28. Juni 2024

#RejectFinanceBill2024 Proteste in Kenia: Wenn Austerität zu Menschenrechtsverletzungen führt

© erlassjahr.de

“Tumechoka!” – “Wir sind müde!” Seit Tagen protestieren tausende Kenianer*innen überall im Land gegen die geplanten Steuererhöhungen auf lebensnotwendige Güter und Leistungen. Unter dem Hashtag #RejectFinanceBill2024 hatten vor allem junge Menschen auf Sozialen Medien wie TikTok, Instagram, X (ehemals Twitter) zu friedlichen Protesten aufgerufen. Nach der Ermordung von Rex Kanyeki Masai, mutmaßlich durch die Polizei, eskalierte die Lage in Kenias Hauptstadt Nairobi.

Mindestens 23 Tote laut kenianischer Ärztekammer, unzählige Verletzte und Entführungen und Festnahmen von regierungskritischen Protestierenden waren das Resultat des bislang größten Protests am 25. Juni 2024, der von vielen Kenianer*innen bereits jetzt als einer der dunkelsten Tage in der Geschichte der jungen Republik bezeichnet wird. erlassjahr.de drückt seine Solidarität mit den Protestierenden in Kenia aus und verurteilt die repressive und gewaltvolle Antwort der kenianischen Regierung auf die Proteste.

Kenias Staatsverschuldung

Aus Sicht von erlassjahr.de sind Kenias hohe Auslandsverschuldung und der Umgang mit dieser mitverantwortlich für die aktuellen Entwicklungen im Land. Die Kosten der aktuellen Schuldenkrise sollen durch Austeritätsmaßnahmen wie regressive Steuern auf die ärmsten Bevölkerungsschichten abgewälzt werden. Im Schuldenreport 2024 wird deutlich, dass Kenia 2024 ein Viertel seiner öffentlichen Einnahmen allein für Zins- und Tilgungszahlungen an ausländische Gläubiger aufwenden muss – ein Verhältnis, das untragbar ist. Die Austeritätspolitik hat bereits im letzten Jahr dazu geführt, dass die kenianische Regierung fünfmal so viel an ihre Gläubiger zahlte wie sie für die Gesundheitsversorgung aufwandte. Außerdem floss doppelt so viel Geld in Schuldenrückzahlungen wie in Bildung gesteckt wurde.

Kenia befindet sich aufgrund seiner kritischen Verschuldungssituation in einem mehrjährigen Programm des Internationalen Währungsfonds (IWF), in dem Programmgelder nur unter der Bedingung ausgezahlt werden, dass die Regierung ihr Haushaltsdefizit weiter reduziert. Dabei lag das Haushaltsdefizit im Jahr 2023 gerade einmal bei minus 0,4 Prozent. Inmitten einer wirtschaftlichen Krise handelt es sich dabei um einen sehr niedrigen Wert. Die kenianische Regierung unter Präsident William Ruto versucht nun, dieses Defizit durch Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen noch weiter zu senken. Dies trifft eine Bevölkerung, die ohnehin von Inflationskosten, steigenden Lebensmittelpreisen und einer hohen Jugendarbeitslosigkeit betroffen ist.

Der IWF und die deutsche Bundesregierung sind mitverantwortlich

Eine Mitschuld für die Opfer der Polizeigewalt und die Menschenrechtsverletzungen der vergangenen Tage liegt aus Sicht von erlassjahr.de beim IWF. Die Sorge vor weiter steigenden Lebenserhaltungskosten hat Kenias Jugend auf die Straßen getrieben. Die Daily Nation, Kenias größte und meistgelesen Tageszeitung, berichtete am 27. Juni, dass der IWF Proteste gegen die geplanten Steuerreformen bereits vor Monaten prognostiziert hatte. In einem im Januar 2024 erschienenen Report schrieb der IWF von Unruhen im Zusammenhang mit den Protesten gegen notwendige Steuererhöhungen, die den Handel und Tourismus in Kenia stören könnten. Dennoch forderte der IWF die kenianische Regierung auf, an den Reformen im Rahmen ihres Programmes festzuhalten. Durch seine Bedingungen an die kenianische Regierung macht sich der IWF mitverantwortlich für den repressiven Umgang mit den Protesten.

Doch auch die deutsche Bundesregierung trägt aus Sicht von erlassjahr.de Verantwortung für die Situation in Kenia. Erstens ist die Bundesregierung als viertwichtigster Anteilseigner des IWF im hohem Grad verantwortlich für die Politik des Fonds. Zweitens hat sich die Ampel-Regierung in ihrem Koalitionsvertrag darauf verständigt, eine Initiative für ein Staateninsolvenzverfahren zu unterstützen und Schuldenstreichungen für gefährdete Staaten umzusetzen. Weil faire und transparente Aushandlungen von Schuldenstreichungen aber nach wie vor keine Realität sind, leisten überschuldete Staaten wie Kenia lieber weiterhin einen aussichtslosen Schuldendienst auf Kosten der Bevölkerung.

Wie könnte es weitergehen?

Der kenianische Präsident William Ruto hat sich dem Druck der kenianischen Bevölkerung gebeugt und in einer nationalen Ansprache am 26. Juni angekündigt, das vom Parlament verabschiedete Steuergesetz nicht zu unterschreiben. Die Kenianer*innen, die in den vergangenen Tagen ihre Unzufriedenheit und Wut auf die Straßen Nairobis, Mombasas, Eldorets und andernorts getragen haben, scheint dies jedoch nicht zu besänftigen. Die repressiven, gewaltvollen Einschränkungen ihres Rechts auf Protest und neu entbrannte Debatten über Korruption und Staatsverschuldung führen zu mehr Bewusstsein auf Seiten der kenianischen Bevölkerung.

„Wir lassen unsere Länder auf Schulden laufen! Wir führen unsere Länder, wohl wissend, dass unsere Gemeinschaften, unsere Menschen nicht die Finanzkraft haben, genug Geld in unsere Kassen zu legen, um diese Schulden zu begleichen. Warum also sollten wir uns verschulden? Warum sind wir ein so teures Land, wenn die Mehrheit der Menschen so arm ist?“ (Dr. Auma Obama)

Das sagte die Aktivistin und Autorin Dr. Auma Obama in einem Interview mit Democracy Now!. Die weiterhin erhitzte Stimmung im Land lässt vermuten, dass die junge Bewegung fortbestehen wird und Kenianer*innen auch zukünftig ihre Forderungen auf die Straße tragen werden, unerschrocken und trotz bestehender Repressionen. Unter dem neuen Hashtag #RutoMustGo wird bereits weiter mobilisiert und zu Aktionen und Protesten aufgerufen.

Text: Amelie Fischer, erlassjahr.de
Foto: © erlassjahr.de, Solidaritätsdemo der kenianischen Diaspora am 27. Juni 2024 in Köln