Tokio Tagebuch II: Am runden Tisch

In dieser Woche findet in Tokio die Jahrestagung von IWF und Weltbank statt, und für erlassjahr.de und unsere Partner im EED bin ich mit einem Roundtable-Gespräch am Donnerstag Nachmittag dabei. 

„Was kommt nach HIPC“ – Unser Panel in Tokio / © erlassjahr.de

Die Jahrestagung 2012 bietet das umfangreichste Programm an „Side-Events“, das es bei solchen Anlässen je gegeben hat. Leider übersteigt das Angebot an Informationen häufig die Nachfrage – zumal die Räumlichkeiten des Civil Society Forum im Keller den offiziellen Delegationen nicht gleich geläufig sind.

Wir haben vergleichsweise gut abgeschnitten: Unser Roundtable zur Verfahrensreform war mit fünfzig Zuhörer/innen mit am besten besucht von allen bisherigen Veranstaltungen. Und auch die Angebotsseite konnten sich sehen lassen:Der norwegische Entwicklungs- und der argentinische Finanzminister diskutierten mit Herrn Schuknecht, Abteilungsleiter im deutschen Finanzministerium und unserer Kollegin Yuefen Li von UNCTAD über ein Positionspapier, das wir zusammen mit Partnernetzwerken für die Debatte erarbeitet hatten.

Der norwegische Minister Heiki Holmås begann die Veranstaltung gleich mit der Ankündigung, dass man ein dreijähriges Forschungs- und Politikberatungsprogramm bei UNCTAD zum Thema faire Entschuldungsverfahren und Verantwortliche Kreditvergabe finanzieren werde – was bei Yufen für den Rest der Veranstaltung für reichlich gute Laune sorgte.

In der Sache unterstrichen Holmås und der argentinische Minister Adrian Costatino die Notwendigkeit eines neuen umfassenden und fairen Ansatzes und sagten allen Bemühungen in diese Richtung die Unterstützung ihrer Länder zu.

Herr Schuknecht ging die Sache dialektischer an. Er benannte das grundsätzliche „ja“ der Bundesregierung, aber erging sich dann hauptsächlich in den „abers“: Es gebe doch auch allerlei Gutes in den Clubs von Paris und London, Schuldenerlasse seien doch recht teuer, Grenzwerte für Überschuldung seien schwer festlegbar – alles nicht gerade Dinge, die wir nicht etliche Male mit dem BMF schon diskutiert hätten. Was die Bundesregierung denn tut, um mit den „abers“ irgendwie umgehen zu können – wenn man denn grundsätzlich zum Koalitionsvertrag, der die Arbeit an einem Staateninsolvenzverfahren vorsieht, stehen möchte, sagte uns Herr Schuknecht leider nicht.

Costatino rollte nochmal die Geschichte Argentiniens nach seiner Staatspleite 2002 auf und beschrieb das fehlende Glied im internationalen Schuldenmanagement mit den Kriterien aus dem NRO-Papier: Ein umfassendes und unparteiisches Verfahren aus der Grundlage einer unparteiischen Beurteilung des Schuldners.

Die Diskussion mit den Zuhörern – darunter auch einige Regierungsvertreter war kurz, aber angeregt. Einige neue Kontakte wurden geknüpft, und wir freuen uns auf die nächste Runde der Debatte – schon morgen früh, wenn die UNO zusammen mit einem kanadischen Think Tank ein ähnliches und ebenfalls hochrangig besetztes Gespräch anbietet.

Tokio Tagebuch I: 9. Oktober: Verdächtig harmonisch alles hier

In dieser Woche findet in Tokio die Jahrestagung von IWF und Weltbank statt, und für erlassjahr.de und unsere Partner im EED bin ich mit einem Roundtable-Gespräch am Donnerstag Nachmittag dabei. 

Für ein absolutes Tokio-Greenhorn bin ich ganz gut angekommen. Flug mit SAS, die keine Durchsage ungenutzt ließ, um darauf hinzuweisen, dass sie Europas pünktlichste Airline sei; und tatsächlich: auf die Minute heute morgen um halb zehn betrat ich zum erst Mal in meinem Leben japanischen Boden.

Wenn man keinen Zeitstress hat, und die 60km vom Flughafen in die Mitte der großen Stadt im Shinkansen-Tempo zurücklegen muss, dann macht es sogar Spass, die kleinen lateinischen Unterzeilen unter den japanischen Metro-, U- und S-Bahn-Informationen zu identifizieren und in die richtige Bahn nicht nur ein-, sondern an der richtigen Stelle auch wieder auszusteigen.

Zur Mittagszeit hatte mir der höflich lächelnde Mensch in der Rezeption des Hotels, das unten so aussieht, als müssten aber spätestens morgen die Handwerker kommen, für den Rest der Woche knapp 60.000 Yen abgeknöpft. Oben war es dann sehr gepflegt: ein Riesen-Bett in einem Zimmerchen, von dem ich sicher bin, dass seine Grundfläche kleiner ist als die des Bettes. Internet-Zugang dafür einwandfrei, überall kleine Fläschchen mit Duftwässerchen, Pomaden, Seifen und bei manchen weiss ich auch nicht genau. Der Lokus hat einen Knopf, bei dessen Betätigung einem der Hintern abgespült wird. Ein echter Überraschungseffekt – besonders, wenn man irrtümlich in Richtung „kalt“ dreht.

Bei der Registrierung stelle wurde ich dann mit einem einlass-gewährenden Badge in Quietschrosa ausgestattet. Die Weltbank hat mein Bild seit meiner allerersten Tagung offenbar gespeichert. Sehr schmeichelhaft.

So weit die Rahmenbedingungen. Die Tagung selbst hat vorläufig noch Luft nach oben: Wir NROs hätten gerne beim Treffen der Commonwealth-Finanzminister zum Thema „Schuldenprobleme in Kleinen Verwundbaren Ökonomien“ zugehört, aber rosa Schilder wurden nicht zugelassen. Dafür überschüttet uns das NRO-Liaison-Büro der Weltbank mit Aufmerksamkeiten: Ungefragt bekamen wir für unser FTAP-Side-Event am Donnerstag eine japanische Simultanübersetzung. Wie alle registrierten Teilnehmer, bekam ich wieder mal eine schicke Konferenztasche – mit der jeder zweite Mensch durch den Glaspalast des Tokyo International Forum wandert. Und an fast jeder Ecke des Palastes steht entweder ein Polizist in Habachtstellung oder eine hübsche junge Japanerin, die hofft, dass man sie anspricht, um sie nach dem Weg nach irgendwo zu fragen.

Da wir beim Commonwealth nichts ausrichten konnten, haben wir, die Kolleginnen von SLUG aus Norwegen, EURODAD und ich, uns in die Begegnungsveranstaltung der Zivilgesellschaft mit den Exekutivdirektoren der Weltbank gesetzt. Das war grauenhaft: Ein gut besuchter riesiger Saal, zwei Stunden Frage und Antworten, und

Sieht öde aus und war es auch: Weltbank trifft Zivilgesellschaft / © erlassjahr.de

von den Inhalten her war es unmöglich zu entscheiden, wer Frager und wer Antworter ist. Alle betonten in einer Tour, wie wichtig die Zivilgesellschaft für die Arbeit der Weltbank sei, wie dankbar die Banker sind, dass wir alle da sind; für mehr Gerechtigkeit für Frauen sind wir aber so was von alle, Partizipation – ja aber claro. Viel mehr mit der Weltbank reden sollen wir – noch mehr als wir das verdienstvollerweise ohnehin schon tun. Ich glaube, es gab in 90 Minuten nicht eine einzige Wortmeldung, bei der NGOs und Welt-Banker unterschiedlicher Meinung waren. Sind wir bei erlassjahr.de womöglich genauso und merken es nicht?

Vor dem Abendessen und Einschlafen kommt dann zum Glück noch eine Mail von einem mir bislang nicht bekannten japanischen Anti-IWF-Bündnis. Morgen ist eine Demo: Wenn ich es richtig verstehe, beginnt sie in der U-Bahn. Hoffentlich schaffe ich das morgen zwischen zwei Seminaren….

Der IWF und seine kleinen unbedeutenden Kunden. Heute: Burundi

Zuletzt hatten wir im Fall Gambia gesehen, wie der IWF mit kleinen, praktisch einflusslosen Ländern umgeht, die von seinen Finanzierungen abhängig sind. Auch Burundi ist diesbezüglich ein interessanter Fall, den wir uns schon öfter angesehen haben. Die letzte Article IV-Konsultation mit dem kleinen ostafrikanischen Land, hat noch einmal unterstrichen, was wir alle seit der unzureichenden Entschuldung unter HIPC/MDRI längst wissen: Das Land ist „hoch gefährdet“, erneut in die Überschuldung zu geraten. Deswegen gibt es in Sachen neuer Kreditaufnahme nur eines: „In this context, continued reliance on grants and highly concessional loans remains a priority.

Nun wäre es schön, wenn der IWF sich selbst an diese, seine Vorgaben auch hielte.

Das tut er aber nicht. Vielmehr hat der Vorstand des IWF zusammen mit dem der Weltbank einem nicht ausreichend konzessionären Kredit für einen von Indien zu bauenden und zu (ko-)finanzierenden Staudamm im Wert von 80 Millionen US-$ ausdrücklich zugestimmt.

Unsere Anfragen, warum dies geschah, was an dem Staudamm so toll ist, dass man vorsichtigste Kreditaufnahme zwar anmahnt, aber ansonsten ignoriert, blieben sowohl aus dem BMZ (Verantwortung für die Weltbank) als auch aus dem BMF und der Bundesbank (Verantwortung für den IWF) bislang unbeantwortet.

Da wir uns überhaupt gar nicht vorstellen können, dass bei der Finanzierungs-Entscheidung vielleicht unkoschere Dinge passiert sein könnten, ein indischer Financier womöglich Druck ausgeübt hat, haben wir angenommen, dass vielleicht die Situation Burundi’s etwas weniger dramatisch sei als wir bislang angenommen hatten. Vielleicht verbessern sich die Schuldenindikatoren ja bereits, so dass Spielräume für nützliche Infrastrukturinvestitionen entstanden sind.

Nun ja…

Anfang August publizierte der Fonds seine eigene Vorhersage für den Schuldendienst des Landes im Verhältnis zu den jährlichen Exporteinnahmen.

Zur Erinnerung: Bei 10% liegt aktuell für Burundi die Untragbarkeitsgrenze gemäß des Debt Sustainability Frameworks von IWF/WB. Und unter 5% liegt derzeit der Schnitt aller entlasteten HIPCs – gleichzeitig übrigens wie auch das, was erlassjahr.de und andere unabhängige Beobachter für ein so fragiles Land für einen tragbaren Schuldendienst halten.

Schuldentragfähigkeit in einem kleinen Land. Wer den Schaden hat, braucht für den Spott des IWF nicht zu sorgen.

Im vergangenen Jahr hatte eine Schuldentragfähigkeitsanalyse des IWF einen vollkommen unzureichenden Schuldenerlass für Griechenland als ausreichend legitimiert. In diesen Tagen erleben wir, wie sich alle Annahmen des Fonds und seiner Troika-Kollegen in Luft auflösen, und Griechenland nach dem „Schuldenerlass“ wieder zum heißen Kandidaten für eine Staatspleite wird.

Es fällt schwer, zu schrieben, dass die Griechen eigentlich noch gut davon gekommen sind. Aber so ist es. Wie der IWF mit ärmeren und weniger spektakulären Schuldenern umgeht zeigt die jüngste Tragfähigkeitsanalyse für das kleine westafrikanische Gambia:

Das Land war 2007 unter der HIPC/MDRI-Initiative entschuldet worden, hatte aber die danach im Rahmen des Debt Sustainability Framework vom IWF definierte Tragfähigkeitsgrenze von 100% Barwert der Gesamtverschuldung im Verhältnis zu den jährlichen Exporteinnahmen niemals erreicht. Bis 2012 kletterte die Verschuldung wiederum auf 199%, um danach kontinuierlich abzunehmen. Die Indikatoren nehmen immer ab in den Vorhersagen des IWF, weil in dessen Modellrechnungen Länder sich an die unfehlbar segensreichen Vorgaben des Fonds minutiös halten werden, und überhaupt alles besser wird.

In der Wirklichkeit ist bislang noch niemals alles besser geworden, und der Fonds würde große Schwierigkeiten haben, ein einziges Land zu finden, für dessen Schuldenstand heute die Vorhersagen von – sagen wir mal – 2007 der Realität entsprechen.

Immerhin räumen die Rechenkünstler aus Washington ein, dass nach dem Baseline-Szenario Gambia’s Auslandsschulden bis zum Ende des doch recht langen Vorhersage-Zeitraums im Jahr 2031 nicht auf das tragfähige Niveau von 100% fallen werden.

Allerdings – und da wird es dann wirklich lustig – weist eine kleine Fussnote auf S.5 des Dokuments darauf hin, dass nach 2031 ein wirklich tragfähiges Niveau erreicht sein wird.

Also, liebe Gambier: Haltet einfach noch schlappe 19 Jahre durch, lasst Euch nicht dadurch entmutigen, dass der eine fehlende Streichung dieser untragbaren Schulden nach einer vom IWF veröffentlichten Studie Euch noch knapp zwei verlorene Entwicklungsjahrzehnte mit schwachem Wachstum infolge eines übermäßigen Schuldendienstes einbringen wird. Am Ende wird die Sonne über Euch aufgehen.

Sofern Ihr dann noch lebt.

Griechenland nach den Wahlen: Die Populisten haben gewonnen

Nach dem knappen, aber durch das Wahlrecht etwas „ausgebauten“ Sieg der Konservativen bei der Parlamentswahl in Griechenland, ging ein Aufatmen durch die deutschen und die internationalen Medien. Eine Pro-Euro-Koalition habe gegen die „Populisten“ von Syriza gewonnen, Griechenland bleibe auf (Spar-)Kurs, heisst es. Und da wird es schon sehr unappetitlich.

Denn deutsche Medien – bis hin zur ansonsten seriösen Financial Times Deutschland – hatten Syriza als eine Partei dargestellt, die das hochverschuldete Land aus dem Euro herausführen würde. Das war in jeder Beziehung Unsinn. Ökonomisch gäbe es für Griechenland durch einen Austritt viel zu verlieren (nicht zuletzt gewaltige Kosten einer Währungsumstellung selbst), aber wenig zu gewinnen. Politisch könnte niemand auf der Grundlage der existierenden Verträge dem Land den Euro „wegnehmen“ wie einem unbotsamen Kind das Spielzeug. Genau dies wurde von den Medien aber anhaltend nahegelegt. Und schließlich hatte Syriza, zuletzt mit einem Kommentar ihres Chefs Alexis Tsipras in der FTD selbst, deutlich gemacht, dass man keinesfalls die Absicht habe, den Euro aufzugeben. Was, um alles in der Welt hätte der Mann denn noch tun müssen, damit ihm geglaubt wird??

Die Griechen waren haarscharf davor, einen keineswegs einfachen, aber verheißungsvollen Neustart zu schaffen. Syriza hatte die Forderung nach einer Schuldenkonferenz erhoben, bei der die Tragfähigkeit der Auslandsschulden überprüft werden und gegebenenfalls eine ausreichende Restrukturierung auf den Weg gebracht werden sollte. Nach gut zwei Jahren Insolvenzverschleppung und einem Schuldenschnitt von dem jeder weiss, dass er nicht ausreichen wird, wäre das endlich eine Alternative zum Weiterwursteln zwischen den Alten Eliten von ND, PASOK und Co. und ihren freundlichen Gläubigern in Berlin und Brüssel.

Selbst der IWF geht davon aus, dass im besten aller Fälle Griechenlands Schulden mit den bisherigen Massnahmen auf 120% – wahrscheinlicher: 129% – des BIP bis 2020 reduziert werden können. Wichtige Privatgläubiger halten heute einen zweiten Schuldenschnitt für unvermeidlich, bei dem nicht nur die ursprünglichen privaten Forderungen, sondern auch die aus den öffentlichen Rettungspaketen zur Disposition stehen müssen. In der Tradition ihrer Politik seit dem Krisenausbruch 2009 haben die Altparteien in Griechenland, die Bundesregierung, die EU und die Mainline-Medien so getan, als gäbe es diese Bedrohung gar nicht, und der wählenden Bevölkerung vorgegaukelt, wenn sie die Finger nur von den erschröcklichen Linksradikalen ließen, würde schon alles gut werden.

Das nennt man Populismus. Es ist unverantwortlich. Und damit sind sie (vorerst) durchgekommen.

„Das ganze Elend“

Am vergangenen Freitag, den 21.10.2011, leitete der IWF im Namen der gesamten Troika den europäischen Regierungen seine Schuldentragfähigkeitsanalyse zu Griechenland zu.

Die gute Nachricht ist, dass der IWF nicht einmal mehr versucht, den Eindruck zu erwecken, Griechenland käme ohne einen weit reichenden Schuldenerlass zurecht. Die schlechte Nachricht ist alles andere.

Der IWF entwickelt ein gegenüber seinen Vorhersagen in der ersten Jahreshälfte „revidiertes Basis-Szenario“. Dessen Eckpunkte sind:

  • eine um 5,5% schrumpfende Volkswirtschaft in 2011; weitere Schrumpfung um 3% in 2012, und anschließend ein sich nur langsam wieder aufbauenes Wirtschaftswachstum von 1,25% in 2013/4 auf bis zu 2,6% bis 2030;
  • Privatsierungserlöse von 46 Mrd. € bis 2030 statt des bisher angenommenen 66 Mrd.;
  • Das aktuelle fiskalische Defizit vor Schuldendienst („Primärdefizit“) von 5% soll sich gleichwohl schon 2013 in einen Überschuss von 1,4% des BIP verwandeln.
  • Frühestens 2021 kann unter diesen Umständen wieder eine Finanzierung über den Kapitalmarkt erfolgen – vorausgesetzt, dass der im Juli vereinbarte Schuldenschnitt von 21% bei den Privatgläubigern umgesetzt wird.

Unter den genannten Voraussetzungen, bei uneingeschränkter Umsetzung aller mit dem IWF vereinbarter Maßnahmen und bei Abwesenheit jeglicher externer Schocks, würde in diesem Szenario der Schuldenstand bis 2013 weiter auf 186% des Bruttoinlandsprodukts steigen, danach bis 2020 auf 152% und bis 2030 auf 130% fallen. Das heißt: Griechenland würde rund 20 Jahre lang keinerlei wirtschaftspolitischen Spielraum haben, die Bevölkerung würde allenfalls minimale wirtschaftliche Verbesserungen erleben – und das auch nur, wenn 20 Jahre die Weltwirtschaft störungsfrei wächst, es keine Erdbeben, Exportpreiseinbrüche und Ölpreisschocks gibt. Dass es so kommt, glaubt nicht einmal der IWF!

Also rechnet er alternative Szenarien durch. Was auch immer schief geht – niedrigerer Primärüberschuss, geringere Privatsierungserlöse, schwächeres Wachstum, höhere Kosten für die öffentlichen Hilfskredite infolge eines Zinsanstiegs in Deutschland – nichts von alledem könnte Griechenlands Wirtschaft mit der bislang zugesagten Unterstützung auffangen. Es wäre umgehend wieder zahlungsunfähig.

Konsequenz: der IWF verlangt „umfassende öffentliche Unterstützung zu großzügigen Bedingungen und zusätzlichen privaten Schuldenerlass“. Bis zu 444 Mrd. € zusätzlicher Unterstützung können unter den widrigsten Bedingungen notwendig sein. Nur, wenn der Privatsektor sich mit mindestens 60% Schuldenstreichung an dem Paket beteiligt, kann die öffentliche Unterstützung bei den vorgesehenen 109 Mrd. bleiben.

Und da wird aus der grottenschlechten Nachricht fast schon wieder eine gute: Das ganze elende Gequatsche der letzten 18 Monate, einen Schuldenschnitt dürfe es auf gar keinen Fall geben, weil sonst Griechenland sonst nie mehr einen Kredit bekäme und überhaupt die ganze Eurozone zusammenbräche, hat sich unter dem Druck der Fakten in Luft aufgelöst.

Das hätte man im Sommer 2010 deutlich billiger haben können!

Seid doch bitte optimistisch!

Nicht nur bei erlassjahr.de wurden IWF und Weltbank oft für ihre Schuldentragfähigkeitsanalysen (DSA) an den Pranger gestellt. Oft erwiesen sich die im Vergleich zur Vergangenheit viel zu optimistischen Vorhersagen des Wirtschaftswachstums als unrealistisch. Oft wurde auf deren Grundlage auch eine zu optimistische Einschätzung der zukünftigen Schuldentragfähigkeit von armen Ländern vorgenommen. Fragt man Mitarbeiter in Washington persönlich, warum sie Länder mit recht hohen Schuldenindikatoren (wie z.B. Mosambik) kein Verschuldungsrisiko bescheinigen, so erhält man ein Schulterzucken: „die Länder wollen das so“.

Nun werden aber auch Stimmen immer lauter, dass IWF und Weltbank bisher viel zu konservativ (und nicht zu optimistisch) über die Schuldentragfähigkeit von Entwicklungsländern geurteilt haben und damit die Finanzierung der MDG gefährden. Denn zu negative Beurteilungen hätten und würden den Zugang zu (nicht- konzessionären) Krediten weitestgehend unterbinden. Aufgegriffen wurde diese „Sorge“ in einer Überprüfung des Rahmenwerks für Schuldentragfähigkeitsanalysen (DSF) von August 2009 (siehe http://www.imf.org/external/np/pp/eng/2009/080509a.pdf) und in einem Treffen des „Commonwealth Ministerial Debt Sustainability Forum“ (CMDSF) im Oktober 2010.

Nun, eine konservative und damit möglicherweise tatsächlich realistische Einschätzung von Verschuldungsrisiken: das ist schließlich Sinn der ganzen Übung. Viele Kreditgeber orientieren sich jedoch an den Schuldentragfähigkeitsanalysen von IWF/Weltbank, wenn es um die Kreditvergabe an Entwicklungsländer geht. Auch beeinflussen die Risikokategorisierungen die Kreditkonditionen bei IWF und Weltbank. Je höher ein Verschuldungsrisiko eingeschätzt wird, desto enger sind Kreditlinien, das ist logisch. Wird einem Land ein mittleres oder hohes Verschuldungsrisiko bescheinigt, weil es z.B. bedenkliche Schuldenquoten aufweist, so ist der DSF nicht unbedingt konservativ und damit starr angewandt worden, sondern hat vielmehr seinen eigentlichen Zweck erfüllt.

In oben genannten Diskussionen wird nun die Forderung laut, dass z.B. geplante Investitionen in die Infrastruktur oder neue Einkommensmöglichkeiten, viel mehr in der Beurteilung Beachtung finden müssten, da diese ja schließlich in Zukunft das Wirtschaftswachstum fördern (sollen). Hier wird der IWF also aufgefordert, bitte optimistischer und nicht zu vorsichtig zu urteilen. Sicherheit über den realen und messbaren Einfluss einer bestimmten Investition auf das zukünftige Wachstum gibt es logischerweise nicht.

Der „Schrei“ nach optimistischeren Einschätzungen ist gar nicht so unverständlich. Möchte man Investitionen finanzieren braucht es Geld. Geld kommt nicht nur von IWF und Weltbank, sondern auch vom Finanzmarkt. Kreditgeber orientieren sich bei Entwicklungsländern hier am Urteil des IWF. Der Finanzmarkt reagiert jedoch überaus empfindlich auf Negativschlagzeilen, wie man an Griechenland, Irland oder Spanien sieht. Fällt das Wort Insolvenzrecht oder Staatsbankrott, bricht Ländern und dem Kapitalmarkt der Angstschweiss aus. Zinsen steigen rasant, Investoren suchen sich andere Anleihen.

Sagt nun die Schuldentragfähigkeitsanalyse von IWF und Weltbank, dass Entwicklungsland xy ein hohes oder mittleres Verschuldungsrisiko hat, so heißt das nichts anderes, als dass ein erhöhtes Risiko einer möglichen Zahlungsunfähigkeit bescheinigt wird. Klar, dass Kreditgeber dann nicht gerne leihen, wenn doch schon vorher die Vermutung besteht, dass das Land den Kredit vielleicht gar nicht vollständig bedienen kann.

Trotzdem darf nicht vergessen werden, wozu der DSF eigentlich geschaffen wurde. In jedem Fall nicht dazu, verschuldeten armen Ländern einen Freifahrtschein für teure Kredite zu verschaffen, die es dann möglicherweise doch nicht tragen kann. Verständlich ist jedoch die indirekte Forderung von „Gleichbehandlung“: Möglichen Kreditgebern wird bei Entwicklungsländern durch die Schuldentragfähigkeitsanalysen die Einschätzung gegeben, ob eine mögliche Gefahr einer Überschuldung und damit Zahlungseinstellung besteht. Bei verschuldeten Euroländern jedoch ist der IWF-„Tipp“ an Kreditgeber vielmehr, dass sie das unwahrscheinliche Risiko von Staatspleiten nicht überschätzen sollen (siehe dazu ausführlicher den Blogbeitrag „IWF an Europa: Zahlt um Himmels willen Eure Schulden!“ vom 21.09.2010).

Das Problem ist da nicht der DSF. Vielmehr kann es nicht sein, dass das Thema Verschuldung so unterschiedlich gehandhabt wird: bei Entwicklungsländern sind Pleiterisiken bei jeder DSA ein selbstverständliches Thema, im Kontext von Euroländern gilt die Angst davor aber plötzlich als viel zu überbewertet. Ob Burkina Faso oder Irland – Staatspleite bleibt Staatspleite!

Glaubt Rogoff!

Es ist ermutigend zu beobachten, wie sich auch auf den Kommentarseiten der Financial Times Deutschland die Erkenntnis durchsetzt, dass sich die finanzielle Lebensfähigkeit einiger Eurostaaten ohne einen geordneten Schuldenschnitt nicht wiederherstellen lassen wird. Das war in der ersten Phase der europäischen Staatsschuldenkrise noch etwas ambivalenter, und die Lieblingsargumente der Gläubiger – z.B. „wer eine Option auf eine geregelte Insolvenz haben will, bekommt ab sofort keinen Kredit mehr“ – tauchte auch in internen wie externen Kommentaren der „Agenda“-Seiten auf.
Inzwischen gewinnt die Einsicht, dass es ohne Schnitt nicht gehen wird, die Oberhand, und das ist ein gutes Ergebnis für eine durchaus offen ausgetragene Debatte. Der vorletzte und seit langem beste Beitrag dazu stammt von dem Harvard-Professor und ehemaligen IWF-Chefökonomen Ken Rogoff.
Der Kommentar trägt den Titel „Zweite Halbzeit der Krise“ und ist im Netz unter http://www.ftd.de/politik/konjunktur/:staatspleitenpanik-rogoff-jetzt-kommt-die-zweite-halbzeit-der-euro-krise/50202775.html zu finden, Die englische Originalfassung kann auch unter www.project-syndicate geladen werden.
Rogoff spricht die Punkte an, denen sich auch die EU-Verantwortlichen werden stellen müssen, wenn sie 2013 (oder womöglich früher) tatsächlich Staatspleiten nicht mehr mit Mitteln aus dem Europäischen Rettungsfonds übertünchen können:
• Die drastischen Sparprogramme drohen die PIGS-Staaten in genau die gleiche Art von „verlorenem Jahrzehnt“ zu schicken, wie es Lateinamerika zwischen 1982 und 1990 durchlebte; seinerzeit bestand das Hauptinteresse der westlichen Gläubigerstaaten auch zuallererst darin, die eigenen Banken und (US-)Sparkassen über Wasser zu halten. Damit diese aus den verschuldeten Ländern weiterhin Geld bekamen, wurden in großem Stil öffentliche Mittel in die bereits zahlungsunfähigen Staaten gepumpt und mit ebenso rigiden wie desaströsen Strukturanpassungsprogrammen verknüpft.
• Die Bundeskanzlerin hat als einzige europäische Regierungschefin erkannt und beizeiten offen gesagt, dass die kontinuierliche Refinanzierung von Schuldendienst keine Lösung sein kann, und Europa deshalb einen Insolvenzmechanismus braucht.
• Leugnen der Krise war noch nie eine gute Strategie – und selten wurde so heuchlerisch geleugnet wie beim EU-Bankenstresstest, im letzten Frühjahr. Umgekehrt kann die europäische Bankenkrise durchaus bewältigt werden, wenn die notwendigen Abschreibungen und Forderungsverzichte durchgesetzt werden.
• Mit dem Rettungsfonds hat Europa bereits unwiderruflich einen bedeutenden Teil der faulen Kredit sozialisiert. Selbst wenn der wünschenswerte Schuldenschnitt kommt, wird er nur noch zum Teil die eigentlichen Zocker treffen. Ein Teil trifft bereits die öffentlichen Haushalte. Das aber unterstreicht gerade die Notwendigkeit, einen Schuldenschnitt so bald wie möglich umzusetzen. Auch in Lateinamerika zeigte sich im Nachhinein, dass ein frühzeitiger Schnitt unter’m Strich für fast alle die bessere Lösung gewesen wäre als die praktizierte Insolvenzverschleppung.

Pakistan: Zu kleine Katastrophe für einen Schuldenerlass

Im Oxfam/Avaaz-Aufruf für einen Schuldenerlass zugunsten Pakistans heißt es: „Nach Angaben der Vereinten Nationen waren die Auswirkungen der Flut in Pakistan schlimmer als die des Tsunamis, des Erdbebens in Pakistan 2005 und des Erdbebens in Haiti 2010 zusammengenommen. Über 20 Millionen Menschen sind bislang von den Überschwemmungen betroffen und ein Ende der Krise ist nicht abzusehen.“
Legt man die absoluten Zahlen der Betroffenen und der angerichteten Zerstörung zugrunde, stimmt die Einschätzung der Kollegen zweifellos. Der IWF rechnet indes anders: Er hatte nach dem Erdbeben auf Haiti eine spezielle Fazilität geschaffen, durch die Streichung von Schulden beim IWF für solche Länder ermöglicht werden sollte, die besonders unter Naturkatastrophen zu leiden haben: den „Post-Catastrophe Debt Relief Trust“. Diese Fazilität im Programm des Fonds war eine Reaktion darauf, dass nach dem Erdbeben, der IWF satzunngskonform nur mit neuen Krediten, und nicht etwa mit Zuschüssen dem zerstörten Land zu Hilfe kommen konnte. Eine durchaus sinnvolle Regelung, denn eine weitere Internationale Institution, die offizielle Entwicklungshilfebudgets anzapft, um Mittel durch die eigene Bürokratie zu schleusen und an arme Länder weiter zu reichen, braucht wirklich kein Mensch. Gleichwohl war klar, dass Haiti seinen Aufbau nicht per Kredit würde finanzieren können. Der Ausweg bestand in der Schaffung des PCDR, der die nachträgliche Refinanzierung der IWF-Schulden aus eigenen Mitteln des IWF vorsah. Im Prinzip funktioniert auch der IWF/Weltbank-Schuldenerlass unter der HIPC-Initiative nicht anders.
Wer aber wird davon profitieren? Der Vorstand des IWF legte rigide Kriterien fest, und stellte genau so viel Geld bereit, wie notwendig war, um die Schulden Haitis beim IWF aus der Welt zu schaffen. Genau wie bei HIPC gingen die IWF Verantwortlichen davon aus, dass man soeben die letzte große Katastrophe der Menschheitsgeschichte bewältigt habe, und ein weiterer Finanzierungsbedarf im Rahmen des neu geschaffenen Instruments ohnehin nicht bestehe.
Und tatsächlich: Die Zugangsbedingungen wurden so formuliert, dass Pakistan („sorry, sorry“) leider nicht betroffen genug ist. Um in den Genuss eines Schuldenerlasses durch die PCDR zu kommen, muss
• das Land IDA-Status bei der Weltbank haben. Den hat Pakistan.
• Ein Viertel der produktiven Kapazität des Landes durch die Katastrophe verloren sein. In Pakistan pendeln sich die Schätzungen in der Größenordnung von 15% ein.
• Ein Drittel der Bevölkerung betroffen sein. In Pakistan sind es etwa 20 von 172 Mio Menschen, also „nur“ rund 12%.
Somit kommt Pakistan nicht in den Genuss von Schuldenerleichterungen. Zwar lag sein Schuldenstand im Verhältnis zu den jährlichen Exporteinnahmen mit 220% schon Ende 2008 deutlich über dem Wert, den Haiti nach seinem kurz vor dem Erdbeben gewährten HIPC-Schuldenerlass erreichte. Aber Regeln sind nun mal Regeln. Und so erhält Pakistan vom IWF eine grosszügige Wiederaufbauhilfe von 767 Mio US-$, wodurch der Schuldenstand beim IWF auf knapp 9 Mrd. US-$ steigt.
Besonders enttäuschend ist in diesem Zusammenhang die bisherige Haltung der deutschen Bundesregierung. Auch, wenn die Schulden beim IWF eine gefährlich wachsende Bedrohung darstellen, sind die Schulden bei den bilateralen Gebern quantitativ bedeutender. Und mit der Schuldenumwandlungsfazilität des BMZ hätten die Deutschen ein Instrument, um die Schuldenstreichung mit der Bereitstellung von Wiederaufbaumitteln unmittelbar verknüpfen zu können. Und Masse für eine sinnvolle Entlastung gibt mit 1,2 Mrd. € Entwicklungshilfeschulden und 231 Mio € Handelsschulden in Deutschland allemal.

erlassjahr.de vor dem Weißen Haus

Aus Anlass der Jahrestagung von IWF und Weltbank organisierte Jubilee USA nicht nur eine Reihe von Veranstaltungen innerhalb und außerhalb der Internationalen Finanzinstitutionen, sondern auch eine „Ketten-Demonstration“ von der Weltbank zum Weißen Haus.

Quer durch die Staaten hatten Jubilee-Unterstützer aus Kirchen, Gewerkschaften und Eine-Welt-Gruppen in den letzten Wochen bunte Kettenglieder gebastelt und teils mit persönlichen Botschaften beschriftet. Diese wurde von etwa 500 Demonstrant/innen am Freitag, dem 9. Oktober 2010 zu Beginn der eigentlichen Gouverneurstagung von Bank und Fonds durch die Straßen Washingtons getragen.

Da erlassjahr.de heute die zusammen mit der Friedrich-Ebert-Stiftung erstellte neue FTAP-Studie vorstellt, konnte ich natürlich auch bei der Demo dabei sein, und vor dem Weißen Haus das mitgebrachte erlassjahr.de-Banner in Szene setzen. In diesem Fall mit der Hilfe unserer Freunde von Jubilee San Diego, mit denen wir schon beim vorletzten Kirchentag in Bremen eine gemeinsame Veranstaltung organisiert hatten.
Die Demo war nicht groß, aber bunt und laut: Sogar eine amerikanische Version des „Hai des Jahres“ war mit von der Partie – schon etwas abgenagt, und dem IWF liebevoll gewidmet. Die Freund/innen der „Stop-IMF-Coalition“ kamen in der etwas martialischen Aufmachung des schwarzen Blocks, aber selbst ihnen gegenüber blieben die Polizisten – überwiegend auf Fahrrädern der Marke „Smith & Wesson“ (!) – friedlich.

Für mich war es die erste Demo im Jacket. Schließlich musste ich unmittelbar danach wieder zurück in die Weltbank. Dort stellte die Debt Management Abteilung ein neues Buch zum Thema Sovereign Debt Management vor. Interessanterweise erstmals mit einem Kapitel über die Option eines Internationalen Insolvenzgerichtshofs – aus der Feder des Berliner Völkerrechtlers Christoph Paulus. Ansonsten war es allerdings eine fix dröge Veranstaltung: Fünf Herren in grauen Anzügen sagten zur insgesamt rund fünfzig weiteren grauen Herren (und einigen wenigen ebenfalls grau beanzugten Damen) mehr oder weniger kluge Dinge über das Buch, das sie selbst geschrieben haben. Ein afrikanischer Delegierter hinter mir begann zur Mitte der Veranstaltung vernehmlich zu schnarchen. Ich konnte es ihm nicht verdenken.
Bei unserer eigenen Buchvorstellung heute nachmittag wird das hoffentlich nicht passieren. Und wenn doch, werde ich ein paar Witze erzählen oder einen Teil meines Vortrags singen.