Je größer der Schuldenerlass, umso erfolgreicher der wirtschaftliche Neuanfang

Manchmal verwenden Ökonomen große Energie darauf, der Welt etwas ökonometrisch nachzuweisen, worauf jeder halbwegs normal denkende Mensch auch von alleine gekommen wäre. Ein Beispiel dafür ist eine neue Studie aus dem Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim:

Christoph Schröder: Haircut Size, Haircut Type and the Probability of Serial Debt Restructurings; Discussion Paper No. 14-126.

Der Autor weist anhand eines Panels von 180 Staatsschulden-Restrukturierungen in 68 Ländern seit 1970 nach, dass es eine statistisch signifikante umgekehrte Korrelation zwischen der Höhe der Verluste, die die Gläubiger hinnehmen mussten und der Wahrscheinlichkeit, dass der Schuldner kurzfristig eine neuerlich Umschuldung braucht, gibt.

Konkret: 55% aller Staaten, die im Pariser Club ihre Verbindlichkeiten gegenüber den öffentlichen Gläubigern umschuldeten, fanden sich spätestens drei jahre später erneut am Verhandlungstisch in der Lichterstadt wieder. Erst als die multilateralen Initiativen HIPC und MDRI den nominalen Schuldenstand dramatisch reduzierten, kamen Staaten aus solchen „seriellen“ Verhandlungen heraus.

Die Lehre daraus in klarer deutscher Prosa: Wenn man schon Schulden erlässt, soll man es richtig machen; sonst geht das ganze Theater in wenigen Monaten von vorne los!

Wie gesagt: Ohne Ökonometrie und allein mit gesundem Menschenverstand hätte man da auch drauf kommen können. Umso bemerkenswerter ist indes im Lichte der statistischen Signifikanz (erneut), wie lange die Gläubiger in den 80er und 90er Jahren an beständig unzureichenden Schuldenerleichterungen als Prinzip festhielten. Und noch bestürzender, dass aktuell unter Bezug auf den zweifelsfrei unzureichenden Schuldenerlass von 2012 erklärt wird, Griechenland habe bereits einen Schuldenerlass erhalten und benötige deshalb nun keinen weiteren. Auch, wenn die Schulden im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung heute höher sind als damals.

Wer das Thema mit ökonomisch denkenden Ökonomen diskutieren will oder muss, findet die gut verständliche Studie hier.

Wenn der IWF kommt… zum Beispiel nach Barbados

Die kleine Karibikinsel Barbados ist der jüngste Krisenkandidat unter den zahlreichen hochverschuldeten kleinen Inselstaaten in der Ostkaribik. Ende April besuchte eine Delegation des Internationalen Währungsfonds Barbados. Am 8.Mai legte diese ihre „Empfehlungen“ darüber vor, mit welchen Mitteln, die aktuell über 100% der Wirtschaftsleitung liegende Verschuldung der Insel bis 2020 auf 91% zurückgeführt werden soll.

Dieses Ziel ist bemerkenswert unambitioniert, beträgt es doch mehr als das eineinhalbfache der Tragfähigkeits-Obergrenze des Maastricht-Vertrages, der auch identisch ist mit den Empfehlungen der Karibischen Entwicklungsbank. Erklären lässt sich das möglicherweise mit dem begrenzten Instrumentarium, welches nach Ansicht des Fonds zur Erreichung dieses Ziels überhaupt nur zur Verfügung steht – wie wir im Folgenden sehen werden.

Schlüsselelement für das, was nach Ansicht des IWF machbar und sinnvoll ist, ist ein Primärüberschuss von 4%, d.h. ein solcher Überschuss im öffentlichen Haushalt ohne Berücksichtigung der Zinszahlungen:

Staff analysis finds that an average primary surplus near 4 percent of GDP would be needed to bring the debt-to-GDP ratio to 91 percent by 2020.

Das damit zusammenhängende Dilemma aus einem deutlich höheren Investitionsbedarf und dem Ziel der Schuldentragfähigkeit wird unmittelbar danach deutlich:

Staff note that a significant increase in public investment would help raise growth, but foreign financing of public investment would add to government debt and hinder the goal of lowering debt and macro vulnerabilities, unless fiscal space is made elsewhere.

Die Lösung dieses Dilemmas sieht der IWF darin, dass zwar in den öffentlichen Ausgaben dramatisch gespart werden muss, aber nicht bei den Investitionen, sondern bei den Lohnkosten im öffentlichen Dienst:

“The burden of adjustment should fall more on current spending, which expanded by about 10 percentage points of GDP since the mid 2000s. The team encourages the government to continue lowering the overall wage bill (…)

Die beiden Standard-Ingredienzien fehlen dabei natürlich nicht: Der öffentliche Dienst ist im regionalen Vergleich schon außergewöhnlich hoch (Zahlen nennt der IWF vorsichtshalber nicht, und öffentlich ist der ausführliche Bericht auch nicht), und letztlich profitieren nur die Reichen. Tun sie das? Nachprüfen lässt sich auch das nicht.

The team encourages the government to continue lowering the overall wage bill, which is one of the highest in the region, and reform the civil service to manage this transition. Review of social spending would be important, in particular by reducing the provision of free services and goods to high-income groups.

Und am Ende gibt es dann auch noch den Klassiker: Der Öffentliche Dienst ist nicht kosteneffizient und deshalb ein Fass ohne Boden:

“The team welcomes measures to strengthen the monitoring and control of public enterprises, but progress is slow and deeper restructuring should be launched as soon as possible. Public enterprises pose a major fiscal risk in Barbados, and many are providing services without any link to overall costs or objectives.

Im Zusammenhang mit der Griechenland-Krise hat der IWF aufgrund der desaströsen Ergebnisse der Austeritätspolitik Alternativen zumindest andiskutiert. Diesen gemeinsam ist, dass sie Stabilisierung nicht allein von einer Reduzierung des Zählers im Verhältnis Schuldenlast zu Wirtschaftsleistung erwarten, sondern zumindest zu berücksichtigen versuchen, was Einsparungen eigentlich mit dem Nenner machen. Also: Wenn wir die Wirtschaftsleistung reduzieren, können wir es dann überhaupt schaffen, die Schuldenbelastung noch schneller zu reduzieren. Andernfalls ist – wie im Falle Griechenlands selbst bei nicht mehr wachsendem Schuldenstand – das Problem hinterher größer als vorher.

Das aber würde – in der Karibik nicht anders als in der Ägäis – die Option einer teilweisen Schuldenreduzierung voraussetzen. Und das traut man sich nicht Washington nicht.

Aus der Sicht des globalen Südens ist es bestürzend zu sehen, wie trotz aller Modernisierungen der Fonds-Strategien in den großen spektakulären Fällen, abseits der Weltöffentlichkeit die gescheiterten Rezepte der 80er quicklebendig sind.

Mindestens 60% Schuldenerlass für Grenada!

Diese Forderung ist eines der Ergebnis des heute zuende gegangenen Workshops des Grenadinischen Kirchenrats in der Insel-Hauptstadt St.George’s. Nur wenn die Schulden des Staates, die aktuell 109% des BIP ausmachen auf weniger als 50% gedrückt werden, hat das Land eine Chance, aus der Überschuldungssituation herauszuwachsen. Und das setzt einen Schuldenschnitt in der Größenordnung von zwei Dritteln voraus.

Zwei Tage lang hatten Mitglieder des Kirchenrats zusammen mit Fachleuten von UNDP, JubileeUSA, dem Karibischen Schuldennetzwerk und erlassjahr.de an einer Beurteilung der Schuldentragfähigkeit der Insel gearbeitet. Bei der Übergabe der Abschlusserklärung erklärte Wirtschaftsminister Oliver Joseph, dass auch die Regierung entschlossen ist, einen weitreichenden Schuldenerlass durchzusetzen, da nach Jahren der anhaltenden Überschudungskrise eine erneute Finanzierung des laufenden Schuldendienstes durch Neukreditaufnahme „keine Option mehr ist“. Und zu unserer Überraschung ließ sogar der anwesende Vertreter des IWF durchblicken, dass auch die Empfehlung des Fonds sich in dieser Größenordnung bewegen.

Der Kirchenrat wird nun sehr detailliert verfolgen, mit welchem Ergebnis die Delegation des Landes von den Gesprächen mit Stab und Leitung des IWF aus Washington in der kommenden Woche zurückkommen wird.

Die Regierung bat den Kirchenrat und seine internationalen Partner um Unterstützung bei der Überzeugung der bilateralen Gläubiger. Deutschland gehört allerdings nicht zu ihnen.

„Das ganze Elend“

Am vergangenen Freitag, den 21.10.2011, leitete der IWF im Namen der gesamten Troika den europäischen Regierungen seine Schuldentragfähigkeitsanalyse zu Griechenland zu.

Die gute Nachricht ist, dass der IWF nicht einmal mehr versucht, den Eindruck zu erwecken, Griechenland käme ohne einen weit reichenden Schuldenerlass zurecht. Die schlechte Nachricht ist alles andere.

Der IWF entwickelt ein gegenüber seinen Vorhersagen in der ersten Jahreshälfte „revidiertes Basis-Szenario“. Dessen Eckpunkte sind:

  • eine um 5,5% schrumpfende Volkswirtschaft in 2011; weitere Schrumpfung um 3% in 2012, und anschließend ein sich nur langsam wieder aufbauenes Wirtschaftswachstum von 1,25% in 2013/4 auf bis zu 2,6% bis 2030;
  • Privatsierungserlöse von 46 Mrd. € bis 2030 statt des bisher angenommenen 66 Mrd.;
  • Das aktuelle fiskalische Defizit vor Schuldendienst („Primärdefizit“) von 5% soll sich gleichwohl schon 2013 in einen Überschuss von 1,4% des BIP verwandeln.
  • Frühestens 2021 kann unter diesen Umständen wieder eine Finanzierung über den Kapitalmarkt erfolgen – vorausgesetzt, dass der im Juli vereinbarte Schuldenschnitt von 21% bei den Privatgläubigern umgesetzt wird.

Unter den genannten Voraussetzungen, bei uneingeschränkter Umsetzung aller mit dem IWF vereinbarter Maßnahmen und bei Abwesenheit jeglicher externer Schocks, würde in diesem Szenario der Schuldenstand bis 2013 weiter auf 186% des Bruttoinlandsprodukts steigen, danach bis 2020 auf 152% und bis 2030 auf 130% fallen. Das heißt: Griechenland würde rund 20 Jahre lang keinerlei wirtschaftspolitischen Spielraum haben, die Bevölkerung würde allenfalls minimale wirtschaftliche Verbesserungen erleben – und das auch nur, wenn 20 Jahre die Weltwirtschaft störungsfrei wächst, es keine Erdbeben, Exportpreiseinbrüche und Ölpreisschocks gibt. Dass es so kommt, glaubt nicht einmal der IWF!

Also rechnet er alternative Szenarien durch. Was auch immer schief geht – niedrigerer Primärüberschuss, geringere Privatsierungserlöse, schwächeres Wachstum, höhere Kosten für die öffentlichen Hilfskredite infolge eines Zinsanstiegs in Deutschland – nichts von alledem könnte Griechenlands Wirtschaft mit der bislang zugesagten Unterstützung auffangen. Es wäre umgehend wieder zahlungsunfähig.

Konsequenz: der IWF verlangt „umfassende öffentliche Unterstützung zu großzügigen Bedingungen und zusätzlichen privaten Schuldenerlass“. Bis zu 444 Mrd. € zusätzlicher Unterstützung können unter den widrigsten Bedingungen notwendig sein. Nur, wenn der Privatsektor sich mit mindestens 60% Schuldenstreichung an dem Paket beteiligt, kann die öffentliche Unterstützung bei den vorgesehenen 109 Mrd. bleiben.

Und da wird aus der grottenschlechten Nachricht fast schon wieder eine gute: Das ganze elende Gequatsche der letzten 18 Monate, einen Schuldenschnitt dürfe es auf gar keinen Fall geben, weil sonst Griechenland sonst nie mehr einen Kredit bekäme und überhaupt die ganze Eurozone zusammenbräche, hat sich unter dem Druck der Fakten in Luft aufgelöst.

Das hätte man im Sommer 2010 deutlich billiger haben können!

Pakistan: Zu kleine Katastrophe für einen Schuldenerlass

Im Oxfam/Avaaz-Aufruf für einen Schuldenerlass zugunsten Pakistans heißt es: „Nach Angaben der Vereinten Nationen waren die Auswirkungen der Flut in Pakistan schlimmer als die des Tsunamis, des Erdbebens in Pakistan 2005 und des Erdbebens in Haiti 2010 zusammengenommen. Über 20 Millionen Menschen sind bislang von den Überschwemmungen betroffen und ein Ende der Krise ist nicht abzusehen.“
Legt man die absoluten Zahlen der Betroffenen und der angerichteten Zerstörung zugrunde, stimmt die Einschätzung der Kollegen zweifellos. Der IWF rechnet indes anders: Er hatte nach dem Erdbeben auf Haiti eine spezielle Fazilität geschaffen, durch die Streichung von Schulden beim IWF für solche Länder ermöglicht werden sollte, die besonders unter Naturkatastrophen zu leiden haben: den „Post-Catastrophe Debt Relief Trust“. Diese Fazilität im Programm des Fonds war eine Reaktion darauf, dass nach dem Erdbeben, der IWF satzunngskonform nur mit neuen Krediten, und nicht etwa mit Zuschüssen dem zerstörten Land zu Hilfe kommen konnte. Eine durchaus sinnvolle Regelung, denn eine weitere Internationale Institution, die offizielle Entwicklungshilfebudgets anzapft, um Mittel durch die eigene Bürokratie zu schleusen und an arme Länder weiter zu reichen, braucht wirklich kein Mensch. Gleichwohl war klar, dass Haiti seinen Aufbau nicht per Kredit würde finanzieren können. Der Ausweg bestand in der Schaffung des PCDR, der die nachträgliche Refinanzierung der IWF-Schulden aus eigenen Mitteln des IWF vorsah. Im Prinzip funktioniert auch der IWF/Weltbank-Schuldenerlass unter der HIPC-Initiative nicht anders.
Wer aber wird davon profitieren? Der Vorstand des IWF legte rigide Kriterien fest, und stellte genau so viel Geld bereit, wie notwendig war, um die Schulden Haitis beim IWF aus der Welt zu schaffen. Genau wie bei HIPC gingen die IWF Verantwortlichen davon aus, dass man soeben die letzte große Katastrophe der Menschheitsgeschichte bewältigt habe, und ein weiterer Finanzierungsbedarf im Rahmen des neu geschaffenen Instruments ohnehin nicht bestehe.
Und tatsächlich: Die Zugangsbedingungen wurden so formuliert, dass Pakistan („sorry, sorry“) leider nicht betroffen genug ist. Um in den Genuss eines Schuldenerlasses durch die PCDR zu kommen, muss
• das Land IDA-Status bei der Weltbank haben. Den hat Pakistan.
• Ein Viertel der produktiven Kapazität des Landes durch die Katastrophe verloren sein. In Pakistan pendeln sich die Schätzungen in der Größenordnung von 15% ein.
• Ein Drittel der Bevölkerung betroffen sein. In Pakistan sind es etwa 20 von 172 Mio Menschen, also „nur“ rund 12%.
Somit kommt Pakistan nicht in den Genuss von Schuldenerleichterungen. Zwar lag sein Schuldenstand im Verhältnis zu den jährlichen Exporteinnahmen mit 220% schon Ende 2008 deutlich über dem Wert, den Haiti nach seinem kurz vor dem Erdbeben gewährten HIPC-Schuldenerlass erreichte. Aber Regeln sind nun mal Regeln. Und so erhält Pakistan vom IWF eine grosszügige Wiederaufbauhilfe von 767 Mio US-$, wodurch der Schuldenstand beim IWF auf knapp 9 Mrd. US-$ steigt.
Besonders enttäuschend ist in diesem Zusammenhang die bisherige Haltung der deutschen Bundesregierung. Auch, wenn die Schulden beim IWF eine gefährlich wachsende Bedrohung darstellen, sind die Schulden bei den bilateralen Gebern quantitativ bedeutender. Und mit der Schuldenumwandlungsfazilität des BMZ hätten die Deutschen ein Instrument, um die Schuldenstreichung mit der Bereitstellung von Wiederaufbaumitteln unmittelbar verknüpfen zu können. Und Masse für eine sinnvolle Entlastung gibt mit 1,2 Mrd. € Entwicklungshilfeschulden und 231 Mio € Handelsschulden in Deutschland allemal.

Geierfonds in Liberia: Wie die Reichen an Afrikas Schulden verdienen

Auch mit Armut lassen sich lukrative Geschäfte machen. Das Dokument der BBC zeigt, wie Geierfonds Liberias Schulden für einen Bruchteil ihres Wertes aufkaufen und dann umgehend das Land auf die vollständige Rückzahlung samt Verzugszinsen verklagen. Die Gläubigerregierungen verzeichnen den Schuldenverkauf als Schuldenerlass, weil sich ihre Forderungen reduzieren – doch die Bürger des Schuldnerstaates werden nun per Gerichtsspruch zur Kasse gebeten. Dabei müssen die Menschen in dem von Bürgerkrieg schwer zerstörten Liberia von ungefähr einem US-Dollar pro Tag leben.

In Großbritannien, wo die Gerichtsverhandlung ausgetragen wurde, haben nun Parlamentarier einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der die Geierfonds an einem solchen Vorgehen hindern sollte. Sogar der britische Richter Barton, der das Urteil sprach, gab zu, dass sich Liberia die Zahlungen nicht leisten kann, doch das Recht zwinge ihn zu dem Spruch. Die eingeklagten Schulden in Höhe von 30 Mio. US-Dollar entsprechen etwa 5% der staatlichen Einnahmen des Landes.

Zum Video: On the trail of the vultures picking over Liberia’s debt (Englisch)

Deutsche Bischofskonferenz verlangt Schuldenerlass für Haiti

Erzbischof Dr. Ludwig Schick, Vorsitzender der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz, sieht in einem konditionierten und umfassenden Schuldenerlass eine Grundbedingung für einen nachhaltigen Wiederaufbau Haitis. Das Land, das schon bei seiner Entstehung verschuldet war, braucht den Schuldenerlass nun dringender denn je. Außerdem sollen eine nachhaltige ländliche Entwicklung und funktionierende öffentliche Verwaltung im Fokus der Wiederaufbau-Initiativen stehen. Hier gehts zur Pressemeldung der Bischofskonferenz

"G7-Länder erlassen Haiti die Schulden": Leider nur ein PR-Gag

Wie man angesichts einer humanitären Katastrophe kostenfrei an seinem guten Image basteln kann, haben am Wochenende die G7-Finanzminister demonstriert. Von deutschen und internationalen Medien gebührend wahrgenommen, haben sie erklärt, sie würden dem erdbebenzerstörten Haiti alle Schulden erlassen.
Klingt gut, aber leider hat Haiti bei keinem der G7-Staaten irgendwelche Schulden, seit das Land im Juni 2009 den „Completion Point“ der HIPC-Schuldenerlassinitiative passiert hat. „Na, umso besser“, werden sich Schäuble & Co gedacht haben, „da kostet es uns nicht mal was.“
Diese Art von PR-mäßiger Mehrfachverwertung der eigenen guten Taten hat bei den mächtigsten Volkswirtschaften des Westens durchaus Tradition: Weil im HIPC-Prozess erst Weltbank und IWF einen Erlassbedarf ausrechnen, dieser dann zum Teil im Pariser Club beschlossen und das Pariser Abkommen wiederum in bilateralen Vereinbarungen zwischen dem Schuldner und jedem einzelnen Gläubiger rechtsgültig vereinbart werden muss, lässt sich jeder erlassene Euro der Öffentlichkeit gleich drei mal als gute Tat verkaufen.
Spannend wird es in den Beschlüssen des G7-Finanzministertreffens vom Wochenende erst bei dem, die nach der wohlfeilen Ankündigung eines G7-Schuldenerlasses kommt: „Die Schulden (Haitis) bei den multinationalen Institutionen sollten ebenfalls gestrichen werden, und wir werden mit diesen Institutionen und anderen Partnern darauf hinarbeiten, dass dies bald geschieht“, sagte der kanadische Finanzminister zum Abschluss des G7-Finanzministertreffens in Iqaluit.
Die übrigen bilateralen Gläubiger sind nicht das Problem: Venezuela hat einen vollständigen Erlass seiner Forderungen bereits angekündigt – übrigens ohne dafür sieben Jahre zu brauchen, wie die westlichen Gläubiger unter HIPC. Und auch Taiwan hat seine Bereitschaft zum Schuldenerlass erklärt. Mehr bilaterale Gläubiger gibt es nicht.
Wenn die G7 bis zur Fälligkeit der nächsten Zahlungen Haitis an die Weltbank und den IWF im Mai allerdings durchsetzen, dass alle Forderungen dieser beiden Institutionen sowie der Interamerikanischen Entwicklungsbank (IDB) tatsächlich nicht nur ausgesetzt, sondern vollständig gestrichen werden: Das wäre das tatsächlich eine Meldung wert!

Haiti-Update III: Der IWF rudert zurück: Schuldenerlass nicht auf der Tagesordnung. DSK aus dem Netz entfernt

Wer den Ankündigungen des Direktors Strauss-Kahn geglaubt hatte, der IWF werde seine eigenen Kredite in Schenkungen umwandeln und auf eine vollständige Streichung aller Schulden Haitis hinarbeiten, und es würden nun Taten folgen, sieht sich getäuscht. Ein Schuldenerlass steht nicht einmal auf der Tagesordnung der heutigen IWF-Vorstandssitzung.
Damit erweisen sich die wohlfeilen Ankündigungen des Direktors als heiße Luft. Statt Haiti einen schuldenfreien Neuanfang zu ermöglichen, setzen die Gläubiger Zahlungen aus, die sie aus dem bettelarmen und zerstörten Land in den nächsten fünf Jahren ohnehin nicht bekommen hätten. Und sie hoffen, dass Haiti danach seine Schulden, einschließlich der jetzt gewährten Nothilfekredite wieder bedienen wird.
In den letzten Tagen hatte sich dieses Rückzugsmanöver bereits angekündigt: So verschwand z.B. der Film mit der Ankündigung einer umfassenden Entschuldung durch Strauss-Kahn mysteriös von der IWF-Website. Unter http://www.imf.org/external/mmedia/view.asp?eventID=1711 landet man auf einer leeren Seite. Auch auf der CNN-Website oder bei einschlägigen Film-Portalen konnte ich den Clip nicht mehr finden. Wenn ihn jemand aufgenommen hat, wäre ich für einen Link dankbar.
Inzwischen haben mehr als 80 Kirchen, Gewerkschaften und soziale Bewegungen in den USA Finanzminister Geithner aufgerufen, mit dem Gewicht der USA in den Multilateralen Institutionen eine Streichung der Schulden Haitis durchzusetzen (Link zum Aufruf hier).
Heute abend oder spätestens morgen früh wissen wir zumindest über die Entscheidungen des IWF mehr.

erlassjahr.de Mission Statement und Charta

Seit über 10 Jahren besteht das erlassjahr Bündnis inzwischen – und in der Zwischenzeit haben sich sowohl das Bündnis als auch das politische Umfeld beständig verändert. Die Entwicklungen von beiden können in unserer Broschüre ‚10 Jahre erlassjahr.de‚ nachgelesen werden. Die sich ändernden äußeren Umstände – sowohl in der politischen als auch in der weltwirtschaftlichen Landschaft – müssen sich natürlich auch in der Arbeit des Bündnisses niederschlagen. Daher hat erlassjahr.de regelmässig seine Ziele den realpolitischen Veränderungen angepasst. Die jüngsten Veränderungen haben nun Einfluss gefunden in das neue erlassjahr.de Mission Statement und in die erlassjahr.de Charta. Das Mission Statement führt in drei Unterpunkten die Hauptziele des Bündnisses auf. Die Charta erläutert die Grundsätze des Bündnisses und nimmt Bezug auf aktuelle weltpolitische Entwicklungen. erlassjahr.de Charta und Mission Statement können hier nachgelesen werden. Kommentare sind herzlich willkommen!