26. Juli 2024

Schuldenkrise ungelöst: Warum der Bondholder-Deal der Ukraine kaum hilft

Seit der russischen Invasion im Februar 2022 befand sich die Ukraine in einem Schuldenmoratorium, das am 1. August 2024 ausläuft. Am 22. Juli 2024 erzielte die ukrainische Regierung jedoch eine überraschende Einigung mit dem Steering Committee ihrer internationalen Anleihegläubiger, zu denen prominente Investoren wie BlackRock, PIMCO und Amundi gehören. Obwohl zuvor über deutlich höhere Schuldenstreichungen verhandelt wurde, wird diese Vereinbarung öffentlich als Erfolg für die Ukraine gefeiert. Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich der Deal jedoch als stark zugunsten der Investoren ausgehandelt: Der zuvor vom IWF abgesegnete Schuldenschnitt von 60 Prozent wurde auf lediglich 37 Prozent reduziert, was neue Herausforderungen für die Ukraine schafft.

Ein fragwürdiger Schuldenschnitt

Die alten Anleihen der Ukraine umfassen Nominalforderungen in Höhe von 23,4 Milliarden US-Dollar, von denen 19,7 Milliarden US-Dollar echte Kapitalforderungen sind. Der Rest von 3,7 Milliarden US-Dollar besteht aus kapitalisierten Zinsen, die während des Moratoriums aufgelaufen sind. Diese Zinsen sind umstritten, da sie auf die Zeit seit der Invasion zurückgehen, in der die Ukraine als zahlungsunfähig galt.

Der Deal sieht nun vor, dass die alten Anleihen gegen neue Anleihen getauscht werden, die Nominalforderungen von insgesamt 14,7 bis 17,6 Milliarden US-Dollar aufweisen. Öffentlich wird oft von einem Schuldenschnitt von 37 Prozent gesprochen. Doch diese Zahl ist irreführend, da sie die kapitalisierten Zinsen einbezieht. Realistisch betrachtet beträgt der Schuldenschnitt nur etwa 25 Prozent der ursprünglichen Kapitalforderungen. Sollte sich die ukrainische Wirtschaft besser entwickeln als erwartet, könnten die Anleihegläubiger zusätzliche Zahlungen erhalten, wodurch der Schuldenschnitt sogar auf lediglich 11 Prozent schrumpfen würde.

Langfristige Belastungen für die Ukraine

Trotz der Einigung bleibt die finanzielle Belastung für die Ukraine erheblich. Allein in den nächsten drei Jahren bis 2027 muss die Ukraine bereits über eine Milliarde US-Dollar Zinszahlungen an seine privaten Gläubiger leisten. Die öffentlichen Gläubiger haben der Ukraine ein Moratorium bis Ende 2027 gewährt, sodass in diesem Zeitraum kein Schuldendienst an die öffentlichen Gläubiger fällig wird. Zudem unterstützen die westlichen Staaten die Ukraine aktuell umfangreich mit neuen Geldern. Private Gläubiger wie BlackRock und Co. vergeben angesichts der höchst unsicheren aktuellen Situation hingegen keine neuen finanziellen Mittel an die Ukraine. Ein Teil der öffentlichen Unterstützung, der in den nächsten Jahren von Deutschland und anderen westlichen Staaten in die Ukraine fließt, kommt demnach nicht der ukrainischen Wirtschaft zugute, sondern finanziert die Zinsgewinne privater Gläubiger.

Zwischen 2025 und 2036 muss das Land Berechnungen von erlassjahr.de zufolge außerdem zwischen 21,3 und 24,7 Milliarden US-Dollar an Zins- und Tilgungszahlungen leisten. Diese Summe übersteigt die ursprünglich ausgeliehenen 19,7 Milliarden US-Dollar deutlich und stellt eine erhebliche Herausforderung für die wirtschaftliche Erholung und den Wiederaufbau des Landes dar.

Zusätzlich birgt der Deal eine einseitige Flexibilität zugunsten der Gläubiger, indem er keine weiteren Schuldstreichungen ermöglicht, sollte die ukrainische Wirtschaft sich schlechter entwickeln als prognostiziert. Zudem könnten die hohen Zinszahlungen, die ab 2025 fällig werden, weitere finanzielle Ressourcen binden, die dringend für den Wiederaufbau und soziale Dienstleistungen benötigt werden.

Forderungen und Ausblick

erlassjahr.de kritisiert die Einigung scharf. Es hätte einen deutlich umfangreicheren Schuldenschnitt als die anfangs von der Ukraine vorgeschlagenen 60 Prozent gebraucht, um das Land wirtschaftlich wieder handlungsfähig zu machen.

Außerdem fordert erlassjahr.de, dass der Internationale Währungsfonds (IWF) sowie westliche Staaten wie Deutschland ihre Verantwortung wahrnehmen und die Ukraine politisch, finanziell und rechtlich bei der Durchsetzung umfassender Schuldenerlasse unterstützen. Die aktuelle Einigung zeigt, dass ohne verbindliche Regelungen zur Beteiligung privater Gläubiger an Schuldenschnitten die Interessen der Investoren weiterhin Vorrang haben werden. Ein internationales Staateninsolvenzverfahren, wie es im Koalitionsvertrag der deutschen Bundesregierung vorgesehen ist, wäre ein wichtiger Schritt in diese Richtung.

Die Einigung mag kurzfristig als Erfolg erscheinen, doch langfristig stehen der Ukraine weiterhin erhebliche wirtschaftliche Herausforderungen bevor. Eine nachhaltige Lösung erfordert umfassendere Schuldenstreichungen und eine stärkere Unterstützung durch internationale Institutionen und Staaten. Nur so kann die Ukraine langfristig stabilisiert und ein fairer Neuanfang ermöglicht werden.

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