Tokio Tagebuch II: Am runden Tisch

In dieser Woche findet in Tokio die Jahrestagung von IWF und Weltbank statt, und für erlassjahr.de und unsere Partner im EED bin ich mit einem Roundtable-Gespräch am Donnerstag Nachmittag dabei. 

„Was kommt nach HIPC“ – Unser Panel in Tokio / © erlassjahr.de

Die Jahrestagung 2012 bietet das umfangreichste Programm an „Side-Events“, das es bei solchen Anlässen je gegeben hat. Leider übersteigt das Angebot an Informationen häufig die Nachfrage – zumal die Räumlichkeiten des Civil Society Forum im Keller den offiziellen Delegationen nicht gleich geläufig sind.

Wir haben vergleichsweise gut abgeschnitten: Unser Roundtable zur Verfahrensreform war mit fünfzig Zuhörer/innen mit am besten besucht von allen bisherigen Veranstaltungen. Und auch die Angebotsseite konnten sich sehen lassen:Der norwegische Entwicklungs- und der argentinische Finanzminister diskutierten mit Herrn Schuknecht, Abteilungsleiter im deutschen Finanzministerium und unserer Kollegin Yuefen Li von UNCTAD über ein Positionspapier, das wir zusammen mit Partnernetzwerken für die Debatte erarbeitet hatten.

Der norwegische Minister Heiki Holmås begann die Veranstaltung gleich mit der Ankündigung, dass man ein dreijähriges Forschungs- und Politikberatungsprogramm bei UNCTAD zum Thema faire Entschuldungsverfahren und Verantwortliche Kreditvergabe finanzieren werde – was bei Yufen für den Rest der Veranstaltung für reichlich gute Laune sorgte.

In der Sache unterstrichen Holmås und der argentinische Minister Adrian Costatino die Notwendigkeit eines neuen umfassenden und fairen Ansatzes und sagten allen Bemühungen in diese Richtung die Unterstützung ihrer Länder zu.

Herr Schuknecht ging die Sache dialektischer an. Er benannte das grundsätzliche „ja“ der Bundesregierung, aber erging sich dann hauptsächlich in den „abers“: Es gebe doch auch allerlei Gutes in den Clubs von Paris und London, Schuldenerlasse seien doch recht teuer, Grenzwerte für Überschuldung seien schwer festlegbar – alles nicht gerade Dinge, die wir nicht etliche Male mit dem BMF schon diskutiert hätten. Was die Bundesregierung denn tut, um mit den „abers“ irgendwie umgehen zu können – wenn man denn grundsätzlich zum Koalitionsvertrag, der die Arbeit an einem Staateninsolvenzverfahren vorsieht, stehen möchte, sagte uns Herr Schuknecht leider nicht.

Costatino rollte nochmal die Geschichte Argentiniens nach seiner Staatspleite 2002 auf und beschrieb das fehlende Glied im internationalen Schuldenmanagement mit den Kriterien aus dem NRO-Papier: Ein umfassendes und unparteiisches Verfahren aus der Grundlage einer unparteiischen Beurteilung des Schuldners.

Die Diskussion mit den Zuhörern – darunter auch einige Regierungsvertreter war kurz, aber angeregt. Einige neue Kontakte wurden geknüpft, und wir freuen uns auf die nächste Runde der Debatte – schon morgen früh, wenn die UNO zusammen mit einem kanadischen Think Tank ein ähnliches und ebenfalls hochrangig besetztes Gespräch anbietet.

Neue Themen – alte Kulissen

Als ehemaliger UNO-Bediensteter fühlte ich mich in Genf gleich ein paar Jahre jünger: Von der neuen Besucherkontrolle abgesehen, sieht das UNO-Gelände über dem Genfer See noch ziemlich genau so aus, wie ich es vor vier Jahren letztmals verlassen habe: Der riesige Völkerbundspalast wie von Mussolini persönlich hingeklotzt, die UN-typischen riesigen Sitzungssäle. die die G-194 nun mal braucht, mit den Ohrhörern für die sechs Weltsprachen; und auch die Scharen von beschlipsten Graumännern in den ewig gleichen Anzügen sehen noch genau so aus wie damals (so sah ich in diesen Tagen übrigens auch aus – als letzte Bastion der inneren Rebellion sind NRO’ler noch immer daran zu erkennen, dass sie keinen Schlips umhaben).

UNCTAD beginnt in diesen Tagen mit einem Konsultationsprozess zum Thema „Illegitime Schulden und Verantwortliche Kreditvergabe“, erlassjahr.de ist eigeladen worden, daran mitzuwirken. Eine kleine Arbeitsgruppe traf sich am Rande der großen Schuldenmanagement-Konferenz und versuchte, ein Arbeitsprogramm für den vorgesehenen dreijährigen Prozess zu entwickeln. Dazu gab es einen ersten Text von zwei hochrangigen Juristen – Mitu Gulati und Lee Buchheit – und viele noch ziemlich unstrukturierte Überlegungen zur Bearbeitung des Themas. Zusammen mit NRO-Kolleg/innen aus Brasilien, den Philippinen, Norwegen und den USA, sowie dem ebenfalls mitarbeitenden Lutherischen Weltbund brachten wir unsere ziemlich dezidierten Vorstellungen von einer sinnvollen Agenda in die noch eher gemächlich mahlenden Mühlen der UNO ein. Nun wird es weitere Papiere geben, Internet-gestützte Diskussionen und irgendwann auch mal ein nächstes Treffen.
Und wenn es gelingt, tatsächlich weitere Regierungen in das Boot einer Reformdiskussion zum internationalen Schuldenmanagement zu holen, werden wir sagen können: „Wir sind dabei gewesen.“