Montenegro

Hat Montenegro ein Schuldenproblem?

Montenegro hat seit der Unabhängigkeit 2006 erhebliche Kredite im Ausland aufgenommen. Dieser Prozess hat sich mit dem Auftreten Chinas als Finanzier großer Infrastrukturprojekte ab 2017 dramatisch beschleunigt. Als Folge davon können Störungen der von Regierung und Internationalem Währungsfonds (IWF) erwarteten wirtschaftlichen Entwicklung zu einer erheblichen Gefährdung der Schuldentragfähigkeit führen.

Die wichtigsten Schuldenindikatoren (Stand 2018)

IndikatorWertGrenzwert
Auslandsverschuldung im Verhältnis zum Bruttonationaleinkommen (%)142,440
Auslandsverschuldung im Verhältnis zu den jährlichen Exporteinnahmen (%)290,5150
Jährlicher Schuldendienst im Verhältnis zu den jährlichen Exporteinnahmen (%)63,615
Öffentliche Verschuldung im Verhältnis zum BIP (%)72,150
Öffentliche Verschuldung im Verhältnis zu den öffentlichen Einnahmen (%)172,7200
Auslandsschuldenstand (US-Dollar)7,860 Mrd.
Schuldendienst: Zinsen und Tilgungen an ausländische Gläubiger (US-Dollar)1,716 Mio.

Erklärung zu den Indikatoren und Grenzwerten

Auf Basis der Anfang 2018 zur Verfügung stehenden Zahlen der Weltbank ergaben sich noch im Vorjahr deutlich niedrigere Indikatoren bezüglich der Auslandsschulden. Die Weltbank hat ihre Zahlen jedoch inzwischen auch für die zurückliegenden Jahre drastisch nach oben korrigiert, so dass sich das durch die obenstehenden Schuldenindikatoren angezeigte dramatische Bild ergibt. Grund dafür ist der nachträglich für das Jahr 2014 verzeichnete Sprung bei den privaten Auslandsschulden von nahezu null auf 4,3 Milliarden US-Dollar.

Wer sind die Gläubiger von Montenegro?

 

Erklärung der Schuldenkategorien

 Die gesamten Auslandsschulden eines Landes setzen sich aus den Schulden des öffentlichen Sektors und denen des Privatsektors zusammen. Im Diagramm sind öffentliche Schulden mit Vollfarben und private Auslandsschulden schraffiert dargestellt.

Bei den öffentlichen Schulden werden drei Gläubigergruppen unterschieden, nämlich multilaterale öffentliche Gläubiger – das sind vor allem Entwicklungsbanken und der IWF -, bilaterale öffentliche Gläubiger – das sind andere Regierungen – und private Gläubiger.

Bei den beiden öffentlichen Gläubigerkategorien unterscheiden wir zudem nach konzessionären, also zinsgünstigen Krediten zu Entwicklungshilfebedingungen, und Krediten zu Marktbedingungen („nicht-konzessionäre“).

Bei den öffentlichen Schulden bei privaten Gläubigern unterscheiden wir die beiden Hauptinstrumente, nämlich Bankkredite und Anleihen. Diese beiden Instrumente unterscheiden wir auch bei den Auslandsschulden des Privatsektors.

Montenegros Auslandsschulden entfallen infolge der nachträglichen Hereinrechnung der Kreditaufnahme im Jahr 2014 zu mehr als der Hälfte auf den Privatsektor. Die rund 40 Prozent, die auf den Staat entfallen, teilen sich etwa hälftig auf Schulden gegenüber privaten und gegenüber öffentlichen Gläubigern auf, wobei erstaunlicherweise fast alle Schulden bei bilateralen Gläubigern zu Marktkonditionen gegeben wurden, während multilaterale Institutionen nahezu ausschließlich zu Entwicklungshilfekonditionen finanzierten. Der wichtigste Finanzier in dieser Kategorie ist dabei die Weltbank.

Die Schulden gegenüber bilateralen Gläubigern bestehen fast ausschließlich aus Handelsforderungen. Von diesen 861 Millionen US-Dollar beansprucht der Pariser Club für seine Mitglieder 107 Millionen US-Dollar; daran wiederum ist Deutschland mit 16 Millionen Euro beteiligt. Bei den Forderungen aus der Entwicklungszusammenarbeit weist – wie für manche andere Länder auch – der Club für seine Mitglieder mit 21,0 Millionen US-Dollar mehr Forderungen aus als die Weltbank für alle Länder (17,3 Millionen US-Dollar). Deutschland ist so oder so nur mit bescheidenen 1 Million Euro beteiligt. Aus China kamen seit 2016 Kredite in Höhe von etwas über 1 Milliarde US-Dollar. Wieviel davon bereits zurückgezahlt wurde, ist nicht bekannt. Es muss davon ausgegangen werden, dass der größte Teil der nicht-konzessionären bilateralen Schulden auf China entfällt.

Trend

Montenegro startete 2006 mit einer „geerbten“ Auslandsschulden von 924 Millionen US-Dollar in die Unabhängigkeit, was 37,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) entsprach. Die absoluten Schulden haben sich seither verachtfacht, der Indikator Auslandsschulden zu BIP ist wegen der guten Wachstumserfolge in den ersten Jahren weniger dramatisch gewachsen, hat sich aber immerhin nahezu vervierfacht.

Drei von fünf Schuldenindikatoren Montenegros sind von 2014 bis Ende 2018 von dem 2014 bereits sehr hohen Niveau aus um mindestens 10 Prozent gestiegen.

Nach 2016 hat sich auch die chinesische Exim-Bank stark in Montenegro engagiert. Mehr als 1 Milliarde US-Dollar hat sie seither im Rahmen des Projekts „Neue Seidenstraße“ in das zentrale Infrastrukturprojekt der Autobahn von Bar an der Adriaküste nach Boljare in Serbien investiert.

Bisherige Schuldenerleichterungen für Montenegro

In seiner noch jungen Geschichte hat Montenegro noch keine Schuldenerleichterungen mit seinen öffentlichen oder privaten Gläubigern ausgehandelt.

Aktuelle Risiken für die Schuldentragfähigkeit

Die montenegrinische Regierung nimmt derzeit in großem Stil Kredite zur Infrastrukturfinanzierung mit den Schwerpunkten der Autobahn nach Serbien und touristischen Einrichtungen auf. Der IWF warnte schon 2016, dass dadurch die gesamte Auslandsverschuldung bis 2018 auf 80 Prozent des BIP ansteigen könnte. Mit aktuell 142,2 Prozent Auslandsverschuldung zur BIP wurde dieser Wert weit übertroffen. Unabhängige Beobachter*innen des chinesischen Projekts „Neue Seidenstraße“ sehen in Montenegro eines von weltweit acht Ländern, welche durch die massiven chinesischen Kreditvergaben in die Zahlungsunfähigkeit geraten könnten.

Alle Alternativszenarien, die der IWF in seiner Analyse der öffentlichen Schuldentragfähigkeit in Montenegro für seinen Art.-IV-Report im April 2018 durchgerechnet hat, deuten auf ein hohes Insolvenzrisiko hin.

Der IWF warnte in seinem Bericht von 2019 vor dem Gebrauch von Öffentlich-Privater Partnerschaften.

Politische Empfehlungen

Montenegro muss wegen der großen Bedeutung Chinas als (neuem) Gläubiger besonders daran interessiert sein, Optionen für eine umfassende, alle Gläubiger einschließende Entschuldung zu entwickeln, und sollte deshalb internationale Bemühungen in diese Richtung unterstützen.

 

Stand: Februar 2020

 

Gefördert durch ENGAGEMENT GLOBAL mit Mitteln des