Einmal im Jahr veröffentlicht die Weltbank den International Debt Report. Für erlassjahr.de und andere Entschuldungsnetzwerke sind die darin veröffentlichten Angaben zur Verschuldung von Ländern eine wichtige Datenquelle.
Im Report benennt die Weltbank die wichtigsten Erkenntnisse aus den aktualisierten Daten mit Stand Ende 2021. Dazu zählen:
- Das Überschuldungsrisiko sei in der letzten Dekade in Niedrig- und Mitteleinkommensländern deutlich gestiegen, das gelte vor allem für Staaten, die unter der Entschuldungsinitiative für hoch verschuldete arme Länder (Heavily Indebted Poor Countries, HIPC) entschuldet wurden. Diese Erkenntnis ist nicht neu und wurde von der Weltbank schon vor der Pandemie verkündet.
- Ende 2021 seien private Gläubiger die dominante Gläubigergruppe für Länder des Globalen Südens. Machten diese 2010 noch einen Anteil von 46 Prozent aus, liege dieser Wert nun bei 61 Prozent. Auch in den einkommensschwächsten Ländern nach den Einkommenskategorien der Weltbank würden private Gläubiger immer wichtiger: von einem Anteil von 5 Prozent im Jahr 2010 auf 21 Prozent 2021. Diese veränderte Gläubigerzusammensetzung habe – so die Weltbank – nicht nur positive Seiten, denn ein höherer Anteil privater Gläubiger bedeute auch eine hohe Schuldendienstbelastung und kompliziertere Umschuldungen.
- Neben der Abhängigkeit von privaten Quellen nähmen seit 2010 Kreditaufnahmen und Kooperationen mit Mitteleinkommensländern wie China, Russland, Saudi-Arabien, Indien und Türkei, die nicht im sogenannten Pariser Club der Gläubigerregierungen organisiert sind, zu. Dadurch sei das Schuldenportfolio deutlich komplexer und fragmentierter geworden, auch weil es unterschiedliche Verschuldungsinstrumente – etwa Kredite mit und ohne Garantien, Anleihen mit und ohne Collective Action Clauses – gebe. Auch die Unterscheidung zwischen inländischen und ausländischen Schulden würde zunehmend verwischt.
- Ein HIPC-Land habe heute ausstehende öffentliche Auslandsschulden mit Verpflichtungen gegenüber durchschnittlich mehr als 40 verschiedenen Gläubigern. Auch auf der Schuldnerseite gebe es diese stärkere Fragmentierung.
Einige dieser Botschaften sind nicht neu und wurden bereits vor der Pandemie verkündet. Der Report bietet jedoch auch interessante Auswertungen in Bezug auf die letzten zwei Jahre:
- Der starke Aufwärtstrend der Verschuldung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt sei 2021 weltweit wieder umgekehrt worden. Allerdings nicht durch einen Abbau der Verschuldung, sondern weil die Wirtschaft in vielen Ländern nach dem Corona-Schock 2020 wieder angekurbelt worden sei. Die Verschuldung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt befinde sich in vielen Ländern damit wieder auf Vor-Pandemie-Niveau, bleibe aber in vielen Niedrig- und Mitteleinkommensländern hoch.
- Bloß in den Ländern, die als besonders einkommensschwach kategorisiert werden und sich für das besonders günstige Kreditfenster der Weltbank qualifizieren, habe sich der Trend nicht entsprechend umgekehrt – der Indikator bleibe höher als vor der Pandemie.
- Die Bruttoauslandsverschuldung habe 2021 in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen aufgrund des Wiederaufschwungs der Weltwirtschaft an Fahrt aufgenommen. Das globale Wachstum sei jedoch trotzdem viel langsamer als in den neun Jahren vor der Pandemie – was die Überschuldungsrisiken gleichzeitig erhöhe.
- Im Vergleich zum Niveau vor der Pandemie seien Kreditzusagen und -auszahlungen von ausländischen Gläubigern 2020 und 2021 vor allem in den ärmsten Ländern stark angestiegen – Ausdruck der kreditbasierten Unterstützung vor allem von öffentlichen Gläubigern wie IWF und Weltbank während der Pandemie.
- Auch 2021 seien die Kreditvergaben von Weltbank und IWF über dem vorpandemischen Niveau geblieben. Multilaterale Gläubiger hätten vor allem die Löcher gestopft, die der Einbruch der Kreditvergabe des Privatsektors hinterließ.
- Die Schuldendienstbelastung liege in einkommensschwachen Ländern auf dem höchsten Niveau seit 1997 – kurz vor Umsetzung der HIPC-Initiative. Lag der Schuldendienst im Verhältnis zu den Exporteinnahmen 2010 noch bei 5 Prozent, so liege dieser Wert 2021 bei 18 Prozent.
- Eine Auswertung des G20-Schuldenmoratoriums (Debt Service Suspension Initiative, DSSI) zeigt eine äußerst ernüchternde Bilanz: Der Bericht zeigt, dass letztendlich weniger gestundet worden ist als im letzten Jahr noch von der Weltbank selbst geschätzt. Lediglich 8,9 Milliarden US-Dollar seien aufgeschoben worden – 2 Milliarden US-Dollar weniger als erwartet. Die Länder, die von dem Moratorium profitiert haben, hätten im gleichen Zeitraum 71 Milliarden US-Dollar an öffentlichem Schuldendienst gezahlt, davon auch mehr als 16 Milliarden US-Dollar Schuldendienst an bilaterale öffentliche Gläubiger, darunter auch welche, die am Schuldenmoratorium beteiligt waren. Um wen genau es sich handelt, schlüsselt die Weltbank nicht auf.
- Letztendlich kommt die DSSI die Länder teuer zu stehen: Die beteiligten Schuldnerländer müssten insgesamt 575 Millionen US-Dollar an extra Zinsen für die Aussetzung zahlen, die die Gläubiger erheben durften.
Die Zukunftsaussichten laut Report sind düster:
- 2022 würden vor allem die einkommensschwächsten Staaten einen deutlichen Anstieg der Schuldendienstbelastung erleben, so dass sie kaum noch in der Lage sein würden, in Gesundheit, Bildung und andere Bereiche zu investieren.
- Auch 2023 und 2024 würde der Schuldendienst aufgrund hoher Zinsen sowie der zusätzlich fällig werdenden unter der DSSI 2020 und 2021 gestundeten Zahlungen deutlich erhöht bleiben.
- Die Weltbank erwartet einen flächendeckend nicht tragfähigen „Schuldenüberhang“ – und erwartet vor allem drohende Staatsinsolvenzen, nicht bloß Liquiditätskrisen.
Weitere Angaben im Bericht beziehen sich auf die Datenverfügbarkeit und wie die Weltbank plant, ihr Debtor Reporting System weiter zu verfeinern. Dazu zählt, dass in Zukunft auch inländische Schulden erfasst werden sollen. Zudem hat die Weltbank seit 2018 mehr als 630 Milliarden US-Dollar an zusätzlichen Kreditzusagen sowohl von öffentlicher als auch privater Seite erfassen können, die zuvor nicht erfasst waren.
erlassjahr.de wird im kommenden März den Schuldenreport 2023 veröffentlichen. Dieser wird, basierend auf den Daten der Weltbank sowie weiterer Quellen wie den Länderberichten des Internationalen Währungsfonds und den eigenen Angaben der jeweiligen Länder, eine detaillierte Analyse der Verschuldungssituation im Globalen Süden liefern.
Der diesjährige Schuldenreport 2022 steht zur Bestellung und als kostenloser Download zur Verfügung.