25. März 2021

Gelungene Premiere: Bericht von der ersten digitalen erlassjahr.de-Mitträgerversammlung

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Unsere Jahrestagung zum ersten Mal digital – wie würde es werden? Würden sich unsere Mitträger darauf einlassen? Und würde technisch alles klappen? Als wir uns Anfang des Jahres entscheiden mussten, die ursprünglich als Präsenztagung in Trier geplante Jahrestagung 2021 in den digitalen Raum zu verlegen, begleiteten uns viele Fragen. Doch nun, knapp eine Woche danach, können wir zu unserer großen Freude sagen: Es war eine gelungene Premiere! Mit durchgängig fast 50 Teilnehmenden, gleich mehrere davon zum ersten Mal bei einer Mitträgerversammlung dabei, einem straffen Programm und engagierter Beteiligung allerseits vergingen die zwei halben Tage unter dem Motto „Auftakt zum Erlassjahr 2021“ fast wie im Flug.

Eröffnet wurde die Versammlung am Freitagnachmittag, dem 19.03., durch Kristina Rehbein, Geschäftsführerin und Politische Koordinatorin bei erlassjahr.de, mit einer Präsentation der wichtigsten Ergebnisse des Schuldenreports 2021. Die Corona-Krise verschärfe die Verschuldungssituation für Entwicklungs- und Schwellenländer weltweit dramatisch. 132 Länder von 148 Ländern seien kritisch verschuldet, viele davon hätten sich bereits vor der Pandemie in einer Schuldenkrise befunden. Die wirtschaftliche Situation verschlechtere sich nun zunehmend durch Lockdowns, die Stilllegung des Tourismus und niedrige Rohstoffpreise. Viele Entwicklungs- und Schwellenländer seien von diesen Wirtschaftszweigen abhängig. Die derzeitige Schuldenlast könne von vielen Ländern nicht mehr getragen werden und kehre die Fortschritte, die in den vergangenen Jahrzehnten in der Armutsbekämpfung erzielt worden seien, um, da in vielen Staaten ein großer Teil der Staatseinnahmen für die Tilgung von Schulden eingesetzt würde. Das derzeitige internationale Schuldenmanagement reiche nicht aus, um die Schuldenkrise zu lösen. Stimmen nach einer systemischen Reformdiskussion würden lauter. Schuldenerleichterungen könnten dazu beitragen, die Auswirkungen auf langfristige und nachhaltige Entwicklung zu verbessern. Die G20 sei durch die pandemiebedingte wachsende Schuldenkrise zu der Einsicht gelangt, dass Entschuldung ein wirksames Mittel sei, überschuldeten Ländern zu helfen. Das „Common Framework“, das neue Umschuldungsrahmenwerk der G20, sei die erste gruppenbasierte Entschuldungsinitiative seit 20 Jahren. Dies sei ein Schritt in die richtige Richtung. Jedoch sei die Initiative auf die ärmsten 73 Länder begrenzt. Viele Mitteleinkommensländer, die Schuldenerleichterungen ebenfalls dringend nötig hätten, seien von vornherein von der Teilnahme ausgeschlossen. Ebenso beteiligte sich bislang die wichtige Gruppe der privaten Gläubiger nicht. Im Common Framework sei zwar eine Gleichbehandlungsklausel für alle Gläubiger inklusive der privaten vorgesehen, aber die Schuldnerländer hätten keine Möglichkeit, deren Umsetzung auch zu erzwingen.

In der anschließenden Fragerunde wurde u.a. diskutiert, welcher politische Druck nun nötig sei, um eine Nachbesserung des Common Framework zu erzielen und wie das Bündnis erlassjahr.de in dieser politischen Umbruchszeit weiter gestärkt werden könne. Das Schuldenproblem im Globalen Süden werde durch die Pandemie nun vermehrt wahrgenommen. Diese öffentliche Wahrnehmung müsse nun für die politische Arbeit genutzt werden.

Im Anschluss stellte Elise Kopper, Referentin für Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit bei erlassjahr.de, Zahlen und Fakten zur Arbeit des Bündnisses im Jahr 2020 vor. Die Mitträgerentwicklung sei weiterhin leicht rückläufig, gleichzeitig hätten sich aber Mitträger, die in den vergangenen Jahren eher passiv waren, wieder neu für das Schuldenthema interessiert und engagiert. Durch Corona habe es – wie überall – viele Veränderungen gegeben. Viele Veranstaltungen hätten hybrid oder online stattfinden müssen, u.a. unsere virtuelle Vortragsrundreise im Herbst, an der sich viele Mitträger beteiligten. Auch die Kampagne „Klimagerechtigkeit braucht Entschuldung“ habe anders stattfinden müssen als geplant. Der Klimaschwerpunkt sei wegen Corona und wegen ausgefallener internationaler Klimakonferenzen weniger stark wahrgenommen worden, gerade in der Mitträgerschaft sei er aber auf viel positive Resonanz gestoßen. Die Wahrnehmung von erlassjahr.de und des Schuldenthemas in der Presse habe sich wegen der allgemeinen politischen Konjunktur sehr positiv entwickelt. erlassjahr.de selbst habe im Laufe des Jahres 2020 16 Pressemitteilungen verschickt und sei in mindestens 75 Beiträgen in überregionalen und überregionalen Medien genannt worden, u.a. auch in der tagesschau, im Handelsblatt, im Deutschlandfunk oder im SWR.

Den zweiten Teil des Tages prägten Formalia rund um die Arbeit des Bündnisses und der Geschäftsstelle. Kristina Rehbein stellte den Haushalt 2020 und die Finanzplanung für 2021 vor. Danach ging es um die verschiedenen Personalwechsel im erlassjahr.de-Büro: Lisa Jebe, die das EU-geförderte Projekt „Citizens for Financial Justice“ zweieinhalb Jahre administrativ betreut hatte, ist mit dem Projektende im Dezember 2020 aus dem erlassjahr.de-Team ausgeschieden. Mara Liebal ist seit Juni 2020 und noch bis Spätsommer 2021 in Elternzeit, vertreten wird sie in dieser Zeit durch Elise Kopper. Celia Sudhoff hatte im Herbst 2020 als wissenschaftliche Mitarbeiterin angefangen und bleibt erlassjahr.de 2021 als Aushilfskraft neben ihrem Studium erhalten. erlassjahr.de- Mitgründer Jürgen Kaiser ist im Februar 2021 nach mehr als zwei Jahrzehnten bei erlassjahr.de in den Ruhestand gegangen. Bis Frühjahr 2022 wird er jedoch weiterhin auf Projektbasis, u.a. für die Region Karibik, im Bündnis mitarbeiten. Die Rolle der Politischen Koordinatorin und Geschäftsführerin hat im Februar 2021 Kristina Rehbein übernommen. Als neue Referentin für Inhalte und Politik konnten wir Malina Stutz gewinnen. Sie beginnt im April 2021 ihre Arbeit bei erlassjahr.de

Im Anschluss wurde der Bündnisrat neu gewählt. Mit Ausnahme von Gottfried Huba, der sich nicht wieder zur Wahl stellte, wurden alle amtierenden Mitglieder des Bündnisrates im Amt bestätigt. Nora Sausmikat und Joachim Jachnow von urgewald e.V. wurden neu in den Bündnisrat gewählt. Ein großer Dank geht an Gottfried für seine langjährige Mitarbeit und ein herzliches Willkommen an Nora und Joachim!

Zum Abschluss des ersten Tages ließ erlassjahr.de-Bündnisrat Peter Lanzet die Arbeit von Jürgen Kaiser bei erlassjahr.de Revue passieren. Es wurden besondere Momente und zahlreiche Bilder der letzten 20 Jahre präsentiert. Highlight der Würdigung waren zwei persönliche Videobotschaften von Ann Pettifor, eine der internationalen Initiator*innen der Erlaßjahr2000-Kampagne, und der ehemaligen Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul.

Der Samstag, 20.03., wurde mit zwei Beiträgen zur Ermutigung begonnen. Der Wirtschaftswissenschaftler und Minister a.D. Alberto Acosta, selbst langjähriger Entschuldungsaktivist, wurde per Videobotschaft aus Ecuador zugeschaltet. Er mahnte, die Politiker*innen des Globalen Nordens gingen nicht entschlossen genug gegen die Krise weltweit vor. Es brauche einen langfristigen Plan zur Bekämpfung struktureller Armut. Entwicklungsländer sollten ihre Gelder in die Überwindung der Pandemie und nicht zum Bedienen von Schulden oder für Aufrüstung einsetzen. Seit 1982 beschäftige er sich mit dem Thema Entschuldung. Trotz einiger politischer Rückschläge gäben ihm vor allem seine Enkel immer wieder neue Motivation. Er plädierte für einen Systemwechsel in Sachen Entschuldung und für transparente öffentliche Anhörungen zum Thema Auslandsschulden. Der zweite Beitrag stammte von Cornelia Füllkrug-Weitzel, ehemalige Präsidentin von Brot für die Welt. Sie kritisierte u.a., dass die Auflagen des Internationalen Währungsfonds (IWF) den betroffenen Ländern schadeten. Der Fokus auf Privatisierungen führe dazu, dass Gesundheitssysteme und Bildungssektoren zwangsläufig kaputt-gespart würden. Ebenfalls beklagte sie das mangelnde Interesse des Globalen Nordens, sich an einer Kompensation für Klimaschäden zu beteiligen. Das Bewusstsein für die asymmetrischen Machtstrukturen zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern sowie für die daraus resultierende Krise sei noch nicht in der Breite der Bevölkerung angekommen.

Im Anschluss an die Ermutigung erfolgte die Arbeit in vier verschiedenen Arbeitsgruppen. Leitfragen für diese Phase waren: „Was ermutigt mich? Was nehme ich mit in meine Arbeit?“. Hier einige Stichpunkte zu den Inhalten:

  • AG Kirche und Entschuldung: Der Wunsch nach emotionalen und kreativen Aktionen sowie einer verbindenden Kernbotschaft von erlassjahr.de wurde geäußert. Das, was uns im Glauben verbindet und zu verantwortlichem Handeln bewegt, wollen wir zur Sprache zu bringen und auf eine einladende, informierende und wirksame Weise gestalten.
  • AG Aktiv werden zur Bundestagswahl 2021: Themen waren u.a. die Organisation persönlicher Kontaktaufnahmen zu Parlamentarier*innen, das neue Potenzial einer (potentiell) neuen Regierung nach der Bundestagswahl im September 2021 für das Thema Entschuldung sowie Kooperationen mit anderen Bündnissen und Organisationen.
  • AG Anregungen für neue Schwerpunktsetzungen: In dieser Gruppe wurde vor allem das Thema Öffentlich-Private Partnerschaften besprochen. Was diese ausmacht, welche Erfahrungen mit ihnen gemacht wurden und welche Risiken bestehen. Dazu wurden verschiedene Länderbeispiele herangezogen.
  • AG Schulden-Einmaleins: Hier wurden v.a. Fragen der Teilnehmenden rund um das Thema Schulden besprochen. Die Nachfragen bezogen sich u.a. auf Kapitalflucht, Rating Agenturen aber auch globalen Machtstrukturen.

Die Ergebnisse der AGs wurden im darauffolgenden Plenum von Vertreter*innen der einzelnen Gruppen vorgestellt und besprochen. Die Protokolle der AGs können bei Interesse im erlassjahr.de-Büro angefragt werden.

Den Abschluss des Tages und damit auch der Jahrestagung bildeten die Planungen für das Jahr 2021. Kristina Rehbein stellte bereits bestehende Ideen und Pläne vor, etwa die Überarbeitung des Handbuchs „Einführung in das Schuldenthema“, die konkrete Länderarbeit zu den Common Framework-Ländern Sambia, Äthiopien und Tschad, zu Argentinien oder zu den Karibik-Staaten, neue Online-Seminare zu unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten und die Gestaltung von neuem pädagogischen Material zum Thema Corona und Schulden. Auch die Teilnehmenden erhielten Gelegenheit, neue Ideen, Vorhaben und Vernetzungsangebote einzubringen und damit die Bündnisarbeit zu gestalten.

Nach einer ausführlichen Feedback-Runde erging zum Schluss eine herzliche Einladung an alle Teilnehmenden zum zweiten Teil der Jahrestagung, der unter dem Titel „Gemeinsam aktiv für faire Entschuldung!“ am 11. und 12. Juni 2021 (hoffentlich) als Präsenztagung in Saarbrücken stattfinden soll.

Das Team von erlassjahr.de dankt allen Teilnehmer*innen für die engagierte, interessierte und fröhliche Mitarbeit, den Moderatoren Martin Haasler und Klaus Göke aus dem erlassjahr.de-Bündnisrat für die souveräne Tagungsleitung sowie allen anderen Menschen, die die digitale Jahrestagung und Mitträgerversammlung mitgestaltet haben, für die gelungene Organisation.

Hoffentlich können wir uns schon in Saarbrücken, spätestens aber im nächsten Jahr zur Mitträgerversammlung 2022 endlich wieder persönlich begegnen!

Bericht: Tillmann Krais

Bild: Screenshot aus der Videobotschaft von Alberto Acosta 

Weitere Informationen:

Bestellung und Download Schuldenreport 2021

Einladung und Programm der Online-Jahrestagung am 19. und 20.03.2021

Videobotschaft Alberto Acosta