Die überdurchschnittlich heftigen Monsun-Regen haben im Süden Pakistans bis zum letzten August-Wochenende mehr als tausend Menschenleben gefordert. 33 Millionen Menschen – etwa ein Siebtel der gesamten Bevölkerung Pakistans – sind betroffen. Mehr als eine Million Häuser wurden zerstört, berichtet Der Spiegel am 28.8.2022. Pakistans Regierungschef Shehbaz Sharif hat die internationale Gemeinschaft um Hilfe gebeten, und selbst Papst Franziskus hat bei seinem Besuch in L’Aquila einen dringenden Appell zur Hilfe für das muslimische Land ausgesprochen.
Pakistan gehört nicht nur zu den am stärksten vom Klimawandel bedrohten Ländern der Welt, sondern auch zu den am höchsten verschuldeten. Das Land steht mit knapp 120 Milliarden US-Dollar im Ausland in der Kreide. 2020 gab es mehr als die Hälfte aller durch den Export von Gütern und Dienstleistungen erwirtschafteten Devisen für den Schuldendienst aus. Nur durch eine vorläufige Aussetzung von Zinsen und Tilgungen an die G20-Mitglieder im Rahmen von deren Debt Service Suspension Initiative (DSSI) konnte Pakistan überhaupt eine Staatspleite vermeiden.
Eine ausreichende Unterstützung der betroffenen Menschen ist unter diesen Umständen von dem schwachen pakistanischen Staat nicht zu leisten. Internationale Hilfe läuft langsam an, aber bis sie Dimensionen erreicht, die über die Katastrophenhilfe hinaus den Wiederaufbau ermöglichen könnten, wird es zumindest lange dauern. Eine aussichtsreichere Alternative bietet in dieser Situation das im Kontext der Weltklimakonferenz von der Allianz der kleinen Inselstaaten (AOSIS) vorgeschlagene und von erlassjahr.de unterstützte Instrument eines sofortigen umfassenden Moratoriums und einer ebenso umfassenden Umschuldung während dieses auf etwa ein Jahr angelegten Moratoriums.
Der Vorteil eines Schuldenmoratoriums, also eines Aussetzens der Schuldendienstzahlungen für einen vereinbarten Zeitraum, besteht darin, dass Mittel nicht erst mühsam und langwierig aus den Entwicklungs- und Katastrophenhilfe-Haushalten der reichen Länder mobilisiert werden müssen. Das Geld ist schon vor Ort. Es steht als regulärer Schuldendienst an ausländische Gläubiger im pakistanischen Staatshaushalt und braucht demzufolge nur umgewidmet zu werden. Die Behörden könnten Zelte, Decken, Frischwasser, Benzin für die Hubschrauber, Nahrungsmittel, Baumaterial für Behelfsunterkünfte sofort kaufen und bezahlen – entweder mit Rupien im eigenen Land oder für die frei gewordenen Dollars in der Region.
In etwa sechs Monaten könnte der IWF – eventuell zusammenmit einer Nicht-Gläubiger- Organisation wie UNCTAD – eine Bilanz ziehen und die Schuldentragfähigkeit des Landes unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Folgen der Katastrophe neu bewerten. Eine Konferenz unter Einschluss aller Gläubiger könnte dann zum Ende der Zwölfmonatsfrist eine faire Lösung für alle Beteiligten – den Schuldner und die verschiedenen Gläubiger – aushandeln.
China ist mit rund 20 Milliarden US-Dollar der größte und Japan mit etwa 5 Milliarden US-Dollar der zweitgrößte Gläubiger Pakistans. Aber auch Deutschland und Frankreich spielen mit jeweils mehr als 1 Milliarde US-Dollar eine bedeutende Rolle. Der größte Teil der deutschen Forderungen entfällt nach Angaben des Bundesfinanzministeriums auf Ansprüche aus der Entwicklungszusammenarbeit – also Kredite, die ursprünglich für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Landes bereitgestellt worden sind – und mittlerweile zu einem bedeutenden Entwicklungshemmnis geworden sind.
Bundesaußenministerin Baerbock sprach bei ihrem Besuch in Palau genau das Thema „Schäden und Verluste“ an, das bislang von den reichen Ländern bei den Klimaverhandlungen stets trickreich umgangen worden war. In Palau sagte sie am 10. Juli 2022:
„Es geht nicht darum, nur zu reden, wir müssen jetzt handeln. Deshalb müssen wir uns auch auf den Bereich ‚Loss and Damage‘ konzentrieren. Das ist ein Thema, über das wir lange Zeit nicht genug gesprochen haben. Und dabei geht es im Kern um Finanzierung. Es ist ein Thema, das ich in den Mittelpunkt unserer internationalen Klimapolitik stellen möchte.„
Annalena Baerbock, 10.07.2022
Mit einem Doppelschritt aus Moratorium und Umschuldung könnte die Bundesregierung jetzt sogar mehr tun als „nur“ die unmittelbare Not in Pakistan zu lindern. Es könnte ein Schritt hin zu einem faireren Umgang mit den hauptsächlich vom Globalen Norden zu verantwortenden und vom Globalen Süden im wahrsten Sinne des Wortes auszubadenden Klimakatastrophe sein. Und tatsächlich auch ein Schritt zur Umsetzung des Ampel-Koalitionsvertrags, der die Schaffung eines fairen Entschuldungsmechanismus zum politischen Ziel erklärt hat.