Bolivien

Hat Bolivien ein Schuldenproblem?

Zwei von drei Schuldenindikatoren haben sich unter dem Druck der Rezession 2020 in den kritischen Bereich bewegt. Vorläufig ist die Zahlungsfähigkeit des Landes dadurch nicht gefährdet. Sollte die Rezession und mit ihr die Niedrigpreisphase bei den Rohstoffexporten anhalten, kann die Situation sich rasch verschlechtern.

Die wichtigsten Schuldenindikatoren (Stand: 2022)

IndikatorAusprägungGrenzwert
Auslandsverschuldung im Verhältnis zum Bruttonationaleinkommen (%)38,140
Auslandsverschuldung im Verhältnis zu den jährlichen Exporteinnahmen (%)109,5150
Jährlicher Schuldendienst im Verhältnis zu den jährlichen Exporteinnahmen (%)16,515
Öffentliche Verschuldung im Verhältnis zum BIP (%)80,050
Öffentliche Verschuldung im Verhältnis zu den öffentlichen Einnahmen (%)282,0200
Auslandsschuldenstand (US-Dollar)15,930 Mrd.
Schuldendienst: Zinsen und Tilgungen an ausländische Gläubiger (US-Dollar)2,404 Mrd.

Erklärung zu den Indikatoren und Grenzwerten

Wer sind die Gläubiger von Bolivien?

BOL Gläubigerprofil 2020-11

Erklärung der Schuldenkategorien

 Die gesamten Auslandsschulden eines Landes setzen sich aus den Schulden des öffentlichen Sektors und denen des Privatsektors zusammen. Im Diagramm sind öffentliche Schulden mit Vollfarben und private Auslandsschulden schraffiert dargestellt.

Bei den öffentlichen Schulden werden drei Gläubigergruppen unterschieden, nämlich multilaterale öffentliche Gläubiger – das sind vor allem Entwicklungsbanken und der IWF -, bilaterale öffentliche Gläubiger – das sind andere Regierungen – und private Gläubiger.

Bei den beiden öffentlichen Gläubigerkategorien unterscheiden wir zudem nach konzessionären, also zinsgünstigen Krediten zu Entwicklungshilfebedingungen, und Krediten zu Marktbedingungen („nicht-konzessionäre“).

Bei den öffentlichen Schulden bei privaten Gläubigern unterscheiden wir die beiden Hauptinstrumente, nämlich Bankkredite und Anleihen. Diese beiden Instrumente unterscheiden wir auch bei den Auslandsschulden des Privatsektors.

Zwei Drittel der Auslandsschulden Boliviens bestehen von Seiten des Staates. Ein Drittel besteht aus Bankkrediten an private bolivianische Unternehmen.

Bolivien ist seit wenigen Jahren ein Mitteleinkommensland und damit nicht mehr für die zinsgünstigsten Kreditfenster seiner multilateralen Geber qualifiziert. Deswegen hat sich der Anteil der nicht-konzessionären Schulden bei den multilateralen Gläubigern in den letzten drei Jahren verdreifacht. Fast die Hälfte aller Auslandsschulden Boliviens entfällt auf marktnahe Finanzierungen aus multilateralen Quellen. Der konzessionäre Schuldenstand bei multilateralen Gläubigern hat sich demgegenüber von mehr als 3 Milliarden US-Dollar auf nur gut 1,1 Milliarden US-Dollar reduziert.

Unter den bilateralen Kreditgebern haben die Schulden aus öffentlich verbürgten Handelsgeschäften deutlich zugenommen. Schulden aus der Entwicklungszusammenarbeit spielen nur noch eine marginale Rolle. Allerdings bestehen hier deutliche Inkongruenzen zwischen den Zahlen, die die bolivianische Regierung an die Weltbank meldet und denen, die der Pariser Club von seinen Mitgliedern einsammelt. Der Club erhebt 591 Millionen US-Dollar an Entwicklungshilfeforderungen, während die Weltbank in dieser Kategorie nur 166,4 Millionen US-Dollar ausweist. Deutschland hält 59 Millionen Euro aus der Entwicklungszusammenarbeit. China hat mehr als 2,4 Milliarden US-Dollar an Krediten an Bolivien vergeben. Wieviel davon allerdings bereits zurückgezahlt wurde, ist nicht bekannt.

Durch eine jüngere große Anleihe von 1 Milliarden US-Dollar haben sich auch die öffentlichen Schulden bei Anleihezeichnern verdoppelt.

Trend

Absolut gesehen haben sich die Schulden Boliviens seit 2012 mehr als verdoppelt. Wegen der zunächst guten Ertragslage aus Boliviens Energie-Exporten und den daraus resultierenden positiven Wachstumsraten stiegen die Schuldenindikatoren zwar ebenfalls, aber deutlich langsamer.

Stark zugenommen hat die gesamte öffentliche Verschuldung im In- und Ausland.

Bisherige Schuldenerleichterungen für Bolivien

Bolivien erreichte 2000 den Decision Point unter der multilateralen Entschuldungsinitiative für hochverschuldete arme Länder (engl. Highly Indebted Poor Countries Initiative, HIPC) und bald danach den Completion Point. Im Zuge von HIPC hatte eine besonders starke Jubileo-Bewegung zu einem der erfolgreichsten wirtschaftlichen Reformprogramme im Rahmen der Initiative geführt. Insbesondere die deutsche Entwicklungsministerin jener Zeit betrachtete Bolivien als eine der HIPC-Erfolgsgeschichten. Die HIPC-Obergrenze von 150 Prozent Schuldenstand zu jährlichen Exporteinnahmen wurde gleichwohl erst erreicht, als Bolivien im Rahmen der Multilateral Debt Relief Initiative (MDRI) von 2005 auch in den Genuss der Streichung aller Altschulden bei der Internationalen Entwicklungsorganisation (IDA), dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und dem Weichkreditfenster der Interamerikanischen Entwicklungsbank, dem Fonds für Sondergeschäfte (FSO), kam.

Im Pariser Club der westlichen Gläubigerregierungen hatte Bolivien zuvor zwischen 1986 und 1998 bereits sieben Mal zu unterschiedlichen Bedingungen umgeschuldet – ohne dass das Land dadurch einem tragfähigen Schuldenniveau wesentlich nähergekommen wäre.

Gegenüber seinen privaten Bank-Gläubigern konnte Bolivien 1988 und1996 zwei Mal Schulden in Höhe von insgesamt rund 650 Millionen US-Dollar mit einem Teilerlass umschulden.

Für die Schuldenerleichterungen des IWF aus dem Catastrophe Containment and Relief Trust (CCRT) oder das Moratorium der G20 zur Unterstützung der COVID-19-Bekämpfung (engl. Debt Service Suspension Initiative, DSSI) vom April 2020 ist Bolivien nicht qualifiziert.

Aktuelle Risiken für die Schuldentragfähigkeit

Die deutliche Verschiebung des früher stark konzessionären Schuldenprofils zu teureren marktmäßigen Finanzierungen hat Bolivien bislang wegen der insgesamt niedrigen globalen Zinsen noch nicht sehr hart getroffen. Zudem hilft, dass nur ein relativ geringer Teil Privatgläubigern geschuldet ist, der größte Teil der Verschuldung dagegen gegenüber multilateralen Gebern besteht. Bei einem Anstieg der Weltmarktzinsen kann der Schuldendienst trotzdem schnell kritische Größenordnungen erreichen.

Nach der Flucht des langjährigen progressiven Präsidenten Evo Morales infolge der manipulierten Wahl von 2019 hat eine einjährige Phase der wirtschaftlichen Liberalisierung und Deregulierung unter der rechten Übergangsregierung, die zudem durch die Corona-Pandemie überschattet war, der Wirtschaft stark zugesetzt.

Seit 2014 wächst die bolivianische Wirtschaft nur noch minimal, was nicht nur zu einem Anstieg der relativen Schuldenindikatoren führt, sondern auch zu beträchtlichen sozialen Problemen, da die Bevölkerung weiterhin wächst. Der Einbruch beim Wirtschaftswachstum ist in starkem Maße auf den gefallenen Rohölpreis auf dem Weltmarkt zurückzuführen, da an diesen auch der Preis für Boliviens Hauptexportgut Erdgas gekoppelt ist.

Politische Empfehlungen

Wenn die Rezession infolge von COVID-19 nicht noch länger anhält, hat Bolivien eine Chance, unter der neuen Regierung eine Volkswirtschaft wieder in Gang zu bringen, die auch auf die Teilhabe der ärmeren Bevölkerung gerichtet ist. Allerdings ist die extreme Abhängigkeit von Energieexporten dafür weiterhin ein großes Hindernis.

Nach aktuellen Hochrechnungen könnte sich Bolivien 2021 wieder für Schuldenumwandlungen unter dem entsprechenden Programm der deutschen Bundesregierung qualifizieren. Dann wäre es dringend geboten, eventuelle fiskalische Spielräume in die Diversifizierung der Wirtschaft zu investieren.

Weiterführende Informationen und Materialien:

Präsentation: Länderinfo Bolivien – von Geld und Schulden (2014)

Video: „Staatsverschuldung in Bolivien – Patricia Miranda“

 

Stand: November 2020 (mit Ausnahme der Tabelle “Die wichtigsten Schuldenindikatoren”)