UNO-Abstimmung über den Weg zum Staateninsolvenzverfahren

Nach der bahnbrechenden Mehrheitsentscheidung in der UNO-Vollversammlung am 9. September 2014 zur Schaffung eines Staateninsolvenzverfahren, durchschreitet die Weltorganisation nun die Mühen der Ebene. Im Zweiten Komitee der Vollversammlung wurde am letzten Freitag ein von den G77 & China eingebrachter Vorschlag zur praktischen Gestaltung des Prozesses bis zum nächsten September debattiert und dann mit einer ähnlichen Mehrheit wie bei der September-Abstimmung auch angenommen: Aus 124 ja-Stimmen wurden 128; dagegen stimmten nun 16 statt 11; Enthaltungen gab es 34, wo es im September noch 41 waren.

Die sympathische Erhöhung der „ja“-Stimmen geht schlicht darauf zurück, dass mehr G77 Mitglieder anwesend waren als vor drei Monaten. Lediglich Papua Neuguinea, das sich damals – aus welchen Gründen auch immer  – enthalten hatte, stimmte nun mit „ja“. Schmerzhaft ist, dass einige europäische Staaten, die sich damals enthalten hatten, nun negativ votierten: Belgien, Bulgarien, Dänemark, die Niederlande und die Schweiz. Es scheint, dass die gewichtigen Blockierer in Europa, Deutschland und Großbritannien, hier einige „Überzeugungsarbeit“ geleistet haben.

Einen etwas überraschenden Sinneswandel zeigte das mittelamerikanische Honduras, das als einziges G77-Land vom Ja zur Enthaltung wechselte.

Bei einer Tagung von UNDESA und der Columbia Universität in der vorletzten Woche hatte der Brasilianische UNO-Botschafter mal vorgerechnet, wie sich das Abstimmungsverhalten im September in IWF-Stimmrechten der betreffenden Länder ausgedrückt hätte: Jeweils ein Drittel der IWF-Stimmen hätte sich für jede der drei Optionen entschieden, so dass ein Prozess dort niemals auf den Weg zu bringen wäre. Dieses Verhältnis ist durch die von Berlin frisch eingenordeten Europäer nun noch ein bisschen ungünstiger geworden; was wiederum zeigt, wie recht die G77 damit hatten, sich nicht länger auf sinnlose Debatten im IWF einzulassen, sondern da die Entscheidung zu suchen, wo  – wenn schon nicht ein Mensch ein Stimme, so doch wenigstens ein Land eine Stimme hat – und nicht ein Dollar.

Es wird nun ein paritätisch aus Nord und Süd zusammenzusetzendes ad-hoc-Komitee gegründet, das sich im kommenden Jahr mindestens drei mal treffen und dabei auch externe Expertise u.a. von der Zivilgesellschaft anhören wird. Die erste der jeweils dreitägigen Arbeitsphasen ist schon für Ende Januar geplant. Zeit hat niemand zu verlieren.

Nobelpreisträger für ein Staateninsolvenzverfahren

Argentinien hat vor dem New Yorker Berufungsgericht seinen Einspruch gegen das Urteil zur Zahlung von 1,3 Mrd. US-$ an den Geierfonds NML Capital verloren. Die Folgen dieses Urteils (wenn der Oberste Gerichtshof es nicht noch kassiert) für das internationale Schuldenmanagement im Allgemeinen hat Nobelpreisträger Joe Stiglitz in einem Kommentar für den Guardian schön auf den Punkt gebracht: Ohne einen verlässlichen Rahmen für umfassende Entschuldungsverfahren wird das Urteil künftig informelle Entschuldungen wie im Pariser Club z.B. unmöglich machen, weil Gläubiger nun die Hoffnung haben, für alle Zeiten Vermögen des Schuldnerlandes pfänden zu können.

Die Schulden werden einfach …ausgebremst!

Am 29. November hatten wir über ein Interview mit Philipp Rösler berichtet, in dem er wörtlich zitiert wird mit „Wir haben eine geordnete Staateninsolvenz gefordert und haben ein Verfahren dafür vorgeschlagen. Genau ein solches Verfahren ist jetzt beschlossen worden.“ Wir haben daraufhin bei der FDP und im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie nachgefragt, ob wir die Sektkorken knallen lassen können und unsere Forderungen nach einem fairen und transparenten Verfahren sich nun endlich durchgesetzt haben. Vom Koalitionsvertrag in die Realpolitik sozusagen.

Heute erhielten wir dazu eine Antwort: Nicht die FDP-Parteizentrale, dafür aber das Bundesministerium war so nett und hat die Sachlage für uns mehr oder weniger durchleuchtet. In dem Schreiben heißt es, dass sich die Aussagen von Herrn Minister Rösler auf das „Treffen der Staats- und Regierungschefs am 26./27. Oktober 2011“ beziehe, bei dem unter anderem die „Einführung so genannter Schuldenbremsen auf Verfassungs- oder gleichwertiger Ebene in allen Eurostaaten bis zum Ende des Jahres 2012 beschlossen“ wurde.

Weiterhin werden in dem Schreiben auch nochmals die Sonderrolle der derzeitigen Lösungsansätze in der griechischen Schuldenkrise betont, die im März 2011 beschlossenen kollektiven Handlungsklauseln (Collective Action Claudes, CACs) als Verfahrensregeln hervorgehoben und zuletzt der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) erwähnt, der in einem Passus vorsehe, sich bei der Beteiligung des privaten Sektors an die „bewährten Grundsätze und Verfahren des Internationalen Währungsfonds“ zu halten.

Wir von erlassjahr.de möchten dazu festhalten, dass eine Schuldenbremse nicht einem fairen und transparenten Verfahren zur Regelung staatlicher Insolvenzen entspricht.

Dauerhafte Lösungen, statt nur Löcher zu stopfen

Gestern (25.10.2011) hat sich Kanzlerin Merkel vom Bundestags das Mandat eingeholt, die Europäische Stabilisierungsfazilität (vulgo Rettungsschirm) wie einen Credit Default Swap (Kreditausfall- Gegenfinanzierung) zu benutzen, der als Versicherung eintritt, wenn die Staatsschulden, die z. B. Portugal macht, nicht bezahlt werden können (zur Erinnerung: Diese Sorte strukturierter Finanzprodukte hat die 2008er Finanzkrise mit ausgelöst). Die weltweiten Erfahrungen mit Schulden- und Entschuldungspolitik von erlassjahr.de zeigen, dass die Politik dazu neigt, Löcher zu stopfen, statt dauerhafte Lösungen zu entwickeln. Genau so eine Flickschusterei ist diese Versicherungslösung. Sollte sie eines Tages den Steuerzahlern vor die Füße fallen, werden tatsächlich Billionen Euro erforderlich werden, um eine Rezession abzuwenden.

Panikmache, sagen da die Abgeordneten und die Kanzlerin: Die Versicherung deckt nur die ersten 20 verlorenen Prozent ab, den Rest müssen die Investoren, die die Staatschulden gekauft haben, dann schon selber schultern. Dem steht die Erfahrung aus der Finanzkrise gegenüber, wonach die Schulden der Banken und des Privatsektors letztendlich vom Steuerzahler übernommen werden und zwar umso zwingender, je höher sie angewachsen sind. Das Problem der für das Finanzsystem als Ganzes kritischen Finanzinstitutionen hat mit der Finanzkrise eher zu- als abgenommen.

Die Europäische Stabilisierungsfazilität als Credit Default Swap einzusetzen, damit Deutschland im schlimmsten Falle nicht für mehr als maximal  210 Mrd. Euro einstehen muss ist eine unverantwortliche populistische Politik die versucht, die geldpolitische Logik des gemeinsamen Währungsraums vor der Bevölkerung zu verbergen. Stattdessen versucht diese Politik, den Steuerzahlern den finanzpolitischen Hochseilakt der Versicherungslösung als Spaziergang durch den deutschen Wald anzudienen.

Die USA, Großbritannien und Japan haben allesamt wesentlich mehr Schulden als Italien, Spanien oder Portugal. Dennoch werden sie längst nicht so von den Finanzmärkten abgestraft wie die europäischen Staaten. Der Grund dafür liegt nicht in der höheren Produktivität ihrer Wirtschaften oder gar einer angelsächsischen Verschwörung, sondern darin, dass diese Länder eine zentrale Finanzpolitik und vor allem Zentralbanken haben, die ihre Währungen verteidigen. In Deutschland besitzen viele Menschen bewegliches Vermögen oder eine private Zusatz- Altersversorgung. Inflationsvorbeugung ist daher ein hohes finanzpolitisches Gut. Die Hüter des Geldwertes in Deutschland, insbesondere die Bundsbank und die Privatbanken wollen aus Furcht vor Geldentwertung die Verteidigung des Euro durch die Europäische Zentralbank verhindern. Als Alternative haben sie sich mit der Kanzlerin und vielen Abgeordnete des Bundestages zusammengetan, um den Teufel der Staatschuldenkrise mit dem Belzebub der Versicherungslösung austreiben.

Das Gelingen dieser Strategie hängt einzig und allein vom signifikantem und anhaltendem Wirtschaftswachstum gerade auch in den ärmeren Ländern Europas ab, damit Schuldendienste geleistet werden können, ohne dass die Konjunktur fördernden und sozial ausgleichenden Funktionen der Staatshaushalte außer Kraft gesetzt werden. Abgesehen vom grundsätzlich überoptimistischen Internationalen Währungsfonds versichert uns gegenwärtig aber kein seriöses Wirtschaftsforschungsinstitut, dass Europa in den kommenden Jahren das erforderliche Wachstum auch erzielen wird- insbesondere dann nicht, wenn die global agierende Spekulation nicht restlos davon zu überzeugen ist, dass der Euro entschlossen und nicht mit halbseidenen Konstruktionen wie der Versicherungslösung verteidigt wird. Und wenn die Spekulation nicht zu überzeugen ist, wird sie weiter gegen Euroländer spekulieren, der Eintritt des Versicherungsfalles wird wahrscheinlicher und die Krise findet kein Ende.

Ein Kernstück des Fairen und Transparenten Schiedsverfahrens bei Staateninsolvenz – für die sich erlassjahr.de seit Jahren einsetzt – ist die Vereinbarung von Schuldnern und Gläubigern über die Höhe der Schulden, die zurückgezahlt werden können und den Schuldenschnitt, den die Gläubiger hinzunehmen haben. Weil aber die Finanzmärkte mit ihrer schwachen Eigenkapitalausstattung und ihren abgeleiteten und vielfach gehebelten Finanzprodukten auf die Realisierung von hohen Verlusten nur mit Bankrott reagieren können, ist die Flankierung der Gläubiger-/Schuldnervereinbarung durch EZB- gesicherter Eurobonds sowohl für Gläubigerschulden, als auch für den wirtschaftlichen Neuanfang von Schuldnerländern erforderlich. Europa und die Welt brauchen endlich die Einführung eines Fairen und Transparenten Schiedsverfahrens bei Staateninsolvenz, eine starke Bankenregulierung mit einem strengen TÜV für Finanzprodukte und einer Finanztransaktionssteuer, einen Maulkorb für Rating-Agenturen in kritischen Situationen sowie eine handlungsfähige gemeinsame Wirtschaftsregierung. Dann kann auch der Euro überleben.

Ein Gastkommentar von Peter Lanzet.

Angela Merkel beschäftigt sich…

In diesen Tagen können wir zusehen, wie die regierungsamtliche Front in Berlin gegen die Idee einer geordneten Staateninsolvenz vor sich hin bröckelt. Das weckt Erinnerungen:

April 2009, Endphase der Großen Koalition.

Es war einer von den Terminen, bei denen die Herrschenden aus Anlass des bevorstehenden G8-Gipfels dreißig NGOs in neunzig Minuten eine Privataudienz gewähren. Ganz oben in diesem Fall: im Konferenzraum des Kanzleramtes und Angela Merkel höchstselbst empfing Entwicklungs- und Umwelt-NGOs.

Das Setup ergab bei Abzug von Höflichkeiten und Verspätungen gut zwei Minuten pro NRO, und die Technokraten des Kanzleramts und der Ministerien genossen sichtlich die unvermeidbare Rangelei unter uns, um prominente und weniger prominente Slots, um eine sehr große Breite von Themen den Ohren der Regierungschefin vortragen zu dürfen.

Ich hatte mich als erlassjahr.de-Vertreter so weit nach vorne manövriert, dass keine Gefahr bestand, überhaupt nicht mehr zu Wort zu kommen. Lehmann war im Vorjahr pleite gegangen, die ersten Staaten gerieten in Schwierigkeiten, kleine Vorboten für das, was dann ab 2010 als Europäische Staatsschuldenkrise auf uns zukommen solle.

Ich fragte die Kanzlerin, ob es nicht an der Zeit sei, ein Staateninsolvenzverfahren zu schaffen, um in Nord und Süd die öffentlichen Haushalte nicht zu Geiseln der Kapitalisten (ich habe natürlich „Investoren“ gesagt)  werden zu lassen.

Kurze Frage, kurze Antwort: „Damit habe ich mich noch nicht beschäftigt.“ Mir wurde gnädigst gestattet, dem Wirtschaftsberater Weidmann Informationen zum Thema dazulassen. Dann kam das nächste Thema.

Inzwischen hat Frau Merkel sich mit dem Thema beschäftigt, und auf die harte Tour gelernt, dass Staaten durchaus pleite gehen können. Die Forderung nach einem Staateninsolvenzverfahren stand fünf Monate nach unserem Gespräch im schwarz-gelben Koalitionsvertrag, das BMZ organisiert Konferenzen dazu, alle nennenswerten Fachleute unseres Landes unterstützen die Forderung nach einem geordneten Schuldenschnitt für Griechenland. Bloß ins Kanzleramt eingeladen wurden wir seither nicht mehr.

CDU-Abgeordnete verlangen Staateninsolvenzverfahren für die Eurozone

Heute wird im Kabinett über die Vorlage beraten, auf deren Grundlage der Bundestag Ende September der Ausweitung des Europäischen Rettungsschirms zustimmen sollen. Während diese Diskussion sich hauptsächlich um die Frage parlamentarischer Mitbestimmung dreht, haben zwei CDU-MdB’s in einem exzellenten Kommentar in der Financial Times die Schaffung eines geregelten Insolvenzverfahrens für verschuldete Eurostaaten gefordert.

Carsten Linnemann und Patrick Sensburg betonen, dass einem insolventen Land mit Liquiditätshilfen nicht geholfen werden kann. Vielmehr vergrößert man das Problem, indem die ohnehin untragbare Verschuldung durch neue Kredite noch ausgeweitet wird. Darüber hinaus weisen sie zurecht daraufhin, dass die vorab garantierte Rettungsfinanzierung einen fatalen Fehlanreiz für Investoren setzt. Schließlich tragen nicht nur die Griechen Verantwortung für ihre Überschuldung, sondern auch diejenigen, die ihnen in Erwartung risikoloser hoher Renditen in voller Kenntnis der wenig koscheren Haushaltsführung in Athen bedenkenlos Milliarden geliehen haben. „Denn warum sollte sich der Kapitalmarkt disziplinieren, wenn er weiß, dass das Land stets gerettet wird?“

Auf diesen fatalen Fehlanreiz haben auch andere Koalitionsabgeordnete, wie etwa FDP-Fraktionsgeschäftsführer Fricke in der Vergangenheit schon hingewiesen. es steht zu hoffen, dass solche Stimmen marktwirtschaftlicher Vernunft sich bis Ende September durchsetzen, und dafür sorgen, dass die weitere Rettungsfinanzierung zumindest um einen zukünftig wirksamen Insolvenzmechanismus ergänzt wird.

Vom Sinn und Unsinn eines europäischen Staateninsolvenzverfahrens

Am vergangenen Samstag bekam die Kanzlerin ihren Willen: In ihrer zweiten Arbeitsphase wird sich die Arbeitsgruppe der EU-Finanzminister unter dem Vorsitz von Herman van Rompuy mit der Schaffung eines geordneten Insolvenzverfahrens für EU-Staaten beschäftigen.
Hintergrund: Im April 2010 musste die Bundesregierung zur Abwehr einer umfassenden Bankenkrise in großem Stil öffentliche Mittel zur Rettung der in Griechenland exponierten deutschen und europäischen Banken bereitstellen. Weil der Rest Europas sich danach mit der Institutionalisierung eines hauptsächlich von Deutschland und Frankreich finanzierten Europäischen Rettungsfonds für insolvente Staaten sehr gut anfreunden konnte, war die Bundeskanzlerin unter erheblichem Druck, Alternativen zu einem permanenten Bail-out europäischer Staaten – genauer gesagt: von deren Gläubigern – zu finden.
Sie tat dazu das einzig richtige, indem sie auf die Schaffung eines geordneten Insolvenzverfahrens drängte, welches im Ernstfall auch zu Verlusten für die in den betroffenen Ländern engagierten (privaten) Gläubigern führen würde. Allerdings trat die Bundesregierung dabei so tollpatschig auf, dass sie selbst erhebliche Widerstände gegen ihren Vorschlag produzierte: Als in der eigens eingerichteten Arbeitsgruppe der EU-Finanzminister unter Vorsitz des Ratspräsidenten van Rompuy die Frage eines Insolvenzverfahrens zum Tragen kam, gab es nicht einmal einen schriftlichen Vorschlag der Deutschen, sondern lediglich Sprechzettel des Finanzministers.
Im Mai wurden dann sehr allgemeine Leitsätze auf der Homepage des BMF veröffentlicht. Und erst im September wurde der deutsche Vorschlag erstmals in einem (vertraulichen) Papier so dingfest gemacht, dass andere Regierungen und eine Öffentlichkeit (die das Papier, weil vertraulich, aber eigentlich gar nicht kennen durfte), sich dazu verhalten konnte.
Im Kern läuft der deutsche Vorschlag auf ein zweistufiges Verfahren hinaus. Die erste Stufe besteht aus einem Tausch der Staatsanleihen eines potenziell zahlungsunfähigen EU-Mitglieds gegen geringer bewertete Papiere. Dieser Haircut soll den Gläubigern dadurch versüßt werden, dass die neuen Papiere durch EU-Mittel abgesichert werden. Wie schon beim „Brady-Plan“, der eine wichtige Rolle bei der Bewältigung der lateinamerikanischen Schuldenkrise in den 80er Jahren spielte, sollen die Gläubiger Nennwert gegen Sicherheit tauschen. Damals hat das leidlich gut funktioniert – allerdings betrugen die Abschläge in einigen Ländern mehr als 50% des Nennwerts, was heutzutage im EU-Kontext kaum vorstellbar ist.
In der zweiten Stufe soll dann – wenn die erste Stufe die Tragfähigkeit der Schulden des betreffenden Landes nicht wiederherzustellen vermag – ein eigentliches Insolvenzverfahren folgen, d.h. die Reduzierung aller Verbindlichkeiten des betreffenden Landes in einem Planverfahren. Anders als die erste Stufe ist die zweite in dem Papier der Bundesregierung aber noch höchst vage formuliert.
Beim EU-Gipfel Ende Oktober setzen die Deutschen die Befassung mit ihrem Vorschlag in der zweiten Arbeitsphase der van Rompuy-Arbeitsgruppe durch. Die Kanzlerin machte sich, als sie die Grundlage dafür in trauter Zweisamkeit mit Präsident Sarkozy schuf, nicht nur Freunde in Europa, aber sie bekam ihren Willen. Allerdings blieben einige ihrer ohnehin nicht sonderlich durchdachten Lieblingsideen dabei auf der Strecke:
• „Berliner Club“ wird die neue Institution nicht heißen. Das kam in Frankreich, wo man auf die ungeschmälerte Kompetenz des bereits bestehenden „Pariser Clubs“ allergrößten Wert legt, nicht gut an.
• Auch der Begriff „Insolvenzverfahren“ ist aus dem Sprachgebrauch verschwunden. Statt dessen spricht man nun von „der Einbeziehung des Privatsektors“. Gemeint ist, wie Berliner Ministeriale versichern, aber dasselbe.
• Überschuldete Staaten mit dem Entzug ihrer EU-Stimmrechte unter Druck zu setzen, wie von den Deutschen propagiert, war nicht nur ökonomisch eine kontraproduktive Schnapsidee. Es demonstrierte überdies eine vordemokratische Denkweise, welche Mitbestimmungsrechte am wirtschaftlichen Status festmacht. Zum Glück ließ der Rest Europas, sich das von Berlin nicht bieten.
Bis Anfang 2011 erarbeitet die van Rompuy-Arbeitsgruppe unter deutscher Federführung einen Vorschlag, der noch vor Abschluss der Beitrittsverhandlungen mit Kroatien im kommenden Frühjahr zu einer Veränderung des Vertrags von Lissabon führen soll.
Aus der Sicht der weltweiten Entschuldungsbewegung ist der deutsche Vorschlag sehr ambivalent:
▪ Positiv ist, dass eine Schuldenreduzierung zulasten der Privatanleger nicht mehr – wie noch im April bei der Griechenland-Rettung – ausgeschlossen wird.
▪ Es ist auch denkbar, dass die erste Stufe des deutschen Vorschlags tatsächlich zu einem modifizierten europäischen Rettungsmechanismus führen wird. Und es darf gehofft werden, dass unter den besonderen Bedingungen des Euro-Raumes, eine nächste Griechenland-Krise damit im Ansatz entschärft werden kann.
▪ Ein echtes Staateninsolvenzverfahren allerdings, das nicht nur Fälligkeiten umstrukturiert, sondern dem betreffenden Land einen tatschälichen Neuanfang ermöglicht, ist regional gar nicht umsetzbar. Schließlich ist Griechenland nicht nur bei solchen Gläubigern verschuldet, die sich direkt oder indirekt auf der Grundlage der Verträge von Lissabon zu einer Schulden-Restrukturierung zwingen lassen. Von anderen essenziellen Elementen eines rechtsstaatlichen Verfahrens wie unparteiischer Entscheidungsfindung und unparteiischer Bestimmung des Erlassbedarfs gar nicht zu reden.
▪ Negativ ist politisch, dass die Deutschen ihre zwischenzeitlich angekündigte Initiative im G20-Kreis für ein Staateninsolvenzverfahren, welches allen überschuldeten Staaten zugute kommen könnte, erst mal wieder auf Eis gelegt haben. Hier kann nur weiterer politischer Druck dafür sorgen, dass die Bundesregierung ihren eigenen Koalitionsvertrag so ernst nimmt, wie es ihrer nicht nur Europa-sondern weltpolitischen Verantwortung entspricht.

Brief an slowakische Ministerpräsidentin Radicova

Erlassjahr.de hat der slowakischen Ministerpräsidentin Iveta Radicova anlässlich ihres Deutschland-Besuchs einen offenen Brief geschrieben. Slowakei hat als einziges Euro-Land ihre Beteiligung an den Hilfskrediten für Griechenland abgesagt.  Allerdings hat sich Radicova auch für ein Staateninsolvenzverfahren ausgesprochen. In dem Brief begrüßt erlassjahr.de die positive Haltung zum deutschen Vorschlag für ein Internationales Insolvenzverfahren und weist auf die Argumente für die schnelle Einführung einer Insolvenzordnung für Staaten hin.

Brief an slowakische Ministerpräsidentin Radicova (deutsch)

List premierke Radicovej (slovensky)

Jetzt auch der Wirtschaftsminister: Insolvenzverfahren für Staaten dringend benötigt

Die Griechenlandkrise macht der Politik Beine. Nachdem fast alle relevanten Mitglieder der Bundesregierung sowie der Bundespräsident sich für die Schaffung eines Internationalen Insolvenzverfahrens ausgesprochen haben, verlangt es nun auch der Wirtschaftsminister. Siehe: http://www.tagesschau.de/wirtschaft/staatspleite102.html Das ist erst mal sehr positiv, denn in der Vergangenheit haben wir auch gegenüber dem BMWi/BMWA oft über die Notwendigkeit eines umfassenden und rechtsstaatlichen Verfahrens gesprochen. Haarscharf daneben liegt der Minister allerdings mit seinem Bezug auf Kapitel 11 des US-Insolvenzrechts. Statt dieses Kapitels, das Unternehmensinsolvenzen regelt, ist der viel geeignetere Bezug das Kapitel 9. Dort geht es um die Zahlungsunfähigkeit von Gebietskörperschaften, und es ist geregelt, inwieweit in die souveräne Sphäre des Schuldner eingegriffen werden darf – und wieweit ausdrücklich nicht. Geradezu tragisch auch seine Ergänzung, dass wir ein Insolvenzverfahren sozusagen für die Griechenlands dieser Welt benötigen – aber nicht für Griechenland. Das erinnert fatal an die Diskussion um den SDRM, den Insolvenzvorschlag des IWF 2001. Der Fonds lancierte ihn mitten in der Argentinienkrise und versuchte danach eine globale Reformdebatte unter der Massgabe zu führen, dass Argentinien als der damals brennendste Fall von Staatspleite keinesfalls darunter fallen werde. Erreicht wurde im Ergebnis gar nichts. Hoffentlich vermasseln sie es jetzt nicht auch wieder – und wir erinnern uns in fünf Jahren daran, dass wir in der Griechenlandkrise damals besser ein Insolvenzverfahren für Staaten geschaffen hätten….