Tokio Tagebuch III: Die Bank, der Fonds und wir

Zivilgesellschaft drinnen / © erlassjahr.de

Sonntagmorgen in Tokio: Das “Civil Society Centre” ist abgebaut. Wahrscheinlich sind bergeweise ausgelegte und nie mitgenommene Strategie-Papiere in den Orkus gewandert. Ich glaube, wenn irgendjemand wirklich zufrieden sein kann mit seiner Arbeit bei dieser Jahrestagung, dann sind es die NGO-Liaison-Leute:

Wir, die hier so genannte Zivilgesellschaft, wurden durchweg freundlich und kooperativ von ihnen behandelt. Wir hatten gänzlich kostenlos ziemlich gute Arbeitsmöglichkeiten im Keller des Tokyo International Forums, und konnten uns von daher keineswegs beklagen.

Auch die Delegationen, die Leitung und die Angestellten von Bank und Fonds durften  zufrieden sein: Wir haben sie kaum gestört. Da, wo sie sich trafen, durften wir nicht hin. Gelegentlich wurde mal der eine oder andere von uns in die höheren Etagen raufgeholt, und zu Side Events wie dem unseren kam auch schon mal ein Minister runter in unseren Keller. Nicht ganz ohne Mühe, denn wir hörten hinterher von Delegationen, dass man sich auf die Ortsangabe “Room 251” keinen Reim machen könne. Und tatsächlich entzogen sich die Raum-Angaben im Civil Society Centre gänzlich der normalen Raum-Systematik. Ob deswegen von uns heftig eingeladene Vertreter von verschuldeten Ländern vergeblich auf der Suche nach uns waren, und schließlich doch lieber ein Päuschen in der Sonne einlegten  als uns weiterzusuchen, werden wir nie erfahren.

Nun ja. Wir waren zu Gast, und als Gast soll man nicht meckern.

Ekelig wurde es allerdings meist, wenn von oben der praktische Dialog mit uns gepflegt wurde. So gaben sich Bank-Präsident Jim Young Kim und Fonds-Direktorin Christina Lagarde am Donnerstag für eine gute Stunde die Ehre vor einem mit NRO-Vertretern sehr gut gefüllten Auditorium. Neben ihnen saßen ein NRO-Direktor aus einem asiatischen Land und eine Frau, von der gesagt wurde, sie vertrete ein Netzwerk indischer Slumbewohner. Nach Slum hörte die sich allerdings nicht an, und sie sah auch nicht so aus. Vielmehr bestand ihre Diskurs darin, der Bank zu ihren ambitionierten Ziel der Ausmerzung der Armut zu gratulieren, und sie zu weiteren Anstrengungen aufzufordern.

Der Gedanke, dass die beiden Institutionen eher Teil des Problems als Teil der Lösung sein könnten, scheint sich vor lauter konstruktivem Engagement derjenigen, die vor gefühlten hundert Jahren auch mal gegen die Institutionen auf die Straße gegangen sind, verflüchtigt zu haben. Es gab nicht eine (zugelassene) Intervention, bei welcher NRO-Frage und Bank/Fonds-Antwort nicht im Prinzip in die gleiche Richtung gingen.

Zivilgesellschaft draußen / © erlassjahr.de

Auf die Straße gingen unsere japanischen Kolleg/innen und ein paar von uns dann aber doch. Am Samstag gab es einen sehr hübschen Caserolazo, d.h. eine Kochtopf-Demo mit reichlich Radau aus Protest gegen die Institutionen, denk deren Politik die Töpfe leer bleiben. Klein (von mir handgezählte 243 Teilnehmer/innen), fein und laut.

erlassjahr.de vor dem Weißen Haus

Aus Anlass der Jahrestagung von IWF und Weltbank organisierte Jubilee USA nicht nur eine Reihe von Veranstaltungen innerhalb und außerhalb der Internationalen Finanzinstitutionen, sondern auch eine “Ketten-Demonstration” von der Weltbank zum Weißen Haus.

Quer durch die Staaten hatten Jubilee-Unterstützer aus Kirchen, Gewerkschaften und Eine-Welt-Gruppen in den letzten Wochen bunte Kettenglieder gebastelt und teils mit persönlichen Botschaften beschriftet. Diese wurde von etwa 500 Demonstrant/innen am Freitag, dem 9. Oktober 2010 zu Beginn der eigentlichen Gouverneurstagung von Bank und Fonds durch die Straßen Washingtons getragen.

Da erlassjahr.de heute die zusammen mit der Friedrich-Ebert-Stiftung erstellte neue FTAP-Studie vorstellt, konnte ich natürlich auch bei der Demo dabei sein, und vor dem Weißen Haus das mitgebrachte erlassjahr.de-Banner in Szene setzen. In diesem Fall mit der Hilfe unserer Freunde von Jubilee San Diego, mit denen wir schon beim vorletzten Kirchentag in Bremen eine gemeinsame Veranstaltung organisiert hatten.
Die Demo war nicht groß, aber bunt und laut: Sogar eine amerikanische Version des “Hai des Jahres” war mit von der Partie – schon etwas abgenagt, und dem IWF liebevoll gewidmet. Die Freund/innen der “Stop-IMF-Coalition” kamen in der etwas martialischen Aufmachung des schwarzen Blocks, aber selbst ihnen gegenüber blieben die Polizisten – überwiegend auf Fahrrädern der Marke “Smith & Wesson” (!) – friedlich.

Für mich war es die erste Demo im Jacket. Schließlich musste ich unmittelbar danach wieder zurück in die Weltbank. Dort stellte die Debt Management Abteilung ein neues Buch zum Thema Sovereign Debt Management vor. Interessanterweise erstmals mit einem Kapitel über die Option eines Internationalen Insolvenzgerichtshofs – aus der Feder des Berliner Völkerrechtlers Christoph Paulus. Ansonsten war es allerdings eine fix dröge Veranstaltung: Fünf Herren in grauen Anzügen sagten zur insgesamt rund fünfzig weiteren grauen Herren (und einigen wenigen ebenfalls grau beanzugten Damen) mehr oder weniger kluge Dinge über das Buch, das sie selbst geschrieben haben. Ein afrikanischer Delegierter hinter mir begann zur Mitte der Veranstaltung vernehmlich zu schnarchen. Ich konnte es ihm nicht verdenken.
Bei unserer eigenen Buchvorstellung heute nachmittag wird das hoffentlich nicht passieren. Und wenn doch, werde ich ein paar Witze erzählen oder einen Teil meines Vortrags singen.

attac ruft zur Demo vor Finanzministerium auf

Unsere Kollegen von attac rufen aus Anlaß des Weltspartages, am Donnerstag den 30. Oktober, zu einer Demonstration vor dem Finanzministerium in Berlin auf. Die Demo wird unter dem Motto “Nicht auf unsere Kosten – Die Profiteure sollen zahlen!” stattfinden. Im Aufruf zur Demo heißt es: “Überall werfen derzeit die Regierungen das Geld der Steuerzahler den Banken in den Rachen, um den Kollaps des Bankensystems abzuwenden. Wir werden nicht akzeptieren, dass die Rettungsaktionen nun zu Lasten der sozial Benachteiligten oder der sozialen Infrastruktur gehen. Die Verursacher müssen zahlen.

Datum/Uhrzeit: 30 Oktober, 17:00 bis 20:00 Uhr
Ort: Bundesfinanzministerium, Berlin, Wilhelmstr. 97, U-Bahn Stadtmitte oder Potsdamer Platz.