Einigung zwischen Ukraine und Anleihegläubigern: Anleger setzen ihre Profitinteressen durch

(Düsseldorf, 24.07.2024) Am vergangenen Montag traf die Ukraine eine Einigung mit ihren privaten Anleihegläubigern über Vorkriegsforderungen, auf die die Ukraine seit August 2022 keinen Schuldendienst leisten musste. Diese Entscheidung kommt überraschend, da die Ukraine noch kurz vorher über deutlich höhere Schuldenstreichungen verhandelt hatte. erlassjahr.de kritisiert, dass der geringe Erlass die Profitinteressen der Gläubiger über eine dauerhafte Entlastung der Ukraine stellt.

Das Angebot, das die ukrainische Regierung ihren Anleihegläubigern angesichts des zum 1. August auslaufenden Schuldenmoratoriums Anfang Juli vorgelegt hatte, sah einen Schuldenschnitt in Höhe von 60 Prozent vor. Der Internationale Währungsfonds hatte dieses im Hinblick auf die Schuldentragfähigkeit der Ukraine abgesegnet. Doch private Anleger, darunter BlackRock, PIMCO, Fidelity und Alliance Bernstein, weigerten sich, den geforderten Erleichterungen zuzustimmen. Die Möglichkeit eines Zahlungsausfalls stand im Raum. Am 22. Juli hat sich die Ukraine nun überraschend mit ihren Anlegern auf einen Schuldenschnitt von gerade einmal 37 Prozent geeinigt.

Kristina Rehbein, Politische Koordinatorin des deutschen Entschuldungsbündnisses erlassjahr.de, sagt: „Die Anleger haben die Ukraine dazu gebracht, klein beizugeben. Der letztendliche Schuldenschnitt ist viel zu gering.“ Aus Sicht von erlassjahr.de wären angesichts der aktuellen Lage sogar deutlich umfassendere Schuldenstreichungen als die ursprünglich von der Ukraine vorgeschlagenen 60 Prozent notwendig gewesen.

Malina Stutz, politische Referentin von erlassjahr.de, ergänzt: „Unsere Berechnungen zeigen, dass die Streichungen de facto noch deutlich geringer sind, als öffentlich verkündet. Die Anleger haben für das zweijährige Schuldenmoratorium seit 2022 saftige Zinsen im Umfang von 3,7 Milliarden US-Dollar berechnet. Diese schlucken einen Teil der Schuldenstreichung und reduzieren den Schuldenschnitt von den öffentlich kommunizierten 37 Prozent effektiv auf gerade einmal 25 Prozent.“

Darüber hinaus sei vereinbart worden, dass die Anleger weiter profitieren, wenn sich die Wirtschaft der Ukraine bis 2028 besser entwickelt als vom IWF prognostiziert. Dann erhielten die Gläubiger bis zu 2,8 Milliarden US-Dollar Tilgungszahlungen zusätzlich. Stutz: „Dadurch kann der tatsächliche Schuldenschnitt auf knapp 11 Prozent gedrückt werden. Gleichzeitig gibt es jedoch keine Vereinbarung, dass die Ukraine weniger Schulden zurückzahlen muss, wenn sich die Wirtschaft schlechter entwickelt als vom IWF prognostiziert. Eine Entwicklung, die wir auch in anderen Schuldenrestrukturierungen aktuell beobachten.“

Die jetzige Einigung verschafft der Ukraine kurzfristig Luft zum Atmen. Doch Berechnungen von erlassjahr.de zeigen, dass die Ukraine schon bis einschließlich 2027 insgesamt über eine Milliarde US-Dollar Zinsen zahlen muss. Ab 2029 werden bereits erste Tilgungszahlungen fällig, wodurch die Zahlungen dann noch einmal deutlich ansteigen. Stutz dazu: „Mit der Unterstützung eines kriegsgebeutelten Landes hat dieser Deal daher nichts zu tun – wohl aber mit dem Schutz der Profitinteressen der Gläubiger.“

Rehbein sieht öffentliche Akteure in der Pflicht: „Mit moralischen Argumenten können widerspenstige Anleihehalter nicht von hohen Schuldenstreichungen überzeugt werden – das hat noch in keiner Schuldenkrise funktioniert. Der IWF und öffentliche Akteure wie die Bundesregierung spielen jedoch trotzdem eine wichtige Rolle bei Umschuldungsverhandlungen mit Anleihehaltern. Sie sollten Schuldnerstaaten wie die Ukraine politisch, finanziell und rechtlich bei der Durchsetzung umfassender Schuldenerlasse mit ihren Anleihehaltern unterstützen.“

Rehbein: „Der IWF und die westlichen Staaten dürfen sich nicht zu Komplizen der Anleihehalter machen und den Deal als ausreichend einstufen. Die westlichen Staaten haben ein gemeinsames Interesse daran, dass der ukrainische Staat nicht durch einen hohen Schuldendienst weiter destabilisiert wird – und sollten entsprechend handeln.“ erlassjahr.de fordert daher, dass die Bundesregierung gemeinsam mit ihren Partnern Stellung bezieht und unmittelbar Maßnahmen ergreift, um umfassende Schuldenstreichungen durchzusetzen. Rehbein: „Es ist dringend geboten, dass in Deutschland endlich ein Gesetz verabschiedet wird, dass die Beteiligung privater Gläubiger an umfassenden Schuldenstreichungen sicherstellt. In der Bundesregierung wird dies bereits diskutiert.“

Weitere Informationen:

Das deutsche Entschuldungsbündnis „erlassjahr.de – Entwicklung braucht Entschuldung e. V.“ setzt sich dafür ein, dass den Lebensbedingungen von Menschen in verschuldeten Ländern mehr Bedeutung beigemessen wird als der Rückzahlung von Staatsschulden. erlassjahr.de wird von mehr als 500 Organisationen aus Kirche, Politik und Zivilgesellschaft bundesweit getragen und ist eingebunden in ein weltweites Netzwerk nationaler und regionaler Entschuldungsinitiativen.

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