Harvard-Studie: Schuldenkrisen erfordern tiefe Schuldenschnitte

Wenn man schon Schulden reduzieren muss, dann muss man es richtig machen. Zaghafte Umschuldungen in dem Bemühen, den Gläubigern möglichst wenig wehzutun, führten in der Vergangenheit stets zu höheren Kosten für alle Beteiligten. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung der Ökonom/innen Carmen Reinhart von der Harvard Universität und Christoph Trebesch von der Uni München. („Sovereign debt Relief and its Aftermath“. Harvard Kennedy School June 2015)

Für erlassjahr.de ist das keine besonders überraschende Neuigkeit, aber öffentliche und private Gläubiger streuen bis heute gerne das Gerücht, zu tiefe Schnitte schlössen das betroffene Land nachhaltig vom Kapitalmarkt aus und führten zu Wachstumseinbrüchen. Reinhart/Trebesch zeigen in ihrer Untersuchung der Schuldenkrisen in den entwickelten Ländern nach dem 1. Weltkrieg und in den Schwellenändern zwischen 1978 und 2010 dass das Gegenteil richtig ist: Umschuldungen und Fristverlängerungen führten in der Regel nicht zur Wiederherstellung von Schuldentragfähigkeit. Erst die weit reichende Streichungen von Schulden z.B. unter dem Hoover-Moratorium 1931 bzw. durch den Brady-Plan nach mehrfachen nutzlosen Umschuldungsrunden unter dessen Vorgänger, dem Baker-Plan, brachten Staaten wieder auf den Wachstumspfad und versetzten sie so in die Lage, verbliebene Forderungen an ihre Gläubiger wieder verlässlich zu bedienen.

erlassjahr.de könnte hinzufügen, dass die Geschichte der Bewältigung der Schuldenkrisen in den ärmsten Ländern durch die HIPC/MDRI-Initiativen ein ähnliches Bild ergibt: Zeigen Reinhart/Trebesch, dass jedem ausreichend tiefen Schuldenschnitt unter dem Brady-Plan in den Schwellenländern im Mittel zwei unzureichende Umschuldungen vorausgegangen waren, waren dies in den ärmsten Ländern bis zu 13 vergebliche Umschuldungsrunden im Pariser Club.

In ihrer Zusammenfassung schreiben Reinhart/Trebesch, dass die Erfahrungen der 20er/30er bzw. der 80er /90er Jahre eine starke Botschaft an die laufenden Prozesse zur Bewältigung der Schuldenkrisen in Griechenland und er Ukraine beinhalten. Das tun sie ohne Zweifel. Bis jetzt haben die Gläubiger der beiden Länder diese leider noch nicht zur Kenntnis genommen.

Schuldnerstaaten vor dem Kadi: Wie oft? Wann? Warum? Eine neue Studie gibt Hinweise

Das noch immer nicht entschiedene Verfahren des Geierfonds NML Capital gegen Argentinien vor einem New Yorker Berufungsgericht hat das Problem von Gläubigerklagen gegen zahlungsunfähige Staaten ins Blickfeld der Öffentlichkeit gebracht. Die Auswirkungen solcher Verfahren sind erheblich – nicht nur für Argentinien und auch nicht nur für weitere mögliche Opfer solcher Klage-Strategien. Vielmehr muss gefragt werden, ob ein in viele Foren zersplittertes Schuldenmanagement ohne einen wirklichen rechtlichen Status, wie es in Pariser Club, Londoner Club, ad-hoc-Verhandlungen mit Anleihegläubigern, HIPC-Vereinbarungen mit Weltbank/IWF betrieben wird, überhaupt noch eine Zukunft hat. Es spricht einiges dafür, dass es die nicht hat, und ob das eine gute oder eine schlechte Nachricht ist, ist eine durchaus offene Frage.

Auf diesem Hintergrund haben die Ökonomen der Hertie School in Berlin und des LMU in München eine quantitative Auswertung von Gläubigerklagen gegen souveräne Schuldner vorgelegt, die hilft, zu verstehen, wie groß das Klage-Problem überhaupt ist, und welche Trends zu beobachten sind. Wie bei Erbsenzählern aus der Ökonomen-Zunft unvermeidbar, rücken sie ihrer Datenbasis aller Schuldenrestrukturierungen im Zeitraum 1976-2010 mit allerlei beeindruckender Mathematik zu Leibe. Die Ergebnisse ihrer aufwändigen Rechnerei sind durchaus nicht nur banal:

  • Gläubigerklagen sind weiterhin eine seltene Ausnahme, auch, wenn ihre Zahl in den letzten zwei Jahren spürbar zugenommen hat.
  • Die Zunahme ihrerseits hat offenbar mit der wachsenden Zahl von auf genau dieses Geschäftsmodell spezialisierter Geierfonds zu tun. Diese verfügen über erhebliche Ressourcen, die sie in Rechtsstreitigkeiten investieren können und überdies eine ihrerseits einschüchternde Erfolgsquote aufweisen.
  • Die Geier suchen sich – wie es so ihre Art ist  – gerne geschwächte Opfer, d.h. Staaten mit schwachen Regierungsstrukturen und wenigen Ressourcen für ihre Verteidigung. So wurden 13 von 20 Klagen gegen HIPCs von Geiern angestrengt, nur 7 von ursprünglichen (Holdout-) Gläubigern.
  • Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Land Opfer eines solchen Geiers wird, steigt, wenn es mit einer Schulden-Restrukturierung bis zur tatsächlichen Staatspleite wartet; wer vorbeugend umschuldet läuft statistisch ein deutlich geringeres Risiko.

 

Die Studie Enderlein,H., J. Schumacher, C. Trebesch: Sovereign defaults in Court. The Rise of Creditor Litigation 1976-2010 kann aus dem Netz geladen werden. Tab.7 auf den Seiten 35/36 enthält die Übersicht aller Gläubigerklagen.

Wem nützt 'aggressive Schuldenpolitik'?

In Zeiten drohender Zahlungsunfähigkeiten von armen und ärmsten Ländern interessiert sich auch der IWF wieder verstärkt dafür, wie Zahlungseinstellungen aussehen, und wie eine erfolgreiche Umschuldung zu gestalten wäre. Dazu hat der IWF eine Studie bei dem Berliner Volkswirt Christoph Trebesch in Auftrag gegeben. (Trebesch,C.: The Cost of Aggressive Sovereign Debt Policies: How much is the Private Sector Affected? IMF Working Paper 09/29, Feb. 2009).

Die Studie geht dem auch uns in der Vergangenheit von Gläubiger-Vertretern entgegengehaltenen Argument nach, wer sich seinen Gläubigern widersetze, schneide sich ins eigene Fleisch, weil er nie wieder einen Kredit bekäme. Und sie untersucht, inwieweit kooperatives gegenüber aggressivem Verhalten des Schuldners eher zu einer erfolgreichen Restruturierung führt. Die Ergebnisse sind auf der einen Seite banal (Grundsätzlich mögen Gläubiger es lieber, wenn man zahlt so lange man irgend kann), auf der anderen Seite aber hoch interessant. Im Kern sagt die Untersuchung von Zahlungseinstellungen in 13 Ländern zwischen 1980 und 2004:

Keinesfalls schliesst sich jemand, der aggressiv gegenüber den Gläubigern die Zahlungen verweigert, dauerhaft vom Kreditmarkt aus. Vielmehr muss man von einer Quarantäneperiode von bis zu zwei Jahren ausgehen. Danach funktioniert das Gedächtnis der Gläubiger ohnehin nicht mehr, wenn sie irgendwo Geschäfte wittern.

Es stimmt, dass in dieser Zeit der Zugang zu neuen Krediten erschwert ist, aber es ist nicht eindeutig zu beweisen, ob dies in einer unkooperativen Haltung beim Umschulden oder einfach an der Tatsache einer einseitigen Zahlungseinstellung begründet liegt.

Wer auf eine einvernehmlich Lösung mit den Gläubigern hinarbeitet kann überdies davon ausgehen, dass diese zu einer Zunahme des Kreditangebots in den folgenden Jahren führt.

Gerade der letzte Punkt ist ein starkes Argument für die Schaffung eines fairen und transparenten Entschuldungsverfahrens. Schließlich haben nicht nur die Schuldner, sondern auch die alten, aber mehr noch die neuen Gläubiger ein Interesse daran, dass künftig wieder normale Schuldner-Gläubiger-Beziehungen möglich sind.

Wie bei Publikationen aus dem Fonds üblich, werden „Aggressivität“ und „unkooperatives Verhalten“ ausschließlich auf der Seite des Schuldners vermutet und analysiert. Dass Gläubiger – durch ihr Beharren auf sinnlosen Tragfähigkeits-Berechnungen, hochgradig unfairen und ineffizienten Verhandlungsforen oder schlicht durch die Zurückweisung vernünftiger Angebote der Schuldner eine einvernehmliche Regelung blockieren, ist zwar alltägliche Realität vieler Schuldnerländer; der IWF – selbst wichtiger Gläubiger und zentraler Akteur im internationalen Schuldenmanagement, kann sich das offenbar überhaupt nicht vorstellen.