Vom Sinn und Unsinn eines europäischen Staateninsolvenzverfahrens

Am vergangenen Samstag bekam die Kanzlerin ihren Willen: In ihrer zweiten Arbeitsphase wird sich die Arbeitsgruppe der EU-Finanzminister unter dem Vorsitz von Herman van Rompuy mit der Schaffung eines geordneten Insolvenzverfahrens für EU-Staaten beschäftigen.
Hintergrund: Im April 2010 musste die Bundesregierung zur Abwehr einer umfassenden Bankenkrise in großem Stil öffentliche Mittel zur Rettung der in Griechenland exponierten deutschen und europäischen Banken bereitstellen. Weil der Rest Europas sich danach mit der Institutionalisierung eines hauptsächlich von Deutschland und Frankreich finanzierten Europäischen Rettungsfonds für insolvente Staaten sehr gut anfreunden konnte, war die Bundeskanzlerin unter erheblichem Druck, Alternativen zu einem permanenten Bail-out europäischer Staaten – genauer gesagt: von deren Gläubigern – zu finden.
Sie tat dazu das einzig richtige, indem sie auf die Schaffung eines geordneten Insolvenzverfahrens drängte, welches im Ernstfall auch zu Verlusten für die in den betroffenen Ländern engagierten (privaten) Gläubigern führen würde. Allerdings trat die Bundesregierung dabei so tollpatschig auf, dass sie selbst erhebliche Widerstände gegen ihren Vorschlag produzierte: Als in der eigens eingerichteten Arbeitsgruppe der EU-Finanzminister unter Vorsitz des Ratspräsidenten van Rompuy die Frage eines Insolvenzverfahrens zum Tragen kam, gab es nicht einmal einen schriftlichen Vorschlag der Deutschen, sondern lediglich Sprechzettel des Finanzministers.
Im Mai wurden dann sehr allgemeine Leitsätze auf der Homepage des BMF veröffentlicht. Und erst im September wurde der deutsche Vorschlag erstmals in einem (vertraulichen) Papier so dingfest gemacht, dass andere Regierungen und eine Öffentlichkeit (die das Papier, weil vertraulich, aber eigentlich gar nicht kennen durfte), sich dazu verhalten konnte.
Im Kern läuft der deutsche Vorschlag auf ein zweistufiges Verfahren hinaus. Die erste Stufe besteht aus einem Tausch der Staatsanleihen eines potenziell zahlungsunfähigen EU-Mitglieds gegen geringer bewertete Papiere. Dieser Haircut soll den Gläubigern dadurch versüßt werden, dass die neuen Papiere durch EU-Mittel abgesichert werden. Wie schon beim „Brady-Plan“, der eine wichtige Rolle bei der Bewältigung der lateinamerikanischen Schuldenkrise in den 80er Jahren spielte, sollen die Gläubiger Nennwert gegen Sicherheit tauschen. Damals hat das leidlich gut funktioniert – allerdings betrugen die Abschläge in einigen Ländern mehr als 50% des Nennwerts, was heutzutage im EU-Kontext kaum vorstellbar ist.
In der zweiten Stufe soll dann – wenn die erste Stufe die Tragfähigkeit der Schulden des betreffenden Landes nicht wiederherzustellen vermag – ein eigentliches Insolvenzverfahren folgen, d.h. die Reduzierung aller Verbindlichkeiten des betreffenden Landes in einem Planverfahren. Anders als die erste Stufe ist die zweite in dem Papier der Bundesregierung aber noch höchst vage formuliert.
Beim EU-Gipfel Ende Oktober setzen die Deutschen die Befassung mit ihrem Vorschlag in der zweiten Arbeitsphase der van Rompuy-Arbeitsgruppe durch. Die Kanzlerin machte sich, als sie die Grundlage dafür in trauter Zweisamkeit mit Präsident Sarkozy schuf, nicht nur Freunde in Europa, aber sie bekam ihren Willen. Allerdings blieben einige ihrer ohnehin nicht sonderlich durchdachten Lieblingsideen dabei auf der Strecke:
• „Berliner Club“ wird die neue Institution nicht heißen. Das kam in Frankreich, wo man auf die ungeschmälerte Kompetenz des bereits bestehenden „Pariser Clubs“ allergrößten Wert legt, nicht gut an.
• Auch der Begriff „Insolvenzverfahren“ ist aus dem Sprachgebrauch verschwunden. Statt dessen spricht man nun von „der Einbeziehung des Privatsektors“. Gemeint ist, wie Berliner Ministeriale versichern, aber dasselbe.
• Überschuldete Staaten mit dem Entzug ihrer EU-Stimmrechte unter Druck zu setzen, wie von den Deutschen propagiert, war nicht nur ökonomisch eine kontraproduktive Schnapsidee. Es demonstrierte überdies eine vordemokratische Denkweise, welche Mitbestimmungsrechte am wirtschaftlichen Status festmacht. Zum Glück ließ der Rest Europas, sich das von Berlin nicht bieten.
Bis Anfang 2011 erarbeitet die van Rompuy-Arbeitsgruppe unter deutscher Federführung einen Vorschlag, der noch vor Abschluss der Beitrittsverhandlungen mit Kroatien im kommenden Frühjahr zu einer Veränderung des Vertrags von Lissabon führen soll.
Aus der Sicht der weltweiten Entschuldungsbewegung ist der deutsche Vorschlag sehr ambivalent:
▪ Positiv ist, dass eine Schuldenreduzierung zulasten der Privatanleger nicht mehr – wie noch im April bei der Griechenland-Rettung – ausgeschlossen wird.
▪ Es ist auch denkbar, dass die erste Stufe des deutschen Vorschlags tatsächlich zu einem modifizierten europäischen Rettungsmechanismus führen wird. Und es darf gehofft werden, dass unter den besonderen Bedingungen des Euro-Raumes, eine nächste Griechenland-Krise damit im Ansatz entschärft werden kann.
▪ Ein echtes Staateninsolvenzverfahren allerdings, das nicht nur Fälligkeiten umstrukturiert, sondern dem betreffenden Land einen tatschälichen Neuanfang ermöglicht, ist regional gar nicht umsetzbar. Schließlich ist Griechenland nicht nur bei solchen Gläubigern verschuldet, die sich direkt oder indirekt auf der Grundlage der Verträge von Lissabon zu einer Schulden-Restrukturierung zwingen lassen. Von anderen essenziellen Elementen eines rechtsstaatlichen Verfahrens wie unparteiischer Entscheidungsfindung und unparteiischer Bestimmung des Erlassbedarfs gar nicht zu reden.
▪ Negativ ist politisch, dass die Deutschen ihre zwischenzeitlich angekündigte Initiative im G20-Kreis für ein Staateninsolvenzverfahren, welches allen überschuldeten Staaten zugute kommen könnte, erst mal wieder auf Eis gelegt haben. Hier kann nur weiterer politischer Druck dafür sorgen, dass die Bundesregierung ihren eigenen Koalitionsvertrag so ernst nimmt, wie es ihrer nicht nur Europa-sondern weltpolitischen Verantwortung entspricht.

Europäischer G20-Gipfel in Berlin: Die armen Länder nicht im Blick

Die stärkere, gar „lückenlose“ Beaufsichtigung der Finanzmärkte, welche die europäischen Staats- und Regierungschefs am Wochenende in Berlin beschlossen haben, ist, wenn sie denn erreicht wird, ein gewaltiger Fortschritt, von dem vor Jahresfrist noch niemand zu träumen gewagt hätte. Das gleiche gilt für die Austrocknung der Steueroasen, welche sich die Dame und die Herren auf die Fahne geschrieben haben. Bei beiden Massnahmen ist davon auszugehen, dass die angestrebte Umverteilung von Mitteln aus privaten zurück in die öffentlichen Taschen allen Bürger/innen zugute kommen wird. Allerdings werden die ärmeren Länder nur bedingt und indirekt davon profitieren können – durch möglicherweise steigende Entwicklungshilfe etwa, oder dadurch, dass auch aus Afrika, Lateinamerika und Asien die Steuerflucht für die Reichen schwieriger werden wird, wenn die Regierungen im Norden nicht mehr stillschweigend mitspielen. 

Denjenigen, die infolge der Finanzkrise und zuvor bereits wegen der Preisanstiege bei Nahrungsmitteln und Energie an den Rand der Zahlungsunfähigkeit geraten sind, helfen die Massnahmen kurzfristig allerdings wenig. Statt wie bei der Financing for Development Konferenz im Dezember und im erlassjahr-Schuldenreport gefordert, die Möglichkeit für schnelle und faire Schuldenerleichterungen zu schaffen, tauchte die Gruppe der ärmsten Länder nicht einmal auf der Agenda des Berliner Treffens auf. Es scheint, als begriffe am Kabinettstisch allein die Entwicklungsministerin welche Verelendungsprozesse das unregulierte Weltfinanzsystem in entfernteren Teilen der Welt ausgelöst hat. Und ihre Stimme scheint dort zu leise, um konkrete und unmittelbar umsetzbare Reformschritte wie ein Internationales Insolvenzverfahren auf die Agenda der G20 zu setzen.

erlassjahr.de Forderungen an den Weltfinanzgipfel

Am Samstag starrt die Welt gebannt auf Washington. Im National Building Museum werden dann die Vertreter von gerade einmal 20 Ländern über eine globale Finanzarchitektur beraten. Sie allein wollen entscheiden welcher Weg aus der Finanzkrise der beste ist. Man könnte die Zahl 20 bereits als eine Art Gnadenakt verstehen – schliesslich entscheiden sonst meist die G8 im noch kleineren Kreis über die wirtschaftspolitischen Geschicke auf unserem Planeten. Diesmal haben sie 11 weitere Länder eingeladen, vornehmlich solche, die zu den so genannten Schwellenländern zu rechnen sind. Schließlich haben diese, so die G8, am meisten von der Globalisierung profitiert. Nun ist es also Zeit zurückzuzahlen. Die Schwellenländer dürfen nicht einfach nur noch profitieren, nein, sie sollen jetzt auch mithelfen die Finanzkrise zu bewältigen. Auf gut Deutsch: sie sollen gefälligst auch zahlen. Auch sie sollen für die Krise aufkommen, die sie selbst übrigens gar nicht verursacht haben.
erlassjahr.de fordert vor dem Hintergrund der globalen Bedeutung der Finanzkrise auch eine globale Antwort auf selbige. Die Diskussion sollte deshalb nicht in kleinem Rahmen in Washington stattfinden, sondern vielmehr unter dem Dach der UNO, der immerhin 192 Staaten angehören. Es mutet schon fast ironisch an, daß in gerade mal zwei Wochen die UN-Entwicklungsfinanzierungskonferenz in Doha stattfindet, wo über die weitere Finanzierung und Entwicklung von Entwicklungs- und Schwellenländern diskutiert werden wird. Doch dort, wo es um das Wohl des Großteils der Weltbevölkerung gehen wird, werden die Staats- und Regierungschefs vornehmlich nur ihre Fachminister schicken. Nur dort, wo es um das sogenannte ‚große Geld‘ geht, kommen sie selbst.
Dabei hätten sie in Doha die einmalige Chance langfristig die Weichen für von Krisen gebeutelte Staaten zu stellen. Das Wort vom Staatsbankrott, das vormals hauptsächlich Entwicklungsländern bekannt war, ist nun auch im Sprachgebrauch der Industrienationen angekommen. Der drohende Bankrott von Ländern wie Island oder Ungarn sollte Warnsignal genug sein, daß solchen Problemen nicht immer mehr nur im Verfahren der Feuerwehr zu begegnen ist. Wenn es brennt, wird gelöscht – doch dann ist eben schon zu spät. Stattdessen sollte liebe in die Brandvorsorge investiert werden. erlassjahr.de fordert daher ein Internationales Insolvenzverfahren für überschuldete Staaten. Dieses soll immer dann zum Einsatz kommen, wenn sich ein Land an der Grenze zur Zahlungsunfähigkeit befindet. Dann sollen sich Schuldner und Gläubiger gemeinsam an einen Tisch setzen und ein Schiedsgericht soll darüber entscheiden welche Forderungen sofort bedient werden müssen und welche nicht. Das Wichtigste ist dabei die Grundversorgung der Bevölkerung durch den Staat sicherzustellen. Wie so ein Verfahren genau ablaufen kann, haben wir hier zusammengestellt.
Vielleicht wird dieses Thema ja auch in Washington diskutiert. Höchste Zeit dafür ist es.

Alle weiteren Informationen rund um den G20-Finanzgipfel finden Sie auf unserer Sonderseite.

G20-Finanzgipfel: wer will was?

Im Vorfeld des G20-Finanzgipfels am 15.11. in Washington haben bereits zahlreiche Vorbereitungstreffen stattgefunden, bei denen die jeweiligen Institutionen sowie die Staats- und Regierungschefs ihre Positionen deutlich gemacht haben. Ein kurzer Überblick:

Am 8. und 9. November trafen sich die Finanzminister der G20-Staaten in Sao Paulo (Brasilien) zu einem Vorbereitungstreffen, auf dem sie ein 5-Seitiges Communiqué verabschiedet haben. Darin bekennen sich die G20-Staaten dazu „alle notwendigen Schritte zu unternehmen, um nicht-inflationären Wachstum in stabiler und nachhaltiger Form entsprechend den jeweiligen Notwendigkeiten und vorhandenen Instrumentarien in den Mitgliedsstaaten, unter Einbeziehung der Geld- und Finanzpolitik, zu fördern“.

Am 6. und 7. November trafen sich die Staats- und Regierungschefs der EU in Brüssel, um ihre inhaltlichen Forderungen an den Gipfel auszuarbeiten. Daraus sind einzelne Punkte für die Agenda entstanden, die wie folgt zusammengefasst werden können:

  1. Strengere Regulierung von Banken und Kapitalmärkten einschließlich Rating-Agenturen und Geierfonds sind gefordert.
  2. Internationale Finanzgeschäfte müssen transparenter sein und staatlich kontrolliert werden.
  3. Vergütungssystem im Bankwesen, die dazu ermutigen extreme Risiken einzugehen, müssen geändert werden.
  4. Unabhängige Kontrollinstanzen solltne eingerichtet werden um international agierende Marktteilnehmer und deren Kontrolle durch die nationalen Regierungen zu überwachen.
  5. Der IWF sollte mehr Befugnis haben um ein Frühwarnsystem zu etablieren.
  6. Ein neues Finanzsystem soll das Dollar-basierte alte System erseten.
  7. Eine strengere Überwachung der Finanzmärkte soll innerhalb von 100 Tagen auf den Weg gebracht werden.
  8. Spezifische Entscheidungen sollen auf dem Treffen am 15.11. getroffen werden.
  9. Ein zweites Treffen sollte in 100 Tagen stattfinden.
  10. Die EU fordert zudem die besondere Beachtung langfristiger wirtschaftlicher Anliegen wie z.B. die Bekämpfung von Hunger, der Beendigung weltweiter Armut und eine Verlangsamung des Klimawandels.

Die Beschlüsse der EU können hier nachgelesen werden.

Die Position des Internationalen Währungsfonds hat dessen Direktor, Dominique Strauss-Kahn, in einem offenen Brief an die G20 dargelegt. Er kann hier hier abgerufen werden. Die Weltbank hat hingegen ein Hintergrundpapier zum Gipfel aufgelegt, welches als Entscheidungsgrundlage genutzt werden soll. Es hebt insbesondere auch auf die Gefahren für die Entwcklungsländer durch die Finanzkrise ab. Es kann hier nachgelesen werden.

Am 30. Oktober traf sich in New York erstmals die UN Taskforce zur globalen Finanzkrise. Unter der Leitung von Nobelpreisträger Joseph Stieglitz wurden die Herausforderungen an die globale Finanzarchitektur unter dem Eindruck der derzeitigen Finanzkrise diskutiert. Die kompletten Abschriften alle Beiträge sind hier erhältlich.

Finanzkrise und Entwicklungsländer: eine Analyse

Die derzeitige globale Finanzkrise hat auch Auswirkungen auf die Entwicklungs- und Schwellenländer. erlassjahr.de hat vor diesem Hintergrund ein neues Fachinfo publiziert, welches unter dem Titel ‚Die Finanzkrise in ihrer Bedeutung für verschuldete Entwicklungs- und Schwellenländer‘ die Auswirkungen analysiert. Dabei werden aktuelle Risiken und Chancen beleuchtet und mögliche Folgen skizziert. Sie können das Fachinfo Nr. 19 hier herunterladen.

Bretton Woods II: wie die Finanzkrise gelöst werden soll

Dass die derzeitige Finanzmarktkrise globale Lösungen benötigt, ist unbestritten. Dass dafür ein Zusammentreffen der Staats- und Regierungschefs von Nöten ist, ebenso. Warum dieser aber nicht im Rahmen der Doha-Konferenz für Entwicklungsfinanzierung stattfindet, sondern stattdessen fast zeitgleich in Washington, läßt bereits vorab eines durchblicken: die Schwellen- und Entwicklungsländer werden weiterhin nicht als vollwertige Partner akzeptiert und die ’neuen Lösungen‘ der Krise sollen lieber von den Industrienationen unter sich ausgehandelt werden. Doch was genau ist auf dem globalen Wirtschaftsreform-Gipfel (den Bretton Woods II) geplant? Unser europäischer Dachverband Eurodad hat hierzu eine kleine Orientierungshilfe zusammengestellt, die erklärt was geplant wird, was das bedeutet und was Nichtregierungsgruppen dazu fordern.
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