Die umfangreiche chinesische Kreditvergabe an Länder des Globalen Südens schafft Arbeitsplätze – zumindest in zahlreichen westlichen Forschungseinrichtungen, die seit Jahren versuchen, Licht in die intransparente Praxis der chinesischen Kreditvergabe zu bringen. Einem Instituts-übergreifenden Forschungsteam ist es nun erstmals gelungen, 100 Originalverträge chinesischer Gläubiger zu sichten. Die Studie “How China Lends: A Rare Look into 100 Debt Contracts with Foreign Governments” zeigt, auf welche Weise China versucht, sich einen bevorrechtigten Status als Gläubiger vertraglich abzusichern:
- Strikte Vertraulichkeitsklauseln: In chinesischen Kreditverträgen sind deutlich weitreichendere Geheimhaltungsbestimmungen festgeschrieben als in Verträgen mit nicht-chinesischen Kreditgebern üblich. Während Vertraulichkeitsklauseln üblicherweise die Kreditgeber verpflichten, die ihnen für die Bonitätsprüfung des Schuldners zur Verfügung gestellten Informationen vertraulich zu behandeln, wird es Schuldnerländern im Rahmen chinesischer Kreditverträge bisweilen grundsätzlich verboten, die Bedingungen und manchmal gar die Existenz der Kredite offen zu legen.
- Weitgehende wechselseitige Ausfallklauseln: Cross-default Klauseln sind ein üblicher Bestandteil internationaler Kreditverträge, die es einem Gläubiger ermöglichen, Kreditverträge aufzukündigen und die sofortige Rückzahlung der geliehenen Summe einzufordern, sofern der Schuldner gegenüber einem anderen Gläubiger in Verzug gerät. Es gibt jedoch unterschiedlich scharfe Varianten solcher Regelungen. Besonders gläubigerfreundliche Varianten, derer sich auch China bedient, haben im krisengeschüttelten Jahr 2020 bisweilen zu der Situation geführt, dass Länder das von den G20-Staaten angebotene Schuldenmoratorium (DSSI) nicht annehmen wollten – aus Angst, dass die Stundung der Zahlungen als Zahlungsausfall gewertet werden könnte und es dadurch ihren anderen Gläubigern ermöglichen würde, die eigenen Kreditverträge unverzüglich aufzukündigen.
- “No Paris Club”-Klausel: In mehr als 70 Prozent der untersuchten Kreditverträge wird es den Kreditnehmern ausdrücklich untersagt, die chinesischen Forderungen in koordinierten Verfahren mit anderen Gläubigern umzustrukturieren bzw. von chinesischen Gläubigern nach erfolgreichen Umschuldungsverhandlungen mit anderen Gläubigern vergleichbare Zugeständnisse zu erbitten. Diese Bestimmung richtet sich eindeutig gegen Verhandlungen im Pariser Club, der in den chinesischen Verträgen auch explizit genannt wird. Der Großteil der Kreditverträge der China Development Bank unterliegt dem Londoner Recht. Nach Auffassung der Autor*innen ist davon auszugehen, dass diese spezifischen Forderungen vor Londoner Gerichten nicht durchsetzbar seien. Die Verträge der chinesischen Export-Import Bank sind hingegen zum Großteil unter chinesischem Recht geschlossen. Unabhängig davon, ob diese Bestimmungen juristisch durchsetzbar sind oder nicht, stellen sie insbesondere im Zusammenhang mit strikten Vertraulichkeitsklauseln und Treuhandkonten einen klaren Anreiz für Schuldnerregierungen dar, die chinesischen Kreditverträge vor anderen Gläubigern geheim und aus koordinierten Umschuldungsverhandlungen raus zu halten.
- Besicherung und Treuhandkonten: Spätestens seit 2017, als Sri Lanka die Nutzungsrechte des Hambatota-Hafens für 99 Jahre an China abtrat, ist die Besicherung der chinesischen Kreditvergabe ein medial heiß diskutiertes Thema. Wie bereits vorherige Studien finden jedoch auch die Autor*innen dieser Studie keinen Hinweis darauf, dass physische Infrastruktureinrichtungen – wie Häfen oder Flughäfen – regelmäßig als Sicherheit der chinesischen Kredite fungieren. Fast ein Drittel der chinesischen Verträge verlangt von den kreditnehmenden Ländern, erhebliche Barguthaben auf Bank- oder Treuhandkonten chinesischer Banken zu halten, die im Falle von Zahlungsverzögerungen von den kreditgebenden Institutionen gepfändet werden können.
Neben dem Versuch, die wirtschaftliche Rendite zu maximieren, eröffnen die Vertragsbestimmungen China auch ungewöhnlich große Spielräume, Einfluss auf die Politik des Schuldnerlandes auszuüben. Unter anderem wird der Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu China in vielen Verträgen als „Ausfallereignis“ gewertet, welches es der chinesischen Gläubigerinstitution erlaubt, die umgehende Rückzahlung einzufordern. Auch weitere Regelungen sollen die politische Einflussnahme Chinas begünstigen:
- “Cross-Cancellation”-Klausel: Cross-Cancellation-Klauseln binden unterschiedliche Kreditverträge einer oder mehrerer chinesischer Institutionen in ihrer Gültigkeit aneinander. Chinesische Institutionen haben demnach die Möglichkeit, von Kreditverträgen zurückzutreten, wenn ein Schuldnerland aus einem anderen von China finanzierten Projekt aussteigen möchte. Dies macht es für Schuldnerländer schwieriger, nachträglich beispielsweise aufgrund sozialer oder ökologischer Bedenken (wie in Argentinien gegenüber geplanten Staudamm-Projekten am Rio Santa Cruz) aus einzelnen Projekten auszusteigen.
- “Change-of-Policy”-Klauseln: Sogenannte Change-of-Policy-Klauseln sind in der privaten internationalen Kreditvergabe übliche Bestimmungen. Sie räumen privaten Kreditgebern bei entscheidenden rechtlichen Änderungen im Land des Kreditnehmers oder des Kreditgebers das Recht ein, von einem Vertrag zurückzutreten. Da die Autor*innen annehmen, dass die staatseigenen chinesischen Banken Einfluss auf die Gesetzgebung Chinas haben, sehen sie hier ein Einfallstor, das es den Banken erlauben könnte, Gesetzesänderungen in China zu forcieren, um von ihren Vertragspflichten gegenüber einem Schuldnerland befreit zu werden, sofern China mit der Politik des Schuldnerlandes nicht einverstanden ist.
Bei vielen der vertraglich festgehaltenen Bestimmungen ist es fraglich, ob diese juristisch durchsetzbar sind und/oder tatsächlich die (vorrangige) Bezahlung chinesischer Forderungen gewährleisten können. Eine systematische Auswertung dazu fehlt bislang. Einzelfälle deuten daraufhin, dass beispielsweise auch die Besicherungspraxis die Bedienung der chinesischen Forderungen nicht zuverlässig gewährleisten kann. Zudem hat sich China im Rahmen der DSSI und des Common Framework der G20-Staaten im Sinne einer effektiven Gläubigerkoordination auf die traditionellen westlichen Gläubigerstaaten hinzubewegt. Der größte Anteil der DSSI wird von China getragen. Die intransparente Praxis der chinesischen Kreditvergabepraxis ist jedoch nicht zuletzt deshalb problematisch, da sie – wie im Falle Sambias – für private Gläubiger, die sich bislang aus jeglichen Umschuldungen im Kontext der Corona-bedingten weltweiten Rezession raushalten, einen Grund oder zumindest einen Vorwand darstellt, ihrerseits keine Zugeständnisse zu gewähren. Diese gegenseitige Blockade von Gläubigern erschwert es, zeitnah zu nachhaltigen Entschuldungslösungen zu kommen, die viele Niedrig- und Mittel-Einkommensländer gerade aktuell so dringend benötigen.
Weitere Informationen:
erlassjahr.de-Länderprofil: “China” (Stand 2018)