11. Oktober 2024

Hamburg Sustainability Conference: Diskussion zum Einbezug privater Gläubiger bei Schuldenstreichungen durch nationale Gesetzgebung

Gemeinsam mit der Friedrich Ebert Stiftung und der Friedrich Naumann Stiftung hat erlassjahr.de am 8. Oktober bei der ersten Hamburg Sustainability Conference (HSC) eine Veranstaltung organisiert. Unter dem Titel „Legislative Measures for Successful Sovereign Debt Restructuring“ wurde mit internationalen Expert*innen sowie deutschen und ghanaischen Parlamentariern über das Potenzial nationaler Gesetze für erfolgreiche Schuldenrestrukturierungen diskutiert. Die Veranstaltung verdeutlichte die Dringlichkeit nationaler Gesetzesinitiativen, um die Beteiligung privater Gläubiger an Schuldenrestrukturierungen zu sichern. Sie zeigte zudem, dass diesbezüglich auf ein breites internationales Wissen und Erfahrungen zurückgegriffen werden kann.

Zum Hintergrund

Private Gläubiger halten den Großteil der Forderungen gegenüber kritisch verschuldeten Ländern des Globalen Südens. Doch diese privaten Akteure, zu denen etwa die Deutsche Bank oder Vermögensverwalter wie BlackRock zählen, beteiligen sich nur unzureichend an Schuldenerleichterungen. Das Problem ist auch in Berlin bekannt. Bundesentwicklungsministerin Schulze hatte erst kürzlich – anlässlich der Übergabe unserer Aktionspostkarten an das Bundesentwicklungsministerium – erneut betont, dass private Gläubiger besser in die Pflicht genommen werden müssen.

Eine Lösung für dieses Problem wäre, in Staaten des Globalen Nordens Gesetze zu verabschieden, die eine ausreichende Beteiligung privater Gläubiger an Schuldenrestrukturierungen sicherstellen. In Deutschland könnte das ein sogenanntes „Safe-Harbor-Gesetz“ sein. Durch ein solches Gesetz würde der Betrag, den private Gläubiger in Deutschland einklagen und vollstrecken können, auf den Umfang beschränkt, der in internationalen Verhandlungen vereinbart wurde.

Bei der HSC diskutierten die Expert*innen darüber, welchen Beitrag ein solches Gesetz leisten könne und was bei der Ausgestaltung eines solchen Gesetzes zu beachten sei. Moderiert wurde das Panel von Kristina Rehbein, Politische Koordinatorin bei erlassjahr.de.

Großer Handlungsbedarf

Celine Tan, Rechtsprofessorin an der Warwick Universität in England, brachte die Unzulänglichkeiten der aktuellen internationalen Finanzarchitektur im Umgang mit öffentlichen Auslandsschuldenkrisen auf den Punkt: Staatsschulden seien die einzige Kategorie finanzieller Forderungen, für die es kein geregeltes Verfahren gebe, wie im Falle von Rückzahlungsschwierigkeiten vorzugehen sei. Während bei der HSC viel über die Mobilisierung privater Mittel für Entwicklungsvorhaben gesprochen werde, müsse zunächst erkannt werden, dass private Gläubiger aktuell in Krisenzeiten regelmäßig durch öffentliche Mittel „ge-bailoutet“ werden.

Malina Stutz, Politische Referentin von erlassjahr.de, benannte diesbezüglich als konkretes Beispiel die Ukraine, wo der kürzlich geschlossene Deal dazu führe, dass Vorkriegs-Gläubiger mit genau dem Geld ausbezahlt würden, das von den westlichen Staaten an die Ukraine gezahlt werde. Die fehlende Bereitschaft privater Gläubiger, auf Forderungen zu verzichten, führe auch dazu, dass Schuldenerleichterungen in laufenden Umschuldungsverhandlungen unzureichend ausfallen. Dies belaste vor allem die Bevölkerung in hochverschuldeten Staaten und trage maßgeblich zu schweren Menschenrechtsverletzungen bei.

Ein besonders gravierendes Beispiel hierfür sei derzeit Sri Lanka. Auch Penelope Hawkins, leitende Wirtschaftsreferentin in der Abteilung für Schulden und Entwicklungsfinanzierung der UN-Organisation für Handel und Entwicklung (ehemals UNCTAD) wies auf diese soziale Dimension ungenügender Schuldenerlasse hin und sprach in diesem Sinne von einer Entwicklungskrise.

Auch Mark Flanagan, stellvertretender Direktor des Strategy Policy and Review Departments des Internationalen Währungsfonds (IWF) stimmte zu, dass die aktuell existierenden Verfahren oft ungenügend seien, um die Beteiligung privater Gläubiger sicherzustellen. Das Strategy Policy and Review Departments ist innerhalb des IWF für die Entwicklung von Richtlinien und die einheitliche Anwendung der IWF-Politiken zuständig und spielt eine entscheidende Rolle bei der strategischen Ausrichtung der Institution. Der IWF hatte lange darauf gesetzt, das Problem der Beteiligung des Privatsektors durch die Aufnahme bestimmter Klauseln (sogenannter Collective Action Clauses) in Anleiheverträgen zu lösen. Nun stimmte Flanagan jedoch zu, dass dieser „marktbasierte“ Ansatz ungenügend sei. Selbst dort, wo entsprechende Klauseln aufgenommen worden seien, könne eine effektive Restrukturierung und Beteiligung privater Gläubiger nicht ausreichend sichergestellt werden. In dieser Hinsicht sprach Flanagan davon, dass er “Potenzial” für nationale Gesetze sehe, die die rechtliche Durchsetzung von Forderungen einschränken.

Mit Blick auf Sri Lanka stimmte Flanagan zu, dass der IWF den Schuldenerlassbedarf zu gering angesetzt habe. Auch der Deal, den die Ukraine mitAnleihehaltern ausgehandelt habe, gefalle ihm „als kanadischer Staatsbürger“ (auf dessen Lasten dieser Bailout faktisch geschehe) nicht – dem IWF seien hier jedoch die Hände gebunden gewesen.

Gesetze können wichtigen Beitrag leisten…

Große Einigkeit bestand unter den Panelist*innen, dass nationale Gesetze grundsätzlich einen wichtigen Beitrag spielen können, um die internationale Schuldenarchitektur fairer und effizienter zu gestalten und die Beteiligung privater Gläubiger sicherzustellen. Auf den vorgebrachten Einwand, dass auch der bürokratische Aufwand der Verabschiedung eines entsprechenden Gesetzes zu bedenken sei, argumentierte Daniel Reichert-Facilides, Senior Counsel bei der Anwaltskanzlei Chatham Partners und Dozent am Law and Finance Institute in Frankfurt, dass die Verabschiedung eines entsprechenden Gesetzes ganz im Gegenteil zur Entlastung des Justizsystems und damit zur Entbürokratisierung beitragen könne.

Armand Zorn, SPD-Bundestagsabgeordneter und Mitglied des Finanzausschusses, antwortete auf das häufige Argument, ein solches Gesetz könnte die Kreditkosten in die Höhe treiben, mit zwei zentralen Punkten. Erstens halte er dies, auch in Anbetracht früherer ähnlicher Maßnahmen, für wenig plausibel. Zweitens wäre ein moderater Anstieg der Kreditkosten akzeptabel, solange er nicht durch eine schlechte Ausgestaltung des Gesetzes verursacht werde, sondern lediglich eine realistischere Risikobewertung der Kreditgeber widerspiegele.

…auch in Deutschland

Karina Patrício Ferreira Lima, Juniorprofessorin für internationales Finanzrecht der Universität in Leeds (Großbritannien) und Ohiocheoya Omiunu, Dozent für internationales Wirtschaftsrecht der Universität in Kent (Großbritannien) betonten die Relevanz, die ein entsprechendes Gesetz auch in Deutschland haben könne. Ferreira Lima wies dabei einerseits auf die politische Dimension hin, die vor allem darin liege, dass eine entsprechende Gesetzesinitiative vergleichbare Bemühungen in England und New York politischen Rückenwind geben würde. Andererseits betonte sie, dass ein entsprechendes Gesetz auch in Deutschland eine ernstzunehmende Schutzwirkung für Schuldnerstaaten entwickeln könne, insbesondere weil dadurch über Deutschland transferiertes (Finanz-)Vermögen der Schuldnerstaaten vor Pfändungsversuchen geschützt werde. Omiunu betonte zudem die Relevanz deutscher Investmentbanken – insbesondere der Deutschen Bank –, weil diese bei der Ausgabe von Staatsanleihen als Emissionsbanken tätig werden.

Armand Zorn unterstrich zudem, dass Deutschland in Zeiten von Vertrauensverlust und Skepsis gegenüber multilateralen Prozessen und Regelwerken durch einen aktiven Beitrag zu einer gerechteren internationalen Finanzarchitektur Vertrauen zurückgewinnen könne. Er betonte, dass es in Deutschlands Verantwortung liege, die hierfür notwendigen Maßnahmen zu ergreifen.

Der Teufel – und auch die Chance – steckt im Detail

In der Diskussion wurde ebenfalls deutlich, dass letztlich alles von der konkreten Ausgestaltung des Gesetzes abhängt – also vom genauen Wortlaut des Rechtstextes. Cassiel Ato Forson, ghanaischer Abgeordneter und Oppositionsführer, betonte, dass ein solches Gesetz nicht zu einseitig auf bestimmte Gläubigergruppen abzielen dürfe. Stattdessen müsse das Problem ganzheitlich betrachtet werden. Diesbezüglich wies Forson auch auf die Problematik der bevorteilten Behandlung multilateraler Gläubigerinstitutionen hin.

Mit Blick auf die aktuelle Debatte und die in New York diskutierten Gesetzesentwürfe betonte Reichert-Facilides, dass ein entsprechendes Gesetz die Gleichbehandlung unabhängig vom geltenden Vertragsrecht durchsetzen müsse – ähnlich wie es bereits bei früheren Gesetzesinitiativen in Großbritannien der Fall war. Dies würde das Risiko verringern, dass private Gläubiger „abwandern“ beziehungsweise das Vertragsrecht ändern, wie sie es angesichts der New Yorker Gesetzesvorhaben derzeit androhen.

Malina Stutz betonte, dass es entscheidend sei, Gesetze so zu gestalten, dass die Durchsetzung internationaler Vereinbarungen unter bestimmten Voraussetzungen auch dann möglich ist, wenn private Gläubiger sich mehrheitlich einer Restrukturierung verweigern. Nur so könne die bestehende Asymmetrie in den Verhandlungspositionen überwunden und gleichzeitig sichergestellt werden, dass künftige Umschuldungen umfassende Erleichterungen ermöglichen. Dabei sei es besonders wichtig, im Gesetzestext klar zu definieren, unter welchen Bedingungen ein solcher Fall eintreten kann, um für alle beteiligten Akteure ausreichende Rechtssicherheit zu schaffen. Stutz hob hervor, dass man sich in der akademischen und zivilgesellschaftlichen Debatte seit mehr als zwei Jahren intensiv mit diesen Detailfragen auseinandersetze und inzwischen ein sehr guter Vorschlag auf dem Tisch liege, an dem sich der deutsche Gesetzgeber weitgehend orientieren könne.

Ausblick

Till Mansmann, FDP-Bundestagsabgeordneter und wie Zorn ebenfalls Mitglied im Finanzausschuss, wies darauf hin, dass es aktuell aufgrund von Unstimmigkeiten zwischen den Regierungsparteien sehr schwierig sei, ein entsprechendes Gesetz auf den Weg zu bringen. Er betonte jedoch auch, dass es zentral sei, dass sich alle verantwortlichen Ministerien mit dem Vorschlag intensiv auseinandersetzen müssten, um in dieser Thematik voranzukommen. Dabei benannte er neben dem Bundesfinanzministerium auch das Bundesjustizministerium sowie das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

Foto: Accelerator Group II “Legislative Measures for Successful Sovereign Debt Restructuring” / Hamburg Sustainability Conference. ‘Photographed on behalf of the Hamburg Sustainability Conference’

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