Weltbank: Legt die Sicherheitsgurte an!

So bildkräftig drückt die dröge Weltbank sich normalerweise nicht aus wie ihr Chefvolkswirt Kaushik Basu, als er die von 3% auf 2,8% abgesenkte Wachstumsprognose für die Weltwirtschaft kommentierte: „Wir empfehlen den Ländern, vor allem den aufstrebenden Volkswirtschaften die Sicherheitsgurte anzulegen.“

Gemeint hat er damit, dass der absehbare Ausstieg aus der Politik des super-billigen Geldes die so genannten Schwellenländer härter treffen wird als die Industrieländer, die diesen Ausstieg über ihre mächtigen Zentralbanken Fed und EZB immerhin noch nach ihren Bedürfnissen steuern können. Höhere weltweite Zinsniveaus werden – so die Bank – einhergehen mit dem weiteren Verfall der Preise für die Exportprodukte der Schwellenländer.

Das Problem bei dieser bildstarken Sprache ist, dass es „Sicherheitsgurte“ gegen sich krisenhaft verengende fiskalische Spielräume gar nicht gibt. Länder können präventiv auf einen Austeritätskurs einschwenken, und damit mit drohenden Wachstumseinbrüche noch verschärfen oder überhaupt erst herbeiführen. Wie das geht lässt sich aktuell in Griechenland sehr eindrücklich beobachten. Einen echten Sicherheitsgurt – also die Möglichkeit, Überschuldungen in einer geordneten Weise abzubauen, und die Anpassungslasten an ein widrigeres Umfeld teilweise auf die Schultern der Investoren zu verlagern, gibt es nicht. Hat die Weltbank selbst in der Vergangenheit ja mit verhindert.

Nur schön, dass der Chefökonom (noch) nicht das Anlegen der Schwimmwesten empfohlen hat.

IWF/Weltbank-Jahrestagung 2014: Der Kongress beim Essen Fassen

Der jährliche Auftrieb von Ministerialen, Zentralbankern, Geldadel und uns paar versprengten NROs findet in diesem Jahr wieder im Hauptquartier der beiden Institutionen in Washington statt. Unter den einigen tausend Teilnehmern gibt es alle Arten von Freund und

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Feind – beide meist gleichermaßen schwarzgewandet. Es gibt jede Menge Propaganda-Veranstaltungen der beiden Institutionen, und wir als NROs sind ein durchaus beliebtes Zielobjekt freundlicher Umarmungen: Gelobt und verpflegt wird man hier aufs vortrefflichste. Und zwischen den vielen, die für’s Loben und Füttern da sind, gibt es auch einige, die tatsächlich was zu sagen haben, und sich manchmal in Veranstaltungsräumen mit uns NROs wiederfinden.

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Heute stellte der IWF eine neue Studie zur Verschuldung von Niedrigeinkommensländern vor, die unseren Punkt einer sich in Subsahara-Afrika neu aufbauenden Schuldenkrise mit guten Zahlen unterstreicht. Verlinken kann ich sie hier noch nicht, weil sie erst morgen ins Netz gestellt wird. Dann lohnt sich aber ein Blick darauf. Interessant bei der heutigen Vorstellung der wichtigsten Inhalte war, dass die Einteilung der rund 60 Staaten mit niedrigem Einkommen vom IWF so interpretiert wurden, dass nur ein Drittel von ihnen ein hohes Überschuldungsrisiko aufweisen, während es bei zwei dritteln nur „niedrig“ oder „moderat“ ist. Unser Kollege Brett House vom kanadischen CIGI, kommentierte kommentierte namens der NROs die gleichen Zahlen so, dass nur ein Drittel im Moment ungefährdet ist, während zwei Drittel ein „moderates“ oder „hohes“ Risiko aufweisen. „Moderat“ heißt übrigens, dass ein Land kein Schuldenproblem hat, wenn die Wirtschaft sich in den nächsten Jahren so entwickelt, wie der IWF das vorhergesagt hat. Gibt es auch nur eine negative Abweichung davon, wird die Lage umgehend kritisch.

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Breiten Raum nimmt hier auch die Diskussion über den Umgang mit den Geierfonds ein. Erfreulich dabei ist der starke Konsens mit den meisten Finanzministerien auch der G8-Länder sowie mit dem IWF-Stab, dass etwas geschehen muss, was so etwas wie das skandalöse New Yorker Urteil gegen Argentinien sich nicht wiederholen darf. (Wir haben an anderer Stelle in diesem Bog ja eine ganz lebendige Debatte darüber). Der IWF setzt ganz und gar auf „Collective Action Clauses“ die eine solche Geier- oder Holdout-Minderheit im Konfliktfall an die Entscheidungen einer Gläubigermehrheit binden; er hat aber auch noch weiter gehende Maßnahmen wie Aggregation über mehrere Anlageklassen hinweg im Köcher. Wir unterstreichen zusammen mit den meisten Süd-Regierungen z.B. im Communiqué der G24 und der Finanzminister der LIC-Gruppe der Francophonie die Notwendigkeit eines geordneten und umfassenden Verfahrens.

Für alle, die über den Tag hinaus denken: Ein paar Meter von meinem Lieblings-Arbeitsplatz in der Großen Halle des (Finanz-)Volkes entfernt bringen stöckelbeschuhte hübsche Peruanerinnen kleine Quinoa-Snacks sowie allerlei Kunsthandwerk aus ihrer Heimat an den Mann, um schon mal Reklame für die Jahrestagung 2015 zu machen. In jedem dritten Jahr tanzt der Kongress außerhalb Washington’s, und dann wir es Lima.

Tokio Tagebuch III: Die Bank, der Fonds und wir

Zivilgesellschaft drinnen / © erlassjahr.de

Sonntagmorgen in Tokio: Das „Civil Society Centre“ ist abgebaut. Wahrscheinlich sind bergeweise ausgelegte und nie mitgenommene Strategie-Papiere in den Orkus gewandert. Ich glaube, wenn irgendjemand wirklich zufrieden sein kann mit seiner Arbeit bei dieser Jahrestagung, dann sind es die NGO-Liaison-Leute:

Wir, die hier so genannte Zivilgesellschaft, wurden durchweg freundlich und kooperativ von ihnen behandelt. Wir hatten gänzlich kostenlos ziemlich gute Arbeitsmöglichkeiten im Keller des Tokyo International Forums, und konnten uns von daher keineswegs beklagen.

Auch die Delegationen, die Leitung und die Angestellten von Bank und Fonds durften  zufrieden sein: Wir haben sie kaum gestört. Da, wo sie sich trafen, durften wir nicht hin. Gelegentlich wurde mal der eine oder andere von uns in die höheren Etagen raufgeholt, und zu Side Events wie dem unseren kam auch schon mal ein Minister runter in unseren Keller. Nicht ganz ohne Mühe, denn wir hörten hinterher von Delegationen, dass man sich auf die Ortsangabe „Room 251“ keinen Reim machen könne. Und tatsächlich entzogen sich die Raum-Angaben im Civil Society Centre gänzlich der normalen Raum-Systematik. Ob deswegen von uns heftig eingeladene Vertreter von verschuldeten Ländern vergeblich auf der Suche nach uns waren, und schließlich doch lieber ein Päuschen in der Sonne einlegten  als uns weiterzusuchen, werden wir nie erfahren.

Nun ja. Wir waren zu Gast, und als Gast soll man nicht meckern.

Ekelig wurde es allerdings meist, wenn von oben der praktische Dialog mit uns gepflegt wurde. So gaben sich Bank-Präsident Jim Young Kim und Fonds-Direktorin Christina Lagarde am Donnerstag für eine gute Stunde die Ehre vor einem mit NRO-Vertretern sehr gut gefüllten Auditorium. Neben ihnen saßen ein NRO-Direktor aus einem asiatischen Land und eine Frau, von der gesagt wurde, sie vertrete ein Netzwerk indischer Slumbewohner. Nach Slum hörte die sich allerdings nicht an, und sie sah auch nicht so aus. Vielmehr bestand ihre Diskurs darin, der Bank zu ihren ambitionierten Ziel der Ausmerzung der Armut zu gratulieren, und sie zu weiteren Anstrengungen aufzufordern.

Der Gedanke, dass die beiden Institutionen eher Teil des Problems als Teil der Lösung sein könnten, scheint sich vor lauter konstruktivem Engagement derjenigen, die vor gefühlten hundert Jahren auch mal gegen die Institutionen auf die Straße gegangen sind, verflüchtigt zu haben. Es gab nicht eine (zugelassene) Intervention, bei welcher NRO-Frage und Bank/Fonds-Antwort nicht im Prinzip in die gleiche Richtung gingen.

Zivilgesellschaft draußen / © erlassjahr.de

Auf die Straße gingen unsere japanischen Kolleg/innen und ein paar von uns dann aber doch. Am Samstag gab es einen sehr hübschen Caserolazo, d.h. eine Kochtopf-Demo mit reichlich Radau aus Protest gegen die Institutionen, denk deren Politik die Töpfe leer bleiben. Klein (von mir handgezählte 243 Teilnehmer/innen), fein und laut.

Tokio Tagebuch II: Am runden Tisch

In dieser Woche findet in Tokio die Jahrestagung von IWF und Weltbank statt, und für erlassjahr.de und unsere Partner im EED bin ich mit einem Roundtable-Gespräch am Donnerstag Nachmittag dabei. 

„Was kommt nach HIPC“ – Unser Panel in Tokio / © erlassjahr.de

Die Jahrestagung 2012 bietet das umfangreichste Programm an „Side-Events“, das es bei solchen Anlässen je gegeben hat. Leider übersteigt das Angebot an Informationen häufig die Nachfrage – zumal die Räumlichkeiten des Civil Society Forum im Keller den offiziellen Delegationen nicht gleich geläufig sind.

Wir haben vergleichsweise gut abgeschnitten: Unser Roundtable zur Verfahrensreform war mit fünfzig Zuhörer/innen mit am besten besucht von allen bisherigen Veranstaltungen. Und auch die Angebotsseite konnten sich sehen lassen:Der norwegische Entwicklungs- und der argentinische Finanzminister diskutierten mit Herrn Schuknecht, Abteilungsleiter im deutschen Finanzministerium und unserer Kollegin Yuefen Li von UNCTAD über ein Positionspapier, das wir zusammen mit Partnernetzwerken für die Debatte erarbeitet hatten.

Der norwegische Minister Heiki Holmås begann die Veranstaltung gleich mit der Ankündigung, dass man ein dreijähriges Forschungs- und Politikberatungsprogramm bei UNCTAD zum Thema faire Entschuldungsverfahren und Verantwortliche Kreditvergabe finanzieren werde – was bei Yufen für den Rest der Veranstaltung für reichlich gute Laune sorgte.

In der Sache unterstrichen Holmås und der argentinische Minister Adrian Costatino die Notwendigkeit eines neuen umfassenden und fairen Ansatzes und sagten allen Bemühungen in diese Richtung die Unterstützung ihrer Länder zu.

Herr Schuknecht ging die Sache dialektischer an. Er benannte das grundsätzliche „ja“ der Bundesregierung, aber erging sich dann hauptsächlich in den „abers“: Es gebe doch auch allerlei Gutes in den Clubs von Paris und London, Schuldenerlasse seien doch recht teuer, Grenzwerte für Überschuldung seien schwer festlegbar – alles nicht gerade Dinge, die wir nicht etliche Male mit dem BMF schon diskutiert hätten. Was die Bundesregierung denn tut, um mit den „abers“ irgendwie umgehen zu können – wenn man denn grundsätzlich zum Koalitionsvertrag, der die Arbeit an einem Staateninsolvenzverfahren vorsieht, stehen möchte, sagte uns Herr Schuknecht leider nicht.

Costatino rollte nochmal die Geschichte Argentiniens nach seiner Staatspleite 2002 auf und beschrieb das fehlende Glied im internationalen Schuldenmanagement mit den Kriterien aus dem NRO-Papier: Ein umfassendes und unparteiisches Verfahren aus der Grundlage einer unparteiischen Beurteilung des Schuldners.

Die Diskussion mit den Zuhörern – darunter auch einige Regierungsvertreter war kurz, aber angeregt. Einige neue Kontakte wurden geknüpft, und wir freuen uns auf die nächste Runde der Debatte – schon morgen früh, wenn die UNO zusammen mit einem kanadischen Think Tank ein ähnliches und ebenfalls hochrangig besetztes Gespräch anbietet.

Tokio Tagebuch I: 9. Oktober: Verdächtig harmonisch alles hier

In dieser Woche findet in Tokio die Jahrestagung von IWF und Weltbank statt, und für erlassjahr.de und unsere Partner im EED bin ich mit einem Roundtable-Gespräch am Donnerstag Nachmittag dabei. 

Für ein absolutes Tokio-Greenhorn bin ich ganz gut angekommen. Flug mit SAS, die keine Durchsage ungenutzt ließ, um darauf hinzuweisen, dass sie Europas pünktlichste Airline sei; und tatsächlich: auf die Minute heute morgen um halb zehn betrat ich zum erst Mal in meinem Leben japanischen Boden.

Wenn man keinen Zeitstress hat, und die 60km vom Flughafen in die Mitte der großen Stadt im Shinkansen-Tempo zurücklegen muss, dann macht es sogar Spass, die kleinen lateinischen Unterzeilen unter den japanischen Metro-, U- und S-Bahn-Informationen zu identifizieren und in die richtige Bahn nicht nur ein-, sondern an der richtigen Stelle auch wieder auszusteigen.

Zur Mittagszeit hatte mir der höflich lächelnde Mensch in der Rezeption des Hotels, das unten so aussieht, als müssten aber spätestens morgen die Handwerker kommen, für den Rest der Woche knapp 60.000 Yen abgeknöpft. Oben war es dann sehr gepflegt: ein Riesen-Bett in einem Zimmerchen, von dem ich sicher bin, dass seine Grundfläche kleiner ist als die des Bettes. Internet-Zugang dafür einwandfrei, überall kleine Fläschchen mit Duftwässerchen, Pomaden, Seifen und bei manchen weiss ich auch nicht genau. Der Lokus hat einen Knopf, bei dessen Betätigung einem der Hintern abgespült wird. Ein echter Überraschungseffekt – besonders, wenn man irrtümlich in Richtung „kalt“ dreht.

Bei der Registrierung stelle wurde ich dann mit einem einlass-gewährenden Badge in Quietschrosa ausgestattet. Die Weltbank hat mein Bild seit meiner allerersten Tagung offenbar gespeichert. Sehr schmeichelhaft.

So weit die Rahmenbedingungen. Die Tagung selbst hat vorläufig noch Luft nach oben: Wir NROs hätten gerne beim Treffen der Commonwealth-Finanzminister zum Thema „Schuldenprobleme in Kleinen Verwundbaren Ökonomien“ zugehört, aber rosa Schilder wurden nicht zugelassen. Dafür überschüttet uns das NRO-Liaison-Büro der Weltbank mit Aufmerksamkeiten: Ungefragt bekamen wir für unser FTAP-Side-Event am Donnerstag eine japanische Simultanübersetzung. Wie alle registrierten Teilnehmer, bekam ich wieder mal eine schicke Konferenztasche – mit der jeder zweite Mensch durch den Glaspalast des Tokyo International Forum wandert. Und an fast jeder Ecke des Palastes steht entweder ein Polizist in Habachtstellung oder eine hübsche junge Japanerin, die hofft, dass man sie anspricht, um sie nach dem Weg nach irgendwo zu fragen.

Da wir beim Commonwealth nichts ausrichten konnten, haben wir, die Kolleginnen von SLUG aus Norwegen, EURODAD und ich, uns in die Begegnungsveranstaltung der Zivilgesellschaft mit den Exekutivdirektoren der Weltbank gesetzt. Das war grauenhaft: Ein gut besuchter riesiger Saal, zwei Stunden Frage und Antworten, und

Sieht öde aus und war es auch: Weltbank trifft Zivilgesellschaft / © erlassjahr.de

von den Inhalten her war es unmöglich zu entscheiden, wer Frager und wer Antworter ist. Alle betonten in einer Tour, wie wichtig die Zivilgesellschaft für die Arbeit der Weltbank sei, wie dankbar die Banker sind, dass wir alle da sind; für mehr Gerechtigkeit für Frauen sind wir aber so was von alle, Partizipation – ja aber claro. Viel mehr mit der Weltbank reden sollen wir – noch mehr als wir das verdienstvollerweise ohnehin schon tun. Ich glaube, es gab in 90 Minuten nicht eine einzige Wortmeldung, bei der NGOs und Welt-Banker unterschiedlicher Meinung waren. Sind wir bei erlassjahr.de womöglich genauso und merken es nicht?

Vor dem Abendessen und Einschlafen kommt dann zum Glück noch eine Mail von einem mir bislang nicht bekannten japanischen Anti-IWF-Bündnis. Morgen ist eine Demo: Wenn ich es richtig verstehe, beginnt sie in der U-Bahn. Hoffentlich schaffe ich das morgen zwischen zwei Seminaren….

Die Untoten der Argentinien-Krise schreiben an die Weltbank

2005 und 2010 einigte sich Argentinien mit insgesamt mehr als 90% seiner Anleihegläubiger auf einen Schuldenschnitt von rund 70%. Mit dieser Entlastung wuchs das Land aus der schlimmsten Wirtschaftskrise seiner Geschichte, die 2001 zur Einstellung aller Zahlungen an die inländischen und ausländischen Gläubiger geführt hatte. Die übrigen 10%, welche noch immer ihre ursprünglichen Papiere halten, haben sich indes in kleinen aber lautstarken Pressure Groups organisiert.

In Deutschland toben sie sich in einschlägigen Internetforen wie dem „Sudelforum“ aus; in den USA ist eine zentrale Stimme die American Task Force on Argentina (ATFA). Deren Vorsitzender beschwerte sich nun im Vorfeld einer gemeinsamen Tagung von Weltbank und Argentinischer Regierung über Optionen für ein Staateninsolvenzverfahren, dass die Bank die Argentinier nicht boykottiert, oder zumindest den Herren Holdouts einen Platz auf dem Podium verschafft.

Eine solche Initiative zeigt sehr eindrucksvoll, wie dringend notwendig die Tagung unter dem Titel The missing link in the international financial architecture: Sovereign Debt Restructuring tatsächlich ist. Argentinien hat eine Geschichte von Überschuldung und ziemlich chaotischer Entschuldung hinter sich, die vor allem für die ärmeren Schichten Argentiniens selbst schmerzhaft war. Die Bemühungen des Finanzministeriums daraus nun Konsequenzen zu ziehen, und eine globale Reform auf den Weg zu bringen ist aller Ehren wert. Zum Glück wurde der Topredierungs-Versuch von Investoren, die seinerzeit mit Argentinien-Anleihen ohne Risiko eine Riesen-Rendite einstreichen wollten, sowohl von der Weltbank als auch von der Argentinischen Regierung souverän ignoriert.

erlassjahr.de vor dem Weißen Haus

Aus Anlass der Jahrestagung von IWF und Weltbank organisierte Jubilee USA nicht nur eine Reihe von Veranstaltungen innerhalb und außerhalb der Internationalen Finanzinstitutionen, sondern auch eine „Ketten-Demonstration“ von der Weltbank zum Weißen Haus.

Quer durch die Staaten hatten Jubilee-Unterstützer aus Kirchen, Gewerkschaften und Eine-Welt-Gruppen in den letzten Wochen bunte Kettenglieder gebastelt und teils mit persönlichen Botschaften beschriftet. Diese wurde von etwa 500 Demonstrant/innen am Freitag, dem 9. Oktober 2010 zu Beginn der eigentlichen Gouverneurstagung von Bank und Fonds durch die Straßen Washingtons getragen.

Da erlassjahr.de heute die zusammen mit der Friedrich-Ebert-Stiftung erstellte neue FTAP-Studie vorstellt, konnte ich natürlich auch bei der Demo dabei sein, und vor dem Weißen Haus das mitgebrachte erlassjahr.de-Banner in Szene setzen. In diesem Fall mit der Hilfe unserer Freunde von Jubilee San Diego, mit denen wir schon beim vorletzten Kirchentag in Bremen eine gemeinsame Veranstaltung organisiert hatten.
Die Demo war nicht groß, aber bunt und laut: Sogar eine amerikanische Version des „Hai des Jahres“ war mit von der Partie – schon etwas abgenagt, und dem IWF liebevoll gewidmet. Die Freund/innen der „Stop-IMF-Coalition“ kamen in der etwas martialischen Aufmachung des schwarzen Blocks, aber selbst ihnen gegenüber blieben die Polizisten – überwiegend auf Fahrrädern der Marke „Smith & Wesson“ (!) – friedlich.

Für mich war es die erste Demo im Jacket. Schließlich musste ich unmittelbar danach wieder zurück in die Weltbank. Dort stellte die Debt Management Abteilung ein neues Buch zum Thema Sovereign Debt Management vor. Interessanterweise erstmals mit einem Kapitel über die Option eines Internationalen Insolvenzgerichtshofs – aus der Feder des Berliner Völkerrechtlers Christoph Paulus. Ansonsten war es allerdings eine fix dröge Veranstaltung: Fünf Herren in grauen Anzügen sagten zur insgesamt rund fünfzig weiteren grauen Herren (und einigen wenigen ebenfalls grau beanzugten Damen) mehr oder weniger kluge Dinge über das Buch, das sie selbst geschrieben haben. Ein afrikanischer Delegierter hinter mir begann zur Mitte der Veranstaltung vernehmlich zu schnarchen. Ich konnte es ihm nicht verdenken.
Bei unserer eigenen Buchvorstellung heute nachmittag wird das hoffentlich nicht passieren. Und wenn doch, werde ich ein paar Witze erzählen oder einen Teil meines Vortrags singen.

Die schöne bunte Welt der Entschuldung

Wer mal so richtig schwelgen möchte in den segensreichen Wirkungen der Entschuldung, der wird von der Weltbank in einem neuen YouTube Video bedient: http://www.youtube.com/watch?v=EJYZCTXU4Dg
Glücklichen Afrikanern und Südamerikanern kann man dabei zusehen, wie sie dank Entschuldung in ihrem örtlichen Krankenhaus zuvor unerschwingliche Medikamente kostenlos verabreicht bekommen. Genauer gesagt: Dank HIPC-Entschuldung. Denn Sinn des Streifens ist natürlich zu demonstrieren, dass die weitsichtige Politik der Bank, deren Mitarbeiter reichlich zu Wort kommen, dieses schöne Ergebnis herbeigeführt hat. Zu Wort kommt übrigens auch der Autor dieses Blogbeitrags, den die PR-Abteilung am Rande einer Tagung im April vor die Kamera bekam.
Überraschenderweise nicht in den Film geschnitten wurde aus den längeren Statements der Hinweis, dass HIPC nach wie vor ein Instrument in der Hand der Gläubiger ist, und am Ende einer langen Kette von Entschuldungs-Verweigerungen steht. Dafür erfährt der Zuschauer, dass durch die Initiative die Bank gezwungen wurde, ihren vorgeblichen „bevorzugten Gläubigerstatus“ endlich aufzugeben. Immerhin.

(K)eine ganz normale Weltbank-Konferenz

© erlassjahr.de

So ungefähr sehen Weltbank-Konferenzen eigentlich immer aus: Ein künstlich beleuchteter und belüfteter Raum in einem teuren Hotel. Menschen aus vielen verschiedenen Ländern aufgereiht auf unbequemen Stühlen, mehr oder weniger aufmerksam zuhörend oder auch heimlich ihre Blackberrys checkend – und vorne ein Panel mit schlipstragenden weissen Männern. Wohldosierte Alibi-Frauen und -Afrikaner dazwischen. Und gesprochen wird über Finanzströme zwischen Nord und Süd. Alles irgendwie interessant für einen Entschuldungscampaigner, aber so sehr auch wieder nicht, dass er nicht auch lieber zwischendurch mal, die Mails durchsehen würde…
So auch hier bei der Debt Management Konferenz der Weltbank und der Afrikanischen Entwicklungsbank in einem hübschen Touristen-Hotel nördlich von Tunis.
Anders war, dass die Bank erlassjahr.de nicht nur freundlich das Zuhören gestattete (dafür wäre ich eher nicht gekommen), sondern überdies ein hübsches Streitgespräch zwischen einer Mitarbeiterin des holländischen Finanzministeriums und mir organisierte über die Frage, ob neue (gar: „radikale“) Entschuldungs-Verfahren gebraucht werden oder nicht. Und damit die Sache ein bisschen interessanter würde, kopierte sie eine Idee unseren Köln+10-Workshop vom letzten Juni: Die Tagungsteilnehmer sollten abstimmen: einmal vor dem Streitgespräch und dann nachher.
Da erlassjahr.de beim Heimspiel in Köln einen Erdrutschsieg errungen hatte, vermutete ich, dass sie nun auf eine Revanche scharf waren, und es nicht viele Lorbeeren zu gewinnen geben würde. Allerdings nahm die niederländische Kollegin das Match ziemlich auf die leichte Schulter (oder war in Gedanken schon beim anschließenden Vier-Augen-Gespräch mit dem Chefunterhändler der isländischen Regierung, mit dem die Niederländer derzeit einiges zu verhandeln haben). Jedenfalls war schon vor Beginn eine kleine Mehrheit für ein radikales neues Denken („radical re-thinking of debt management“), und als wir beide gesprochen und jeweils eine Runde Fragen beantwortet hatten, war der Vorsprung – unter immerhin Finanzbeamten und -Zentralbankern, UNO-Leuten und WB/IWF-Mitarbeitern – noch gewachsen. Auch wenn man diese Art von Übungen mit der kleinen Prise Humor nehmen muss, mit der Moderator sie auch einführte, zeigt sich doch, dass es ein spürbares Unbehagen unter Fachleuten gegenüber einer Politik des schlichten „weiter so“ gibt.
Jedenfalls folgten auf das Streitgespräch eine ganze Reihe interessanter Gespräche, mit Leuten, die über FTAP mehr wissen und hier oder dort auch mit uns zusammen arbeiten möchten. erlassjahr.de dankt der Weltbank für die freundliche Einladung.

Nie mehr Schuldenkrise, nie mehr, nie mehr…..

In der Höhle: Koordinator erklärt die Welt
In der Höhle: Koordinator erklärt die Welt / © erlassjahr.de

So hätten sie es auch singen können (jeder, der ab und zu ein Fußballstadion besucht, weiß, welche Melodie zu der Zeile gehört…): sowohl die Weltbanker, mit denen ich heute zu tun hatte, als auch die beiden HIPC-Finanzminister – aus Niger und Kamerun – die am Vormittag das Pressebriefing für die HIPC-Finanzminister bestritten. Die Überschuldungskrise der neunziger Jahre war so traumatisch, so die afrikanischen Stimmen, wir werden diesen Weg nie wieder einschlagen. Und die Weltbanker, auf deren Panel ich zusammen mit einem französischen Professor und einem Vertreter der Afrikanischen Entwicklungsbank saß, widersprachen nicht, als ich sie fragte, ob ihrer Ansicht nach die Geschichte von Staatsbankrotten, die mal im alten Ägypten begonnen hat, nun an ihr glorreiches Ende gekommen sei, weil man in Washington endlich ausgerechnet habe, wie viel Kredite ein Land maximal aufnehmen solle.

Interessant war indes ihr Hinweis, dass man zusammen mit den beiden Kollegen auf dem Panel und weiteren internationalen Finanzinstitutionen eine größere Tagung in Tunis plane, bei der man über das Schuldenmanagement der Zukunft reden wolle. Zwei Papiere zum Thema „Internationales Insolvenzverfahren“ sollen dazu, erstellt werden, eines möglicherweise von einem uns nahestehenden Juristen. Das kann ziemlich spannend werden, wenn die Herren ein Problem diskutieren, das es ihrer Meinung nach gar nicht mehr geben wird.

Außerhalb der Höhle: Soundstarkes Gotteshaus von der Hotelterrasse aus gesehen
Außerhalb der Höhle: Soundstarkes Gotteshaus von der Hotelterrasse aus gesehen / © erlassjahr.de

Es war ein Höhlentag heute, bei dem ich, außer zum Frühstück mit den Kollegen der Ebert-Stiftung auf der wunderbaren Dachterrasse mit Blick auf’s Meer keine Sonne gesehen habe. Dafür gab es interessante Kontakte mit ebenfalls durch das Konferenzzentrum geisternden NRO-Kolleg/innen aus den USA, von der „Free Dharfur-Campaign und aus Österreich. Morgen habe ich ein Gespräch mit dem Österreichischen Exekutivdirektor im IWF und dem Chef der Zentralbank. Mal sehen, ob sie sich für so etwas genuin Österreichisches wie den Raffer-Vorschlag eines Internationalen Insolvenzverfahrens begeistern können.

Jetzt ist acht Uhr vorbei. Vor meinem Fenster lassen gleich zwei Muezzine die Welt wissen, dass es Zeit um Gebet ist. Ich werde wahrscheinlich an einer der beiden Moscheen vorbei spazieren, und mir ziemlich unislamisch ein EFES genehmigen.