Der dümmste Finanzminister der Welt…

…ist in diesem Monat zweifellos der Zypriote Lassos Shiarly. Von der Nachrichtenagentur MNI wird er am 12. Februar im Zusammenhang mit einer möglichen Umschuldung Zyperns mit den Worten zitiert: “Öffentliche Schulden dürfen nicht gestrichen werden. Staaten müssen einen Weg finden, ihren Verpflichtungen nachzukommen.”

Warum wurde der Minister zu diesem Thema überhaupt interviewt? Ach ja: es bestehen im Ausland erheblich Zweifel an der Zahlungsfähigkeit seiner Regierung.

Warum genau bestehen solche Zweifel? Weil zypriotische Banken in Schwierigkeiten sind und dringend öffentliches Geld brauchen.

Warum sind eigentlich zypriotische Banken ziemlich plötzlich in Schwierigkeiten geraten? Stimmt: Sie hatten sich mit griechischen Staatsanleihen eingedeckt, die nach dem Schuldenschnitt im letzten März nur noch ein Drittel ihres ursprünglichen Wertes aufwiesen.

Warum hatten die griechischen Staatsanleihen plötzlich an Wert verloren? Na, weil der griechische Staat pleite war, und zumindest ein Teil seiner Schulden nicht nur gestrichen werden musste, sondern auch gestrichen wurde.

Könnte das dem Herrn Shiarly bitte mal jemand mitteilen!

Unkalkulierbar

Im Zusammenhang mit einer drohenden Umschuldung Griechenlands hat die Finanzpresse ein neues Libelingswort: “Unkalkulierbar”. Das seien nämlich die Risiken, die auf die Öffentlichkeit der Eurozone zukämen, wenn es zulasten der Anleger einen Schuldenschnitt oder auch nur eine Umschuldung der griechischen (Auslands-)Schulden gebe.
Und deshalb solle man lieber die Finger davon lassen.
So lange es Staats-Schuldenkrisen gibt (also eigentlich schon immer) haben Gläubiger eine Art Weltuntergang für den Fall an die Wand gemalt, dass sie ihr Geld nicht – oder nicht in voller Höhe – wiederbekommen. Bislang bezog sich der Weltuntergang meist auf den Schuldner selbst: wer nicht voll zurückzahle, bekomme nie wieder einen Kredit, wurde entgegen jeder wirtschaftliche Logik und jede historische Erkenntnis jahrelang den ärmsten Ländern mitgeteilt, als deren Schuldensituation in den 90ern immer prekärer wurde. Kurz darauf organisierten Weltbank und Währungsfonds selbst die Entschuldung von 40 Ländern – mit dem expliziten Ziel, diese dadurch wieder oder überhaupt erstmals kapitalmarktfähig zu machen. Was sich bis zum Beginn der Krise von 2007/8 auch nicht schlecht anließ.
Im Zusammenhang mit der Griechenland-Krise ist es nicht mehr ausreichend, für den Schuldner selbst Feuer und Pestilenz vorherzusagen. Das wäre der Öffentlichkeit in den Ländern, die den Bail-out der Anleger finanzieren sollen, womöglich egal. Auch kann man den Untergang der Eurozone als Ganzer schlecht vorhersagen, wenn jemand in Schwierigkeiten ist, der weniger als 5% der Wirtschaftsleistung der gesamten Eurozone erbringt.
Also droht man mit dem Ungewissen. Ähnlich wie in finsteren Zeiten der Kirchengeschichte dem Sünder mit dem Fegefeuer für den Fall gedroht wurde, dass er sein Portemonnaie nicht für den Kauf von Ablassbriefen öffnete, wird nun wieder eine ungreifbare höhere Macht bemüht, welche zur Strafe für einen griechischen Schuldenschnitt umgehend die halbe Eurozone von jeglicher Kreditversorgung abschneiden werde: Der Markt oder wahlweise auch im Plural “die Märkte”. Auf den ersten Blick eine verblüffende Drohung, da die drei kritischsten Länder ohnehin nur noch öffentlich finanziert werden können und von “den Märkten” außer gänzlich untragbaren Zinssätzen in absehbarer Zeit nichts zu erwarten haben.
Das haben die Propagandaapparate der Gläubiger eingesehen, und weiten deshalb ihre Drohgebärde ins Unbestimmte aus: Wir alle seien dran, weil die großen Banken, Versicherungen und Investmentfonds, die ihrerseits einen schwer zu beziffernden Beitrag zum Steueraufkommen der öffentlichen Hand und zur Beschaffung von Arbeitsplätzen in Deutschland leisten, einen Zahlungsausfall Griechenlands nicht überstehen würden. Weil aber niemand weiss – und auch niemand wissen kann – ob das tatsächlich so ist, und welche Folgen ein Zusammenbruch etwa der HRE, ein Herunterstufen der Bonität der Commerzbank oder die Insolvenz des einen oder anderen Investmentfonds tatsächlich hätte, haben diejenigen, die durch einen Schuldenschnitt der Griechen tatsächlich Verluste hinnehmen, das perfekte Drohszenario geschaffen: Keiner weiss, was genau passieren wird, aber in dem undurchsichtigen Nebel von Fakten und Zusammenhängen kann jedem irgend etwas zustoßen.
Das hilft kolossal, die umgekehrte Frage gar nicht erst aufkommen zu lassen: Nämlich: was bedeutet es denn, dass dieses Land es sich scheinbar nicht mehr leisten kann, die von Hasardeuren eingegangenen Risiken nicht mit öffentlichem Geld abzusichern. Das bedeutet, dass wir ohne die Chance auf eine geordnete Staateninsolvenz zulasten der Anleger bis ans Ende unserer Tage deren Geiseln sein werden. Und die Kosten dafür wären…? Richtig: unkalkulierbar!

Das klarste Argument für eine Staatspleite besteht darin, dass sie ohnehin nicht zu vermeiden ist

Rund um diese einfache, aber zutreffende Wahrheit zerpflückt Lucas Zeise in der FTD vom 15.3. die Versuche der Regierungen in der Eurozone, sich um die Schaffung eines Insolvenzmechanismus herumzumogeln. Der ganze Artikel kann hier nachgelesen werden.
Wie es scheint, werden wir nach der Entscheidung des Europäischen Rates die Lebenslüge, dass Staatspleiten nicht sein können weil sie nicht sein dürfen, noch oft vorgesetzt bekommen.

Seid doch bitte optimistisch!

Nicht nur bei erlassjahr.de wurden IWF und Weltbank oft für ihre Schuldentragfähigkeitsanalysen (DSA) an den Pranger gestellt. Oft erwiesen sich die im Vergleich zur Vergangenheit viel zu optimistischen Vorhersagen des Wirtschaftswachstums als unrealistisch. Oft wurde auf deren Grundlage auch eine zu optimistische Einschätzung der zukünftigen Schuldentragfähigkeit von armen Ländern vorgenommen. Fragt man Mitarbeiter in Washington persönlich, warum sie Länder mit recht hohen Schuldenindikatoren (wie z.B. Mosambik) kein Verschuldungsrisiko bescheinigen, so erhält man ein Schulterzucken: „die Länder wollen das so“.

Nun werden aber auch Stimmen immer lauter, dass IWF und Weltbank bisher viel zu konservativ (und nicht zu optimistisch) über die Schuldentragfähigkeit von Entwicklungsländern geurteilt haben und damit die Finanzierung der MDG gefährden. Denn zu negative Beurteilungen hätten und würden den Zugang zu (nicht- konzessionären) Krediten weitestgehend unterbinden. Aufgegriffen wurde diese „Sorge“ in einer Überprüfung des Rahmenwerks für Schuldentragfähigkeitsanalysen (DSF) von August 2009 (siehe http://www.imf.org/external/np/pp/eng/2009/080509a.pdf) und in einem Treffen des „Commonwealth Ministerial Debt Sustainability Forum“ (CMDSF) im Oktober 2010.

Nun, eine konservative und damit möglicherweise tatsächlich realistische Einschätzung von Verschuldungsrisiken: das ist schließlich Sinn der ganzen Übung. Viele Kreditgeber orientieren sich jedoch an den Schuldentragfähigkeitsanalysen von IWF/Weltbank, wenn es um die Kreditvergabe an Entwicklungsländer geht. Auch beeinflussen die Risikokategorisierungen die Kreditkonditionen bei IWF und Weltbank. Je höher ein Verschuldungsrisiko eingeschätzt wird, desto enger sind Kreditlinien, das ist logisch. Wird einem Land ein mittleres oder hohes Verschuldungsrisiko bescheinigt, weil es z.B. bedenkliche Schuldenquoten aufweist, so ist der DSF nicht unbedingt konservativ und damit starr angewandt worden, sondern hat vielmehr seinen eigentlichen Zweck erfüllt.

In oben genannten Diskussionen wird nun die Forderung laut, dass z.B. geplante Investitionen in die Infrastruktur oder neue Einkommensmöglichkeiten, viel mehr in der Beurteilung Beachtung finden müssten, da diese ja schließlich in Zukunft das Wirtschaftswachstum fördern (sollen). Hier wird der IWF also aufgefordert, bitte optimistischer und nicht zu vorsichtig zu urteilen. Sicherheit über den realen und messbaren Einfluss einer bestimmten Investition auf das zukünftige Wachstum gibt es logischerweise nicht.

Der „Schrei“ nach optimistischeren Einschätzungen ist gar nicht so unverständlich. Möchte man Investitionen finanzieren braucht es Geld. Geld kommt nicht nur von IWF und Weltbank, sondern auch vom Finanzmarkt. Kreditgeber orientieren sich bei Entwicklungsländern hier am Urteil des IWF. Der Finanzmarkt reagiert jedoch überaus empfindlich auf Negativschlagzeilen, wie man an Griechenland, Irland oder Spanien sieht. Fällt das Wort Insolvenzrecht oder Staatsbankrott, bricht Ländern und dem Kapitalmarkt der Angstschweiss aus. Zinsen steigen rasant, Investoren suchen sich andere Anleihen.

Sagt nun die Schuldentragfähigkeitsanalyse von IWF und Weltbank, dass Entwicklungsland xy ein hohes oder mittleres Verschuldungsrisiko hat, so heißt das nichts anderes, als dass ein erhöhtes Risiko einer möglichen Zahlungsunfähigkeit bescheinigt wird. Klar, dass Kreditgeber dann nicht gerne leihen, wenn doch schon vorher die Vermutung besteht, dass das Land den Kredit vielleicht gar nicht vollständig bedienen kann.

Trotzdem darf nicht vergessen werden, wozu der DSF eigentlich geschaffen wurde. In jedem Fall nicht dazu, verschuldeten armen Ländern einen Freifahrtschein für teure Kredite zu verschaffen, die es dann möglicherweise doch nicht tragen kann. Verständlich ist jedoch die indirekte Forderung von „Gleichbehandlung“: Möglichen Kreditgebern wird bei Entwicklungsländern durch die Schuldentragfähigkeitsanalysen die Einschätzung gegeben, ob eine mögliche Gefahr einer Überschuldung und damit Zahlungseinstellung besteht. Bei verschuldeten Euroländern jedoch ist der IWF-„Tipp“ an Kreditgeber vielmehr, dass sie das unwahrscheinliche Risiko von Staatspleiten nicht überschätzen sollen (siehe dazu ausführlicher den Blogbeitrag „IWF an Europa: Zahlt um Himmels willen Eure Schulden!“ vom 21.09.2010).

Das Problem ist da nicht der DSF. Vielmehr kann es nicht sein, dass das Thema Verschuldung so unterschiedlich gehandhabt wird: bei Entwicklungsländern sind Pleiterisiken bei jeder DSA ein selbstverständliches Thema, im Kontext von Euroländern gilt die Angst davor aber plötzlich als viel zu überbewertet. Ob Burkina Faso oder Irland – Staatspleite bleibt Staatspleite!