Argentinien: Nicht der Geier ist schuld

Der Argentinische Staat ist seit heute wieder ein säumiger Schuldner. Die Regierung weigert sich zu Recht, die Forderung des Geierfonds NML-Capital in Höhe von 1,3 Mrd. US-$ zu bedienen. Gemäß dem Urteil des US-Richters Thomas Griesa ist es ihr damit technisch unmöglich, die normalen Zahlungen an ihre legitimen Gläubiger in den USA zu leisten.

Argentinien wird damit nicht in eine neuerliche wirtschaftliche Katastrophe geraten wie 2002, denn das Land hatte in den letzten Jahren ohnehin kaum Zugang zum Kapitalmarkt. Trotzdem hat das wachstumsschwache und inflationsgeplagte Land keine leichten Jahre vor sich.

Internationale Investmentfonds, die wie NML Capital Staatsschulden auf dem Sekundärmarkt mit hohen Abschlägen kaufen, um dann auf die volle Summe zu klagen, werden zu Recht als Geierfonds bezeichnet. Trotzdem wäre es falsch, an ihre Moral oder ihr Verantwortungsbewusstsein zu appellieren, um so der Geierplage Herr zu werden. Unabhängig davon, dass die Herren über das große Geld in der Regel weder über das eine noch über das andere verfügen: Es ist auch nicht ihre Aufgabe.

So, wie von Investoren, die in eine pleite gegangene Warenhauskette investiert haben, niemand erwarten kann, dass die plötzlich ihr Herz für die jahrelang unterbezahlten Verkäuferinnen entdecken, ist auch das Schicksal der ärmeren Bevölkerungsschichten Argentiniens NML & Co herzlich schnuppe. Vielmahr wäre es die Aufgabe des (Gläubiger-)Staates, so wie er für die möglichst sozialverträgliche Abwicklung eines Insolvenzfalls im heimischen Rechtssystem zu sorgen hat, auch für internationale Insolvenzen Regeln zu schaffen, die z.B. bei einer mehrheitlich beschlossenen Umschuldung, wie im Fall Argentiniens, dafür sorgt, dass nicht einzelne aus dem Verzicht der Mehrheit ihren Gewinn ziehen. Möglich wäre das. Das Internationale Recht böte dafür eine Grundlage. Praktische Vorschläge, wie es umzusetzen wäre, liegen seit Jahren in großer Zahl auf dem Tisch.

Aber genau das hat die internationale Politik in den 13 Jahren seit dem letzten Zahlungsausfall Argentiniens versäumt. Zwei Bundesregierungen (rot/grün und schwarz/gelb) hatten die Forderung nach einer geordneten Staateninsolvenz in ihre Koalitionsverträge geschrieben. Getan haben sie nichts.

Die Konsequenzen aus dem “Fall Argentinien” werden in nächster Zeit vielerorts sichtbar sein: Die Geier werden versuchen, auch auf die erst jüngst vereinbarten Zahlungen Argentiniens an die staatlichen Gläubiger des Pariser Club’s zuzugreifen. Die internationalen Energie-Unternehmen (u.a. aus Deutschland), die gerne in das jüngst erschlossene Ölfördergebiet Vaca Muerte in der Provinz Neuquén einsteigen würden, werden Umwege für ihr Engagement finden müssen, bei denen die Geier, nicht auf ihre Mittel zugreifen können, und dadurch beispielsweise gegenüber chinesischen Investoren erheblich ins Hintertreffen geraten. Und mit dem US-Urteil im Rücken halten die Geier schon nach den nächsten Opfern Ausschau. Dazu gehören niedrig bewertete Papiere Griechenlands und Zyperns ebenso wie Uralt-Schulden einiger der ärmsten Länder in Afrika.

Nur, wenn Schuldner die Möglichkeit haben, verlässlich, rechtsstaatlich und verbindlich alle ihre Gläubiger in eine Umschuldung einzubeziehen, wird dem Geschäftsmodell der Geier der Boden entzogen. Wann wollen die G7, die in der Vergangenheit die Regeln für die Schuldenerlasse der ärmsten Länder gesetzt haben, dieser Verantwortung nachkommen, wenn nicht jetzt?

Die Schulden werden einfach …ausgebremst!

Am 29. November hatten wir über ein Interview mit Philipp Rösler berichtet, in dem er wörtlich zitiert wird mit “Wir haben eine geordnete Staateninsolvenz gefordert und haben ein Verfahren dafür vorgeschlagen. Genau ein solches Verfahren ist jetzt beschlossen worden.” Wir haben daraufhin bei der FDP und im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie nachgefragt, ob wir die Sektkorken knallen lassen können und unsere Forderungen nach einem fairen und transparenten Verfahren sich nun endlich durchgesetzt haben. Vom Koalitionsvertrag in die Realpolitik sozusagen.

Heute erhielten wir dazu eine Antwort: Nicht die FDP-Parteizentrale, dafür aber das Bundesministerium war so nett und hat die Sachlage für uns mehr oder weniger durchleuchtet. In dem Schreiben heißt es, dass sich die Aussagen von Herrn Minister Rösler auf das “Treffen der Staats- und Regierungschefs am 26./27. Oktober 2011” beziehe, bei dem unter anderem die “Einführung so genannter Schuldenbremsen auf Verfassungs- oder gleichwertiger Ebene in allen Eurostaaten bis zum Ende des Jahres 2012 beschlossen” wurde.

Weiterhin werden in dem Schreiben auch nochmals die Sonderrolle der derzeitigen Lösungsansätze in der griechischen Schuldenkrise betont, die im März 2011 beschlossenen kollektiven Handlungsklauseln (Collective Action Claudes, CACs) als Verfahrensregeln hervorgehoben und zuletzt der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) erwähnt, der in einem Passus vorsehe, sich bei der Beteiligung des privaten Sektors an die “bewährten Grundsätze und Verfahren des Internationalen Währungsfonds” zu halten.

Wir von erlassjahr.de möchten dazu festhalten, dass eine Schuldenbremse nicht einem fairen und transparenten Verfahren zur Regelung staatlicher Insolvenzen entspricht.

Merkel: "Was in Griechenland passiert ist, wird nicht noch einmal geschehen."

In der FTD vom 6.12. wird die Bundeskanzlerin unmittelbar nach dem Eurogipfel mit diesen Worten zitiert. Was hat sie damit gemeint?

Meint sie, dass es zu überhaupt keiner Krise diese Art jemals mehr kommen wird? Das wäre  ganz im Sinne des “Dieses Mal ist alles anders” – Syndroms, an dem die Regierungschefin ebenso leidet, wie die meisten ihrer Kollegen. Beharrlich haben sie zusammen so getan, als sei die Krise nur ein bedauerlicher Ausrutscher, den man nun mit viel frischem Geld in den Griff bekommen könnte, und keinesfalls ein systemisches Problem, dass sich alle paar Jahre u.a. in Staatsschuldenkrisen irgendwo auf dem Globus niederschlägt.

Das hat sie in diesem Fall aber nicht gemeint.

Der Zusammenhang ihrer Aussage – so gibt die FTD es wider – ist vielmehr die Diskussion um ein geordnetes Insolvenzverfahren, welches als Konzept mit den Beschlüssen des EU-Gipfels von Anfang Dezember nun vom Tisch sei. “Merkel zog damit die Konsequenzen aus den negativen Marktreaktionen auf die Privatsektorbeteiligung in Griechenland,” schreibt das Blatt. Im Klartext: Koalitionsvertrag hin oder her – wir als Bundesregierung werden nicht nur niemals die privaten Investoren für ihre Fehlentscheidungen zur Kasse bitten. Wir werden künftig nicht einmal mehr drüber reden.

Viel schöner kann man einen Freibrief zum Risikoinvestment nicht mehr ausstellen.

Theoretisch hätte die Kanzlerin aus der Krise und ihrem eigenen verfehlten Krisenmanagement tatsächlich eine Menge lernen können: Dass man über Privatsektorbeteiligung nicht reden, sondern sie schnell und radikal genug durchführen muss, wie es Lee Buchheit jüngst ausdrückte, ein New Yorker Anwalt, der an praktisch allen Schwellenländer-Umschuldungen der letzten 15 Jahre entscheidend beteiligt war.

Hätten Deutschland und die anderen Europäer nicht den Banken einen Blankoscheck ausgestellt, sondern z.B. den Griechen für die Zeit unmittelbar nach einem umfassenden Schuldenschnitt – vorausgesetzt dieser ist ordentlich ausgehandelt und von ausreichenden Reformen im Innern begleitet – hätte aus das den europäischen Steuerzahler auch einiges Geld gekostet; aber mit Sicherheit weniger als der Blankoscheck für die “systemrelevanten” Großbanken. Und die europäischen Steuerzahler hätten sich nicht in deren Geiselhaft wieder gefunden.

Dass sich an der von den Europäischen Regierungen mühsam vereinbarten Privatsektorbeteiligung in Griechenland (zunächst 21%, dann 50% Schuldenschnitt), niemand mehr beteiligen will, wie Reuters heute meldet, ist die Quittung, die Frau Merkel von den Investoren nun zu recht bekommt.

Dauerhafte Lösungen, statt nur Löcher zu stopfen

Gestern (25.10.2011) hat sich Kanzlerin Merkel vom Bundestags das Mandat eingeholt, die Europäische Stabilisierungsfazilität (vulgo Rettungsschirm) wie einen Credit Default Swap (Kreditausfall- Gegenfinanzierung) zu benutzen, der als Versicherung eintritt, wenn die Staatsschulden, die z. B. Portugal macht, nicht bezahlt werden können (zur Erinnerung: Diese Sorte strukturierter Finanzprodukte hat die 2008er Finanzkrise mit ausgelöst). Die weltweiten Erfahrungen mit Schulden- und Entschuldungspolitik von erlassjahr.de zeigen, dass die Politik dazu neigt, Löcher zu stopfen, statt dauerhafte Lösungen zu entwickeln. Genau so eine Flickschusterei ist diese Versicherungslösung. Sollte sie eines Tages den Steuerzahlern vor die Füße fallen, werden tatsächlich Billionen Euro erforderlich werden, um eine Rezession abzuwenden.

Panikmache, sagen da die Abgeordneten und die Kanzlerin: Die Versicherung deckt nur die ersten 20 verlorenen Prozent ab, den Rest müssen die Investoren, die die Staatschulden gekauft haben, dann schon selber schultern. Dem steht die Erfahrung aus der Finanzkrise gegenüber, wonach die Schulden der Banken und des Privatsektors letztendlich vom Steuerzahler übernommen werden und zwar umso zwingender, je höher sie angewachsen sind. Das Problem der für das Finanzsystem als Ganzes kritischen Finanzinstitutionen hat mit der Finanzkrise eher zu- als abgenommen.

Die Europäische Stabilisierungsfazilität als Credit Default Swap einzusetzen, damit Deutschland im schlimmsten Falle nicht für mehr als maximal  210 Mrd. Euro einstehen muss ist eine unverantwortliche populistische Politik die versucht, die geldpolitische Logik des gemeinsamen Währungsraums vor der Bevölkerung zu verbergen. Stattdessen versucht diese Politik, den Steuerzahlern den finanzpolitischen Hochseilakt der Versicherungslösung als Spaziergang durch den deutschen Wald anzudienen.

Die USA, Großbritannien und Japan haben allesamt wesentlich mehr Schulden als Italien, Spanien oder Portugal. Dennoch werden sie längst nicht so von den Finanzmärkten abgestraft wie die europäischen Staaten. Der Grund dafür liegt nicht in der höheren Produktivität ihrer Wirtschaften oder gar einer angelsächsischen Verschwörung, sondern darin, dass diese Länder eine zentrale Finanzpolitik und vor allem Zentralbanken haben, die ihre Währungen verteidigen. In Deutschland besitzen viele Menschen bewegliches Vermögen oder eine private Zusatz- Altersversorgung. Inflationsvorbeugung ist daher ein hohes finanzpolitisches Gut. Die Hüter des Geldwertes in Deutschland, insbesondere die Bundsbank und die Privatbanken wollen aus Furcht vor Geldentwertung die Verteidigung des Euro durch die Europäische Zentralbank verhindern. Als Alternative haben sie sich mit der Kanzlerin und vielen Abgeordnete des Bundestages zusammengetan, um den Teufel der Staatschuldenkrise mit dem Belzebub der Versicherungslösung austreiben.

Das Gelingen dieser Strategie hängt einzig und allein vom signifikantem und anhaltendem Wirtschaftswachstum gerade auch in den ärmeren Ländern Europas ab, damit Schuldendienste geleistet werden können, ohne dass die Konjunktur fördernden und sozial ausgleichenden Funktionen der Staatshaushalte außer Kraft gesetzt werden. Abgesehen vom grundsätzlich überoptimistischen Internationalen Währungsfonds versichert uns gegenwärtig aber kein seriöses Wirtschaftsforschungsinstitut, dass Europa in den kommenden Jahren das erforderliche Wachstum auch erzielen wird- insbesondere dann nicht, wenn die global agierende Spekulation nicht restlos davon zu überzeugen ist, dass der Euro entschlossen und nicht mit halbseidenen Konstruktionen wie der Versicherungslösung verteidigt wird. Und wenn die Spekulation nicht zu überzeugen ist, wird sie weiter gegen Euroländer spekulieren, der Eintritt des Versicherungsfalles wird wahrscheinlicher und die Krise findet kein Ende.

Ein Kernstück des Fairen und Transparenten Schiedsverfahrens bei Staateninsolvenz – für die sich erlassjahr.de seit Jahren einsetzt – ist die Vereinbarung von Schuldnern und Gläubigern über die Höhe der Schulden, die zurückgezahlt werden können und den Schuldenschnitt, den die Gläubiger hinzunehmen haben. Weil aber die Finanzmärkte mit ihrer schwachen Eigenkapitalausstattung und ihren abgeleiteten und vielfach gehebelten Finanzprodukten auf die Realisierung von hohen Verlusten nur mit Bankrott reagieren können, ist die Flankierung der Gläubiger-/Schuldnervereinbarung durch EZB- gesicherter Eurobonds sowohl für Gläubigerschulden, als auch für den wirtschaftlichen Neuanfang von Schuldnerländern erforderlich. Europa und die Welt brauchen endlich die Einführung eines Fairen und Transparenten Schiedsverfahrens bei Staateninsolvenz, eine starke Bankenregulierung mit einem strengen TÜV für Finanzprodukte und einer Finanztransaktionssteuer, einen Maulkorb für Rating-Agenturen in kritischen Situationen sowie eine handlungsfähige gemeinsame Wirtschaftsregierung. Dann kann auch der Euro überleben.

Ein Gastkommentar von Peter Lanzet.

Griechenland-Pleite: Ackermanns schwarzer Peter liegt längst in Berlin

erlassjahr.de und viele andere haben seit Ausbruch der Griechenland-Krise auf einen schnellen Schuldenschnitt gedrängt, weil eine Insolvenzverschleppung die letztlich unvermeidliche Lösung nur teurer macht. Ein zweiter Effekt der verfehlten Krisenstrategie in den letzten 15 Monaten ist, dass die direkten Verluste bei einer Insolvenz Griechenlands inzwischen weitgehend  vom privaten auf den öffentlichen Sektor übergegangen sind. Am Montag legte die FTD aktuelle Zahlen zu den Auslandsschulden Griechenlands vor. Demnach hat die Finanzwirtschaft, die noch im Frühjahr griechische Titel von mehr als 21 Mrd. € gehalten hatte, dieses Exposure inzwischen auf 12 Mrd. € reduziert. Dagegen steht der Bund inzwischen mit Garantien und direkten Finanzierungen von 29 Mrd. € in der Pflicht. Zu Beginn hatte sich der deutsche Forderungsbestand gegenüber dem griechischen Staat nach Angaben des Bundesfinanzministeriums noch auf lustige 5 Mio € aus alten Handelsgeschäften belaufen.

Wenn man von einem bevorstehenden Haircut von 50% ausgeht – eher die untere Grenzen dessen, was Experten zur Wiederherstellung von Griechenlands Schuldentragfähigkeit für notwendig halten – dann verliert der Steuerzahler mindestens 14 Mrd. €, während es bei allen deutschen Banken und Versicherungen, die immerhin an ihren hochverzinsten Griechenland-Papieren bis in die jüngste Vergangenheit prächtig verdient haben – nur noch etwa 6 Mrd. wären.

Dabei ist es noch kein Jahr her, dass Herr Ackermann in der Bundespressekonferenz dem skeptisch dreinblickenden Finanzminister das ungeschmälerte Griechenland-Engagement der deutschen Finanzinstitute als Beitrag zur Eindämmung der Krise versprochen hatte.