehement. Angesichts des relevanten Anteils der Forderungen multilateraler Institutionen ist das nachvollziehbar: Multilaterale Gläubiger wie IWF und Weltbank sind in mehr als der Hälfte der kritisch verschuldeten Staaten die wichtigste Gläubigergruppe. Das Bundesfinanzministerium begründet seine Haltung unter anderem damit, dass insbesondere hochverschuldete arme Länder von multilateralen Entwicklungsbanken „hoch-konzessionäre“ Kredite erhalten, die die Schuldentragfähigkeit nicht oder entsprechend wenig belasten würden. Eine Auswertung der Angaben der Weltbank zeigt jedoch, dass in mehr als der Hälfte der sehr kritisch verschuldeten Länder weniger als 50 Prozent der multilateralen Kredite zu konzessionären, geschweige denn zu „hoch-konzessionären“ Bedingungen vergeben wurden. Multilaterale Entwicklungsbanken mit diesem Argument pauschal aus jeglichen Umschuldungsverhandlungen raushalten zu wollen, erscheint also nicht belastbar. Immerhin betont das Bundesfinanzministerium, dass man Einzelfalllösungen für Länder finden wolle, wo der Anteil multilateraler Forderungen besonders hoch sei. Das ist tatsächlich mal ein neuer, begrüßenswerter Ton aus der Bundesregierung. 
  6. Die Bundesregierung sieht keine Notwendigkeit, weitere Schritte zu gehen, um die gleichwertige Beteiligung privater Gläubiger an Schuldenerlassen sicherzustellen. Diesbezüglich behauptet das Bundesfinanzministerium, dass die vergleichbare Beteiligung privater Gläubiger in der Vergangenheit grundsätzlich gut funktioniert habe. Empirische Studien sowohl von akademischer Seite als auch von der Weltbank deuten, wie das Bundesfinanzministerium weiß, auf das Gegenteil hin. Die Bundesregierung verweist diesbezüglich aber auf die sehr flexibel auslegbare Definition der „Gleichbehandlung“ des Pariser Clubs, die von der Weltbank und anderen – aus unserer Sicht zurecht – kritisiert wird. Zudem verweist sie auf eine interne Überprüfung der Gleichbehandlung entlang dieser Kriterien, die erstens nicht öffentlich ist und zweitens auch nicht von unabhängiger Seite überprüft werden kann, da die Umschuldungsvereinbarungen des Pariser Clubs nicht öffentlich zugänglich gemacht werden. Das bedeutet also, dass die Bundesregierung uns auffordert, ihr blind zu vertrauen, dass es keinen Handlungsbedarf gebe, obwohl alle öffentlich zugänglichen empirischen Studien auf das Gegenteil hindeuten. Für ein Land, das sowohl China als auch Schuldnerstaaten wiederholt vorwirft, nicht transparent genug zu agieren, ist das eine mutige Position. 
  7. Die Bundesregierung sieht primär Schuldnerstaaten in der Verantwortung, die gleichwertige Beteiligung privater Gläubiger sicherzustellen. Abgesehen davon, dass das Bundesfinanzministerium es so darstellt, als habe die Gleichbehandlung privater Gläubiger in der Vergangenheit gut funktioniert, hänge ihr erfolgreicher Einbezug letztlich von den Verhandlungen des Schuldnerstaates ab. Damit zieht sich die Bundesregierung auf die bequeme Position des Pariser Clubs zurück, der Schuldnerstaaten in Umschuldungsverhandlungen standardmäßig dazu auffordert, eine gleichwertige Beteiligung privater Gläubiger sicherzustellen, ihnen aber nicht die Mittel an die Hand gibt, diese auch gegen unkooperative private Gläubiger durchzusetzen. Das erfolgreichste Druckmittel, das Schuldnerstaaten haben, um private Gläubiger zur Beteiligung an Schuldenerlassen zu bewegen, ist es, Zahlungen (vorübergehend) einzustellen. Wenn Schuldnerstaaten von dieser Option Gebrauch machen, müssen sie aktuell aber damit rechnen, von ihren privaten Gläubigern in Staaten des Globalen Nordens verklagt zu werden. Die Staaten des Globalen Nordens unterstützen private Gläubiger also qua judikativer Gewalt, ihre Forderung im vollen Umfang einzutreiben, und lehnen sich gleichzeitig mit dem Verweis zurück, dass der Einbezug privater Gläubiger im Verantwortungsbereich der Schuldnerstaaten liege. Das ist inakzeptabel. 
  8. Das Bundesfinanzministerium sieht kaum Nutzen in einem deutschen Anti-Holdout-Gesetz. Nationale Gesetze, die die Klage- und Vollstreckungsmöglichkeiten privater Gläubiger gegenüber Schuldnerstaaten einschränken, wären ein wichtiger Beitrag, um Schuldnerstaaten in ihren Verhandlungen mit privaten Gläubigern effektiv zu unterstützen und die Gleichbehandlung privater Gläubiger an Schuldenerlassen sicherzustellen. Da der Großteil der ausstehenden Anleiheforderungen jedoch unter angelsächsischem Recht begeben wurde, schlussfolgert das Bundesfinanzministerium, dass ein solches Gesetz in Deutschland nicht zweckdienlich sei. Diese Überlegung ist jedoch verkürzt und verkennt den Unterschied zwischen schuldrechtlich- und vollstreckungsrechtlich konzipierten Gesetzen. Zu diesem Zweck empfehlen wir dem Bundesfinanzministerium in unseren Podcast „Schuldenschnitt“ reinzuhören. Glücklicherweise ist die Ampel-Regierung nicht immer in allen Punkten einer Meinung: Das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat bereits eine Studie in Auftrag gegeben, die mögliche Ansatzpunkte der Bundesregierung überprüfen soll (darunter Anti-Holdout-Gesetze), die den Einbezug privater Gläubiger an Schuldenerlassen unterstützen. Bleibt zu hoffen, dass die Ergebnisse die vorschnelle Meinung im Bundesfinanzministerium revidieren können. 

Keine Handlungsmöglichkeiten für die Bundesregierung aufgrund Chinas Blockade?

Die Antwort der Bundesregierung liest sich in Kurzfassung wie folgt: Es ist alles wahnsinnig kompliziert. Deutschland sei ja bereit, aber international gebe es insbesondere aufgrund der blockierenden Haltung Chinas wenig Konsens und das Problem der Privatgläubigerbeteiligung werde ohnehin überschätzt. 

Kann die Bundesregierung also schlichtweg nichts tun, da China sich quer stellt? Nein! Selbstverständlich ist die Weigerung Chinas in einigen der oben genannten Punkten nicht akzeptabel. Doch wer wirklich an der Sache interessiert ist, sollte auf die Reformschritte schauen, die im eigenen Verantwortungsbereich liegen – nicht zuletzt, da dadurch auch ein Kompromiss Chinas an anderer Stelle wahrscheinlicher wird. Diese Verantwortlichkeiten – namentlich die Beteiligung privater Gläubiger sicherzustellen und multilaterale Forderungen in Umschuldungsverhandlungen einzubeziehen – erkennt die Bundesregierung jedoch (aktuell noch) nicht an. 

Entschuldung im Koalitionsvertrag: Ein Jahr ist rum

Heute vor einem Jahr verabschiedete die Ampelkoalition ihren Koalitionsvertrag. Auf Seite 154 heißt es dort: 

„Unser Ziel ist ein neuer internationaler Schuldenmanagementkonsens. Wir unterstützen eine Initiative für ein kodifiziertes internationales Staateninsolvenz­ verfahren, das alle Gläubiger miteinbezieht und Schuldenerleichterungen für besonders gefährdete Ländergruppen umsetzt.“

Damit erklärte die neue Regierung die Absicht, ein rechtsstaatliches Entschuldungsverfahren zu schaffen. Allerdings nicht zum ersten Mal – denn bereits die Koalitionsverträge von 2002 und 2009 sahen dieses Ziel vor. Neu ist diesmal jedoch, dass bereits in den Wahlprogrammen aller drei Regierungsparteien (SPD, Grüne, FDP) entsprechende Absichtserklärungen enthalten waren. 

Neu ist auch, dass wir uns heute mitten in einer akuten Schuldenkrise befinden. Viele Länder im Globalen Süden können die Last der Verschuldung nicht mehr tragen. Ihnen gelingt es kaum noch, die Grundbedürfnisse ihrer Bevölkerung sicherzustellen.  Denn die im Zuge der Corona-Pandemie geschaffenen Entschuldungsinitiativen waren unzureichend. Sie konnten die sich immer mehr zuspitzende Schuldenkrise im Globalen Süden nicht entschärfen. In dieser Lage wird einmal mehr deutlich: Ein Staateninsolvenzverfahren muss her! 

Was ist bisher geschehen? 

Kurz nach Verabschiedung des Koalitionsvertrags übernahm die neue Regierung den Vorsitz der G7. Auch über eine Lösung der globalen Schuldenkrise wollten die sieben einflussreichen Staaten diskutieren. Doch die Ergebnisse der diversen Gipfeltreffen zeigen: Echte Reformen oder gar die Schaffung eines Staateninsolvenzverfahrens standen weder beim deutschen Vorsitz noch bei den anderen beteiligten Regierungen weit oben auf der Agenda. Statt auf die eigene Verantwortung zu schauen – und sich im Kreis der G7 beispielsweise auf Maßnahmen zu einigen, die den verbindlichen Einbezug privater Gläubiger gewährleisten könnten verloren sich die Diskussionen im geopolitischen Konflikt zwischen den westlichen Staaten und dem größten öffentlichen Gläubiger China. 

Wenig Ambitionen aus dem Finanzministerium

Als Thema der internationalen Finanzstabilität wird das Entschuldungsthema im Rahmen der G7 und G20 Prozesse primär im sogenannten Finance Track und damit von den Finanzministerien und Notenbanken besprochen. Innerhalb der deutschen Regierung sind aber gerade aus dem Finanzministerium wenig Ambitionen vernehmbar, ambitionierte Schritte zur Erfüllung des Koalitionsvertrag zu gehen. Zwar wird immer wieder die Absicht bekräftigt, das sogenannte Common Framework, auf das sich die G20-Staaten bereits im November 2020 geeinigt haben, effektiv umsetzen zu wollen. Bisher beschränken sich die Initiativen aus dem Ministerium jedoch auf das Erstellen hübscher Grafiken, die die Funktionsweise des Rahmenwerks erklären sollen und dabei galant von den vielfältigen Schwächen der Initiative ablenken (siehe Grafik). Konkrete Schritte, die das Rahmenwerk tatsächlich verbessern könnten, werden nicht gegangen.   

Alles paletti? Nicht ganz! Graphische Darstellung der Funktionsweise des Common Frameworks vom BMF mit Ergänzungen von erlassjahr.de.

Einigung zum Ausgleich klimawandelbedingter Schäden – aber kein Bezug auf Schuldenerlasse

Eine große Errungenschaft der ansonsten eher frustrierenden Klimakonferenz COP27 in Ägypten war die Einigung zur Einrichtung eines neuen Fonds, durch den die Kosten klimawandelbedingter Schäden weltweit fairer verteilt werden sollen. Nach über dreißig Jahren, in denen Länder des Globalen Südens auf einen solchen Mechanismus gepocht haben, war die Einigung am vergangenen Wochenende ein wichtiger Schritt in Richtung mehr globale Klimagerechtigkeit. Gleichzeitig reisten die Vertreter*innen von Ländern des Globalen Südens ohne klare Zusagen darüber ab, wie und von wem der neue Fond bestückt werden soll. Es ist davon auszugehen, dass dies schwierige und langwierige Verhandlungen werden und letztlich nicht genug Mittel zur Verfügung gestellt werden, um eine global faire Verteilung klimawandelbedingter Schäden tatsächlich zu ermöglichen. In diesem Kontext wäre es wünschenswert gewesen, wenn die deutsche Bundesregierung auch im Sinne des Koalitionsvertrags die Option auf Gewährung von Schuldenerlassen infolge klimawandelbedingter Schäden mit in die Verhandlungen in Ägypten eingebracht hätte. Denn die Streichung der infolge klimawandelbedingter Schäden untragbar werdenden Schuldenlast kann ein Beitrag zur fairen Verteilung klimawandelbedingter Schäden sein und wird seit langem von zivilgesellschaftlicher Seite weltweit gefordert. 

Was muss jetzt passieren? 

Um einen echten Beitrag zur Lösung der globalen Schuldenkrise zu leisten, darf sich die Bundesregierung nicht hinter dem Common Framework oder der mangelnden Kooperation internationaler Partner verstecken. 

Den Auftrag im Koalitionsvertrag zu erfüllen, muss dabei keineswegs bedeuten, entweder den großen Wurf zu wagen oder gar nichts zu tun. Es kann auch bedeuten, einzelne Elemente eines Staateninsolvenzverfahrens umzusetzen und kleinere Schritte hin zu mehr Rechtsstaatlichkeit bei Umschuldungsverhandlungen auf den Weg zu bringen. Diese Schritte müssten auch bestehende Verfahren wie das Common Framework nicht automatisch ersetzen oder schwächen, sondern könnten sie effizienter, fairer und attraktiver für Schuldnerländer gestalten. 

Ein wichtiger Ansatzpunkt, der von der Bundesregierung im Laufe dieser Legislaturperiode umgesetzt werden könnte, ist zum Beispiel die Verabschiedung eines nationalen Gesetzes, das es privaten Gläubigern unmöglich macht, multilaterale Entschuldungsvereinbarungen zu unterlaufen. Auch in den andauernden Verhandlungen zur Beschaffung finanzieller Mittel für den Ausgleich klimawandelbedingter Schäden sollte die Entschuldungsfrage weiter mitbedacht werden. 

Es braucht jetzt mutige Politiker*innen, die es wagen, einen proaktiven Diskurs darüber zu führen, wie der Auftrag im Koalitionsvertrag konkret zu verstehen und umzusetzen ist. Im Bundestag sehen wir einzelne Abgeordnete in zentralen Ausschüssen, die sich des Themas engagiert annehmen. Das Bundesministerium für wirtschafliche Zusammenarbeit und Entwicklung nimmt vor allem die Frage der umfassenden Gläubigerkoordination sehr ernst. Anders als noch 2002 und 2009 werden auch zahlreiche Vorschläge für eine Verbesserung bestehender Entschuldungsverfahren von Staaten und Staatenzusammenschlüssen aus dem Globalen Süden selbst eingebracht. Die Bundesregierung sollte solche Initiativen unterstützen und die Chance ergreifen, auch außerhalb von G7, G20 und EU neue Koalitionen zu schmieden. 

Dänemark entschädigt Opfer des Klimawandels – noch besser als ein Entschädigungsfonds wären Schuldenerleichterungen

Die dänische Regierung hat in dieser Woche 100 Millionen Dänische Kronen (ca. 13,4 Millionen Euro) für die Entschädigung von Ländern bereitgestellt, welche infolge des Klimawandels (vorübergehende) Schäden und/oder (dauerhafte) Verluste erleiden. Damit durchbricht die dänische Regierung den lange gepflegten informellen Konsens unter den Industrieländern, zwar Mittel für Anpassung an und Bekämpfung des Klimawandels, nicht aber für die Behebung von Schäden und Verlusten bereitzustellen. Der Grund für diese bislang durchgehaltene Weigerung ist die Befürchtung, jegliche Kompensation für Schäden und Verluste könnte als Eingeständnis der (unbestreitbaren) Verantwortung der großen Emittenten für solche Schäden angesehen werden, und entsprechend weitergehende Forderungen der Betroffenen nach sich ziehen. 

Dass Dänemark diese in der Sache unhaltbare und politisch wie moralisch fragwürdige Haltung als erster souveräner Staat (Schottland hatte bei der letzten COP bereits ein ähnliche Zusage gemacht) aufgegeben hat, ist aller Ehren wert. Dass Außenministerin Baerbock und Kanzler Scholz ebenfalls – wenngleich noch ohne konkrete Zusagen – angekündigt haben, Länder, die Schäden und Verluste erleiden „nicht alleine zu lassen“, kann den Opfern der Überschwemmungen in Pakistan oder des Hurrikans Fiona in der Karibik in diesen Tagen Mut machen.

Aber es ginge noch besser.

Der von Dänemark angeregte und hoffentlich auch von anderen großen Emittenten zu bestückende Entschädigungsfonds wäre zweifellos ein Fortschritt. Aber, wie alle solchen multilateralen Fonds würde er auch mit spürbaren administrativen und bürokratischen Hürden zu kämpfen haben: Wer wird überhaupt zugangsberechtigt? In welchem Umfang? Wer fällt darüber letztlich die Entscheidung? Wie schnell lassen sich gegebenenfalls Mittel für die unmittelbare Katastrophenhilfe mobilisieren? Dazu kommt, dass Mittel erst einmal mobilisiert und dann irgendwo „geparkt“ werden müssen. Oder sie müssen als Garantien für von dritter Seite zu mobilisierende Mittel zugesagt werden. Das kann funktionieren, bedeutet aber in jedem Fall einen zusätzlichen Verwaltungsschritt und höhere Kosten für die kurzfristig zu mobilisierenden Drittmittel.

Der Verband der kleinen Inselstaaten (AOSIS) hat demgegenüber vorgeschlagen, eine multilaterale Vereinbarung über ein für alle Gläubiger verbindliches Schuldenmoratorium im Katastrophenfall zu treffen. Das heißt, in dem Moment, in dem etwa das UNO Büro für Katastrophenvorsorge (UNDRR) einen Katastrophenfall eines bestimmten Ausmaßes feststellt, zahlt das betroffene Land an keinen ausländischen Gläubiger mehr den vertraglichen Schuldendienst, sondern kann die Mittel, die sich bereits im Land befinden für die Katastrophenhilfe und die erste Phase des Wiederaufbaus nutzen. Gleichzeitig schafft das Moratorium den zeitlichen und materiellen Spielraum für Verhandlungen zwischen dem betroffenen Land und der Gesamtheit seiner Gläubiger über eine eventuell notwendige Umschuldung. Die zwischenzeitliche Uneintreibbarkeit der Forderungen an das Katastrophenopfer könnte  – wie bereits im Fall des Irak geschehen – durch eine Resolution des Weltsicherheitsrates gewährleistet werden.

Die Schulden eines Katstrophenopfers in Hilfe zu verwandeln hätte eine Reihe von Vorteilen:

  • Es wäre kein zeitraubender Pledging Prozess notwendig. Die zu verwendenden Mittel sind bereits in den Händen der betroffenen Regierung. Sie müssen nur intern umgewidmet werden.
  • Das Instrument verursacht für die externen Unterstützer nur dann Kosten, wenn eine Katastrophe tatsächlich eintritt. Es müssen keine Mittel anderen sinnvollen Verwendungszwecken, etwa im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit, entzogen werden. 
  • Je nach Ausmaß der Katastrophe ist es ohnehin fragwürdig, ob das betroffene Land seinen Schuldendienst vertragsgemäß weiter leisten kann. Es wäre nun bereits ein allgemeines Verfahren etabliert, nach dem die Schuldentragfähigkeit nach der Katastrophe von kompetenter Seite festgestellt und eine eventuell notwendige Umschuldung ausgehandelt werden kann.
  • Es fiele der Druck auf das betroffene Land weg, auch in der Katastrophe weiter Schuldendienst zu leisten – wie in der Vergangenheit z.B. in der Ostkaribik geschehen – auch auf Kosten einer wirksamen Katastrophenhilfe und des Wiederaufbaus. 
  • Die Kosten des Wiederaufbaus würden von allen getragen, welche sich in dem betroffenen Land engagieren – statt von wenigen gutwilligen Regierungen und ihren Steuerzahlern.
  • Die Ampel-Koalition hat sich in ihrem Koalitionsvertrag verpflichtet, auf die Schaffung eines geordneten Staateninsolvenzverfahrens hinzuwirken. Eine solche im Rahmen der nächsten COP zu treffende Vereinbarung unter allen Vertragspartnern könnte zeigen, dass multilaterale Vereinbarungen Wirkung entfalten können – schon bevor die gesamte globale Schuldenarchitektur vom Kopf auf die Füsse gestellt worden ist.