“Schulden streichen, Klima retten – gemeinsame Strategien für eine bessere Welt” – so lautete der Titel der erlassjahr.de-Jahrestagung 2023 in Kooperation mit der Evangelischen Kirche von Westfalen. Die Wahl des Themas spiegelte dabei eine aktuelle Entwicklung wider: Die Zusammenhänge zwischen der Klimakrise und der Schuldenkrise spielen sowohl in der Arbeit von Klimagerechtigkeitsgruppen als auch in der Entschuldungsbewegung eine immer wichtigere Rolle. Dass dieses Thema interessiert, zeigte sich an einer gut besuchten Tagung: Rund 40 Engagierte trafen sich am 3. und 4. November 2023 in der Jugendherberge Dortmund, darunter viele Vertreter*innen von Mitträgerorganisationen und zu unserer großen Freude auch mehrere Aktivist*innen von den Fridays for Future und der Klima- und Entschuldungsbewegung Debt for Climate.
Einigkeit, Kontroversen und großes Theater
Nach einem Überblick über die aktuelle Verschuldungssituation im Globalen Süden durch unsere Politische Referentin Malina Stutz und einer Einführung in das Tagungsthema durch unsere Politische Koordinatorin Kristina Rehbein ging es am Freitagabend mit einer Podiumsdiskussion weiter.
Große Einigkeit herrschte darin, dass Klimagerechtigkeit ohne Schuldengerechtigkeit nicht denkbar ist. Doch daran schlossen sich viele Fragen an: Sollen wirklich alle Schulden des Globalen Süden gestrichen werden? Und falls ja, wie geht es danach weiter? Oder sollen nur manche Schulden gestrichen werden – aber welche? Und sollten Erlasse an Bedingungen geknüpft werden? Hier entwickelten sich erfrischend kontroverse Diskussionen. Die Forderung nach fairer Entschuldung von erlassjahr.de wurde von Louise Wagner von Debt for Climate in Frage gestellt: Sie forderte keine „barmherzigen Erlasse“, sondern die Streichung aller Schulden der Länder des Globalen Südens. Dass diese Forderung politisch kaum umsetzbar sei, sei ihr bewusst. Doch sie betonte, es sei bereits aus strategischen Gründen wichtig, dass es eine Bewegung gebe, die diese Forderung stelle. Malina Stutz stellte klar, dass auch erlassjahr.de die Gewährung von Erlassen nicht als Akt der Barmherzigkeit, sondern als Recht des Schuldners verstehe. Sie verteidigte jedoch die zentrale Forderung unseres Bündnisses nach einem Staateninsolvenzverfahren. Die einmalige Streichung aller Schulden klinge zwar radikal, sei aber weit weniger weitreichend als ein solches Verfahren. Sarah Ribbert, Referentin für Entschuldung und grüne Transformation von der Heinrich-Böll-Stiftung, stellte das Projekt „Debt Relief for Green and Inclusive Recovery” vor. Im Rahmen dieses Projektes macht sich die Heinrich-Böll-Stiftung zusammen mit anderen Partnern für Schuldenerlasse zugunsten einer grünen Transformation stark. Mae Buenaventura vom Asian Peoples‘ Movement on Debt and Development (APMDD), die virtuell zugeschaltet war, betonte, wie wichtig eine historische Perspektive sei. Der Globale Norden habe vielen Ländern die Verschuldung aufgezwängt. Schließlich seien die Kolonisatoren die ersten Gläubiger gewesen. Was nicht heiße, dass Netzwerke wie APMDD ihren Regierungen die Verantwortung absprechen würden. Es sei daher wichtig, die gemeinsame, aber unterschiedliche Verantwortung anzuerkennen – sowohl im Umgang mit der Klima- als auch mit der Schuldenkrise.
Für das Abendprogramm hatten wir uns erstmals externe Unterstützung geholt: Die Impro-Theatergruppe „Verwischte Tinte“ aus Dortmund lud uns zu einem Workshop ein. Die Spiele waren herausfordernd – für unsere Spontanität, unseren Einfallsreichtum und nicht zuletzt für unsere Lachmuskeln. Nach den komplexen Debatten des Tages ins freie Spiel zu finden, war eine willkommene Abwechslung.
Aktionsplanung, Bündnisratswahlen und herzliche Danksagungen
Der Samstag begann mit einem Rück- und Ausblick auf die Arbeit von erlassjahr.de. Direkt im Anschluss entwickelten die Teilnehmenden in Arbeitsgruppen Pläne für das kommende Jahr. Darin ging es u. a. um kreative Aktionsideen für die Kampagne „Mit Schulden fair verfahren!“, um aktuelle politische Prozesse in der internationalen Entschuldungspolitik sowie um Möglichkeiten und Grenzen der Zusammenarbeit von Klima- und Entschuldungsbewegung.
Nach dem Mittagessen folgte die Wahl des neuen Bündnisrats. Thomas Reichert, der in den letzten Jahren den Oikocredit Förderkreis Bayern im Bündnisrat vertreten hatte, kandidierte nicht erneut und verlässt damit den Bündnisrat. Wir bedanken uns ganz herzlich für die intensive Unterstützung und tatkräftige Mitarbeit! Vier Personen wurden neu in den Bündnisrat gewählt: In der säkularen Säule wird Verena Kröss den Verein WEED – Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung vertreten. In der ökumenischen Säule begrüßen wir Helmut Müller als Vertreter der Vereinten Evangelischen Mission und Thomas Hempel als Vertreter der Schwestern- und Brüderschaft des Evangelischen Johannesstift. Joana Neumann wird nach ihrem Praktikum bei erlassjahr.de im Sommer dieses Jahres als Einzelunterstützerin im Bündnisrat mitarbeiten. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit allen alten und neuen Menschen im Bündnisrat!
Mit einer Feedbackrunde endete die Jahrestagung. Die neu gewählten Bündnisratsmitglieder sowie einige Gäste blieben noch eine Nacht länger in Dortmund und hielten ihre erste gemeinsame Sitzung ab. Dort wurden einige der Ideen von der Jahrestagung direkt in konkrete Pläne überführt.
Wir danken allen Referent*innen und Teilnehmenden, den Theaterleuten und Technikmenschen sowie den Gastgeber*innen der Jugendherberge Dortmund ganz herzlich für eine inspirierende Tagung und die gute Atmosphäre! Ein großer Dank geht auch an die Evangelische Kirche von Westfalen sowie an Engagement Global für die gute Kooperation und die finanzielle Förderung der Tagung.
Save the Date: Die nächste erlassjahr.de-Jahrestagung findet voraussichtlich vom 13.-14.09.2024 in Saarbrücken statt. Tragt euch den Termin schon mal in eure Terminkalender ein!