Beim Umgang mit Schulden waren (manche) Menschen vor 3000 Jahren schon mal weiter

In der Menschheitsgeschichte beispiellos sind die Entfaltung von Produktivkräften, die der Kapitalismus bewirkt hat, und die daraus resultierenden Wohlstandsgewinne. Immer mehr Menschen nehmen aber auch wahr, dass diese Gewinne nur um den Preis einer zunehmenden Polarisierung von reich arm, innerhalb wie auch zwischen den Gesellschaften realisiert werden können

Ob überhaupt und wie der „alternativlosen“ Liberalisierung von Wirtschaften samt genau diesen Folgen entgegengewirkt werden kann, ist indes keine neue Frage. Sie stellte sich auch schon vor dreitausend Jahren innerhalb der agrarisch geprägten Gesellschaft des alten Israel nach seiner Landnahme in Palästina. Das Alte Testament überliefert die mit der Zielsetzung, eine Polarisierung zumindest abzumildern, geschaffene Gesetzgebung zu den biblischen Erlass- und Jubeljahren. Gemeint ist damit die periodische Wiederherstellung der relativ egalitären Landbesitzverhältnisse innerhalb des Gottesvolkes; das war eine wichtige Lebensversicherung für diejenigen, die zwischenzeitlich gezwungen waren, ihr Land, ihre Familien oder gar sich selbst einem reicheren Nachbarn zu verpfänden, um in schwierigen Zeiten das eigene Überleben zu sichern.

Wie diese sehr alten Regelungen auch für spätkapitalistische Schuldner-Gläubiger-Beziehungen, sogar solche zwischen Staaten und ihren Gläubigern, nutzbar gemacht werden können, habe ich zusammen mit meinen Ko-Autoren Wolfgang Schonecke und Wolfram Stierle in einem Beitrag für die Herder Korrespondenz ausgeführt. Kritisch kommentieren kann man den Artikel hier im Blog ebenso wie auf der Herder-Seite.

Regierungen für und gegen Staateninsolvenzmechanismen

 

Der Frage “Welche fehlenden Elemente in der Internationalen Finanzarchitektur brauchen wir zur Bewältigung aktueller und Vermeidung künftiger Schuldenkrisen?” gingen wir bei einem Workshop mit der FES und EURODAD gestern in Brüssel nach. Vertreter der EU-Gremien, der Regierungen Deutschlands, der Schweiz, Argentiniens und Grenadas, Expert/innen aus dem Uni-Bereich, den Internationalen Finanzinstitutionen und zahlreiche NRO-Kolleg/innen nahmen daran teil. Deutlich wurde, dass qualitativ neue Verfahren zur Überwindung von Schuldenkrisen dringend benötigt werden, dass es dafür unter den aktuell betroffenen Schuldnerregierungen viel Sympathie gibt, und dass die Deutschen sich wieder mal gar nichts trauen.

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© erlassjahr.de

Wir wissen ja nun schon seit einiger Zeit, dass es einen konkreten Insolvenzmechanismus braucht. So sagt auch Wirtschafts-Nobelpreisträger Stiglitz: „Ein kapitalistisches System kann sich den Luxus einer nicht vorhandenen Schuldenarchitektur nicht leisten.“ Gerade die Situation in Afrika ist miserabel. Über Schulden bestimmen die Gläubiger, sie werden zu lange verhandelt, zu wenig und zu spät erlassen. Wenn überhaupt. Im schlimmsten Fall bedienen sich die Geier an den gebeutelten Ländern.Nicht nur deswegen braucht es dringend eine Priorität der Menschenrechte in der Schuldendebatte. Eine Beteiligung der Zivilgesellschaft. Ein unabhängiges Schiedsverfahren.
Die bisherigen internationalen Rahmenbedingungen sind äußerst mangelhaft. Zwar gibt es in Europa nun ja etwas wie den ESM (der am 18.04.14 noch einmal durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt wurde), doch die vergebenen Darlehen zwingen jedes in Not geratene Land, sich der aktuell herrschenden Doktrin anzupassen. Von Schuldenlösung, oder gar einem Erlass in unserem Sinne, weit und breit keine Spur.

 

Die existierenden makroökonomischen Modelle sind alle dermaßen ungenau, dass keines auf ein konkretes Land anwendbar ist. Jedes Land braucht einen individuellen Lösungsansatz.
„Frühes Engagement“ sei besonders wichtig, sagte O. Joseph, der grenadische Minister für ökonomische Entwicklung und forderte einen Mechanismus, „der genau dann greift, wenn ein Schuldenereignis eintritt“. Grenadas Stimme ist leider zu unbedeutend, als dass sie im internationalen Gefüge gewichtig wäre.14-03-23_DSC08794

Die Vertreter der anwesenden Finanzministerien aus Frankreich, Deutschland und der Schweiz bevorzugen neue und erweiterte Regeln für Collective-Action-Clauses (CACs) vor einem Insolvenzmechanismus. Man munkelt, dass über kurz oder lang zwar an Eurobonds wohl kein Weg vorbei führen wird, doch kein einziger europäischer Beamter wagt es, jemals den Kopf aus seinem sicheren Bunker zu strecken, um sich womöglich dem Sperrfeuer der Finanzindustrie auszusetzen.

Auch die Banken bewegen sich kaum. Sie sehen Kapitalflüsse versiegen, sollte man zu harte Regeln einsetzen. Generell seien Investitionen in Sektoren, die keine Rückflüsse generieren unglaublich schwierig. Frisches Geld komme nur durch profitträchtige Projekte. Vor allem von Privaten.
Dabei gibt es doch Studien (unter anderem von M. Gulati), die beweisen, dass CACs auf die Menge der vergebenen Kredite sehr wenig Einfluss haben. Der Markt macht zwischen einzelnen Bonds, egal welche Klauseln in deren Verträgen stehen, gar keinen Unterschied.

Die EU-Kommission rät jedenfalls dazu, erst ein- zweimal abzuwarten. Die Märkte seien sehr fragil. Eigentlich solle man sich zuerst einmal die Ausgabenstruktur der Länder anschauen, vielleicht geben sie ja einfach zu viel aus. Eine vorsichtige Kosten-Nutzen-Analyse ist bestimmt sehr wichtig, bevor man erste Schritte gehen kann. So sagt es jedenfalls auch der Kommissar.

Der Vertreter des Schweizer Finanzministeriums sah immerhin ein, dass es eine Lücke im System zu geben scheint. Und er schlägt vor, die Finanzstabilität unabhängig vom politischen Prozess zu erhöhen: „Vielleicht, irgendwann, in der fernen Zukunft kann man für alle zukünftigen Fälle eine Lösung finden. Wir sollten dabei aber pragmatisch sein. Ein Umfassender Ansatz, der alle Schulden verhandelt ist selbstverständlich nicht möglich. Die einzigartigen Koordinationsprobleme der Sonderklasse Staatsschulden zwingen uns dazu, uns auf Teilschulden zu konzentrieren.“
Wenn ich das richtig verstanden habe, würde ein internationaler Schuldenmechanismus auch diese Koordinationsprobleme lösen. Warum man das nicht möchte, verstehe ich nicht.

Folgen wir den Regierenden, konzentrieren wir uns darauf, alles das, was wir implementieren wollen, schon jeweils in die emittierten Bondverträge hineinzuschreiben:

  • Einen Geier-Schutz-Ansatz für die CACs
  • ein vorher festgelegtes Moratorium
  • ein verpflichtendes Schiedsverfahren

Vertragsmodalitäten haben Juristen gern. Und wenn die zufrieden sind, dann werden diese neuen Klauseln auch in den neuen Verträgen auftauchen. Vielleicht geht Deutschland mit gutem Beispiel für eine funktionierende Jurisprudenz voran und implementiert derartige Klauseln in den eigenen Bond-Serien. Dann trauen sich auch Andere.

Politik ist die Kunst des Machbaren. (H. Kohl)

Ach Schäuble….

Auf einem Podium Katholikentag in Mannheim erklärte der Bundesfinanzminister, “ein Erlassjahr sei kein Mittel gegen die Schuldenkrise”. Der grüne Finanzpolitiker Gerhard Schick hatte den Gedanken eines Erlassjahres in die Diskussion gebracht.

Nun ist es nicht überraschend, dass ein Finanzminister sich mit dem Gedanken eines Schuldenerlasses schwer tut. Überraschend ist die von Schäuble nachgeschobene Begründung: “Ein Erlassjahr bedeute Geldentwertung und Währungsreform”. Ob das Volk Israel ein Erlassjahr, wie das Alte Testament es beschreibt, je praktiziert hat, ist unter Theologen und Historikern umstritten. Falls es das gab, war es auf keinen Fall mit Geldentwertung und Währungsreform verbunden.

Das gleiche gilt für das, was erlassjahr.de als dem Spätkapitalismus gemäße Form eines Erlassjahr’s vorschlägt: nämlich ein geregeltes Staateninsolvenzverfahren. Das steht – nebenbei bemerkt – als politische Forderung auch im Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Bundesregierung, dem Herr Schäuble sich eigentlich verpflichtet fühlen müsste.

Rational ist die Reaktion des Ministers auf Gerhard Schick’s Anregung mithin nicht zu verstehen. Was vielmehr daraus zu sprechen scheint, ist die offenbar unausrottbare Annahme, Staaten könnten, sollten, dürften nicht pleite gehen. Auf ungefähr halber Strecke zwischen einem verspäteten und für Griechenland unzureichenden Schuldenerlass und der ungeregelten Staatspleite des Landes nach den Wahlen im nächsten Juni, weist der deutsche Finanzminister das zurück, was eine zeitige und wirksame Bekämpfung der Krise in der Eurozone ermöglicht hätte: Im Frühjahr 2010, als Griechenland sich im Prinzip für zahlungsunfähig erklärte, hätte ein geregeltes Verfahren für einen schnellen, geordneten und ausreichend tiefen Schuldenschnitt zumindest die Chance geboten, die Krise in einem frühen Stadium zu beenden. Nach einer Berechnung von erlassjahr.de wäre Griechenland durch den gleichen Schuldenerlass der Privatgläubiger in Höhe von 109 Mrd. €, wie er im Februar 2012 beschlossen wurde, größenordnungsmäßig bei einem Schuldenstand von 82% angekommen. Immer noch keine unproblematische Größenordnung, aber mit der um zwei Jahre verschleppten Regelung erreicht Griechenland nach Berechnung des IWF im besten Falle 129% – und zwar im Jahr 2020.

Es ist tragisch, dass einer der wichtigsten Akteure in der Eurokrise die Chance verspielt, in die nächste Krise nicht ebenso unvorbereitet zu stolpern wie in die noch andauernde.

Unkalkulierbar

Im Zusammenhang mit einer drohenden Umschuldung Griechenlands hat die Finanzpresse ein neues Libelingswort: “Unkalkulierbar”. Das seien nämlich die Risiken, die auf die Öffentlichkeit der Eurozone zukämen, wenn es zulasten der Anleger einen Schuldenschnitt oder auch nur eine Umschuldung der griechischen (Auslands-)Schulden gebe.
Und deshalb solle man lieber die Finger davon lassen.
So lange es Staats-Schuldenkrisen gibt (also eigentlich schon immer) haben Gläubiger eine Art Weltuntergang für den Fall an die Wand gemalt, dass sie ihr Geld nicht – oder nicht in voller Höhe – wiederbekommen. Bislang bezog sich der Weltuntergang meist auf den Schuldner selbst: wer nicht voll zurückzahle, bekomme nie wieder einen Kredit, wurde entgegen jeder wirtschaftliche Logik und jede historische Erkenntnis jahrelang den ärmsten Ländern mitgeteilt, als deren Schuldensituation in den 90ern immer prekärer wurde. Kurz darauf organisierten Weltbank und Währungsfonds selbst die Entschuldung von 40 Ländern – mit dem expliziten Ziel, diese dadurch wieder oder überhaupt erstmals kapitalmarktfähig zu machen. Was sich bis zum Beginn der Krise von 2007/8 auch nicht schlecht anließ.
Im Zusammenhang mit der Griechenland-Krise ist es nicht mehr ausreichend, für den Schuldner selbst Feuer und Pestilenz vorherzusagen. Das wäre der Öffentlichkeit in den Ländern, die den Bail-out der Anleger finanzieren sollen, womöglich egal. Auch kann man den Untergang der Eurozone als Ganzer schlecht vorhersagen, wenn jemand in Schwierigkeiten ist, der weniger als 5% der Wirtschaftsleistung der gesamten Eurozone erbringt.
Also droht man mit dem Ungewissen. Ähnlich wie in finsteren Zeiten der Kirchengeschichte dem Sünder mit dem Fegefeuer für den Fall gedroht wurde, dass er sein Portemonnaie nicht für den Kauf von Ablassbriefen öffnete, wird nun wieder eine ungreifbare höhere Macht bemüht, welche zur Strafe für einen griechischen Schuldenschnitt umgehend die halbe Eurozone von jeglicher Kreditversorgung abschneiden werde: Der Markt oder wahlweise auch im Plural “die Märkte”. Auf den ersten Blick eine verblüffende Drohung, da die drei kritischsten Länder ohnehin nur noch öffentlich finanziert werden können und von “den Märkten” außer gänzlich untragbaren Zinssätzen in absehbarer Zeit nichts zu erwarten haben.
Das haben die Propagandaapparate der Gläubiger eingesehen, und weiten deshalb ihre Drohgebärde ins Unbestimmte aus: Wir alle seien dran, weil die großen Banken, Versicherungen und Investmentfonds, die ihrerseits einen schwer zu beziffernden Beitrag zum Steueraufkommen der öffentlichen Hand und zur Beschaffung von Arbeitsplätzen in Deutschland leisten, einen Zahlungsausfall Griechenlands nicht überstehen würden. Weil aber niemand weiss – und auch niemand wissen kann – ob das tatsächlich so ist, und welche Folgen ein Zusammenbruch etwa der HRE, ein Herunterstufen der Bonität der Commerzbank oder die Insolvenz des einen oder anderen Investmentfonds tatsächlich hätte, haben diejenigen, die durch einen Schuldenschnitt der Griechen tatsächlich Verluste hinnehmen, das perfekte Drohszenario geschaffen: Keiner weiss, was genau passieren wird, aber in dem undurchsichtigen Nebel von Fakten und Zusammenhängen kann jedem irgend etwas zustoßen.
Das hilft kolossal, die umgekehrte Frage gar nicht erst aufkommen zu lassen: Nämlich: was bedeutet es denn, dass dieses Land es sich scheinbar nicht mehr leisten kann, die von Hasardeuren eingegangenen Risiken nicht mit öffentlichem Geld abzusichern. Das bedeutet, dass wir ohne die Chance auf eine geordnete Staateninsolvenz zulasten der Anleger bis ans Ende unserer Tage deren Geiseln sein werden. Und die Kosten dafür wären…? Richtig: unkalkulierbar!

Heute diskutieren die EU-Finanzminister über ein Staateninsolvenzverfahren

Ab 14 Uhr heute nachmittag sitzt Minister Schäuble im Kreis der 27 EU-Finanzminister in Brüssel in der AG zur Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion. Deutschland wird dort ein zweistufiges Verfahren zur Behandlung von Staatsinsolvenzen einbringen: Bei Zahlungsschwierigkeiten soll zunächst ein noch zu gründender “Berliner Club” eine Umschuldung von fälligen Staatsanleihen auf den Weg bringen. Wie schon beim “Brady-Plan” in den neunziger Jahren soll ein Teil der Anleihe-Schulden gestrichen werden können (“Haircut”), während ein anderer Teil durch Mittel aus einem gemeinsamen EU-Fonds versichert wird. Wenn durch diese Maßnahme der betreffende Staat nicht wieder zahlungsfähig wird, soll es ein umfassendes Staateninsolvenzverfahren geben. Wie dieses genau aussehen soll, weiss man allerdings im BMF auch noch nicht so genau. Vielmehr würde, wenn die EU-Partner – und insbesondere die an diesem Punkt besonders sensiblen Franzosen – der deutschen Initiative zustimmen, die EU-Kommission mit der Erarbeitung eines eigenen Vorschlags betraut.
erlassjahr.de begrüsst, dass Deutschland mit einem Staateninsolvenzverfahren endlich darauf hinwirken will, dass nicht nur die Steuerzahler der EU, sondern auch die Investoren an den Kosten einer Staatspleite beteiligt werden. Verabschieden sollte der Finanzminister sich aber baldmöglichst von der Idee eines weiteren Gläubiger-Clubs. Neben die Clubs von Paris (Gläubigerregierungen) und London (Banken) jetzt noch einen Berliner Club für die Verhandlung über Staatsanleihen zu stellen, wird nicht zur Kohärenz von Schuldenverhandlungen beitragen. Vielmehr erhöht sich damit die Gefahr, dass jede Gläubigergruppe auf Zugeständnisse der anderen wartet. In jedem nationalen Insolvenzverfahren wird selbstverständlich über alle Forderungen an den Schuldner in einem einziger Verfahren verhandelt. Nur so lässt sich tatsächlich eine tragfähige Lösung erreichen.
Genauere Informationen zu den heutigen Verhandlungen in Brüssel finden sich in einem erlassjahr-de-Hintergrundpapier.

Wo bleibt die Insolvenzordnung für überschuldete Euroländer?

Genau diese Frage stellt sich Bernhard Emunds in der aktuellen Ausgabe des Rheinischen Merkurs. An die Idee, dass alle 50 Jahre ein Erlassjahr kommen sollte, um das akkumuliertes Reichtum gerechter zu verteilen und einen schuldenfreien Neuanfang zu ermöglichen, erinnert er die Politiker von heute. Diese spannen aber lieber kurzlebige “Rettungsschirme”, womit gerade diejenigen geschützt werden, die für die Schuldenkrise verantwortlich sind. Lesen Sie den Artikel “Eine faire Lastenteilung ist überfällig” von Bernhard Emunds!

18.031 unterschriebene Wimpel für ein internationales Insolvenzverfahren

© erlassjahr.de

Hans-Jürgen Beerfeltz, Staatssekretär des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, nahm heute über 18.000 Unterschriften für ein internationales Insolvenzverfahren entgegen. Die Kampagne 2009 von erlassjahr.de wird somit symbolisch abgeschlossen. Ein Rückblick auf das Jahr 2009 – und was es gebracht hat.

© Informationsstelle Peru

3,6 Kilometer. So lang würde die Wimpelkette sein, wenn man alle unterschriebenen Wimpel aneinander binden würde. Ein großer Erfolg und ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Umsetzung eines internationalen Insolvenzverfahrens, meint erlassjahr.de und bedankt sich bei allen, die mitgemacht haben.  Auf der Straße, beim Infostand, in der Gemeinde oder im Eine-Welt-Laden – im letzten Jahr konnte man den regenbogenfarbenen Wimpeln oft begegnen. Jede Unterschrift bestätigt: Die gravierenden Schuldenprobleme der Entwicklungsländer sind ein wichtiges Thema  in der entwicklungspolitischen Debatte und ein Grund, sich aktiv zu engagieren – für ein faires und transparentes Verfahren!

© erlassjahr.de

Bis zum Bundestagswahltermin im letzten Herbst konnten über 17.000 Unterschriften präsentiert werden. Genau 18.031 sind es bis zum Abschluss der Kampagne geworden. Mit Erfolg: Die Forderung nach einem internationalen Insolvenzverfahren ist im Koalitionsvertrag verankert und genießt die Unterstützung der Regierung. Jetzt ist die Politik dran – erlassjahr.de ist auf die nächsten Schritte zur Umsetzung des Verfahrens gespannt. Was können wir erwarten? Die Kompetenzen zur Umsetzung eines interantionalen Insolvenzverfahrens teilt sich das BMZ mit dem Finanzministerium. Die ersten Signale sind positiv, es bleibt aber abzuwarten, wie die interantionale Staatengemeinschaft – vor allem die mächtigen Gläubigerregierungen – reagieren werden. Deutsche Regierungsvertreter äußern sich zuversichtlich.

erlassjahr.de sagt: DANKE an alle, die die Kampagne unterstützt haben!

Chaos im Büro

Gestern führte mich mein Weg wieder nach Düsseldorf ins erlassjahr Büro. Der Grund war keine Bündnisratssitzung oder andere inhaltliche Arbeit, sondern der Umzug von erlassjahr innerhalb des Jugendhauses. Von daher ist “Chaos im Büro” natürlich nur das übliche Umzugschaos und nicht etwa ein inhaltliches. Hier nun einige Impressionen dieses Tages: Continue reading “Chaos im Büro”

Istanbul-Tagebuch 5.10: Tu felix Austria….

Am Tag zwischen den beiden Auftritten zum Thema neue Schuldenkrise, gab es heute nur ein einziges offizielles Treffen. Unsere österreichische Kollegin Karin Küblböck hatte ein Treffen mit dem Gouverneur der Österreichischen Zentralbank organisiert, der gleichzeitig für deren Ländergruppe der Exukutivdirektor ist. Österreich teilt den Exekutivdirektor im Fonds mit neun weiteren Ländern, u.a. Belgien und der Türkei. Deswegen waren auch Pol Vonderoort aus Brüsse und die neue EURODAD-Direktorin Nuria Molina mit von der Partie.
Sehr erfreulich war aus unserer Sicht, dass der Gouverneur und der ebenfalls anwesende stellvertretende ED unserer Logik eines orderly debt workout als Antwort auf die Finanzkrise durchaus folgen konnten. Die positive Haltung des österreichischen Finanzministeriums gegenüber FTAP, die vor kurzem ein beharrlicher Briefeschreiber aus unserem Netzwerk dingfest machen konnte, ist keine Eintagsfliege. Beim DeBriefing mit den Kolleg/innen wurde klar, wie wichtig es ist, dass wir für alle Regierungen, die ein FTAP zumindest wohlwollend diskutieren wolle, baldmöglichst einen Raum schaffen, in dem sie ihr Wohlwollen in praktische Politik umsetzen können, zum Beispiel bei der Formulierung gemeinsamer europäischer Positionen vor dem nächsten G20-Gipfel und der Frühjahrstagung 2010. Außer unseren alpinen Nachbarn betrifft das im Moment vor allem die Norweger, die Niederländer und die Deutschen. Viel Arbeit für unsere gerade frisch wieder gegründete FTAP-AG.
Am Abend traf sich dann die Schuldenszene im “Marbel Hotel” – ist nicht ganz so piekedel wie es sich anhört – um nächste Schritte gegenüber den Regierungen zu beraten. Eine ziemlich bunte Runde mit Vertreter/innen aus Norwegen, Belgien, Deutschland, Großbritannien, den USA, Argentinien, Uruguay und Kenia, sowie des Europäischen Netzwerks EURODAD diskutierte über Chancen für ein geordnetes Insolvenzverfahren und andere Kampagnenansätze. Im Sinne unseres Gesprächs mit den Österreichern wurde deutlich, dass wir an der kritischen Masse von Regierungen für eine substanzielle Reform des Schuldenmanagements gemeinsam arbeiten müssen. Andernfalls werden die ständig vorangehenden Norweger irgendwann ziemlich in der Luft hängen.

Istanbul-Tagebuch Samstag 3.10.: Willkommen im Orient

Die Sonne, ist, wie es sich gehört, im Bosporus versunken. Vor meinem Hotelfenster schmettert eine Dame von der Dachterrasse eine Musik, wie man sie auch in Kreuzberg nicht orientalischer zu hören bekommt. Ich bin gut gelandet.
Anders als das Konferenzzentrum, in dem Weltbank und IWF tagen, liegt mein, von der FES gebuchtes, Hotel mitten in der Altstadt, fussläufig von Haghia Sofia und Blauer Moschee. Heute Mittag habe ich die Gotteshäuser schon umrundet, aber nur auf der Suche nach einem Geldautomaten und einem Taxi zum Kongresszentrum. Die Taxifahrt bot dann etwas mehr Orient als mir lieb war. Der Taxista hatte offenbar eine Möglichkeit gefunden, seinen Taxameter zu manipulieren – vermutlich, indem er es irgendwie mit dem Gespedal verbunden hat. Jedenfalls zahlte ich, knapp dem Verkehrstod von der Schippe gesprungen. ein Vielfaches dessen, was mir der Kollege auf der Rückfahrt abgeknöpft hat.
Am Kongresszentrum teilte mir dann der Polizist an der Einfahrt mit, ich müsse meine VIP-Karte der Konferenz vorzeigen, wenn ich rein wolle. Mein Hinweis, der Ausweis läge drinnen und wartete darauf, von mir am Empfang abgeholt zu werden, konnte seine Haltung nicht erschüttern. Vor allem, weil er mich nur begrenzt verstand. Englischsprechende Polizisten hat man in der Türkei offenbar nicht – oder zumindest nicht für diese Konferenz. Ein Versuch an einem weiteren Eingang erbrachte dasselbe Ergebnis. Auf einen dritten bin ich dann mit entschlossenem Schritt zumarschiert und hatte das Glück, dass gerade der Gepäck-Scanner kaputt war, so dass der zuständige Zerberus vollständig damit ausgelastet war, meinen Rucksack von Hand zu durchsuchen, und keine dummen Fragen nach irgendwelchen Zugangsberechtigungen stellte. Drin war ich.
Im Konferenzzentrum sieht es aus, wie in allen Konferenzzentren dieser Erde. Ich habe im NRO-Bereich erfreut eine paar internationale Kolleg/innen getroffen, dem IWF bei einer Veranstaltung für die NROs gelauscht, und mich hinterher mit Hugh Bredenkamp aus dem Policy Department des Fonds über die Folgen der Finanzkrise für die ärmsten Länder unterhalten. In seinem Beitrag hatte er erklärt, es gebe zwei Typen von Niedrigeinkommensländern mit kritischer Verschuldung. Den einen könne mit HIPC geholfen werden, weil sie de Completion Point noch vor sich hätten. Die, die durch das Verfahren schon durch seien, brauchten halt jede Menge zinsgünstigen Geldes. Das müsse man eben heranschaffen. Nein, eine Schuldenkrise werde es nicht wieder geben. Jedenfalls werde man hart dafür arbeiten, dass es dazu komme.
Keinesfalls werde der IWF noch mal seinen SDRM-Vorschlag auspacken. Man habe 2003 gemerkt, dass die Welt ihn nicht wolle. Sicher, sei die Lage heute anders, aber bislang habe sich noch keine Regierung in dieser Richtung geäußert. Und wenn ich an der Stelle was bewegen wolle, müsste ich halt mit den Regierungen reden.
So schlau waren wir eigentlich schon vorher. Morgen nachmittag habe ich 7-10 Minuten auf einem Weltbank-Panel, um einer hoffentlich nennenswerten Öffentlichkeit als letzter von vier Panelisten genau diese Sicht der NROs zu vermitteln. Mal sehen, ob ich sie in Verlegenheit bringen kann….