IWF/Weltbank Jahrestagung in Lima: Die Finanz-Szene feiert ihre Erfolgsgeschichte und fühlt sich unbehaglich

Peru gilt mit anhaltend hohen Wachstumsraten in den vergangenen Jahren als die Erfolgsgeschichte eines Landes, dessen Entschuldung noch vor zwei Jahrzehnten auf der Tagesordnung von Bewegungen wie erlassjahr/Jubileo stand. Hohe Preise für die von dort exportierten Rohstoffe und ein verleichsweise geschicktes Schuldenmanagement haben das Land inzwischen sogar aus der Liste der von erlassjahr.de im jährlichen Schuldenreport beobachteten Länder geführt.

Auch, wenn die peruanische Zivilgesellschaft auf die enormen sozialen und ökologischen Kosten verweist, die für diese Erfolgsgeschichte bezahlt werden musste: die in Lima versammelten 12.000 Minister, Beamten, Zentralbanker, Privat-Investoren interessierte das nicht besonders. Und der peruanische Staat ließ sich die zuvorkommende Umsorgung der hohen Gäste im schicken Nationalmuseum und Kongresszentrum eine erhebliche Stange Geld kosten.

Ungetrübt war die Freude gleichwohl nicht: Der Wachstumseinbruch bei wichtigen Schwellenländern wie Brasilien und Indonesien sowie die von IWF-Chefin Lagarde beständig wiederholte Warnung vor den versteckten Risiken in den Schuldenbilanzen vieler Staaten, dämpften den optimistischen Ton. Viel stärker als noch vor wenigen Jahren bedroht die private Verschuldung von Schwellenländern aber auch kleinerer Entwicklungsländer inzwischen die Schuldentragfähigkeit. Ohne dass es klare Konzepte dafür gibt, wie Staaten davor geschützt werden können, im Zweifel für das Überleben „ihrer“ Banken und Versicherungen selbst in großem Stil Schulden aufnehmen zu müssen.

Die in Lima gut vertretene NRO-Szene reagierte auf diese neuen Tendenzen mit Veranstaltungen zum neuen Schuldenaufbau durch die Privatisierung von immer mehr Bereichen der Daseinsvorsorge und zur Notwendigkeit umfassender Entschuldung – z.B. in kleinen Inselentwicklungsstaaten.

Und während Weltbank-Präsident Kim mit seiner eigenen Vergangenheit als Anti-WB-Protestierer kokettierte und die heute Unzufriedenen aufforderte, seinem Beispiel zu folgen und ebenfalls Weltbank-Präsident zu werden, organisierte sich auch in Lima draußen der lautstarke Protest derjenigen, die eine gerechtere Welt eher nicht durch die Verfolgung einer eigenen Apparatschik-Karriere heraufziehen sehen.

IWF/Weltbank-Jahrestagung 2014: Der Kongress beim Essen Fassen

Der jährliche Auftrieb von Ministerialen, Zentralbankern, Geldadel und uns paar versprengten NROs findet in diesem Jahr wieder im Hauptquartier der beiden Institutionen in Washington statt. Unter den einigen tausend Teilnehmern gibt es alle Arten von Freund und

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Feind – beide meist gleichermaßen schwarzgewandet. Es gibt jede Menge Propaganda-Veranstaltungen der beiden Institutionen, und wir als NROs sind ein durchaus beliebtes Zielobjekt freundlicher Umarmungen: Gelobt und verpflegt wird man hier aufs vortrefflichste. Und zwischen den vielen, die für’s Loben und Füttern da sind, gibt es auch einige, die tatsächlich was zu sagen haben, und sich manchmal in Veranstaltungsräumen mit uns NROs wiederfinden.

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Heute stellte der IWF eine neue Studie zur Verschuldung von Niedrigeinkommensländern vor, die unseren Punkt einer sich in Subsahara-Afrika neu aufbauenden Schuldenkrise mit guten Zahlen unterstreicht. Verlinken kann ich sie hier noch nicht, weil sie erst morgen ins Netz gestellt wird. Dann lohnt sich aber ein Blick darauf. Interessant bei der heutigen Vorstellung der wichtigsten Inhalte war, dass die Einteilung der rund 60 Staaten mit niedrigem Einkommen vom IWF so interpretiert wurden, dass nur ein Drittel von ihnen ein hohes Überschuldungsrisiko aufweisen, während es bei zwei dritteln nur “niedrig” oder “moderat” ist. Unser Kollege Brett House vom kanadischen CIGI, kommentierte kommentierte namens der NROs die gleichen Zahlen so, dass nur ein Drittel im Moment ungefährdet ist, während zwei Drittel ein “moderates” oder “hohes” Risiko aufweisen. “Moderat” heißt übrigens, dass ein Land kein Schuldenproblem hat, wenn die Wirtschaft sich in den nächsten Jahren so entwickelt, wie der IWF das vorhergesagt hat. Gibt es auch nur eine negative Abweichung davon, wird die Lage umgehend kritisch.

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Breiten Raum nimmt hier auch die Diskussion über den Umgang mit den Geierfonds ein. Erfreulich dabei ist der starke Konsens mit den meisten Finanzministerien auch der G8-Länder sowie mit dem IWF-Stab, dass etwas geschehen muss, was so etwas wie das skandalöse New Yorker Urteil gegen Argentinien sich nicht wiederholen darf. (Wir haben an anderer Stelle in diesem Bog ja eine ganz lebendige Debatte darüber). Der IWF setzt ganz und gar auf “Collective Action Clauses” die eine solche Geier- oder Holdout-Minderheit im Konfliktfall an die Entscheidungen einer Gläubigermehrheit binden; er hat aber auch noch weiter gehende Maßnahmen wie Aggregation über mehrere Anlageklassen hinweg im Köcher. Wir unterstreichen zusammen mit den meisten Süd-Regierungen z.B. im Communiqué der G24 und der Finanzminister der LIC-Gruppe der Francophonie die Notwendigkeit eines geordneten und umfassenden Verfahrens.

Für alle, die über den Tag hinaus denken: Ein paar Meter von meinem Lieblings-Arbeitsplatz in der Großen Halle des (Finanz-)Volkes entfernt bringen stöckelbeschuhte hübsche Peruanerinnen kleine Quinoa-Snacks sowie allerlei Kunsthandwerk aus ihrer Heimat an den Mann, um schon mal Reklame für die Jahrestagung 2015 zu machen. In jedem dritten Jahr tanzt der Kongress außerhalb Washington’s, und dann wir es Lima.

Tokio Tagebuch III: Die Bank, der Fonds und wir

Zivilgesellschaft drinnen / © erlassjahr.de

Sonntagmorgen in Tokio: Das “Civil Society Centre” ist abgebaut. Wahrscheinlich sind bergeweise ausgelegte und nie mitgenommene Strategie-Papiere in den Orkus gewandert. Ich glaube, wenn irgendjemand wirklich zufrieden sein kann mit seiner Arbeit bei dieser Jahrestagung, dann sind es die NGO-Liaison-Leute:

Wir, die hier so genannte Zivilgesellschaft, wurden durchweg freundlich und kooperativ von ihnen behandelt. Wir hatten gänzlich kostenlos ziemlich gute Arbeitsmöglichkeiten im Keller des Tokyo International Forums, und konnten uns von daher keineswegs beklagen.

Auch die Delegationen, die Leitung und die Angestellten von Bank und Fonds durften  zufrieden sein: Wir haben sie kaum gestört. Da, wo sie sich trafen, durften wir nicht hin. Gelegentlich wurde mal der eine oder andere von uns in die höheren Etagen raufgeholt, und zu Side Events wie dem unseren kam auch schon mal ein Minister runter in unseren Keller. Nicht ganz ohne Mühe, denn wir hörten hinterher von Delegationen, dass man sich auf die Ortsangabe “Room 251” keinen Reim machen könne. Und tatsächlich entzogen sich die Raum-Angaben im Civil Society Centre gänzlich der normalen Raum-Systematik. Ob deswegen von uns heftig eingeladene Vertreter von verschuldeten Ländern vergeblich auf der Suche nach uns waren, und schließlich doch lieber ein Päuschen in der Sonne einlegten  als uns weiterzusuchen, werden wir nie erfahren.

Nun ja. Wir waren zu Gast, und als Gast soll man nicht meckern.

Ekelig wurde es allerdings meist, wenn von oben der praktische Dialog mit uns gepflegt wurde. So gaben sich Bank-Präsident Jim Young Kim und Fonds-Direktorin Christina Lagarde am Donnerstag für eine gute Stunde die Ehre vor einem mit NRO-Vertretern sehr gut gefüllten Auditorium. Neben ihnen saßen ein NRO-Direktor aus einem asiatischen Land und eine Frau, von der gesagt wurde, sie vertrete ein Netzwerk indischer Slumbewohner. Nach Slum hörte die sich allerdings nicht an, und sie sah auch nicht so aus. Vielmehr bestand ihre Diskurs darin, der Bank zu ihren ambitionierten Ziel der Ausmerzung der Armut zu gratulieren, und sie zu weiteren Anstrengungen aufzufordern.

Der Gedanke, dass die beiden Institutionen eher Teil des Problems als Teil der Lösung sein könnten, scheint sich vor lauter konstruktivem Engagement derjenigen, die vor gefühlten hundert Jahren auch mal gegen die Institutionen auf die Straße gegangen sind, verflüchtigt zu haben. Es gab nicht eine (zugelassene) Intervention, bei welcher NRO-Frage und Bank/Fonds-Antwort nicht im Prinzip in die gleiche Richtung gingen.

Zivilgesellschaft draußen / © erlassjahr.de

Auf die Straße gingen unsere japanischen Kolleg/innen und ein paar von uns dann aber doch. Am Samstag gab es einen sehr hübschen Caserolazo, d.h. eine Kochtopf-Demo mit reichlich Radau aus Protest gegen die Institutionen, denk deren Politik die Töpfe leer bleiben. Klein (von mir handgezählte 243 Teilnehmer/innen), fein und laut.

Tokio Tagebuch I: 9. Oktober: Verdächtig harmonisch alles hier

In dieser Woche findet in Tokio die Jahrestagung von IWF und Weltbank statt, und für erlassjahr.de und unsere Partner im EED bin ich mit einem Roundtable-Gespräch am Donnerstag Nachmittag dabei. 

Für ein absolutes Tokio-Greenhorn bin ich ganz gut angekommen. Flug mit SAS, die keine Durchsage ungenutzt ließ, um darauf hinzuweisen, dass sie Europas pünktlichste Airline sei; und tatsächlich: auf die Minute heute morgen um halb zehn betrat ich zum erst Mal in meinem Leben japanischen Boden.

Wenn man keinen Zeitstress hat, und die 60km vom Flughafen in die Mitte der großen Stadt im Shinkansen-Tempo zurücklegen muss, dann macht es sogar Spass, die kleinen lateinischen Unterzeilen unter den japanischen Metro-, U- und S-Bahn-Informationen zu identifizieren und in die richtige Bahn nicht nur ein-, sondern an der richtigen Stelle auch wieder auszusteigen.

Zur Mittagszeit hatte mir der höflich lächelnde Mensch in der Rezeption des Hotels, das unten so aussieht, als müssten aber spätestens morgen die Handwerker kommen, für den Rest der Woche knapp 60.000 Yen abgeknöpft. Oben war es dann sehr gepflegt: ein Riesen-Bett in einem Zimmerchen, von dem ich sicher bin, dass seine Grundfläche kleiner ist als die des Bettes. Internet-Zugang dafür einwandfrei, überall kleine Fläschchen mit Duftwässerchen, Pomaden, Seifen und bei manchen weiss ich auch nicht genau. Der Lokus hat einen Knopf, bei dessen Betätigung einem der Hintern abgespült wird. Ein echter Überraschungseffekt – besonders, wenn man irrtümlich in Richtung “kalt” dreht.

Bei der Registrierung stelle wurde ich dann mit einem einlass-gewährenden Badge in Quietschrosa ausgestattet. Die Weltbank hat mein Bild seit meiner allerersten Tagung offenbar gespeichert. Sehr schmeichelhaft.

So weit die Rahmenbedingungen. Die Tagung selbst hat vorläufig noch Luft nach oben: Wir NROs hätten gerne beim Treffen der Commonwealth-Finanzminister zum Thema “Schuldenprobleme in Kleinen Verwundbaren Ökonomien” zugehört, aber rosa Schilder wurden nicht zugelassen. Dafür überschüttet uns das NRO-Liaison-Büro der Weltbank mit Aufmerksamkeiten: Ungefragt bekamen wir für unser FTAP-Side-Event am Donnerstag eine japanische Simultanübersetzung. Wie alle registrierten Teilnehmer, bekam ich wieder mal eine schicke Konferenztasche – mit der jeder zweite Mensch durch den Glaspalast des Tokyo International Forum wandert. Und an fast jeder Ecke des Palastes steht entweder ein Polizist in Habachtstellung oder eine hübsche junge Japanerin, die hofft, dass man sie anspricht, um sie nach dem Weg nach irgendwo zu fragen.

Da wir beim Commonwealth nichts ausrichten konnten, haben wir, die Kolleginnen von SLUG aus Norwegen, EURODAD und ich, uns in die Begegnungsveranstaltung der Zivilgesellschaft mit den Exekutivdirektoren der Weltbank gesetzt. Das war grauenhaft: Ein gut besuchter riesiger Saal, zwei Stunden Frage und Antworten, und

Sieht öde aus und war es auch: Weltbank trifft Zivilgesellschaft / © erlassjahr.de

von den Inhalten her war es unmöglich zu entscheiden, wer Frager und wer Antworter ist. Alle betonten in einer Tour, wie wichtig die Zivilgesellschaft für die Arbeit der Weltbank sei, wie dankbar die Banker sind, dass wir alle da sind; für mehr Gerechtigkeit für Frauen sind wir aber so was von alle, Partizipation – ja aber claro. Viel mehr mit der Weltbank reden sollen wir – noch mehr als wir das verdienstvollerweise ohnehin schon tun. Ich glaube, es gab in 90 Minuten nicht eine einzige Wortmeldung, bei der NGOs und Welt-Banker unterschiedlicher Meinung waren. Sind wir bei erlassjahr.de womöglich genauso und merken es nicht?

Vor dem Abendessen und Einschlafen kommt dann zum Glück noch eine Mail von einem mir bislang nicht bekannten japanischen Anti-IWF-Bündnis. Morgen ist eine Demo: Wenn ich es richtig verstehe, beginnt sie in der U-Bahn. Hoffentlich schaffe ich das morgen zwischen zwei Seminaren….