Danke, ihr Geier!

Es war ein historischer Moment am Mittwoch Abend in der UNO, als eine Resolution der Entwicklungsländergruppe („G77 und China“) mit 124:11 Stimmen bei 41 Enthaltungen angenommen wurde. Die Weltorganisation verpflichtet sich darin, noch in der laufenden Sitzungsperiode, also vor dem September 2015 einen rechtlichen verbindlichen Rahmen für eine geordnete Staateninsolvenz  zu schaffen.

Die bislang nicht durch effiziente und zügige Meinungsbildungsprozesse aufgefallene UNO hat sich damit eine Riesen-Aufgabe gestellt, und alle (uns selbst eingeschlossen), die mit ihr wissenschaftlich-konzeptionell oder politisch zusammenarbeiten sind nun herausgefordert, ihren Beitrag zu leisten, damit in knapp einem Jahr tatsächlich eine Zeitenwende erreicht wird.

Ob das gelingen kann und wird, darüber gehen unter Freund und Feind die Meinungen auseinander. Die Bundesregierung, die beschämenderweise und gegen das bessere Wissen mindestens dreier Ministerien auf Druck des BMF mit „nein“ gestimmt hatte, äußert sich bislang überhaupt noch nicht dazu, wie sie sich in den nun anlaufenden Meinungsbildungsprozess einzubringen gedenkt. Ist vielleicht auch besser so, denn vor der Abstimmung hatte sie sich in den von den G77 initiierten Konsultationen geweigert, überhaupt eine Meinung zu äußern in der Hoffnung, der Spuk ginge dann von alleine wieder weg.

Ging er aber nicht. Und das verdanken wir nicht zuletzt den Geiern. Den großen, wie NML Capital, die drohen, Argentinien in die erneute Staatspleite zu schicken oder denen, die in den letzten Jahren aus den ärmsten Staaten der Welt auf dem Klageweg Millionen rausholten. Aber auch den kleinen, die hierzulande und auf der ganzen Welt ein latentes Gefühl der Bedrohung in den verschuldeten Ländern aufgebaut haben. Dieses unsympathische Federvieh hat hinbekommen, was Wirtschafts-Nobelpreisträgern, progressiven Gläubiger-Regeirungen wie den Norwegern, der UNO oder uns selbst nie wirklich gelungen ist: den Regierungen der verschuldeten Ländern deutlich zu machen, dass sie sich mit den informellen, ad-hoc ausgehandelten von den Gläubigern gnädig zugestandenen Umschuldungen im Pariser Club, unter der HIPC-Initiative oder eben durch Anleihetausch besser nicht zu sicher fühlen sollten. „Wenn wir wollen, greifen wir uns eure paar Kröten noch in den letzten Winkeln der Erde“. Die Message war schon sehr überzeugend als ein argentinisches Schiff in Ghana soeben noch der Pfändung entwischen konnte. Mit dem Zugriff auf die Zahlungen Argentiniens an seine legitimen Gläubiger in New York war der Beweis überzeugend angetreten.

In lobenswerter Transparenz stellt die UN die Beratungen der Vollversammlung ins Netz, und es lohnt sich, sich die Debatte vom 9.9. oder die anschließende Pressekonferenz mit dem argentinischen Außenminister um dem bolivianischen Vorsitzenden der G77 anzusehen – besonders wenn man in der Lage ist, den Beiträgen im Original-Spanisch zu folgen. Die negativen Stellungnahmen der Amerikaner („keiner darf über so etwas wie Staateninsolvenz reden außer dem IWF“), der italienischen EU-Präsidentschaft (die den Spagat hinbekommen musste, eine Nicht-Zustimmung der EU-Mitglieder zu begründen, ohne die eigenen Chancen auf einen Sitz im Sicherheitsrat zu gefährden und entsprechend eirig ausfiel) kontrastieren dramatisch mit dem Ernst und der Sachlichkeit der Beiträge des argentinischen Außenministers Hector Timerman und des Bolivianers Sacha Llorenty Soliz. Die der Abstimmung folgenden Redebeiträge der meisten Vertreter/innen des globalen Südens standen dem nicht nach. Selbst der kubanische Beitrag, der Zitate Fidels und des Che bemühte, wirkte gar nicht so sehr aus der Zeit gefallen, wie sonst schon mal. Und das liegt daran, dass am Mittwoch tatsächlich etwas passiert ist, von dem sich der Bogen in eine Zeit vor dreissig Jahren schlagen lässt: Die kollektive Bedrohung aller Länder des Südens durch ihre Verschuldung und durch die Macht, die sich dadurch in den Händen von Regierungen und Anlegern im Norden zusammenballt, ließ eine Gemeinsamkeit entstehen, die die Operetten-Rethorik aus der Zeiten des Kalten Krieges nicht erreichte, weil der Westen es sehr geschickt verstand, mit Zuckerbrot und Peitsche wichtige Länder aus einer potenziellen gemeinsamen Front herauszubrechen.

Am Mittwoch war sie dann da, diese Front: Alle (anwesenden) G77-Mitglieder einschließlich der mächtigen G20-Staaten, stimmten für die gemeinsame Resolution. Das „es reicht uns“ war und ist unüberhörbar. Für diejenigen von uns, die seit vielen Jahren auf eine mutige und selbstbewusste Haltung der verschuldeten Staaten hoffen, war das ein historischer und bewegender Moment.

Er wäre nicht zu erreichen gewesen ohne die Gier der Anleger aus den Steuerparadiesen, ohne die Komplizenschaft derjenigen in den reichen Ländern, die sie gewähren lassen, ohne die Selbstgefälligkeit der Bundesregierung und ihrer G7-Kolleg/innen.

Niemand kann vorhersagen, ob es den reichen Ländern in den kommenden zwölf Monaten nicht wiederum gelingen wird, die entstandene Solidarität unter den ärmeren Ländern zu zerstören. Aber dafür, dass wir nach langen Jahren überhaupt erst mal wieder so weit gekommen sind: Dafür sei Euch herzlich gedankt, ihr Geier!

 

Entwicklungsministerin für § 46 des Doha-Abschlussdokuments

Bundesministerin Wieczorek-Zeuk hat in einem Brief an die erlassjahr-AG in Göppingen erklärt, dass sie die Schaffung eines fairen und transparenten Insolvenzverfahrens für Staaten weiterhin unterstützt. Der entsprechende Paragraph §46 im Entwurf für die Abschlusserklärung der Doha-Konferenz Financing for Development findet ihre ausdrückliche Zustimmung.
Nachdem noch vor drei Wochen deutlich negativere Worte von ihr zu vernehmen waren, ist diese positive Haltung sicherlich auch ein Ergebnis der Postkartenaktion von erlassjahr.de.
Da gleichzeitig bei der ersten Dialogrunde über das Schuldenkapitel in New York die EU enttäuschenderweise den Paragraph abgelehnt hat, ist es nun umso wichtiger den Druck auf die Bundesregierung aufrecht zu erhalten. Die Entwicklungsländer in der G77 und einige Industrieländer unterstützen die Forderung nach einem neuen Verfahren nachdrücklich. Die Verhandlungen in den kommenden Wochen bis zur Konferenz selbst Ende November werden nun über den Ausgang des Doha-Prozesses an diesem Punkt entscheiden.
Natürlich wird eine UNO-Erklärung noch kein verändertes Verfahren auf den Weg bringen, aber die Ermutigung für verschuldete Länder, Alternativen zu den Gläubiger-dominierten Prozessen in der Weltbank und im Pariser Club zu verlangen, wäre gewaltig. Deshalb sollte der Druck auf die Bundesminister/innen Steinbrück und Wieczorek-Zeul unbedingt aufrecht erhalten werden. Postkarten können noch im erlassjahr-Büro bestellt werden. Und wie man sieht, beantwortet die Ministerin auch gerne freundliche Briefe.