13. Januar 2022

Weltbank: Common Framework ungenügend

Nachdem die Direktorin des IWF, Kristalina Georgiewa, die Unzulänglichkeiten des Common Frameworks der G20-Staaten zur Restrukturierung von Staatsschulden bereits im Dezember mit klaren Worten herausgestellt hatte, zieht nun auch die Weltbank nach. In den am 11. Januar herausgegebenen Global Economic Prospectswidmen die Autor*innen der aktuellen schuldenpolitischen Lage ein eigenes Kapitel, in dem sie die von den G20 bisher ergriffenen Maßnahmen mit vergangenen Umschuldungs- und Erlassinitiativen vergleichen.

Die Kernaussage ist deutlich: Viele Länder befinden sich in einer höchst kritischen Verschuldungssituation und benötigen dringend echte Schuldenerlasse. Das Common Framework der G20 sei jedoch nicht geeignet, effiziente und nachhaltige Schuldenerlasse zu gewähren. In seiner jetzigen Ausgestaltung gleiche es den wenig nachhaltigen Umschuldungsmaßnahmen der frühen 1980er Jahre. Unzureichende Schuldenerlasse hatten damals zu einem „verlorenen Entwicklungsjahrzehnt“ in vielen Ländern des Globalen Südens geführt.

Lehren der Vergangenheit

Die Auswertung vergangener Entschuldungsinitiativen, die die Weltbank vornimmt, lässt sich anhand von vier Punkten zusammenfassen:

  1. Umfassende Schuldenerlasse wurden in der Vergangenheit so gut wie immer im Rahmen einer koordinierten Initiative gewährt.
  2. Schuldenerlasse kamen in der Vergangenheit zu spät und wurden erst zugestanden, nachdem die Krise über Jahre verschleppt wurde. Ursächlich dafür seien unter anderem zu optimistische Schuldentragfähigkeitsanalysen gewesen sowie die Weigerung der Gläubiger, anzuerkennen, dass sich viele Staaten nicht nur in einer kurzfristigen Liquiditätskrise befanden, sondern ein langfristiges Solvenzproblem aufwiesen und daher echte Erlasse benötigten. Studien zeigten hingegen, dass frühzeitige Umschuldungen mit ausreichenden Erlasselementen für alle beteiligten vorteilhaft wären.
    Zusammensetzung der Forderungen nach Gläubigern in Brady-Ländern
    Zusammensetzung der Forderungen nach Gläubigern in Brady-Ländern Quelle: Weltbank (2022): Global Economic Prospects – Special Focus: Resolving High Debt after the Pandemic. S. 52 Anmerkung: Die umfangreiche Kreditvergabe privater Gläubiger in den 1970er Jahren trieb viele Staaten in die Überschuldung und führte dazu, dass 1980 zu Beginn der Krise gut 80 Prozent der Forderungen gegenüber Brady-Ländern von privaten Gläubigern gehalten wurden. 1990 als Private endlich umfassend in Umschuldungen miteinbezogen wurden, hatten sich viele private Gläubiger schon erfolgreich zurückgezogen.
  3. Private Gläubiger wurden in der Vergangenheit nicht ausreichend an Schuldenerlassen beteiligt. Auch im Rahmen der HIPC- und MDR-Initiativen konnte die vorgeschriebene Gleichbehandlung, nach der private Gläubiger mindestens so umfangreiche Erlasse zugestehen sollten, wie sie von den öffentlichen Gläubigern gewährt wurde, nicht erfolgreich durchgesetzt werden. Am umfassendsten wurden private Gläubiger im Rahmen der Brady-Umschuldungen nach 1989 an Erlassen beteiligt. Private Forderungen wurden dabei um circa 37 Prozent verringert. Dies gelang damals nur durch eine koordiniertes Vorgehen multilateraler Gläubiger und der Regierungen der Länder des Globalen Nordens, in denen die Privaten ansässig waren. Unter anderem führte der IWF damals erstmals seine sogenannte Lending into Arrears Policy ein, durch die die Verhandlungsmacht der Schuldner gegenüber unkooperativen Gläubigern gestärkt wurde. Doch auch die Brady-Umschuldungen erfolgten erst, nachdem über fast ein Jahrzehnt unzureichende Erlasse und die Vergabe von öffentlichen Überbrückungskrediten dazu geführt hatte, dass ein Großteil der vormals privaten Forderungen auf öffentliche Gläubiger übergegangen war (vgl. Abb. 1).
  4. Umfassende Entschuldungen im Rahmen der HIPC- und MDR-Initiativen konnten unter anderem dadurch gewährt werden, dass auch multilaterale Forderungen abgeschrieben wurden.

Die aktuelle Situation

Die pandemiebedingte Rezession traf auf eine bereits kritische Verschuldungssituation in vielen Niedrig- und Mitteleinkommensländern und hat die Verschuldung zusätzlich angeheizt. Für eine nachhaltige wirtschaftliche Erholung werden viele Länder umfassende Schuldenerlasse benötigen. Diese im ausreichenden Umfang und zeitnah zu gewährleisten, wird laut Weltbank-Papier durch vier Entwicklungen, die die Gläubigerstruktur verkomplizieren, erschwert:

  1. Durch den im Vergleich zu den 1980er Jahren großen Anteil privater (Anleihe-)Forderungen gegenüber Niedrigeinkommensländern. Es müsse davon ausgegangen werden, dass gut 50 Prozent der ausstehenden Anleihen keine Collective Action Clauses enthalten, die eine geordnete Umschuldung mit Anleihehaltern erleichtern sollen. Zudem sei zu beobachten, dass private Gläubiger zunehmend prozessfreudig werden und ihre öffentlichen Schuldner vor nationalen Gerichten zur Rückzahlung verklagten.
  2. Durch das Gewicht öffentlicher bilateraler Gläubiger außerhalb des Pariser Clubs, darunter insbesondere China und die Golf-Staaten.
  3. Durch den Anteil nicht-klassischer Schuldeninstrumente wie die Vereinbarung von Währungsswaps.
  4. Durch die unscharfe Trennung zwischen öffentlichen und privaten Gläubigerinstitutionen wie bei der chinesischen Entwicklungsbank China Development Bank (CDB) oder der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW).

Unzulänglichkeiten des Common Frameworks

Der Common Framework sei ein zu begrüßender, notwendiger erster Schritt der Gläubigerkoordination, ohne die ein geordneter Ausweg aus der Überschuldung nicht möglich sei, so die Weltbank. In seiner jetzigen Ausgestaltung sei der Common Framework jedoch nicht geeignet, ausreichende Schuldenerlasse und eine faire Aufteilung der Kosten zwischen den verschiedenen Gläubigern zu gewährleisten. Problematisch sei insbesondere, dass öffentliche Gläubiger wie zu Beginn der 1980er Jahre darauf setzten, Schuldenkrisen primär durch Zahlungsverlängerungen und unzureichende Erleichterungen beim Schuldendienst zu bekämpfen. Ambitionierte Erlasse seien für viele Staaten dringend notwendig. Darüber hinaus fehle es dem Common Framework an klaren Prinzipien, wie privater Gläubiger verbindlich an Schuldenerleichterungen beteiligt werden könnten.

Was jetzt zu tun sei

Um die Effektivität des Common Frameworks zu erhöhen, müsse sich zu allererst dazu bekannt werden, tatsächlich umfassende Schuldenerlasse dort zuzugestehen, wo die Verschuldungssituation nicht tragbar ist. Die verbindliche Beteiligung privater Gläubiger könnte unter anderem durch nationale Gesetze erwirkt werden. Schuldnerländern sollte während der Verhandlungen ein Moratorium zugestanden werden und zeitliche Vorgaben für den Verhandlungsprozess wären hilfreich, um die Verhandlungen effizienter zu gestalten.

Letztlich schlagen die Autor*innen der Weltbank-Veröffentlichung vor, die internationale Schuldenarchitektur durch einen Mechanismus zu erweitern, der Umschuldungsvereinbarungen durch Mehrheitsentscheid für alle Gläubiger bindend machen sollte. Was hier genau gemeint ist, bleibt jedoch in der Schwebe. Sie sprechen von umfassenden („aggregated“) Collective Action Clauses, durch die ein Mehrheitsentscheid auch für bereits ausstehende Forderungen bindend wäre. Die Natur von Collective Action Clauses ist jedoch gerade, dass sie ein Vertragselement bei der Vereinbarung von Kreditverträgen sind und daher auch im Nachhinein keine Wirksamkeit für bereits ausstehende Forderungen entfalten können. Ein für alle Gläubiger und alle Kreditinstrumente bindender Mehrheitsentscheid könnte hingegen durch eine Reform der internationalen Verhandlungsstrukturen – wie etwa dem vom IWF 2001 vorgeschlagenen SDRM – Wirksamkeit entfalten. Wenngleich die Zielsetzung des neu vorgeschlagenen „Mechanismus“ (Verbindlichkeit für alle Gläubiger und alle bereits ausstehenden Forderungen) daher eher auf eine strukturelle Reform der internationalen Verhandlungsformate hinausläuft, wird dies unter dem Deckmantel von Collective Action Clauses, also vertragsrechtlichen Reformen, gefordert. Es stellt sich die Frage, ob innerhalb der Weltbank Uneinigkeit herrscht, wie offen von der bisher verteidigten Position, dass vertragsrechtliche Änderungen allein ausreichend seien, abgerückt werden darf.

Offen bleibt auch die Positionierung bezüglich multilateraler Beteiligung an Umschuldungen, die von der Weltbank bisher vehement ausgeschlossen wurde. Bei der Analyse vergangener Entschuldungsmaßnahmen wird die Beteiligung multilateraler Gläubiger als Erfolgsfaktor herausgestellt. In der aktuellen Situation sprechen die Autor*innen des analysierten Papiers von der Notwendigkeit, dass sich alle öffentlichen und privaten Gläubiger beteiligen. Eine Ausnahme für multilaterale Forderungen wird nicht explizit gefordert. Eine Erklärung, dass die Weltbank selbst bereit sei, im Rahmen entsprechender Verfahren auf einen Teil ihrer Forderungen zu verzichten, erfolgt allerdings auch nicht.

Entscheidend für den weiteren Umgang mit dem Common Framework und das internationale Schuldenmanagement wird letztlich sein, ob dieser Analyse Taten folgen und konkrete Reformen angegangen werden. Dass die Notwendigkeit dafür besteht, ist schließlich oft genug gesagt worden – nun auch von der Weltbank.