Was Irland und Portugal (und die EU) aus der Entschuldung der Entwicklungsländer lernen sollten

Der uruguayische Schriftsteller Eduardo Galeano leitet seine pointierten Betrachtungen zur Geschichte Lateinamerikas damit ein, dass der Mensch Augen am Hinterkopf haben sollte, um die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen. Die aktuelle Diskussion um eine eventuelle Beteiligung des Privatsektors an der Überwindung der Überschuldungen von Irland, Griechenland, Portugal und anderen unterstreicht seinen Punkt.
Die deutsche Bundesregierung als größter Beitragszahler im Rahmen jeglicher EU-Gemeinschaftsanstrengungen hat einen Vorschlag entwickelt, in Zukunft bei Staatsüberschuldung nicht nur die Steuerzahler des verschuldeten Landes und anderer europäischer Länder für die Krise zahlen zu lassen, sondern zumindest einen Teil der Verluste auf die Investoren abzuwälzen, die sich in Erwartung hoher Renditen und in Kenntnis der Risiken in den betroffenen Ländern engagiert haben. Berlin propagierte seinen Vorschlag zugegebenermaßen ziemlich dilettantisch – sowohl was die Form der Präsentation gegenüber den europäischen Partnern angeht, als auch im Blick auf seine Substanz.
Aber sie hat – neben den Finnen, die sich jüngst unterstützend zum deutschen Vorstoß geäußert haben – erkannt, dass es einen Paradigmenwechsel braucht. Nicht einmal einen dramatischen, wenn man genau hinsieht, denn was Schäuble und Merkel fordern, ist nichts anderes, als die Beendigung eines absurden Anachronismus: Überall auf der Welt ist eine Bedingung für das Funktionieren von Marktwirtschaften, dass der Ertrag einer Investition positiv mit dem realwirtschaftlichen Ergebnis verknüpft sein muss. So funktionieren binnenstaatliche Kapitalmärkte, und auf dieser Grundlage regeln auch Insolvenzgesetze den Umgang mit der Zahlungsunfähigkeit eines Schuldners, wenn die Dinge denn einmal schief gelaufen sind.
Nur bei Staaten wird absurderweise davon ausgegangen, dass sie stets zahlungsfähig sind, es mithin kein Risiko gibt, der Investor aber gleichwohl eine Prämie (den „Spread“) für ein „offiziell“ inexistentes Risiko kassieren kann. Diesen Knoten endlich durchhauen zu wollen, ist das große Verdienst der deutschen Bundesregierung – wie tapsig auch immer sie sich dabei angestellt haben mag.
Blicken wir im Sinne von Galeano zurück: Als ab 1982 eine Reihe großer lateinamerikanischer Staaten pleite ging, entschieden sich die Gläubiger-Regierungen ein halbes Jahrzehnt lang, den Schuldendienst an die (privaten) Gläubiger zu refinanzieren, anstatt diese den längst eingetretenen Verlust tragen zu lassen. Erst ab 1989 ging dieser Spuk durch den sogenannten „Brady-Plan“ zuende. Als etwa zu dieser Zeit auch eine Reihe der allerärmsten Staaten vor allem in Afrikas südlich der Sahara längst keinen Schuldendienst mehr an ihre nördlichen Gläubigerregierungen zahlen konnten, entschlossen sich die Gläubiger, bis 1996 den bilateralen Schuldendienst von Weltbank und Währungsfonds finanzieren zu lassen – bis auch diese Schulden nicht mehr bedient werden konnten, und ein komplizierter Schuldenerlass-Prozess im Rahmen der HIPC-Initiative auf den Weg gebracht werden musste. Der war langwierig, unvollständig und im Vergleich zu einem schnellen und tiefgreifenden Schnitt teuer für alle Beteiligten.
Die Frage ist nun, ob die europäischen Schuldner-Länder auf den gleichen Weg geschickt werden – oder ob der deutsche Vorschlag eine Alternative dazu bietet. Sie wird sich daran entscheiden, ob die Regierungen der starken Länder weiterhin darauf setzen wollen, die Illusion der Schuldendienstfähigkeit aufrecht zu erhalten – selbst in Zeiten, da Irland und Portugal längst Spreads für ihre Kreditaufnahme aufbringen müssen, als sei ein Kapitalschnitt schon unvermeidlich. Diese Konstellation ist hoch-attraktiv für die Anleger, während die den EFSF garantierenden Staaten dadurch zu Opfern einer Erpressung werden. Und da die Bedrohung, der sie mit ihren Rettungsfinanzierungen entgegentreten wollen, tendenziell eine permanente ist – die Gefahr einer Staats-Überschuldung kann nirgendwo und zu keiner Zeit im Grundsatz ausgeschlossen werden – ist auch die Erpressbarkeit von Dauer. Entgehen kann die Bundesregierung und kann die EU ihr nur durch genau die Art von Regeln, die Berlin auf den Weg bringen will: Wie jeder Kredit ist auch der an eine öffentliche Körperschaft selbstverständlich mit einem größeren oder kleineren Risiko verbunden. Und dieses Risiko hat in erster Linie der Investor zu tragen.
Damit diese Alternative auch praktisch umsetzbar wird, braucht es in erster Linie Regeln, die (a) verlässlich sind und (b) von allen Beteiligten, zu denen auch die Bevölkerung der kreditnehmenden Staaten gehört, als fair empfunden werden. Da war es mehr als unglücklich, dass der deutsche Finanzminister mit seinen berüchtigten Sprechzetteln die EU aufmischte, als seine Fachleute im Ministerium selbst noch keine genauen Vorstellungen – geschweige denn einen Konsens auf Kabinettsebene -vorweisen konnten. Das heisst aber nicht, dass ein tragfähiger Vorschlag für die Eurozone nicht in den nächsten Monaten entwickelt werden – und dann auch die Diskussion um einen globalen Entschuldungsmechanismus, dem die G20 sich dringend zuwenden müssten, befruchten könnte.
Wovor die europäischen Entscheidungsträger keinesfalls Angst haben sollten, ist die durch die Fachpresse geisternde Befürchtung, dass Länder, die einen Schuldenschnitt erzwingen, sich damit auf Dauer von den Kapitalmärkten ausschließen. Solche Weltuntergangs-Szenarien wurden bislang noch vor jeder der real existierenden Entschuldungsinitiativen von den Privatgläubigern und ihren Interessenvertretern an die Wand gemalt. Eingetreten sind sie noch nie. Wo es tatsächlichen zu dauerhaften Schwierigkeiten beim Kapitalzugang kam, hing dies durchweg mit den politischen Begleitumständen einer Zahlungseinstellung zusammen, und nicht mit der Schuldenreduzierung selbst. Der Regelfall war das genaue Gegenteil: ein entschuldeter Staat ist logischerweise für jeden Kreditgeber attraktiver als einer, der unter einem Berg von Altlasten stöhnt. Eigentlich genau die Art von Neuanfang, die Irland und Portugal in absehbarer Zeit brauchen werden.

Pakistan: Zu kleine Katastrophe für einen Schuldenerlass

Im Oxfam/Avaaz-Aufruf für einen Schuldenerlass zugunsten Pakistans heißt es: „Nach Angaben der Vereinten Nationen waren die Auswirkungen der Flut in Pakistan schlimmer als die des Tsunamis, des Erdbebens in Pakistan 2005 und des Erdbebens in Haiti 2010 zusammengenommen. Über 20 Millionen Menschen sind bislang von den Überschwemmungen betroffen und ein Ende der Krise ist nicht abzusehen.“
Legt man die absoluten Zahlen der Betroffenen und der angerichteten Zerstörung zugrunde, stimmt die Einschätzung der Kollegen zweifellos. Der IWF rechnet indes anders: Er hatte nach dem Erdbeben auf Haiti eine spezielle Fazilität geschaffen, durch die Streichung von Schulden beim IWF für solche Länder ermöglicht werden sollte, die besonders unter Naturkatastrophen zu leiden haben: den „Post-Catastrophe Debt Relief Trust“. Diese Fazilität im Programm des Fonds war eine Reaktion darauf, dass nach dem Erdbeben, der IWF satzunngskonform nur mit neuen Krediten, und nicht etwa mit Zuschüssen dem zerstörten Land zu Hilfe kommen konnte. Eine durchaus sinnvolle Regelung, denn eine weitere Internationale Institution, die offizielle Entwicklungshilfebudgets anzapft, um Mittel durch die eigene Bürokratie zu schleusen und an arme Länder weiter zu reichen, braucht wirklich kein Mensch. Gleichwohl war klar, dass Haiti seinen Aufbau nicht per Kredit würde finanzieren können. Der Ausweg bestand in der Schaffung des PCDR, der die nachträgliche Refinanzierung der IWF-Schulden aus eigenen Mitteln des IWF vorsah. Im Prinzip funktioniert auch der IWF/Weltbank-Schuldenerlass unter der HIPC-Initiative nicht anders.
Wer aber wird davon profitieren? Der Vorstand des IWF legte rigide Kriterien fest, und stellte genau so viel Geld bereit, wie notwendig war, um die Schulden Haitis beim IWF aus der Welt zu schaffen. Genau wie bei HIPC gingen die IWF Verantwortlichen davon aus, dass man soeben die letzte große Katastrophe der Menschheitsgeschichte bewältigt habe, und ein weiterer Finanzierungsbedarf im Rahmen des neu geschaffenen Instruments ohnehin nicht bestehe.
Und tatsächlich: Die Zugangsbedingungen wurden so formuliert, dass Pakistan („sorry, sorry“) leider nicht betroffen genug ist. Um in den Genuss eines Schuldenerlasses durch die PCDR zu kommen, muss
• das Land IDA-Status bei der Weltbank haben. Den hat Pakistan.
• Ein Viertel der produktiven Kapazität des Landes durch die Katastrophe verloren sein. In Pakistan pendeln sich die Schätzungen in der Größenordnung von 15% ein.
• Ein Drittel der Bevölkerung betroffen sein. In Pakistan sind es etwa 20 von 172 Mio Menschen, also „nur“ rund 12%.
Somit kommt Pakistan nicht in den Genuss von Schuldenerleichterungen. Zwar lag sein Schuldenstand im Verhältnis zu den jährlichen Exporteinnahmen mit 220% schon Ende 2008 deutlich über dem Wert, den Haiti nach seinem kurz vor dem Erdbeben gewährten HIPC-Schuldenerlass erreichte. Aber Regeln sind nun mal Regeln. Und so erhält Pakistan vom IWF eine grosszügige Wiederaufbauhilfe von 767 Mio US-$, wodurch der Schuldenstand beim IWF auf knapp 9 Mrd. US-$ steigt.
Besonders enttäuschend ist in diesem Zusammenhang die bisherige Haltung der deutschen Bundesregierung. Auch, wenn die Schulden beim IWF eine gefährlich wachsende Bedrohung darstellen, sind die Schulden bei den bilateralen Gebern quantitativ bedeutender. Und mit der Schuldenumwandlungsfazilität des BMZ hätten die Deutschen ein Instrument, um die Schuldenstreichung mit der Bereitstellung von Wiederaufbaumitteln unmittelbar verknüpfen zu können. Und Masse für eine sinnvolle Entlastung gibt mit 1,2 Mrd. € Entwicklungshilfeschulden und 231 Mio € Handelsschulden in Deutschland allemal.

Neue Zahlen zu den Schulden der ärmeren Länder bei Deutschland

Mehr als zwei Jahre lang hat das Bundesfinanzministerium darauf verzichtet, die Forderungen der Bundesrepublik an die Entwicklungs- und Schwellenländer zu aktualiserten. Wer wissen wollte, wie viel Geld Deutschland noch von ärmeren Ländern zu bekommen hatte, musste sich mit Informationen zum Stichtag 31.12.2007 zufrieden geben. Dank einer Kleinen Anfrage der Grünen Bundestagsfraktion sah sich der BMF nun genötigt, die Zahlen zum 31.12.2009 zu aktualisieren. Das BMF kündigt die Veröffentlichung der Zahlen auf seiner Website  „voraussichtlich im Sommer“ an.  Offenbar ist es in der Berliner Wilhelmstrasse aber noch nicht sommerlich genug. Bei uns in Düsseldorf ist es hingegen so heiß, dass wir die Zahlen schon mal zum Download anbieten.

Insgesamt sind die Schulden von Entwicklungs- und Schwellenländern bei der Bundesregierung um 2,1 Mrd. € auf 21,58 Mrd. zurückgegangen. Davon entfallen 14,6 Mrd. € auf Schulden aus der Entwicklungszusammenarbeit und knapp 7 Mrd. € auf vom Staat entschädigte Schulden bei deutschen Exporteuren („Handelsforderungen“). In den meisten Fällen liegt der Rückgang daran, dass die verschuldeten Länder regulär gezahlt haben. Dazu kommen die Effekte der nach und nach umgesetzten HIPC-Entschuldungsinitiative. Spürbar gestiegene Schulden hat Argentinien (durch Verzugszinsen auf die seit 2001 nicht mehr bedienten Handelsschulden von 1,8 Mrd.). Ähnlich liegt der Fall bei Myanmar und Simbabwe. Neue Kredite im Rahmen der Entwicklungshilfe bekamen Vietnam, Pakistan und Südafrika.

erlassjahr.de trifft Bundeskanzlerin Merkel

Bundeskanzlerin Merkel trifft NGO-VertreterBundeskanzlerin Angela Merkel hat sich am 16. Januar in Berlin mit Vertretern von zwölf internationalen Umwelt-, Gesundheits- und entwicklungspolitischen Nichtregierungsorganisationen getroffen. Mit den Aktivisten aus Belgien und den G8-Staaten Deutschland, Kanada, Japan und Russland wurde im Rückblick auf dem G8-Gipfel in Heiligendamm über die Verantwortung in der Entwicklungspolitik und den Klimawandel gesprochen.

Für erlassjahr.de war Koordinator Jürgen Kaiser an dem Treffen beteiligt und brachte gegenüber der Kanzlerin noch einmal den Wunsch nach einem fairen und transparenten Schiedsverfahren im Rahmen internationaler Kreditstreitigkeiten zum Ausdruck. Diesen Ansatz diskutierte er nach dem Treffen auch mit dem Leiter des G8-Sherpa-Stabs Dr. Bernd Pfaffenbach.